Nix gelernt und jetzt weiter so wie vor der Ampel? Die sichtbar gewordene Moskau Connection in der CDU/CSU steht bereit und offensichtlich ist auch die neue Ministerin ein tragender Teil davon. Von wegen Teile der SPD - die CDU ist mindestens ebenso verstrickt.
hier Süddeutsche Zeitung Kommentar von Nicolas Richter 18. Mai 2025,
Angela Merkel hat drei große Fehler gemacht. Und dass sie
es bestreitet, ist der vierte
Die Ex-Kanzlerin will bei den Gasgeschäften mit Russland
nichts falsch gemacht haben. Die Akten beweisen das Gegenteil. Jetzt muss
endlich ein Untersuchungsausschuss her.
Merkel ließ sich bei Nord Stream 2 von zwei Gedanken leiten. Zum einen sah sie im russischen Gas einen billigen Treibstoff für die deutsche Industrie. Zum anderen wollte sie nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 zwischen Moskau und Kiew vermitteln. Dabei rechnete sie sich bessere Erfolgschancen aus, solange der Westen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Geschäft war. Beiden Motiven Merkels lag dieselbe Illusion zugrunde – dass sich Putin beeinflussen, ja einhegen lasse.
Fehler Nummer eins: Sie wollte mit Deals zum Wohle beider Seiten Putin bändigen
Die Außenpolitik der Bundesrepublik war immer auch Wirtschaftspolitik, manchmal war sie Außenwirtschaftspolitik, manchmal sogar Wirtschaftswirtschaftspolitik. Der Vorrang guter Geschäfte zeigte sich im Verhältnis zu China oft noch deutlicher als in dem zu Russland: Wie sehr auch immer ein Regime gegen Menschen-, Völker- oder andere Rechte verstieß, durch die Maxime „Wandel durch Handel“ ließ sich die vage Hoffnung auf politische Besserung mit den handfesten Geschäften der Gegenwart verknüpfen.
Diese Strategie verfolgte Merkel – Fehler eins – auch gegenüber Putin: Deals zum Wohl beider Seiten sollten ihn bändigen. Aber die Kanzlerin überschätzte dabei sich selbst und das Gewicht der Bundesrepublik. Und sie unterschätzte Putins Bereitschaft, zugunsten seiner imperialistischen Agenda auch gewachsene Geschäftsbeziehungen zu opfern. Merkel hat zu ihrer Verteidigung erklärt, Nord Stream 2 habe den Angriff Russlands auf die Ukraine nicht erleichtert, denn es sei ja nie Gas geflossen. Treffender ist: Nach Putins Invasion der Krim liefen das Projekt Nord Stream 2 sowie der Verkauf deutscher Gasspeicher an den russischen Konzern Gazprom einfach weiter – ein Zeichen an Putin, dass man ihm im Westen seine Rechtsbrüche nachsah.
Warnungen von Verbündeten schlug die Kanzlerin in den Wind
Merkel ließ sich – Fehler zwei – von ihrem Irrweg durch nichts abbringen. Sie ignorierte die osteuropäischen Nachbarn, die sich Illusionen über Putin schon wegen ihrer geografischen Lage nicht leisten können. Polen, die Ukraine und das Baltikum warnten Merkel beinahe verzweifelt davor, die Abhängigkeit von russischem Gas zu vertiefen. Aber aus Sicht der Kanzleramtsstrategen reichte es, die Nachbarn zu beschwichtigen. Selbst im zweiten Halbjahr 2021, als russische Soldaten bereits an den Grenzen der Ukraine aufmarschierten und die von Russland kontrollierten Gasspeicher in Deutschland verdächtig leer standen, war das Kanzleramt nicht zur Korrektur bereit und hoffte weiter, Putin zu besänftigen.
Besonders beschämend ist der dritte Fehler – die feste Entschlossenheit von Merkel und ihren Beratern, sich in Sachen Nord Stream 2 als „neutral“ darzustellen. Statt sich zu ihrer Interessenpolitik zu bekennen, tat Merkel so, als wäre sie unbeteiligte Beobachterin, der mangels juristischer Handhabe jeder Einfluss auf die mit Gazprom verbandelten deutschen Energiekonzerne verwehrt wäre. Wäre die Bundesregierung wirklich neutral gewesen, hätte sie es der EU-Kommission überlassen, die Gasgeschäfte mit Russland zu regeln – ein wahrhaft europäisches Vorgehen. Stattdessen kämpfte die Bundesregierung verbissen gegen jede Einmischung aus Brüssel. Erst als die USA mit überdrehten Sanktionen gegen Nord Stream 2 drohten, entdeckte das Kanzleramt wieder, dass es in Europa liegt – und hoffte darauf, dass Brüssel gegen Washington aufstehen würde.
