Spectrum hier von Lars Fischer
IPCC-Klimabericht
Der Bericht der ersten Arbeitsgruppe bringt den Klimawandel in die Wohnzimmer, sei es als anderthalb Meter Wasser oder beispiellose Hitze. Erstmals erfasst die Analyse auch regionale und lokale Effekte. Das ist die wohl letzte Gelegenheit für einen Neustart, kommentiert Lars Fischer.
Die Politik, die ja in letzter
Konsequenz immer lokal ist, konnte bisher mit den Sachstandberichten des
Weltklimarats IPCC augenscheinlich
nicht allzu viel anfangen . Zu abstrakt, zu
unspezifisch, zu weit weg – und damit zwar als Thema interessant, aber im
Alltag auf der Prioritätenliste weit unten angesiedelt. Der nun veröffentlichte
sechste Bericht des Weltklimarats könnte nun zu einem echten Stresstest für
diese bequeme Ignoranz werden. Denn er beschreibt eben jene direkten
Konsequenzen vor der eigenen Haustür, die
wir zum Beispiel in Form von Extremwetter schon erleben .
Zum ersten Mal enthält
die Analyse
der mit rein pysikalischen Effekten betrauten Arbeitsgruppe I konkrete Aussagen über lokale und regionale Effekte,
insbesondere ein eigenes Kapitel über Extremwetter. Darin steht, was sich in
den letzten Jahren schon abzeichnete: Wetterereignisse wie Hitze oder
Starkregen, die große Schäden verursachen können, werden in einer wärmeren Welt
überproportional häufiger. Speziell einige jüngere Hitzeereignisse seien ohne
menschlichen Einfluss extrem unwahrscheinlich gewesen, heißt es in dem Bericht.
Klimawandel ist hier und
jetzt
Wo genügend Daten für solche
Analysen vorliegen, lässt sich auch jetzt schon sagen, dass der Klimawandel
Starkregenereignisse verstärkt hat – unter anderem eben in Nordeuropa. Wer
in Flussnähe wohnt, wird sich spätestens jetzt Gedanken über mögliche böse
Überraschungen machen müssen. Bei den Flusshochwassern im Juli 2021 traf
es in den betroffenen Ortschaften nämlich keineswegs nur die ausgewiesenen
Gefahrenzonen .
Das ist der zentrale Unterschied
des aktuellen Berichts im Vergleich zu den früheren Sachstandberichten. Er
beschreibt nicht die Zukunft des Planeten, sondern die Gegenwart. Das hängt
auch damit zusammen, dass viele Veränderungen schneller kommen als vermutet. So
wird die 1,5-Grad-Schwelle wohl etwa zehn Jahre früher erreicht werden, als
noch vor drei Jahren prognostiziert.
Es sind aber vor allem jene
lokalen und regionalen Extremereignisse, die
sich viel schneller vermehren, als die globalen Temperaturen steigen , und damit zur Alltagsrealität werden. Und das auf
Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende. Außerdem werden die Effekte intensiver
werden, denn derzeit haben sich noch nicht einmal alle Konsequenzen des bisher
ausgestoßenen Kohlendioxids manifestiert.
Die große Gefahr dabei ist
nicht nur, dass die nötigen Maßnahmen zum Klimaschutz immer drastischer und
teurer werden, je länger sie verzögert werden. Sondern auch, dass man die direkten
Folgen des Klimawandels mit immer größerem Aufwand abfangen muss. Es droht ein Teufelskreis: durch
teures Extremwetter fehlen Ressourcen für die Bekämpfung des eigentlichen
Problems. Denn ob der Wiederaufbau grün geschieht, wird nach einer Katastrophe
erst einmal sekundär sein. Zum bereits in der Atmosphäre vorhandenen
Treibhausgas kommt dann weiteres Kohlendioxid hinzu, und damit weitere
Erwärmung.
Dadurch entsteht mehr
Extremwetter und weiterer teurer Anpassungsbedarf, der seinerseits den
Klimaschutz weiter verzögert. Solche Ressourcenkonflikte könnten schon bald
weltweit die Fähigkeit der Menschheit erodieren, den Klimawandel und seine
Folgen effektiv zu bekämpfen. Denn schon jetzt ist das Pariser Klimaziel von
1,5 Grad, oberhalb dessen der Klimawandel laut Fachleuten erst wirklich
anfängt wehtzutun, selbst mit drastischen Maßnahmen nahezu außer
Reichweite – ein weiterer Befund des Berichts.
Auch ein Dokument des
Scheiterns
Damit dokumentiert die
Arbeitsgruppe I auch erstmals das Scheitern der internationalen
Klimapolitik an der physikalischen Wirklichkeit. Große Versprechen und
Rechentricks haben nicht verhindern können, dass die globalen
Kohlendioxidemissionen seit dem ersten IPCC-Bericht von 1990 um mehr als die
Hälfte gestiegen sind. Das große Problem sind eben nicht jene, die offen den Klimawandel
leugnen, sondern jene, die vorgeben, den
Klimawandel zu bekämpfen – und sich dann auf im Wesentlichen symbolische
Maßnahmen beschränken.
Der Bericht des IPCC führt
mit den Abschnitten über regionale Folgen und Extremwetter nun erstmals auch
der Lokalpolitik die Konsequenzen der Erderwärmung vor Augen . Der Klimawandel
ist weder weit weg noch in ferner Zukunft, sondern hier und jetzt. Das unterstreichen auch die
Wetterereignisse der letzten Jahre – nicht zuletzt in Form eines Sommers
der Extreme, der sogar Fachleute erschreckte .
Die zentrale Botschaft der Analyse ist, dass der Klimawandel nun endgültig so
kleinräumig fassbar ist, wie es den Denkmustern der Menschen und der Politik
entspricht. Es wäre die Gelegenheit für einen globalen Neustart. Vermutlich die
letzte.
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