Süddeutsche Zeitung hier unter der Rubrik "Wirtschaft" von Lars Langenau
Wohnungsverband
Die Wohnungswirtschaft reagiert mit einer ungewöhnlichen Empfehlung auf die jüngsten Klimakatastrophen. "Es ist nicht fünf vor, sondern zwölf", heißt es in einem Appell.
Auf den ersten Blick wirkt die Website mit dem
öffentlichen Brief gehackt. So ungewöhnlich ist der Schritt. Wo sich viele in
der Wohnungswirtschaft oder vor allem auch in der Union und FDP aus Furcht vor
ihrer Wählerschaft noch äußerst schwertun, brechen jetzt Vertreter der
Wohnungswirtschaft mit einem Tabu.
Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW)
spricht sich in einem öffentlichen Schreiben an Schleswig-Holsteins
Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) für Verzicht und Mäßigung aus: für
einen weitgehenden Verzicht auf Einfamilienhäuser. Zugunsten
des Klimaschutzes.
Wörtlich heißt es da: "Angesichts zunehmender
Flächenversiegelung und aus Gründen von Nachhaltigkeit ist die Errichtung von
mehrgeschossigen Wohngebäuden sicher am sinnvollsten. Das schließt den Bau von
Einfamilienhäusern - da, wo es passt - natürlich nicht aus, aber es sollte
vorsichtig damit umgegangen werden." Und weiter: "Insbesondere die
Planungsbehörden der Städte und Gemeinden sind aufgefordert, bei der Ausweisung
von Wohngebieten aus den jüngsten Überschwemmungen zu lernen." Ein
VNW-Sprecher bestätigt die Echtheit des Schreibens. Reden helfe nicht mehr. Man
müsse dringend etwas tun! Attraktives Wohnen und geringer Flächenverbrauch
könne durchaus kombiniert werden.
Es ist nur ein Verband in Norddeutschland, ja, sicher.
Aber der VNW vertritt nach VNW-Angaben fast 400 Wohnungsgenossenschaften und
kommunale Wohnungsgesellschaften in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und
Schleswig-Holstein. In den von ihnen verwalteten 686 000 Wohnungen leben
rund 1,5 Millionen Menschen.
"Wir denken, dass in der
Wohnungspolitik mehr geht."
VNW-Direktor Andreas Breitner und der
schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Marcel Sonntag sprechen sich in
dem aufsehenerregenden Schreiben dafür aus,
mehr Grünflächen zu schaffen, vorhandene Plätze stärker zu begrünen, die Zahl
der Parkplätze zu reduzieren, Häuser höher zu bauen, Baulücken zu schließen und
Gebäude zu sanieren. "Wir denken, dass in der Wohnungspolitik mehr geht und
Luft nach oben ist", heißt es weiter. Dazu sollte man vielleicht wissen,
dass Breitner SPD-Politiker und von 2012 bis 2014 Innenminister des Landes
Schleswig-Holstein war, bevor er 2015 VNW-Verbandsdirektor wurde.
Aber politische Kontakte scheinen ja nicht das Schlechteste
zu sein. Zumal angesichts des dringenden Handlungsbedarfs aufgrund der jüngsten
Klimakatastrophen auch in Deutschland. Und so fordert Breitner zusammen mit
seinem Kollegen Sonntag weiter: weniger Flächenfraß, mehr Nachhaltigkeit und
eine ökologische Wende in den Städten und Zentren. "Es ist nicht fünf vor,
sondern zwölf, aber wir können immer noch handeln." Eine Lehre aus den
jüngsten Überschwemmungen in NRW und Rheinland-Pfalz sei, dass Wohngebiete
grundsätzlich nicht in potenziellen Überschwemmungsgebieten von Flüssen
errichtet werden sollten. Es gehe darum, das Ruder herumzureißen, so die
Direktoren in ihrem dringlichen Appell.
Laut VNW ist es Zufall, dass der Weltklimarat am
Montag nach rund sieben Jahren wieder einen Sachstandsbericht vorlegt. In dem
soll exakt dargelegt werden, "in welchem Ausmaß der Klimawandel für
Extremwetterereignisse, Desaster und ähnliches in der Welt verantwortlich
ist". Dass die Menschen mit ihrer Energiegewinnung,
Intensivlandwirtschaft, Abholzung, Tierhaltung und Umweltverschmutzung
maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich sind, ist unter diesen
Wissenschaftlern unbestritten. Aber wie groß dieser Einfluss ist, könnte der
Weltklimarat in dem Bericht noch einmal vor Augen führen.
Seit dem letzten Bericht hat es die sechs wärmsten
Jahre seit Messbeginn gegeben. Global liegt die Mitteltemperatur bereits etwa
1,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau, in Deutschland schon 1,6 Grad höher.
"In Deutschland entscheiden wir am 26. September bei der Bundestagswahl
darüber, welchen Weg wir gehen", sagt der Sprecher.
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