Sonntag, 13. März 2022

"Ist ziviler Ungehorsam das letzte Mittel, um eine Katastrophe zu verhindern?"

 Freitag.de  hier Tadzio Müller

Von der Autobahn-Blockade zur Sabotage fossiler Infrastruktur

Klimawandel Aktivisten setzen sich auf Straßen, um Sand ins Getriebe eines selbstzerstörerischen Wirtschaftssystems zu streuen. Ist ziviler Ungehorsam das letzte Mittel, um eine Katastrophe zu verhindern?

....Angesichts der erheblichen, gesellschaftlich durchaus anerkannten Gefahrenlage (sogar der latent trumpesque Politclown Boris Johnson sprach beim Klimagipfel in Glasgow davon, dass die „Zukunft der Zivilisation“ auf dem Spiel stehe), könnte man jetzt meinen, dass ein paar Minuten später zur Arbeit doch überhaupt nicht ins Gewicht fallen

Dass die aufgeklärten Bürgerinnen und Bürger der moralischen Supermacht, des Klimaretters Deutschland, in der Lage wären, kindliche Wutanfälle im Dienste des langfristigen kollektiven Interesses zu unterdrücken – und vielleicht den aufopferungsbereiten Aktivist*innen ein bisschen Applaus zu spenden. Nach einem Vierteljahrhundert praktischer Erfahrung in sozialen Bewegungen kann ich zumindest diese Radikalisierung des Protests nur abfeiern – schließlich gehörte ich zu den Tausenden Aktivistinnen, die angesichts des in jeder Hinsicht unzureichenden und übrigens verfassungswidrigen Klimapakets der vergangenen Bundesregierung vor der Frage standen, ob wir uns bis zum Weltuntergang von der Politik abwenden – oder die Aktionsformen eben radikalisieren sollten.

... Außerhalb der Klima-Bubble stellt sich diese Frage offenbar nicht, da wurden die Blockaden zur „Erpressung Deutschlands“ hochstilisiert – ungeachtet der Tatsache, dass Unternehmen üblicherweise genau dasselbe tun, wenn es um Arbeitnehmerrechte oder Unternehmenssteuern geht.
Aber hier geht es ums Klima – und nicht um Profite einzelner Unternehmen.

Dass die Sabotage eines Wirtschaftssystems legitim sein kann, das in Hochgeschwindigkeit eine Klimakatastrophe produziert, lässt sich aus dem Grundgesetz herleiten:

„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“, lautet Artikel 20. 

Leider wird dieser Artikel derzeit auch von Leuten zitiert, die meinen, der Schutz der Kranken und Älteren dieser Gesellschaft komme einer Diktatur gleich. Diese Instrumentalisierung hebelt jedoch nicht den Verfassungsartikel aus, sondern erinnert lediglich daran, ihn mit sehr viel Bedacht zu nutzen: Es kann nicht einfach jeder daherkommen und sagen, er habe jetzt das Recht zum zivilen Ungehorsam, weil er eine bestimmte Politik als ungerecht empfindet. Doch anders als der Klimaprotest haben Querdenker für ihren imaginierten Widerstand gegen eine imaginierte Diktatur weder die gesamte Wissenschaft noch das Bundesverfassungsgericht hinter sich.

Die Bedrohlichkeit unseres derzeitigen Wirtschaftssystems ist wissenschaftlich dermaßen fundiert belegt, dass wenig Spielraum zur Interpretation bleibt: Klimaschutz findet derzeit schlicht nicht in ausreichendem Maße statt. Wenn dies so bleibt, haben zukünftige Generationen keine Lebensgrundlage mehr. Das sagt sämtliche Klimawissenschaft, das hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt – jene Karlsruher Richter, die auch über Artikel 20 wachen.

Es wurde so oft aufgeschrieben, dass ich es eigentlich gar nicht wiederholen mag, denn Sie, liebe Lesende, haben es ganz sicher schon oft genug gehört: 

Die bisherige Politik der Bundesregierungen fällt hinter die Ziele des Pariser Abkommens zurück. 

