Sonntag, 20. März 2022

"Die Stadt der Zukunft muss einen kühlen Kopf bewahren"

Schwäbische Zeitung   hier   Von Stefan Fuchs

„36 Grad, und es wird noch heißer“, sang das Berliner Popduo 2Raumwohnung im Jahr 2007 - und freute sich darauf. ... Doch fünfzehn Jahre später wirkt die Textzeile für viele Städter fast wie eine Bedrohung: Der Klimawandel lässt Städte, in denen sich im Sommer die Luft staut, zu einem Glutofen werden. Städteplaner müssen gegensteuern.

„Eigentlich ist es egal, wie groß eine Stadt ist: Das lokale Klima ist für jede Siedlung und ihre Bewohner essenziell“, sagt Gerhard Schmitt, Professor für Informationsarchitektur an der ETH Zürich. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Simulation von Zukunftsstädten. Er ist also der richtige Ansprechpartner für die Frage nach der Stadt der Zukunft.

....„Wenn man in der Vergangenheit versucht hat, einen Aspekt wie zum Beispiel den Verkehrsfluss in einer Stadt zu optimieren, kam es in der Folge zu Problemen in ganz anderen Bereichen wie etwa der Lebensqualität. Wir müssen also in Zukunft bei neuen Projekten immer möglichst alle Aspekte einbeziehen und diese gegeneinander verhandeln und abwägen.“ Helfen soll dabei ein „digitaler Zwilling“ der Stadt, ein digitales Abbild, das zur Simulation dient und so Entscheidungshilfe bieten soll.

.... „Wir haben in allen Städten Wärmeinseln, zum Beispiel durch Verkehr und blockierte Windkorridore und zu große Infrastrukturmasse“, sagt Schmitt. Wo Asphalt und Teer statt Grünflächen vorherrschen, fehlt die kühlende Verdunstung, dafür speichern die Flächen umso mehr Wärme. Tatsächlich haben Temperaturmessungen ergeben, dass es in großen Städten teilweise bis zu zehn Grad heißer sein kann als in der Umgebung......

.... Heißt im Fall der Städteplanung, dass Begrünung allein zwar meist sinnvoll ist, aber noch längst nicht die Antwort auf alle Fragen. „Wir müssen weiter möglichst viele Bäume pflanzen und die bestehenden erhalten“, sagt Schmitt. Aber: Das allein werde nicht reichen. Trotzdem gebe es Ansätze, mit denen fast überall die Erhitzung der Städte eingedämmt werden könne. „Die größten Stellschrauben, die wir in europäischen Städten haben, sind der motorisierte Individualverkehr und die Energieversorgung“, sagt Schmitt. Zusammen würden die beiden Sektoren etwa zwei Drittel von dem ausmachen, was Menschen an Wärme in die Stadt einbringen. „Sie sorgen für Erwärmung, Lärm und Luftverschmutzung in großem Maße.

Bevor wir komplexere Probleme angehen, müssen wir in diesen Bereichen handeln“, sagt er. Möglich sei das durch konsequenten Aufbau von Photovoltaikanlagen - auch bei bestehenden Gebäuden -, bessere Wärmedämmung und eine „vollständige Dekarbonisierung des Verkehrs in den Städten durch Elektroautos“. Der Schweizer Professor sieht Deutschland dahingehend auf einem guten Weg, doch: „Es muss noch viel schneller umgesetzt und mehr investiert werden.“

Erste Schritte sind tatsächlich getan, auch in Baden-Württemberg. 460 Kommunen sind einem von den kommunalen Landesverbänden und dem Land ausgerufenen Klimaschutz-Pakt beigetreten, der auch für die Städteplanung Rücksicht auf den Klimaschutz einfordert. Für die Jahre 2020 und 2021 waren dafür vom Land nach Angaben des Umweltministeriums in Stuttgart rund 27 Millionen Euro Fördermittel bereitgestellt. Nach dem Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg sind Städte, Gemeinden und Landkreise inzwischen dazu verpflichtet, ihre Energieverbräuche zu erfassen und an das Land zu übermitteln, wie eine Ministeriumssprecherin mitteilt. Ziel sei es, Transparenz zu schaffen, Kommunen weiter zu sensibilisieren und den Energieverbrauch - und damit die Kosten und Emissionen - mehr in den Fokus zu rücken....

Dass auch was die Baumaterialien angeht, neu gedacht werden muss, zeigt eine Berechnung der letzten Bundesregierung. Demnach war der Gebäudesektor 2018 für 14 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Besonders die Herstellung von Zement gilt als Klimakiller. Rechnet man die Herstellung von Strom und Fernwärme oder von Baustoffen hinzu, schlägt das Bauen und Wohnen sogar mit 28 Prozent zu Buche....

Einen Schritt weiter geht der Münchner Baubotaniker Ferdinand Ludwig.....

„Für die Stadtplanung der Zukunft versuchen wir, den Widerspruch zwischen Grünflächen und Bau zusammenzuführen“, sagt Ludwig. Dazu gebe es zwei Modelle: Die Nutzung des Baums als Haupttragelement wie bei den Pavillons - beschränkt durch die natürliche Größe und nur bedingt belastbar. Oder die Nutzung des Baums als Bestandteil der Gebäudehülle, ein Modell mit hybridem Charakter also. „So kann er zur Verschattung, zur Kühlung und als gestalterisches Element genutzt werden“, erklärt Ludwig....

Manches, was Ludwig und seine Kolleginnen und Kollegen erforschen, klingt noch nach ferner Utopie, doch das Team ist überzeugt, dass schon in den kommenden Jahren einige Projekte umgesetzt werden können

Der Klimawandel und die Folgen für die Region auf www.schwäbische.de/unserklima

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