Samstag, 12. März 2022

Mehr Mut zum Guten

 10.03.2022  |  VON TILMANN P. GANGLOFF KULTUR@SUEDKURIER.DE  hier

Seit 15 Jahren befindet sich Europa in einer gefühlten Dauerkrise: die Banken, der Euro, die Flüchtlinge, Corona; und nun auch noch der russische Überfall auf die Ukraine. Kein Wunder, dass manche Menschen, für die „Tagesschau“ oder „heute“ früher Pflichttermine waren, derzeit kaum mehr Lust auf Nachrichtensendungen haben. Wie also soll man in diesen Zeiten berichten, von was kann man noch erzählen?

Die Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel appelliert in ihrem Buch „Wie wir die Welt sehen“ an ihre Kollegen, auf den „Negativ-Filter“ zu verzichten. In der Tat lautet ein uraltes Presse-Credo, nur schlechte Nachrichten seien gute Nachrichten. Wurmb-Seibel hat früher, als sie noch für das Politikressort der „Zeit“ gearbeitet hat, ähnlich gedacht. Ihr Sinneswandel erfolgte, während sie 2013 und 2014 als Reporterin in Afghanistan war. Als sie feststellte, dass ihr die Auseinandersetzung mit dem Elend jegliche Lebenskraft entzog, hielt sie gezielt Ausschau nach Geschichten, die Mut machen.

Diese Haltung prägt auch ihr Buch. Darin geht sie der Frage nach, wie sehr Nachrichten unser Denken, unsere Wahrnehmung und unser Leben beeinflussen. Wir Menschen brauchen Geschichten, schreibt sie, um unsere Erlebnisse und Erinnerungen abzuspeichern, um Mitgefühl zu entwickeln und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Geschichten, und dabei schließt sie Zeitungsreportagen ausdrücklich mit ein, „können Sinn stiften und Gemeinschaft“, sie hätten entscheidenden Einfluss darauf, „ob wir Angst vor der Zukunft haben oder uns auf sie freuen.“

Was aber macht es mit uns, „wenn wir uns ohne Unterlass mit Katastrophen, Gewalt und Zerstörung konfrontieren“? Die Wirkungsforschung hat sich in unzähligen Studien damit beschäftigt, welchen Einfluss filmische Gewaltdarstellungen haben. Die Wirkung von Nachrichten ist längst nicht so intensiv erforscht worden, die Ergebnisse sind zudem widersprüchlich. Einige Studien sagen: Wer dauernd Berichterstattungen etwa über Terrorismus wahrnimmt, leidet irgendwann unter den gleichen Folgen wie Menschen, die Terror tatsächlich erlebt haben. Ob das so pauschal stimmt? Nachvollziehbar ist zumindest: Je öfter Menschen vor einer bestimmten Bedrohung gewarnt werden, desto größer ist ihre Angst, irgendwann selbst betroffen zu sein.

Einen ähnlichen Effekt sieht die Journalistin bei der medialen Berichterstattung: Der dauerhafte Konsum ausschließlich negativer Nachrichten führe fast zwangsläufig zu Angst, aber auch zu Schuldgefühlen, „weil wir nicht noch mehr tun, um die Welt zu verbessern“. Schließlich erwecke die Berichterstattung den Eindruck, dass die Missstände unabänderlich seien. Mit anderen Worten: Wenn ohnehin alles den Bach runtergeht, kann man das Engagement gleich bleiben lassen. Tatsächlich glauben viele Menschen, dass sie keinen Einfluss auf Politik und Gesellschaft hätten. Dieser generelle Negativ-Filter, behauptet Wurmb-Seibel, sei vielen derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie auch privat nur noch von den Dingen erzählten, die schiefgegangen seien. Auch deshalb berichtet der SÜDKURIER immer wieder von Erfolgsgeschichten, mal im Großen, häufig aber auch im Kleinen.....

Ronja von Wurmb-Seibel: „Wie wir die Welt sehen. Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien“. Kösel-Verlag, München. 238 Seiten, 18 Euro.

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