Das bedeutet: Sie entscheiden sich dafür, die Atmosphäre weiterhin dermaßen zuzumüllen, dass Menschen weltweit und auch hierzulande um ihre Habe, Gesundheit oder gar ihr Leben gebracht werden. Dass Konflikte um immer knappere Ressourcen wie Ackerland, Wasser und die seltenen Erden, die so wichtig für alle computerbasierten Technologien sind, dramatisch zunehmen werden. Dass diese Entwicklungen massive Migrationsbewegungen auslösen könnten, die – die reiche Welt war ja schon immer eine wohlstandsverwahrloste Hölle der Moralheuchelei – hierzulande dann wiederum von Faschist*innen instrumentalisiert werden könnten.

Wir reden aber nicht bloß von der weiteren Eskalation einzelner gesellschaftlicher Konfliktlagen: 

Wir reden vom möglichen Ende dessen, was wir landläufig als „menschliche Zivilisation“ bezeichnen. 

Ich könnte hier noch mal aufschreiben, dass der Weltklimarat – ein wissenschaftlicher Konsens, dessen Prognosen aufgrund der politischen Einflussnahme fossiler Staaten eigentlich eher ins Konservativ-Vorsichtige tendieren – voraussagt, dass das in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Limit mit allergrößter Wahrscheinlichkeit schon 2030 überschritten wird. Ich könnte ausmalen, was das Reißen dieses Limits bedeutet:.....
Oder in den Worten Hans Joachim „John“ Schellnhubers, des Gründers des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung: „Ich sage Ihnen, dass wir unsere Kinder in einen globalen Schulbus hineinschieben, der mit 98 Prozent Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt.

...Der Klimaschutz ist also eine gesellschaftliche Gesamtaufgabe, aber es ist festzustellen, dass die bisher vorliegenden Mechanismen – eine aktivistische Bewegung organisiert kleinere Blockaden plus größere Demonstrationen, die verschieben die Mehrheitsmeinung, worauf irgendwann die Regierung reagiert – nicht oder nicht mehr funktionieren. 

Denn das wurde ja jahrelang versucht, und Klimaschutz findet ja trotzdem nicht statt. ...

Wer sich in den vergangenen Jahren nicht die Ohren zugehalten hat, sondern sich durchliest, was sämtliche Klimaforschung so sagt........, dann gibt es nur eine Folgerung. Jetzt ist die Zeit der Pflicht zum Widerstand gekommen.

Das Recht auf Sabotage an fossilem Produktionseigentum – also Braunkohlebagger, Gaskraftwerke, oder Autofabriken, globaler Handel – lässt sich, dieser Meinung sind inzwischen viele Klimaaktivisten, als legitime Notwehr (Paragraf 32 des Strafgesetzbuchs) definieren. Einen Schritt weiter gedacht bedeutet dies: In der eskalierenden, schon jetzt Menschenleben zerstörenden Klimakrise das Wirtschaftssystem nicht zu sabotieren, stellt im Grunde eine Art unterlassener Hilfeleistung (Paragraf 323c Strafgesetzbuch) dar.

....Was mich endlich zur Frage bringt: Glauben Sie, dass friedliche Sabotage fossilen Produktionseigentums in der eskalierenden Klimakrise legitime Selbstverteidigung geworden ist? Sollte Ihre Antwort „Nein“ sein, kann ich das verstehen. Sachen kaputtmachen: Das passt einfach nicht zu Ihnen, das machen „die Extremen“, ob rechts, links oder islamistisch, das macht man unter rechtschaffenen Bürgerinnen und Bürgern, das macht man „in der Mitte der Gesellschaft“ nicht.

Dummerweise sind es aber nicht die Ränder, die die Welt extrem zerstören – sondern eben genau die Mitte der Gesellschaft, die Sie als so friedfertig empfinden.

Tadzio Müller hat die Klimabewegung in Deutschland mit begründet. Bis 2021 war er Klimagerechtigkeitsexperte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, jetzt arbeitet er an einem Buch über Sabotage als legitimes Mittel des Protests

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