Mittwoch, 30. März 2022

„Krisen offenbaren unseren Selbstbetrug“

Das ist ein Interview das es in sich hat. Es ist nicht ganz einfach zu verstehen und an manchen Stellen etwas langatmig, aber schon alleine die Sätze : "Dringend sollten die Menschen die demokratische Kontrolle über ihr Leben wiederherstellen. Und auch in einer Gesellschaft der täglichen Mitbestimmung leben" enthalten für mich eine große Lebensweisheit. Es ist interessant ihre Gedankenansätze dazu zu verfolgen.

Streeruwitz  hier in ORF

„Die Pandemie hat unsere Selbstflucht schonungslos offengelegt“, sagt die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz in einem ausführlichen ORF.at-Interview zum Stand der Gesellschaft. Auch den momentanen Ukraine-Krieg sieht sie als eine Form des Ausgeliefertseins an narzisstisch gestrickte Eliten. Dringend sollten die Menschen die demokratische Kontrolle über ihr Leben wiederherstellen. Und auch in einer Gesellschaft der täglichen Mitbestimmung leben. Die Öffentlichkeit habe man privatisiert, mit den Folgen, dass das Büro und der Ort des Wohnens zu einer Einheit zusammenfielen – und wir „in einem Dauerstress gehalten werden“.

      Geplant war ein ausführliches Interview mit Marlene Streeruwitz zu den Folgen der Pandemie und dem Wandel von Öffentlichkeit und Privatheit. Doch bevor das Gespräch fertig verschriftlicht war, begann der Ukraine-Krieg, und es drängten sich noch mehr Fragen an die Autorin auf. Streeruwitz sieht beide Krisen als Ausdruck für eine Situation, in der Menschen klein gehalten werden. Und über Jahrzehnte mitgemacht haben, sich klein halten zu lassen. Schonungslos geht sie mit der scheinbaren Euphorie der 1980er und 1990er Jahre ins Gericht, die dazu geführt habe, jede Form der Mitbestimmung abzudrängen. Ja, man habe sogar das Private insofern privatisiert, als man auch in diesem Bereich in der Pandemie zeigte, dass das Wirtschaftssystem weiterlaufe. „Unsere kleinen Fluchtmöglichkeiten haben sich als das herausgestellt, was sie sind. Wir sind erwischt, habe ich den Eindruck“, sagt die Autorin.

Im Mai will Streeruwitz alle Erfahrungen der letzten zwei Jahre, aber auch der gegenwärtigen Wochen in Buchform aufgeschrieben haben. Das Interview liest sich wie ein Rahmen und eine Rahmung dieser Arbeit.

Kurze Auszüge aus dem Interview

Frau Streeruwitz, wie geht es einer Gesellschaft, die permanent mit Meta-Narrativen der Angst zu leben hat? Zuerst ist unser Leben von SARS-Covid bedroht, jetzt lauert im Hintergrund die Atombombendrohung Putins. Was macht das mit uns?

Streeruwitz: Es werden Metaschicksale dekretiert, die unsere Kleinrealitäten außer Kraft setzen. Die Macht über uns wird offenkundig. Das Metaschicksal setzt unsere Rechte und auch die Pflichten aus und lässt uns den Stress des Ausgeliefertseins als Beschäftigung. Es sind psychotische Welten, in die wir da verfrachtet werden, und es wäre der richtige Zeitpunkt, sich gemeinsam diesem Ausgeliefertsein zu entziehen. Zum Beispiel in einer Durchsetzung von Klimapolitik, die die Welt nicht als Besitz von Eliten betrachtet, sondern sich den demokratisch aufgefassten Grundrechten aller widmet. Das wiederum hieße, das Leben darin ernst zu nehmen, dass die natürlichen Ressourcen nicht dem kapitalistischen Prinzip der Profitmaximierung unterworfen werden können. Unsere Rede muss dann „grün-grüner-grün“ heißen. Der Superlativ muss aus dem Spiel genommen werden.

Wie stellt sich für Sie innerhalb dieser zwei fundamentalen Krisen das Verhältnis von Politik und Bevölkerung dar?

Ich fände die Ruhigstellung des einen Prozents an Elite einen guten Schritt, sich des Prinzips solcher Maximierung in narzisstischen Persönlichkeitsstörungen der Eliten zu entledigen. Wie wir eben demokratische Kontrolle über unsere Umstände herstellen sollten. Das wiederum hieße, das demokratische Verantwortungssubjekt geworden zu sein. Das wiederum ist in den Umständen unserer Beschulungen, die wir gerade erleben, sehr schwierig. Wir müssen ja unsere inneren Welten neu denken, wenn die Welt insgesamt gedacht werden muss zu ihrem Weiterbestehen. Natürlich sollten wir zu so einem demokratischen globalen Handeln längst fähig sein und deshalb alle diese Krisen jetzt gar nicht erlebt haben. Dass Angst beherrschend eingesetzt werden kann, muss umfassend kulturell bekämpft werden. Wir müssen uns selbst retten. Die Eliten werden uns zu ihrem Erhalt weiter von einer psychotischen Situation in die nächste taumeln lassen. Soviel ich sehe, steht ja auch ein ordentlicher Wirtschaftscrash ins Haus, damit wir wie nach der Krise 2007/2008 wieder die Scherben für diese Eliten aufsammeln und bezahlen dürfen. Stress. Es ist Dauerstress, in dem wir gehalten werden.

