Ein sehr spannendes Interview mit Remo Klinger, dem erfolgreichen Umweltanwalt!
NTV hier 24.03.2022
Klimaklagen gegen die Regierung
Im vergangenen Frühjahr fällt das Bundesverfassungsgericht ein historisches Urteil:
Das Bundesklimaschutzgesetz ist teilweise verfassungswidrig, weil es "rabiat in die Grundrechte" der jüngsten Generationen eingreifen würde, wie Remo Klinger sagt.
Der Rechtsanwalt hat zwei von insgesamt vier erfolgreichen Verfassungsbeschwerden gegen Deutschland geführt. Im "Klima-Labor" von ntv erklärt er, welche Entscheidung der Wendepunkt im deutschen Klimarecht war, warum er Zwangshaft für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder beantragt hatte und, warum er auch gegen die neue Ampel-Koalition bereits zwei Klimaklagen eingereicht hat und fest von einem Sieg vor Gericht ausgeht.
ntv: Sie machen Klimaschutz mit Klimaklagen, kann man das so sagen?
Remo Klinger: Ein Stück weit, ja. Wenn Rechtsanwälte vor Gericht gehen und Verfahren vertreten, die mit dem Klimaschutz zu tun haben, versuchen Sie, Klimaschutz mit Klimaklagen zu betreiben. Obwohl das natürlich eine Verkürzung ist, weil, was sind schon Klimaklagen? Drehen die sich nur ums Klima? Sind sie Beiwerk einer anderen Klage? Die Übergänge sind fließend.
Welche Klagen betreuen Sie denn genau?
Wir betreuen zum einen Verfahren, die sich um die Struktur unseres Klimaschutzrechts drehen, also: Hat Deutschland genügend gesetzliche Regeln, um das Pariser Abkommen einzuhalten? Das sind verschiedene Verfahren, die wir vor dem Bundesverfassungsgericht führen, um den Gesetzgeber zu zwingen, bessere Gesetze zu machen.
Die andere Art betrifft die Durchsetzung des Klimaschutzrechts, denn was nützt das beste Recht in den Gesetzbüchern, wenn es nicht eingehalten wird? Das Klima wird nicht besser, wenn wir bedrucktes Papier verschwenden. Aus diesem Grund führen wir mehrheitlich Verfahren zur Einhaltung der Klimagesetze.
Wenn man in Deutschland eines nicht für möglich hält, dann vermutlich, dass wir zu wenig Regeln und Gesetze haben.
Das ist ein Irrtum. Ich habe zwei der vier erfolgreichen Verfassungsbeschwerden vertreten, bei denen das Bundesverfassungsgericht am 24. März 2021 entschieden hat, dass die Regierung zu wenig für den Klimaschutz tut. Wir konnten auf vielen Hundert Seiten nachweisen, dass Deutschland nur ein bestimmtes Budget zur Verfügung hat, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Wenn man dieses Budget und die deutschen Klimaziele anschaut, stellt man fest: Hoppla, wenn wir so weitermachen, ist das Budget ungefähr 2030 erschöpft.
Von welchem Budget genau reden wir?
Wir reden von Treibhausgasen: Wie viele dürfen wir noch in die Luft blasen, damit Deutschland seinen Anteil am Pariser Klimaschutzabkommen erfüllt? Es gibt verschiedene Bewertungsmaßstäbe. Wir haben uns für den entschieden, der für Deutschland noch am günstigsten ist: Wir nehmen die Einwohnerzahl und berechnen schlichtweg pro Kopf, wie viele Gigatonnen CO2 Deutschland noch in die Luft blasen darf. Das Gesetz sagt, dass wir 2050 Treibhausgas-neutral sein wollen. Mit den Regeln, die wir bisher hatten, ist aber schon 2030 Schluss und wir müssten plötzlich auf null Emissionen kommen. Das funktioniert nicht, das haben wir dargelegt. Das Bundesverfassungsgericht hat das geteilt und deswegen gesagt: Tatsächlich, Deutschlands gesetzliche Regeln reichen nicht.
Und an dieses CO2-Budget müssen wir uns halten?
Richtig. Das Gericht hat entschieden, dass die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens deutsches Verfassungsrecht ist.
Können Sie ein paar Beispiele dieser Gesetze nennen? Welche haben wir? Welche brauchen wir?
Es gibt ein Bundesklimaschutzgesetz. Das hat sich die Bundesrepublik Deutschland im Dezember 2019 gegeben, vor gerade mal zweieinhalb Jahren. Darin hat man bestimmte Ziele gesetzt,
es steht genau drin, wie viele Millionen Tonnen CO2 man für Sektoren wie Verkehr, Industrie, Landwirtschaft pro Jahr ausstoßen darf. Diese Ziele sind zwar viel zu gering, aber man braucht trotzdem ein Programm, in dem drin steht, wie man sie einhalten will.
