Süddeutsche Zeitung hier 11. Dezember 2022 Von Thomas Krumenacker
Weltnaturkonferenz
Beim Ziel, 30 Prozent der Erde unter Schutz zu stellen, zeichnet sich eine Einigung ab. Auch in Finanzierungsfragen nähern sich die Verhandlungsparteien an. Wird ein Abkommen stark genug sein, um die Natur effektiv zu schützen?
Eine Woche nach Beginn der UN-Biodiversitätskonferenz gibt es große Fortschritte auf der Weltnaturkonferenz in Montréal. Zur Halbzeit der Verhandlungen über ein globales Naturschutzabkommen äußert sich der Chefunterhändler für den wohl wichtigsten Umweltvertrag des Jahrzehnts, Basile van Havre, zuversichtlich zu den Erfolgsaussichten. Es gebe keinen Staat mehr, der ein Abkommen blockieren wolle, sagte van Havre im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir ein Abkommen bekommen werden."
Die Bereitschaft aller Länder zu einer Einigung wäre ein Durchbruch. Denn für die Verabschiedung eines neuen globalen Naturabkommens ist Einstimmigkeit nötig, was de facto die Zustimmung der Repräsentanten fast der gesamten Menschheit bedeutet. 196 Mitglieder hat die UN-Biodiversitätskonvention. Nur die USA und der Vatikan haben sie nicht unterzeichnet.
Wie viel ein neues Abkommen tatsächlich wert ist, ist indes weiter offen. Chefverhandler van Havre räumt ein, dass die Frage, wie stark der neue Vertrag ausfallen werde, auch wenige Tage vor der geplanten Verabschiedung ungeklärt ist. Denn praktisch alle dafür entscheidenden Streitpunkte sind bisher ungelöst. "Jetzt kommt es auf die Minister an", spielt der kanadische Umweltdiplomat den Ball weiter.
Ab Mitte der Woche wollen Umweltministerinnen und -minister aus mehr als 140 Staaten in Montreal die entscheidenden Streitfragen auf dem Weg zu dem globalen Abkommen ausräumen, das das Artensterben stoppen und die Natur insgesamt auf einen Pfad der Erholung bringen soll. Die große Zahl von anreisenden Ministern zeigt auch den gewandelten Stellenwert des Themas Natur. Ein Erfolg im Kampf gegen die Zerstörung von Lebensräumen und das Verschwinden von immer mehr Tier- und Pflanzenarten gilt mittlerweile für das Überleben und den Wohlstand der Menschheit als ebenso bedeutend, wie die Begrenzung der Klimakrise. Nach Berechnungen des Weltwirtschaftsforums hängt die Hälfte der globalen Wirtschaftskraft von Leistungen der Natur ab - von der Bestäubung durch Insekten bis hin zur Verfügbarkeit sauberen Trinkwassers.
30-Prozent-Ziel wird wohl beschlossen
Auch zur Begrenzung der Erderhitzung auf möglichst unter 1,5 Grad Celsius ist ein starkes Abkommen zum Schutz der Natur auf dem Planeten unabdingbar, helfen intakte Ökosysteme doch, einen großen Teil der Treibhausgase im Boden zu halten oder abzubauen. Allein die Wälder der Erde speichern das Äquivalent der vom Menschen in 100 Jahren verursachten Kohlenstoffemissionen.
Damit wäre ein in Montreal geschlossenes "Paris-Abkommen für die Natur", fast auf den Tag genau sieben Jahre nach dem Klima-Abkommen doppelt wichtig: für Natur und Klima. Eine unverzichtbare Zutat dazu scheint gesichert: Das Schlüsselziel, künftig 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche unter Schutz zu stellen, wird aller Voraussicht nach beschlossen. "Es gibt soviel Unterstützung für das 30x30-Ziel, dass ich bezweifele, dass es nicht verabschiedet wird oder in seinem Ausmaß verringert wird", sagt auch der sonst mit Prognosen vorsichtige van Havre.
