Ravensburg, Mai 2025
Sehr geehrte Stadträte und Stadträtinnen der Stadt Ravensburg
Wir verfolgen mit großer Sorge die Diskussion über die Baumschutzsatzung Ravensburg und deren von Teilen des Stadtrats initiierte Abschaffung
Die Bedeutung der Bäume im Klimawandel sollte inzwischen hinreichend klar sein – nicht nur als CO2-Speicher, sondern auch zur Abmilderung der Folgen des Klimawandels. Die Aufheizung der Städte in zunehmenden Hitzeperioden ist auch in Ravensburg ein Thema. Von Seiten der Ravensburger Stadtplanung wird regelmäßig wiederholt, dass die Stadt der Zukunft grün, blau und weiß sein muss. Sie braucht neben Wasser und hellen, die Hitze reflektierenden Farben vor allem Bäume und Wand-/Dachbegrünungen. Nur so lässt sich in den zunehmenden Hitzeperioden eine hohe Lebens- und Aufenthaltsqualität erhalten.
Dazu sagt das Umweltbundesamt: „Das Phänomen deutlich höherer Temperaturen in Städten gegenüber dem Umland wird als „Urbaner Hitzeinseleffekt“ bezeichnet. Dieser tritt ganzjährig auf und ist in Sommernächten besonders stark. Grund sind großflächige Bodenversiegelungen sowie fehlende Begrünung in Städten, was eine deutlich herabgesetzte Kühlung durch Verdunstung nach sich zieht.“ Bäume im Stadtgebiet kühlen eben nicht nur durch den direkten Schattenwurf – dies ist vor allem im öffentlichen Raum wichtig – sondern in der Summe ihrer Verdunstungsleistung den gesamten Siedlungsbereich. Deswegen sind auch Bäume in Privatgärten für die Öffentlichkeit wichtig.
Wobei es hier nicht nur um das „Wohlfühlen“ geht. Der Schutz vor Hitze ist für vulnerable Personengruppen (Kleinkinder, Seniorinnen und Senioren sowie chronisch Erkrankte) lebensnotwendig.
Die zunehmende Anzahl von Todesfällen durch Hitzeperioden in Baden-Württemberg ist statistisch belegt. Für diese Personen hat die Kommunalpolitik eine große Verantwortung.
Was uns aber vor allem verwundert, ist die Argumentation, warum die Baumschutzsatzung abgeschafft werden soll. Es ginge um Entbürokratisierung“ und darum, eine „Gängelung der Bürgerinnen und Bürger“ zu vermeiden. Das sind Totschlag-Argumente, hier wird die Diskussion auf einer völlig falschen Ebene geführt.
Politikwissenschaftlich betrachtet ist es das Wesen von Politik, zu „gängeln“ – zumindest wenn man das Setzen von Rahmenbedingungen des Zusammenlebens durch Gesetze und Verordnungen als „Gängelei“ sehen will. Ob Bauvorschriften, die Reglementierungen von Werbeanlagen oder die Festlegung von Sperrzeiten für die Gastronomie – überall findet ein Eingriff in die freie Entfaltung Privater statt. Als Eingriff müssen sie gut begründet sein. Aber dabei geht es nicht um die Menge von Verordnungen, sondern um deren Inhalt und Zweck.
Die Begründung für derartige Eingriffe findet sich im Begriff des Allgemeinwohls, das über den Interessen des Einzelnen steht. Zugrunde liegt die Idee eines „Gesellschaftsvertrags“, der beinhaltet, dass der einzelne Bürger einen Teil seiner Freiheitsrechte an den Staat abgibt und im Gegenzug von diesem Schutz erhält. Die Vertragstheorie ist eine Errungenschaft der Aufklärung, und wurde prominent von Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau entwickelt.
Dieser Grundgedanke hat die Väter des Grundgesetzes dazu bewegt, den § 14 (2) „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ ins Grundgesetz aufzunehmen.
Es geht also bei staatlicher Steuerung (und bei kommunalen Verordnungen) immer um die Frage: Was ist das angestrebte Ziel für das Gemeinwohl? Und wie ist der Eingriff in die Freiheitsrechte eines Bürgers im Verhältnis zu den positiven Effekten zu gewichten? Und so sollte die Diskussion auch geführt werden. Also nicht um „Entbürokratisierung“ und „Gängelei“, sondern darum, was eine Baumschutzsatzung bewirkt und bewirken kann und ob dies dem Allgemeinwohl dient. Diese Diskussion (und dazu gute Argumente) vermissen wir in Teilen des Gemeinderats.
Ravensburg, den 15. Mai 2025
Prof. Dr. em. Wolfgang Ertel, Koordinator der S4F Ravensburg
Homepage: https://ravensburg.scientists4future.org/
Quellen zum Text:
Braun Eberhard, Heine Felix, Opolka Uwe (1984): Politische Philosophie. Ein Lesebuch. Rowohlt:
Reinbek bei Hamburg.
Bundesministerium der Justiz: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.
https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_14.html
Prähofer Gerhard (2020): Der Klimabaum. Welche Voraussetzungen brauchen Bäume in der Gemeinde, um ihre Wohlfahrtswirkung zu entfalten? Fachvortrag beim Österreichischen Gemeindetag am 27. März 2020,
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (2017): Führt der Klimawandel zu einem Anstieg der »Hitzetoten«? Zur Abschätzung der Sterbefälle aufgrund hoher Temperaturen in Baden-Württemberg, https://www.statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/20170802?path=/Gesundheit/Todesursachen/
Umweltbundesamt (2022): Hitze in der Innenstadt: mehr Bäume und Schatten nötig.
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