Will man ein Tempolimit? Will man Häuser besser dämmen? Etc. pp.
Das Bundesumweltministerium und das Bundeswirtschaftsministerium haben Gutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, ob die Maßnahmen geeignet sind, die zu geringen Ziele einzuhalten. Beide Gutachten sagen Nein. Also klagen wir, in dem Fall die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und ich, vor dem Oberverwaltungsgericht, dass zumindest ein Klimaschutzprogramm aufgestellt wird, mit dem man die zu geringen Ziele einhält. Mittlerweile hat Wirtschaftsminister Habeck das auch öffentlich eingeräumt.
Für Normalbürger ist es vermutlich schwer verständlich, dass eine Regierung Gesetze erlässt, sich dann aber selbst nicht daran hält. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Das ist leider Alltag. Ich arbeite seit 22 Jahren als Anwalt im Umweltrecht und ich vertrete viele Umweltverbände.
Die Verfahren, die wir führen, richten sich fast immer dagegen, dass der Staat seine eigenen Gesetze nicht einhält.
Nehmen Sie die Luftgrenzwerte zu den Stickoxid-Emissionen bei Dieselfahrzeugen. Die Grenzwerte galten seit 2010. Alle haben gesehen, dass sie jedes Jahr in jeder großen Stadt überschritten werden. Ich musste erst 40 Klagen gegen 40 Städte führen, damit gehandelt wird. Man kann häufig beobachten, dass Politikern das Recht nicht mehr so wichtig ist, wenn es unangenehm wird.
Sind Ihre Klagen denn ein Erfolg? Also, in zweierlei Hinsicht: Gewinnen Sie vor Gericht und wenn ja, hat es auch Konsequenzen?
In den meisten Verfahren, ja. Wenn ich die Luftgrenzwerte nochmal ansprechen darf: In den Städten, in denen wir geklagt haben, wurden die Grenzwerte doppelt so schnell eingehalten wie in den anderen Städten. Es wurde auch noch mehr als eine Milliarde Euro für Verkehrswendemaßnahmen zur Verfügung gestellt, die kriegt man auch nicht so ohne Weiteres. Es hat sich schon einiges getan.
Es gab aber auch Kandidaten, gegen die wir gewonnen haben, die sagten: Was interessieren mich die Gerichte? Das bayerische Landeskabinett unter Führung von Markus Söder hat sich hingesetzt und gesagt: Ne, die oberste gerichtliche Entscheidung akzeptieren wir nicht. Bayern ist Autoland.
In dem Fall musste ich ein Zwangsvollstreckungsverfahren betreiben bis zur Beantragung der Verhaftung des Ministerpräsidenten, über die dann der Europäische Gerichtshof zu entscheiden hatte. Aber mittlerweile ist auch München auf einem guten Weg.
Soweit wir wissen, ist Markus Söder nicht verhaftet worden. Wie ist das Verfahren ausgegangen?
Der Europäische Gerichtshof hat vorgeschlagen, dieses Problem mit den üblichen Mitteln des Kapitalismus zu lösen: Zwangsgelder. Vielleicht täglich, vielleicht muss sie der Ministerpräsident auch persönlich zahlen. Das wären jeden Tag 10.000 Euro von ihm an die Deutsche Umwelthilfe gewesen. Bayern hat aber lieber das Gesetz geändert und gesagt: Der Freistaat ist nicht mehr zuständig, das muss die Stadt München erledigen. München hat dann angerufen und erklärt, dass man die Grenzwerte schon immer einhalten wollte, nur der Freistaat nicht.
Es klingt so, als würden Sie jede Klage, die Sie angehen, auch gewinnen.
Wir haben schon eine ziemlich hohe Erfolgsquote.
Wie viele Klagen oder Verhandlung haben Sie denn bisher geführt?
Ich führe keine Statistik, aber im Umweltrecht sind es sicherlich einige Tausend, wenn man das 22 Jahre macht.
Und speziell beim Klimaschutz?
Das Klimaschutzrecht ist eine relativ neue Entwicklung. Wir hatten in Deutschland bis vor wenigen Jahren noch nicht einmal Ideen, wie wir Klimaschutz tatsächlich im größeren Stil vor Gericht bringen können wegen des einfachen Problems, dass niemand wirklich von sich behaupten konnte, mit Gewissheit schon jetzt betroffen zu sein. Es gibt Befürchtungen, was die Zukunft angeht, aber zu beweisen, dass man betroffen ist, fällt bis auf wenige Ausnahmen schwer. Deshalb war es schwierig, Rechtsschutz für den Klimaschutz einzufordern. Mittlerweile haben wir Wege gefunden, wie wir mit dem Problem umgehen können, sodass die Zahl der Klimaklagen seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugenommen hat.
