Sonntag, 4. Dezember 2022

"Das Ausland baut seine Wälder für Deutschland in Plantagen um"

NTV  hier  02.12.2022,

Schlimmer Boom der Holzheizungen

Rund 1,1 Millionen Haushalte in Deutschland nutzen Holz als primäre Energiequelle. Aus Angst vor steigenden Preisen für Gas und Heizöl haben vor allem in diesem Jahr nochmals viele Menschen bei Pelletheizung oder der Hackschnitzel-Variante zugegriffen. Denn Heizen mit Holz gilt nicht nur als gemütlich, sondern auch günstig, grün und klimaneutral, weil das Kohlendioxid, das beim Verbrennen in die Atmosphäre gelangt, von nachwachsenden Bäumen in nachhaltigen Wäldern wieder gebunden wird.

Angaben, denen Pierre Ibisch jedoch entschieden widerspricht: Holz stößt beim Verbrennen mehr CO2 aus als Gas, um die gleiche Menge an Wärmeenergie zu erzeugen, sagt der Biologe von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde im "Klima-Labor" von ntv. Mehrere deutsche Forste, die speziell für die Holzwirtschaft angelegt wurden, sterben bereits überbelastet ab und werden von einer Kohlenstoffsenke zu einer neuen CO2-Quelle. Nachhaltigkeitssiegel führen Verbraucher auch bei Wäldern in die Irre. Vor allem in Nordamerika zerstören Forstunternehmen für den neuen deutschen Lifestyletrend gesunde Natur. Und am Ende blockieren vermeintlich saubere Brennstoffe wie Holz auch noch den Einsatz von tatsächlich klimaneutraler Energie.

ntv.de: Sie beschäftigen sich als Biologe vor allem mit der Erhaltung von Wäldern. Sitzen Sie trotzdem gerne am Lagerfeuer?

Pierre Ibisch: Wir haben das dieses Jahr noch nicht geschafft, aber die Feuerstelle im Garten kann man grundsätzlich natürlich immer mal nutzen.

Sie sind aber auch der Meinung, dass in Deutschland zu viel Holz in Lagerfeuern, Holzöfen und Pelletheizungen verbrannt wird?

In Deutschland sind nicht unbedingt die Lagerfeuer ein Problem, sondern die Verbrennung von Holz im großen Stil für die energetische Nutzung. Vor allem im industriellen Maßstab, wenn es um Kraftwerke oder private Haushalte geht.

Wenn die Leute mit Holz heizen, ist das doch aber besser, als wenn sie Gas oder sogar Kohle verfeuern.

Wir haben ein großes und allgemein bekanntes Problem mit dem Klimawandel. Holz hat ein gutes Image, weil es aus dem grünen Wald kommt und nachwächst, wenn man es entnimmt. Das ist theoretisch auch richtig, als im Wald Platz für einen neuen Baum frei wird, wenn man einen anderen fällt. Der kann wachsen und wieder CO2 aufnehmen. Das hat in der Vergangenheit funktioniert und funktioniert hoffentlich auch in Zukunft, aber wir sind uns nicht mehr sicher. Und wenn es funktioniert, dann natürlich zeitverzögert. Jetzt sagen manche: "Nein, das passiert gleichzeitig! Ich entnehme einen Baum und woanders wächst schon der nächste! Es gibt keine Verzögerung!" Das ist nicht richtig, egal ob wir auf einen einzelnen Baum schauen oder den ganzen Bestand in Deutschland: Je mehr Holz wir nutzen, desto stärker senken wir den Biomassevorrat ab. Der kann zwar nachwachsen, das braucht aber entsprechend Zeit.

Auch Bäume, die gefällt werden oder sterben, müsste man also im Wald belassen?

Ja, weil in der Biomasse der Kohlenstoff gebunden ist. Wenn Bäume leben oder aufwachsen, kommt es zur Fotosynthese. Das ist ein wundersamer Prozess: Bäume nehmen Kohlendioxid aus Luft und Wasser auf und machen daraus Zucker, Biomasse, Holz und so weiter. Als Abfallprodukt entsteht auch noch Sauerstoff, das ist prima. Dieser Prozess braucht aber Zeit. Je mehr Biomasse wir diesem Ökosystem entnehmen, also Holz und damit Kohlenstoff, desto länger dauert es, bis neues Kohlendioxid festgelegt wird. Das wird in der Holzverbrennungswissenschaft als "Payback Time" bezeichnet. Quasi eine Kohlenstoffschuld, die man beim Ökosystem aufnimmt. Das Ökosystem ist so freundlich, sie zu begleichen, aber das kostet Zeit.

Wie viel denn genau? Wir haben mit dem Lagerfeuer begonnen: Wie viele Jahre dauert es, bis unsere Schuld beglichen ist?