„So ist die Welt geworden“ heißt Ihr letztes Buch. Deshalb zu Beginn die Frage: Wie ist die Welt denn geworden? Wie stellt sie sich dar nach diesem dritten Winter des Zurückgezogen-worden-Seins?


Streeruwitz: 
Das Interessante ist ja, dass dieses „so“ in „So ist die Welt geworden“ eine Basis hat, von der wir alle wissen. Und dann differenziert sich das aus. Und dieses „so“ ist, glaube ich: grau, blass, ohne Anregung, passiv, ein vorkranker Zustand oder ein nachkranker Zustand und beraubt. Aber alles flach. Das ist das Erstaunlichste: Du kriegst ja keine richtige Wut mehr, du kriegst keine richtige Depression mehr. Alle Lebensäußerungen werden nicht mehr so richtig. Auch die Freude nicht. Das heißt, es ist wie ein Schimmelpelz über allem. Das ist jetzt die wissenschaftlichste Möglichkeit, das zu beschreiben, denn alle anderen Kriterien würden dieses „So ist es“ nicht wirklich erfassen können.....

Wenn ich in Wien in einem Konzert sitze und sehe, dass so ziemlich alle dieselbe Haarfarbe haben wie ich, nämlich Silber, dann frage ich mich, warum ist das nicht anders gelungen. Wir wussten immer, dass das Richtige gemacht werden muss, damit es in der Krise da ist. Und wir haben es nicht gemacht. Wir haben ja auch keine richtige Politik mehr. Wir haben gar nichts, weil in der Krise die Veränderung nicht mehr möglich ist, beziehungsweise wird schlicht Macht ausgeübt, und die Krise soll das legitimieren.....

Ihre Kritik meint also, wir hätten die Krise besser als Kollektiv bewältigt?


Ich glaube sogar, wir hätten die Krise nicht. Wir hätten ein anderes Gesundheitssystem, eine andere Schichtung der Gesellschaft. Wir würden in einer Welt leben, in der es einen Kosmos der Pflege gibt. Das ist der Raum, in dem die Kinder zur Welt kommen, erzogen werden, lernen, wie sie sich anziehen, waschen und so weiter. Das ist für mich ein öffentlicher Raum, der ganz viele Berufe betrifft. Ein Raum, der das Leben meint. Wir hätten keine solchen Spitäler, wie wir sie haben. Wir hätten andere mit einer anderen Konstruktion. Schweden ist natürlich ein gutes Beispiel dafür, wie dieses Leben ernst genommen wird und die Personen Experten und Expertinnen in ihrem Leben sind, auch als solche behandelt werden. Und hätten wir auch noch Geschlechtergerechtigkeit, denn wären zum Beispiel Pflegeberufe, die als Frauenberufe gelten und unterbezahlt sind, gleich bezahlt wie Ministerialbeamte. Es würde alles ganz anders gelagert sein. 

Jetzt sind wir doch in der totalen Entfremdung erwischt worden. Jetzt ist dieses Scheinleben, das wir erlaubt bekommen haben, auch noch weg. 


Gibt es neben der Scheinöffentlichkeit dann auch so etwas wie eine Scheinprivatheit?

Nein, ich teile die Welt jetzt in den Kosmos der Pflege ein und den Kosmos des Öffentlichen, und weil ich damit auch der Frage von Mann–Frau entkomme, weil das auch längst anders gewürfelt ist. Es gibt ja auch Pfleger, die unterbezahlt sind. Der Kosmos der Pflege, in dem das Leben eigentlich stattfindet, muss eine neue Wichtigkeit bekommen. Deswegen ist mir auch die Mitbestimmung so wichtig, denn Mitbestimmung bedeutet, dass die Macht anders verteilt ist. Du bist dann nicht zu dieser stillen, hilflosen Existenz verdammt. Jetzt haben wir alle Telefonnummern und E-Mail-Adressen der Institutionen, die unsere Leben regeln, aber wir bleiben in den Warteschleifen hängen.

Bücher zum Thema
„So ist die Welt geworden“ ist beim Wiener Verlag Bahoe Books erschienen.
Im Mai 2022 erscheint von Streeruwitz auch bei Bahoe: „Handbuch gegen den Krieg“.

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