Was war denn der Knackpunkt? Warum sind solche Klagen plötzlich möglich?
Das war eine sehr weise Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Ich habe ja auf diese CO2-Budgets hingewiesen: Auch wenn die 2030 erschöpft sind, muss der deutsche Staat das Pariser Abkommen einhalten. Das funktioniert dann nur noch mit rabiaten Eingriffen in die Grundrechte, die jegliche menschliche Freiheit berühren - das sind die Worte des Bundesverfassungsgerichts, nicht meine. Wenn man das Klima also jetzt nicht ausreichend schützt, muss man später in die Grundrechte eingreifen. Diese Eingriffe rechtfertigen juristische Verfahren.
Aber das sind ja Befürchtungen, die in der Zukunft liegen. Werden vor Gericht nicht normalerweise Taten und Verbrechen verhandelt, die bereits passiert sind?
Doch, das funktioniert. In bestimmten Konstellationen müssen wir vorbeugend tätig sein. Wenn Sie verhindern wollen, dass vor Ihrem Fenster ein Baum abgeholzt wird, können Sie nicht warten, bis er gefällt wird und ihn dann wieder zusammenkleben. So ähnlich funktioniert es auch beim Klimaschutz.
Und Sie können schon jetzt sagen, wer im Einzelfall Schuld ist? Sie verklagen ja ganz konkret Unternehmen oder die Bundesregierung.
Bei der Bundesregierung ist es einfach. Wir können das globale Kohlenstoffbudget, das zur Verfügung steht, auf Deutschland umrechnen, weil wir die Einwohnerzahl kennen. Es gibt auch den Standpunkt, dass man eigentlich noch viel strenger sein müsste, weil Deutschland verglichen mit dem Sudan oder dem Tschad ein historisch großer Emissionssünder ist. Aber wenn man so rangeht, müssten wir jetzt schon null Emissionen haben. Wie soll das gehen?
Bei den Unternehmen ist es so: Wir gehen gegen drei Konzerne vor, die selbst für die Emissionen ihrer Produkte verantwortlich sind. Zum Beispiel ist Wintershall Dea der größte europäische Öl- und Gasförderer in privater Hand und für Emissionen verantwortlich, die größer als Österreich sind. Er lässt aber in seiner ganzen Unternehmenspolitik jegliches Augenmaß dafür vermissen, dass wir ab 2040, 2045 Klimaschutz neutral sein müssen. Aber wir können auch dort bestimmte Emissionen berechnen und zuweisen.
Kann man diese Unternehmen denn dafür "verantwortlich" machen? Die Produkte werden schließlich gebraucht, genutzt und nachgefragt.
Bei unseren Klagen gegen Wintershall Dea, BMW und Mercedes-Benz beschreiten wir einen neuen Weg, das muss ich einräumen. Wir versuchen, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf diese Unternehmen zu übertragen, weil der Staat nicht immer die Regeln setzen kann. Nehmen Sie die Automobilhersteller und den Verbrenner-Ausstieg: Ich kann nicht gegen die Bundesrepublik Deutschland auf einen Verbrenner-Ausstieg klagen, weil sie dafür gar nicht zuständig ist, das regelt die Europäische Union. Ich kann aber auch nicht gegen die EU klagen. Das ist durch den People's Climate Case schon versucht, aber zurückgewiesen worden, weil man nicht unmittelbar gegen die EU klagen kann, das lässt unser Rechtssystem nicht zu. Ich kann auch nicht gegen China oder Russland klagen. Wer bleibt da übrig? Die Unternehmen, die ihren Sitz und damit einen Gerichtsstand in Deutschland haben. Das ist der einzige Weg.
Für wie wahrscheinlich halten Sie einen Erfolg?
Bei diesen drei Musterklagen müssen wir es wirklich durch die Instanzen treiben und sehen, wie es am Ende ausgeht. Das ist offen. Aber wir haben uns aus den genannten Problemen dazu entschieden und auch, weil diese Verfahren zu wichtig sind, als dass man sie nicht führen sollte. Als wir die Verfassungsbeschwerden wegen der Klimaklagen eingelegt haben, haben auch alle gesagt, die werden nicht erfolgreich sein. Stellen Sie sich mal vor, wir hätten das nicht gemacht. Deswegen sind wir optimistisch, dass es uns bei den Unternehmen mit einer sehr ausführlichen Begründung auch gelingt.