Das hängt von der Menge ab, von der Gesundheit und von dem Alter der Bäume. Wenn wir einen 100 Jahre alten und 30 Meter hohen Baum fällen, dauert es im Idealfall wieder 100 Jahre, bis ein ähnlicher Baum steht. Wir reden über Jahrzehnte. Das ist ein Problem, weil wir schon jetzt bei der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre kritische Grenzen erreichen. Wir müssen sofort weitere Emissionen verhindern. Völlig egal, ob sie aus Gas, Kohle oder Holz kommen. Das macht in der Atmosphäre keinen Unterschied.

Wir könnten also mit Holz heizen, aber erst, wenn wir einen erträglichen CO2-Gehalt in der Atmosphäre hergestellt haben?

Ganz genau. In den nächsten 10, 20 oder 30 Jahren müssten wir den Kohlenstoffausstoß idealerweise einfrieren. Eigentlich wissen wir schon, dass das gar nicht mehr reicht. Die Konzentration ist so hoch, dass durch steigende Temperaturen neue Prozesse in Gang kommen, die weitere Kohlenstoffreservoire freisetzen: Methan im Boden, weil Permafrost auftaut, Wälder leiden und sterben vielleicht ab, was zu weiteren CO2-Emissionen führt. Es reicht also gar nicht, nur die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu stabilisieren. Wir brauchen negative Emissionen. Die Frage ist, wie macht man das? Kann der Wald eine Rolle spielen, wenn man ihn in Ruhe weiterwachsen lässt und er mehr Kohlenstoff festlegen kann? Das ist kompliziert, aber darüber müssen wir reden: Was tut der Wald fürs Klima, wenn man ihn nicht nutzt?

Die Holzwirtschaft sieht sich gerne als Teillösung der Klimakrise. Die sagt, Holz ist ein wunderbarer Rohstoff, mit dem wir andere ersetzen können - zum Beispiel im Baugewerbe. Sie sind aber der Meinung, man müsste die Holzwirtschaft erst einmal für 20 Jahre stoppen?

Substitution und Ersetzung ist ein kritisches Thema. Die Idee ist, dass wir gewinnen, wenn wir Holz statt Gas oder Kohle verbrennen, weil wir nicht erneuerbare Ressourcen im Boden lassen. Aber wahr ist eben auch: CO2 geht sofort in die Atmosphäre. Durch diese Substitution kann es auch zu einem gegenteiligen Effekt kommen, wenn nämlich vermeintlich saubere Brennstoffe wie Holz verhindern, dass andere emissionsneutrale Energiequellen wie Wärmepumpen genutzt werden. Diese Technologie ist sicherlich ausgebremst worden, weil andere Energiequellen günstiger waren.

Gemeinden präsentieren Pelletkraftwerke oder Holzschnitzelheizkraftwerke durchaus als große Errungenschaften. Sind sie das nicht?

Hätten wir schon früher mehr Solaranlagen, energiesparende Passivhäuser oder sogar Aktivhäuser gebaut, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen, würden wir dieses Holz gar nicht benötigen. Dann stünden wir ganz anders da. Wenn wir Holz statt Gas verbrennen, ist das Problem, dass wir tatsächlich mehr CO2 freisetzen, um die gleiche Wärmemenge zu erzeugen. Das hat damit zu tun, dass Holz Wasser enthält. Dieses Wasser muss erst verdunsten und das Holz getrocknet werden, ehe es den Mehrwert an Heizenergie ergibt.

Was täte der Wald hingegen, wenn wir ihm das Holz nicht entnehmen würden? Der Kohlenstoff befindet sich nicht nur in den Bäumen, sondern ungefähr zur Hälfte im Boden. Auch in alten Wäldern, in denen die Bäume nicht mehr wachsen, wird weiterhin Kohlenstoff festgelegt. Etwa durch Totholz, das zersetzt als Kohlenstoffverbindung den Boden mit organischen Verbindungen auffüllt. Diesen wichtigen Prozess unterbinden wir, wenn wir viel Holz ernten. Das muss man gegenrechnen.

Das Umweltministerium hält Holz anders als die Waldbesitzer nicht für ein klimaneutrales Heizelement. Denn dort hat man den Wald bereits für andere Emissionen eingeplant, die ebenfalls ausgeglichen werden müssen.

Wenn wir ehrlich sind, speichert der Wald kein CO2, um Emissionen aus dem Automobilverkehr oder anderer Verbrennung zu kompensieren. Eigentlich versucht er nur, den historischen Verlust von Kohlenstoff durch Holzentnahme zu kompensieren. Aber natürlich nehmen Wälder nicht fröhlich immer mehr CO2 auf, nur weil sich immer mehr in der Luft befindet. Durch Hitze, Trockenheit und extreme Witterung können bestimmte Baumarten sogar Probleme bekommen. Dann passiert das Gegenteil, das Ökosystem wird von einer Kohlenstoffsenke zu einer Kohlenstoffquelle.