Auf die Minister wartet eine Mammutaufgabe
Trotz dieser Vorentscheidung hinterlassen die Delegierten den Ministerinnen eine Mammutaufgabe. Denn hunderte wichtigen Fragen zur Ausgestaltung der einzelnen Ziele sind weiter umstritten. Dazu zählt neben der Frage, wieviel Fläche der Erde künftig geschützt wird, die nicht weniger wichtige danach, wie strikt der Schutz dort ausfallen soll oder um welchen Prozentsatz der Einsatz naturschädlicher Pestizide verringert werden soll.
Teilweise erbittert wird in den Verhandlungen über praktisch alle Details gestritten, die darüber entscheiden werden, wie ambitioniert das Abkommen am Ende ausfällt und wie wirksam damit der angestrebte Schutz der Natur ist. Insgesamt wird das Schutzniveau für die Natur mit jedem Tag der Verhandlungen geringer. So scheint der von Bundesumweltministerin Steffi Lemke geforderte Nachschärfmechanismus für den Fall, dass Zielvorgaben verfehlt werden, vom Tisch zu sein.
Oft wird in den bis tief in die Nacht geführten Verhandlungen um jedes Wort gerungen. Gegner eines hohen Ambitionsniveaus für das Abkommen gelang es beispielsweise, die Bedeutung bestimmter Leitprinzipien in einer Art Präambel durch Semantik deutlich abzuschwächen. Die besonderen Rechte indigener Völker, ein menschenrechtsbasierter Ansatz und die Festlegung, dass alle Naturschutzziele auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren müssen, sind nach einer Änderung der Überschrift fortan keine - auch rechtlich verbindlicheren - "Grundsätze und Prinzipien" mehr, sondern lediglich unverbindliche "Erwägungen".
"Ohne Widerspruch haben die Länder die Qualität der Prinzipien für die Umsetzung abgeschwächt", kritisiert Greenpeace-Beobachter Jannes Stoppel. "Die Verhandlungen haben schon in den ersten Tagen bei der Qualität des möglichen Abkommens Federn gelassen", zieht er Zwischenbilanz. Nun gelte es, Rechte von indigenen Völkern und lokalen Gemeinden über klar messbare Indikatoren in den einzelnen Zielen abzusichern. Dass dies mehr ist als eine Kleinigkeit, zeigt die Tatsache, dass 80 Prozent der Biodiversität der Erde in Gebieten liegt, die von indigenen Gemeinschaften bewohnt werden. Auch die nach der Verabschiedung des 30-Prozent-Ziels zu erwartenden Neuausweisungen von Schutzgebieten duften auf globaler Ebene vor allem in den artenreichen Refugien indigener Gruppen liegen.
Fortschritt beim Geld
Fortschritte zeichnen sich in der Frage der Finanzierung von mehr Naturschutz in den Entwicklungsländern ab. Sie gilt als ein entschiedener Knackpunkt, an dem das Zustandekommen eines Abkommens scheitern könnte. Hintergrund ist die Tatsache, dass die meiste verbliebene Artenvielfalt in den noch weniger zerstörten Entwicklungsländern konzentriert ist und ausgerechnet die armen Länder zugunsten des Naturschutzes auf eine ähnlich naturschädliche Entwicklung verzichten sollen, wie sie in den Industriestaaten stattgefunden hat. Finanzhilfen aus dem reichen Norden sollen sie dafür entschädigen und die Umsetzung von Naturschutzmaßnahmen finanzieren.
Die Vorstellungen zur Höhe der Unterstützung gehen aber extrem weit auseinander. Die Entwicklungsländer fordern Direktunterstützung von 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Dem stehen bislang Zusagen von weniger als acht Milliarden Dollar gegenüber. Auf dem Tisch liegt nach tagelangen Verhandlungen nun ein Vorschlag, zunächst die Finanzierung und weitere Unterstützung für die Umsetzung des Abkommens in den ersten beiden Jahren nach Inkrafttreten auf den Weg zu bringe und parallel über die langfristfigen Zahlungsverpflichtungen zu verhandeln. Damit würde der Streit um die Höhe der Direktzahlungen zunächst entschärft und zugleich eine rasche Umsetzung des Abkommens sichergestellt.
"Dieser Ansatz könnte für die weiteren Verhandlungen so manches Eis brechen und für die schnellen Umsetzung der Ziele als Booster dienen", glaubt Greenpeace-Beobachter Stoppel.
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