Nehmen die Unternehmen Sie denn ernst? Kommen Mercedes-Benz oder Wintershall Dea auf Sie zu und wollen über die Klagen reden?
Ich muss mit der Antwort aufpassen, weil ich ein Stück weit im Mandatsgeheimnis stecke, aber so viel lässt sich sagen: Ja, die Klagen hatten schon Erfolg, auch wenn sie noch nicht entschieden sind. Bestimmte Unternehmen ergreifen mehr Klimaschutzmaßnahmen, nur weil sie verklagt wurden. Was genau, darf ich aber öffentlich nicht sagen, tut mir leid.
Geben Sie einfach Bescheid, sobald es spruchreif ist.
Mache ich (lacht).
Wenn die Unternehmen sich einsichtig zeigen, wäre es dann nicht besser, erst einmal auf die Klage zu verzichten und ins Gespräch zu kommen? Das spart bestimmt Zeit und Energie.
Wir haben es versucht. Wir gehen nicht sofort vor Gericht, sondern schicken erst ein aufforderndes Schreiben mit einer relativ kurzen Frist von drei Wochen, weil ich nicht der Überzeugung bin, dass sich etwas tut. Die Erfahrung lehrt, dass meistens erst dann etwas passiert, wenn man die Klage vor Augen hat.
Gibt es denn auch Klimaklagen, die Ihnen nicht gelingen?
Ja. Zum Beispiel haben wir gegen elf Bundesländer Verfassungsbeschwerde erhoben, weil die teilweise kein Landesklimaschutzgesetz haben. Das fand ich verfassungswidrig, weil nicht nur der Bund zuständig ist, sondern die Länder eigene Kompetenzen haben. Diese Beschwerden hat das Bundesverfassungsgericht im Januar abgelehnt, weil es sagt: Wenn der Bund meint, er kann das alleine, soll er das tun.
Also haben die Länder Glück im Unglück gehabt, kann man das so sagen?
Sie sind zumindest nicht aus Grundrechten dazu verpflichtet, Landesklimaschutzgesetze zu erlassen. Karlsruhe hat in den Beschluss zwar reingeschrieben, dass sie trotzdem zum Klimaschutz verpflichtet sind, aber wenn Bayern sagt: Windkrafträder nur 10-H, also in großem Abstand zur Wohnbebauung, kann man die Landesregierung rechtlich daran nicht hindern. Das macht alles viel schwieriger.
Erschwert auch der russische Angriff auf die Ukraine die Lage? Muss der Klimaschutz bei der Umstellung unserer Energieversorgung zurücktreten, auch wenn es heißt, dass wir wieder mehr Kohle verbrauchen?
Der gesetzliche Rahmen für den Klimaschutz steht. Wenn man den verändern und sagen will, dass wir derzeit andere Probleme haben, muss man wieder vor das Bundesverfassungsgericht gehen. Ich denke, man sollte relativ schnell energieautark werden, aber nicht durch den Rückfall auf alte Produktionsweisen, sondern durch den starken Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist das Gebot der Stunde: Wind und Sonne gehören niemandem. Die müssen nicht teuer eingekauft, exportiert oder auf dem Weltmarkt gehandelt werden. Die kann man kostenlos nutzen, das sollte man fördern.
Was glauben Sie denn, wie die neue Bundesregierung die Sache angeht? Die hat ja andere Ansprüche an den Klimaschutz.
Wir haben keine Hemmungen, nur weil die Grünen jetzt im Bundeswirtschaftsministerium sitzen. Die Bundesregierung muss sich an ihren Taten messen lassen, auch die aktuelle. Sie ist ja schon zweimal verklagt worden: Wir haben vor dem Bundesverfassungsgericht im Januar erneut Beschwerde erhoben, weil auch das novellierte und geänderte Klimaschutzgesetz den Budget-Anforderungen nicht entspricht. Außerdem hat die Ampel immer noch kein Klimaschutzprogramm vorgelegt, mit dem sie die jetzigen Ziele, die ja noch zu niedrig sind, einhalten will.
Vor einigen Tagen hat die Bundesregierung vor Gericht angerufen und gebeten, mit der Entscheidung zu warten, bis das Osterpaket und das Sommerpaket stehen. Das Gericht hat nur gesagt, dass man lieber Bescheid geben solle, ob das, was drin steht, ausreicht.
Das sehe ich auch so.
Man hört heraus, dass Sie zuversichtlich sind, auch dieses Verfahren zu gewinnen.
Es würde mich schon überraschen, wenn wir verlieren. Das sage ich ganz offen.
Mit Remo Klinger sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
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