Sonntag, 13. März 2022

Utopische Energiewende

Schwäbische Zeitung hier  Von Benjamin Wagener

Anspruch und Wirklichkeit sind beim Aufbau der deutschen Ökostromwirtschaft noch weit voneinander entfernt - Eine realistische Betrachtung

.... Das Problem: Es gibt keinen Anbieter, keinen Handwerker, der ihm Solarmodule verkauft und sie auf das Dach montiert. Vier Unternehmen im Kreis Ravensburg hat der Hausbesitzer angeschrieben - vier Absagen oder Vertröstungen. Entweder haben die Firmen keine Zeit oder sie bekommen keine Module oder ihnen ist der Auftrag bei einem Reihenhaus zu wenig lukrativ.

Ein Beispiel, das einen kleinen Ausschnitt aus dem Problemfeld Energiewende zeigt und das demonstriert, wie groß die Herausforderung des Jahrhundertprojekts wirklich ist. Denn trotz vieler Beteuerungen von Experten, die sich mit dem Thema auskennen, ist seit Langem klar, dass weder Politik und Wirtschaft noch die Bürger in Deutschland auf die einschneidenden Veränderungen vorbereitet sind, die angestoßen werden müssten, um die ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Zu den Experten gehört Andreas Thiel-Böhm, Chef der Technischen Werke Schussental (TWS), einem Unternehmen, das im Raum Bodensee-Oberschwaben-Allgäu Menschen mit Strom, Gas, Wärme und Wasser versorgt. „So wie wir jetzt agieren, sind die Ziele nicht erreichbar, weil fast alle Grundlagen fehlen“, sagt Thiel-Böhm im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Wir geben uns auch keine Mühe. Ich habe extreme Zweifel, weil wir keinen Mut aufbringen und immer im Klein-Klein stecken bleiben.“

....„Der wirkliche Weg zur energiepolitischen Unabhängigkeit ist der Ausstieg aus den fossilen Energien. Die Sonne und der Wind gehören eben niemanden“, erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) angesichts der neuen Pläne pathetisch.

Der Weg dorthin wird allerdings schwierig: Zwar lag nach Angaben des Umweltbundesamtes bereits im Jahr 2020 der Anteil der erneuerbaren Energien bei 45,3 Prozent - allerdings nur beim Stromverbrauch. Betrachtet man den gesamten Energieverbrauch in Deutschland sinkt der Anteil auf 19,2 Prozent. Vor allem im Verkehr, aber auch in der Industrie und bei den privaten Haushalten nutzt Deutschland immer noch in der Hauptsache fossile Energien. Ohne die Senkung von Kohlendioxid-Emissionen in diesen Sektoren - sprich: ohne Elektroautos auf den Straßen, Wärmepumpen in den Wohnhäusern und nicht-fossiler Energie bei industriellen Prozessen - wird Deutschland die Klimaziele verfehlen.

Die Folge dieser Elektrifizierung von Mobilität, Hauswärme und Industrie ist sehr einfach: Der Stromverbrauch wird ansteigen. ....

„Die Aufgabe wird einfacher, wenn wir Strom sparen“, sagt Thiel-Böhm weiter. „Wir müssen in allen Bereichen effizienter werden.

“ Wie wichtig die innovativeren Technologien zum Einsparen von Energie sind, macht der TWS-Chef am Beispiel der Elektromobilität deutlich. Kein Antrieb sei so effizient wie ein Elektroantrieb: Mit 20 Kilowattstunden komme man 100 Kilometer weit, „wenn man nicht gerade einen mehrere Tonnen schweren SUV fährt“, erläutert Thiel-Böhm. „Und 20 Kilowattstunden Strom entsprechen zwei Litern Benzin - und weil wir den Verbrenner niemals auf zwei Liter runterbekommen, sind Verbrenner für den normalen Nutzer Nonsens.“

Wenn der 2030 benötigte Strom allerdings zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien stammen soll, „brauchen wir Windräder und Solaranlagen“, sagt TWS-Chef Thiel-Böhm, „und zwar wesentlich mehr, als wir heute haben. ....

Einen Ausweg aus dem Dilemma, nun innerhalb von kurzer Zeit aufzuholen, was viele Jahre lang verschleppt worden ist, sieht TWS-Chef Thiel-Böhm einzig und allein darin, jetzt „schnell und massiv in die gesetzlichen Grundlagen“ einzugreifen. „Wir müssten alle Immobilienbesitzer verpflichten, ihre Dächer mit Photovoltaik-Modulen vollzupacken, und wir müssten für die Windkraft drastische Erleichterungen schaffen.“ Nötig sei eine Bündelung von Vorschriften, um die Klagemöglichkeiten zu reduzieren. Es dürfe nur noch sehr wenige Gründe geben, um Windräder zu verhindern. Die Stromautobahnen aus dem Norden und dem Osten in die Industrieregionen von Baden-Württemberg und Bayern sollten endlich konsequent vorangetrieben werden.

Doch die wichtige politische Agenda sei nur die eine Seite des Problems, denn im Moment sind laut Andreas Thiel-Böhm die Kapazitäten der Industrie zum Aufbau der erneuerbaren Energien gar nicht vorhanden. „Die Unternehmen investieren erst in neue Werke, wenn sie sicher sind, dass sie über eine bestimmte Zeit verlässliche Bedingungen haben“,...
„Wir müssen wieder eigene Produktionen aufbauen, das dauert ein paar Jahre“, sagt Thiel-Böhm weiter. In dieser Hochlaufphase dürfe die Bundesregierung nicht wieder der Bremser sein, wie es 2014 der Fall gewesen ist, als der Ausbau der erneuerbaren Energien durch die Große Koalition abgewürgt worden sei, um die EEG-Umlage nicht zu sehr ansteigen zu lassen..

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