Landstriche wie das Sauerland sind stark von Fichten-Monokulturen geprägt, die angelegt wurden, um effizient die Holznachfrage zu bedienen. Diese Systeme sind sehr empfindlich. Wenn die Fichten durch Hitze, Trockenheit oder Borkenkäfer unter Druck geraten, tot umfallen oder von Stürmen weggefegt und dann geerntet werden, ist das ein Problem für den Kohlenstoffgehalt. Es gibt neue Daten von einem internationalen Konsortium, die zeigen: In Nordrhein-Westfalen sind die Wälder in den letzten 20 Jahren von einer Senke zu einer Quelle geworden, emittieren also mehr CO2, als sie aufnehmen.

Weil die Wälder sterben?

Richtig. Dann ist die ganze Rechnung im Eimer und auch die Erzählung, der Wald ist der beste Klimaschützer. Das ist er nur, wenn er gesund ist und wächst. Durch die Erwärmung erreichen wir in immer mehr Regionen der Erde kritische Grenzen. Einzelne Bäume bekommen Probleme oder das ganze Ökosystem. Wir kennen Fälle, wo aus Wäldern Steppen, Gebüsche oder Halbwüsten werden. Je länger wir die Bekämpfung der Klimakrise hinauszögern, desto mehr Wälder werden betroffen sein. An sehr heißen und trockenen Sommertagen ist die Luft im Grunde hungrig auf Wasser. Das trocknet das Pflanzengewebe und die Blätter aus. An solchen Tagen kann man regelrecht messen, wie Bäume schrumpfen, weil sie Wasser verlieren. Ohne Wasser wachsen sie aber auch nicht und können keinen weiteren Kohlenstoff festlegen. Und wenn es dem Wald nicht gut geht, erwärmt sich der Boden stärker. Dann werden weitere Kohlenstoffvorräte mobilisiert und freigesetzt - eine neue Quelle von Treibhausgasen, die gerne übersehen und noch gar nicht ordentlich gemessen wird.

Der Verband der Waldeigentümer sagt ja, dass viel späteres Brennholz sowieso anfällt bei der Produktion von Pressspanplatten, Papier oder anderen Holzprodukten. Kann man diese Abfälle nicht bedenkenlos in Heizungen oder Kraftwerken nutzen?

Die Annahme beruht darauf, dass wir mehr oder weniger große Mengen Holz aus dem Wald entnehmen, um Holzprodukte zu bauen. Die Frage ist letztlich: Wie viel Holz kann entnommen werden, ohne dass der Wald geschwächt wird? In Deutschland sprechen einige Förster schon davon, dass ihre Wälder heiß geschlagen wurden. Die mikroklimatische Regulation ist gestört. Es ist sehr heiß und trocken. Bäume, die vorher im Verbund gestanden, sich gegenseitig beschattet und durch ihre Verdunstung gekühlt haben, stehen jetzt allein und sterben durch die Hitze ab.

Es bringt also nichts, einen Holztisch anstelle eines Plastiktischs zu kaufen?

Ich will mich nicht gegen Holzverwendung aussprechen. Wir kennen Forstbetriebe, die Holz ernten und damit Geld verdienen. Die gucken aber gerade in extremen Jahren wie den vergangenen sehr genau hin und überlegen sich: Kann ich diesen Baum fällen oder lasse ich ihn stehen, weil ansonsten eine Lücke im Kronendach entsteht, die den verbleibenden Bäumen Probleme bereiten kann? Man muss das sehr vorsichtig betreiben und kann sich nicht mehr auf irgendwelche Ertragstafeln der Vergangenheit verlassen. Das ist vorbei. Dementsprechend sollte es naheliegen, dass Holz eher für langlebige Produkte wie Schränke und Tische genutzt wird, die 300 Jahre lang weitervererbt werden. Stattdessen gab es auch in der Holzwirtschaft diese Beschleunigung mit immer neuen Trends und kurzlebigeren Produkten. Wenn der Tisch nach 20 oder 30 Jahren in der Verbrennung landet, haben wir nicht viel gewonnen.

Beim Deutsche Pelletinstitut heißt es, dass Pellets in Deutschland ausschließlich aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammen. Es wird nicht mehr Holz geschlagen als nachwächst. Wer so heizt, heizt trotzdem nicht nachhaltig?

Es gibt Nachhaltigkeitssiegel wie FSC und PEFC. Die suggerieren, dass ihr Holz aus verantwortungsvoller Bewirtschaftung kommt, aber wir in der Forschung können nicht erkennen, wie diese Siegel eine nachhaltige Holzproduktion garantieren sollen. Vieles von dem, was implizit versprochen wird, wird gar nicht erfasst. Viele Pellets kommen außerdem aus dem Ausland, das hat sich auf den wachsenden Markt in Deutschland und Europa eingestellt. In Nordamerika haben Forstunternehmen unseretwegen ihre naturnahen Wälder in "Pellet-Plantagen" umgebaut. Die werden per Kahlschlag geerntet und für viel Geld mit dem Schiff nach Europa gebracht. Nur, damit wir hier vermeintlich klimaneutralen Brennstoff haben.

Pierre Ibisch stammt aus Flensburg, hat viele Jahre in Bolivien gelebt und ist inzwischen Professor für "Nature Conservation" an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Mit Pierre Ibisch sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.

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