Montag, 19. Dezember 2022

Update: Rodung für Kiesgrube Tullius: Vier Baumbesetzer*innen wegen angeblicher Nötigung von Harvester angeklagt

Am 15.12.22 mussten sich 4 Aktivisten wegen der Baumbesetzung am 22./23.2.22 vor dem Amtsgericht Ravensburg verantworten. Sie hatten Bäume in einem Erweiterungsbereich der Kiesgrube Tillius GmbH & Co KG in Oberankenreute bestiegen, um die Rodung des Waldes dort zu verhindern. In nahegelegene Bäume waren Nägel eingeschlagen worden, um das Werk der Kettensägen zu hemmen, worauf durch angebrachte Schilder hingewiesen wurde.

Die allesamt von Rechtsanwälten vertretenen Aktivisten machten vor Gericht keine Angaben zur Sache, wiesen jedoch auf die Bedeutung des Waldes für den Klima-und Wasserschutz hin. Angesichts des herannahenden Klimakollapses könne sich die Gesellschaft den ungehemmten Abbau von Kies und das damit zusammenhängende Bauen mit Beton nicht mehr leisten. Immerhin 8% der CO² Emissionen gingen auf die Kappe der Zementindustrie, so der Angeklagte Samuel Bosch. Nach der Vernehmung der polizeilichen Zeugen war der Sachverhalt insoweit klar, dass alle Angeklagten auf den Bäumen gewesen waren. Einer der Angeklagten hatte in der Folge noch eine Nacht im Polizeigewahrsam verbringen müssen, weil er seine Personalien nicht angeben wollte. Wer allerdings die Nägel in die Bäume getrieben hatte, konnte keiner der Zeugen berichten.

Die Verteidigenden Klaus Schulz, Nils Spörkel, Fabian Frank und Rechtsreferendarin Annika Lust sahen den Vorwurf der Sachbeschädigung der Bäume jeweils für ihre Mandanten als nicht erwiesen an, nachdem hierfür auch andere im Waldstück von Zeugen beobachtete Personen als Verursacher in Betracht kämen. Und auch den Vorwurf der Nötigung hielten sie aufgrund mangelnder Gewaltanwendung und fehlender Verwerflichkeit als nicht gegeben an. Der Vorwurf des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetzes scheitere schließlich daran, dass schon gar keine anmeldepflichtige Versammlung vorgelegen habe, was Amtsgericht und Landgericht Ravensburg nun schon mehrfach so entschieden habe. Die Staatsanwaltschaft sah die Vorwürfe als erwiesen an und beantragte Geldstrafen zwischen 90 und 110 Tagessätzen – was je nach Einkommen der Angeklagten zwischen 900 € - 4400 € bedeutet hätte. 

Das Amtsgericht verurteilte 3 Angeklagten wegen Sachbeschädigung und Nötigung zu etwas geringeren Geldstrafen und sprach sie im Übrigen frei. Außer einem Hammer und Nägeln verfügte es die Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände, wie Hängematten, Schlafsäcke und Isomatten, weil sie diese nicht als Tatmittel ansah.

Den 4. Angeklagten, den Aktivisten Samuel Bosch, sprach Frau Dr. Angelika Schneider insgesamt frei, da er erst am 2. Tag der Besetzung dazugekommen war und ihm daher das Einschlagen der Nägel nicht angelastet werden könne. Keiner der Beteiligten geht davon aus, dass das Urteil rechtskräftig werden wird. Die verurteilten Angeklagten kündigten entsprechende Anträge an und „die Staatsanwaltschaft gehtsowieso in jedem einzelnen Fall in Berufung und Revision, manchmal sogar, wenn das Gericht gemäß dem Antrag der Staatsanwaltschaft verurteilt“, so RA Schulz, der schon eine größere Anzahl von Aktivisten verteidigt hat. „Da scheint ein hohes Maß an Verfolgungseifer zu dominieren“ so Schulz weiter, „und ich weiß nicht, ob die betroffenen Gerichte davon begeistert sind“. 


Pressemitteilung vom 14.12.2022 

Am Donnerstag, den 15.12.2022, ab 8:30 Uhr wird am Amtsgericht Ravensburg gegen die vier Klimaaktivist*innen Samuel Bosch, Patrick Sander, Leander John und Martin Lang verhandelt.


Im Februar besetzten sie ein Waldstück bei Oberankenreute, um dessen Rodung für den Kiesabbau zu verhindern. Durch die selbst gespannten Seile und Hängematten zwischen den Bäumen konnten sie den Wald zwei Nächte und einen Tag lang besetzt halten. Das erklärte Ziel der Besetzung war, die Rodung bis zum Ende der bevorstehenden Rodungssaison hinauszuzögern. Jetzt wird den Aktivist*innen unter anderem Nötigung und ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen.

"Wir hätten in dem gewonnenen Jahr dann gegen die Rodung des Waldes klagen können. Damit hätten wir den Wald vor der Zerstörung durch die Erweiterung der Kiesgrube Tullius bewahren und somit ein weiteres klimaschädliches Projekt verhindern können." so Samuel Bosch (19). 

"Waldrodung in Zeiten der Klimakatastrophe ist Raubbau an unserer Lebensgrundlage und respektlos denen gegenüber, die heute schon massiv unter den Folgen der Klimakatastrophe leiden. Dass die Bäume auch noch für Kies und damit die Zementindustrie fallen, die global mit 8% der Emissionen maßgeblich zur Erderwärmung beiträgt, frustriert mich besonders." ergänzt Leander John (25)

Die Kiesgrube Tullius bei Oberankenreute im Altdorfer Wald ist bereits über 30 Hektar groß. An der Stelle der kurzen Besetzung war Ende 2021 die Abbaugenehmigung ausgelaufen. Wegen geringerer Nachfrage war eine Teilfläche noch unversehrt geblieben, für die der Betreiber kurz zuvor eine Verlängerung der Abbaugenehmigung von der Gemeinde Schlier erhalten hatte. Im Vorfeld zu dieser Entscheidung hatte es bereits Proteste aus der Bevölkerung gegeben. Besonders unverständlich finden die Baumbesetzer*innen, dass das Unternehmen, trotz fehlender Nachfrage, im neuen Regionalplan bereits 30 weitere Hektar Wald als Kiesabbaufläche beantragt hat.

Hundertschaft und SEK rückten zur Räumung an

Um das besetzte Waldstück für die Rodung frei zu machen, rückte die Polizei am frühen Morgen des folgenden Tages mit einem Großaufgebot von rund 200 Einsatzkräften samt Hundestaffel an. Die gesamte Straße entlang der Grube war stundenlang für die Bevölkerung gesperrt, das Waldstück weiträumig abgeriegelt.

"Wenn pro Aktivisti, friedlich in einer Hängematte liegend, rund 50 Polizeibeamte aufgefahren werden, kann man nur von Steuergeldverschwendung sprechen. Der Staat sollte endlich in die Reduzierung schädlicher Emissionen investieren anstatt legitime Proteste von Klimaschützenden zu kriminalisieren" so Martin Lang (56)

Mahnwache

In Solidarität mit den Angeklagten, laden am Donnerstag, 15.12., ab 8:00 Uhr Unterstützende zu einer angemeldeten Mahnwache vor dem Amtsgericht, unter dem Motto "Bäume fallen für den Kiesabbau", ein.

Die Waldbesetzung bei der Abzweigung Grund/Vogt im Wald, der "Alti" , besteht weiterhin.

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