Dienstag, 22. März 2022

Wir können uns einen Gasstopp leisten

 Süddeutsche hier    22. März 2022,Kommentar von Marc Beise

Sanktionen

Die Frage darf nicht sein, wie abhängig Deutschland von russischem Öl und Gas ist - sondern wie wir es schaffen, weniger Energie zu verbrauchen. Ideen dafür gibt es so einige.

Wirtschaftsminister Robert Habeck kommt mit guten Nachrichten vom Golf zurück: Die Bundesregierung meldet erste Erfolge in ihrem Bemühen, Deutschland vom Gas aus Russland unabhängiger zu machen: Diesen Winter könne es noch mal eng werden, aber dann kämen wir da raus. Das ist schön zu hören und in jedem Fall sinnvoll. Leider verkürzt sich die Diskussion häufig auf genau diese Frage: Wie schaffen die Deutschen es, unter den Verwerfungen, die sich aus Putins Überfall auf die Ukraine ergeben, nicht zu sehr zu leiden? Welche Sanktionen können sie sich überhaupt leisten - und wann? Diese Verkürzung ist erstens moralisch fragwürdig und zweitens in der Sache verhängnisvoll.

Was soll man davon halten, dass die Deutschen einerseits den Ukrainern große Solidarität versprechen und andererseits die hehren Worte an der harten Realität zerschellen

Die Regierung verspricht Waffen, hat dann aber leider nicht viel, was sie liefern kann. Sie beschließt - nach anfänglichem Sträuben - Sanktionen gegen Russland, achtet dann aber peinlich genau darauf, dass die nicht zu brutal ausfallen. Ein Öl- und Gaslieferstopp geht leider gar nicht, sorry. Man kann das bedingte Solidarität nennen, oder auch: falsche Solidarität.

Heizobergrenze von 20 Grad. Weiter Home-Office. Tempo 100. Autofreie Sonntage: Es gibt viele Möglichkeiten

Diese Politik schadet am Ende den Deutschen selbst. Weil sie nur reagieren, statt zu agieren.
Man sieht vor allem Probleme, bestenfalls wird an Symptomen herumgedoktert, was wiederum andere, eben noch als äußerst wichtig titulierte Ziele konterkariert.

So ist die Ampel angetreten, die Energiewende zu schaffen und den Energieverbrauch zu senken.
Hohe Preise können dabei helfen. Nun aber, da die Preise kriegsbedingt tatsächlich steigen, befallen die Neu-Regierenden dieselben Reflexe wie alle Regierungen zuvor. Die Spritkosten gehen durch die Decke, die Heizkosten explodieren, der Unmut der Bürger wächst? Also braucht es schnell Kompensation durch den Staat. Spritpreisbremse, Zuschüsse, Wohngeld - schon kommen altbekannte Rezepte wieder auf den Tisch.

Besser wäre es, die Deutschen verständigten sich unter tätiger Anleitung der Energiewende-Regierung erst einmal auf Maßnahmen, die den Energieverbrauch senken: Eine Heizobergrenze von 20 Grad. Verbindliche Maßnahmen zum Home-Office, damit Unternehmen Räume nicht heizen müssen. Tempo 100. Autofreie Sonntage. Dunkle Innenstädte. Da bringt man locker 20 Maßnahmen zusammen, die sich zu erklecklichen Einsparungen summieren ließen und aus der Kriegsnot heraus gut zu begründen wären. Es wäre einschneidend - aber ist jetzt nicht die Zeit dafür? Zeit auch für eine neue Selbstvergewisserung: So reagiert Deutschland auf den existenziellen Kampf um Frieden und Freiheit mitten in Europa.

Danach, in einem zweiten Schritt, könnte man darüber nachdenken, ob der Staat soziale Schieflagen abfedern muss und so weiter. In Deutschland aber läuft die Debatte anders herum: Der Status quo ist vorgegeben - und an dem soll bitte möglichst wenig gerüttelt werden.

Ähnlich ist es bei den Unternehmen. Deren Wortführer sind in diesen Tagen in engem vertraulichen Austausch mit Habeck und mit Finanzminister Christian Lindner. Sie schildern diesen ihre Lage und Erwartungen dramatisch - was natürlich Eindruck macht bei krisenunerfahrenen Ministern. Kein Wunder, dass wiederum die Konzernlenker voll des Lobes sind über die neue Bundesregierung, vor der sie sich vor der Bundestagswahl noch arg gefürchtet hatten.

Wie wäre es aber, wenn die Wirtschaft erst mal selbst ihre Gewissheiten auf den Prüfstand stellte? In der Corona-Krise haben viele Unternehmen gelernt, innovativ zu sein, Prozesse umzustellen, Durststrecken durchzustehen - warum nicht auch jetzt? Es sind so viele Innovationen möglich, wenn man sich ändern muss. Auch hier gilt: Am Ende - aber eben erst dann - kann der Staat helfen, wie er auch in der Pandemie geholfen hat: durch Subventionen, Steuerstundung, Kurzarbeitergeld.

Das heißt: Die Debatte gehört vom Kopf auf die Füße gestellt. Nicht erst sagen, was nicht geht. Sondern gucken, was geht. Dann ist vermutlich sogar ein Ende der Öl- und Gasabhängigkeit von Russland sehr viel früher möglich als gedacht.

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