Merkels Fehleinschätzungen legen einen lange gepflegten deutschen Selbstbetrug offen
Die Fehler der großen Koalitionen unter Angela Merkel sind bisher nicht ausreichend aufgearbeitet worden. Einen Untersuchungsausschuss setzte nur der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ein, im Bund hingegen blieb jede Aufklärung aus – Union und SPD haben daran kein Interesse. Und das Kanzleramt sowie mehrere Ministerien behindern die Aufklärungsarbeit der Medien, indem sie immer wieder Informationsgesuche ablehnen. Spätestens jetzt ist offensichtlich, dass ein Untersuchungsausschuss im Bundestag den Fall Nord Stream 2 ausleuchten muss. Denn die Fehleinschätzungen gehen weit über Merkel hinaus: Sie legen den bundesdeutschen Selbstbetrug offen, als Import-Export-Nation mit allen befreundet zu sein – und damit jedes Unheil auf Abstand halten zu können.
Süddeutsche Zeitung hier Von Michael Bauchmüller, Georg Ismar, Georg Mascolo und Nicolas Richter 16.5.25
Nord Stream 2: Macht euch keine Sorgen!
Brisante Akten aus dem Bundeskanzleramt zeigen, wie vehement sich Angela Merkel dafür engagierte, das Gasgeschäft mit Russland trotz aller politischen Bedenken zu erweitern und die Pipeline Nord Stream 2 durchzusetzen.
Am 2. September 2015 geht im Büro der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein brisanter Vermerk aus dem Referat 422 ein, es geht um ein Milliardengeschäft.
Demnach will der Chef des deutschen Chemie- und Energiekonzerns BASF zwei Tage später in der fernen russischen Stadt Wladiwostok einen spektakulären Tausch besiegeln.
BASF erhält diesem Plan zufolge Anteile an Gasfeldern in Westsibirien, dafür übernimmt Gazprom das deutsche Gasspeichergeschäft der BASF-Tochter Wintershall. Bei der Unterzeichnung der Verträge, so steht es im Vermerk an die „Frau Bundeskanzlerin“, soll auch der russische Präsident Wladimir Putin anwesend sein.
Es geht schließlich um viel: Neben den Speichern soll in Wladiwostok ein zweiter, noch größerer Deal besiegelt werden: der Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2.Die Beamten im Kanzleramt schreiben, der Tausch werde den deutschen Gassektor „deutlich verändern“. Mit der Übernahme der Speicher werde Gazprom zum direkten Vorlieferanten von Stadtwerken, Unternehmen und Kraftwerken. „Durch Kontrolle wichtiger Gasspeicher (Befüllung, Funktionsfähigkeit) wird Gazprom für die Versorgungssicherheit der Kunden unmittelbar verantwortlich“, heißt es im Vermerk. Das Wort „Versorgungssicherheit“ ist im Dokument gefettet.
Doch macht man sich in der Abteilung 4 für Wirtschaft im Kanzleramt keine schweren Sorgen. „Materiell dürfte der Asset-Tausch nach wie vor jedoch unbedenklich sein, da Gazprom bereits substantiell an den betroffenen deutschen Gasaktivitäten beteiligt ist.“
Die Preisgabe der Gasspeicher war ein Urfehler der deutschen Russlandpolitik
Es ist eine massive Fehleinschätzung, wie sich schon sechs Jahre später zeigen wird: Im August 2021 schreiben Beamte des Wirtschaftsministeriums einen Vermerk zur „Gasmarktlage“, der Ton ist nervös. „Es fällt auf, dass gerade die großen, von mit Gazprom verbundenen Unternehmen betriebenen Speicher weitgehend geleert sind“, heißt es. Genau ein Jahr später steckt die Bundesrepublik in der schlimmsten Energiekrise ihrer Geschichte. Die Speicher leer, die Lieferungen aus Russland gekappt, die deutsche Wirtschaft am Limit.
Die Preisgabe der Gasspeicher ist ein Urfehler der deutschen Russlandpolitik, vorangetrieben auch durch den damaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Bisher war aber nicht bekannt, wie scheinbar leichtgläubig auch Kanzlerin Merkel diesem Deal den Weg geebnet hat. Laut Vermerk von 2015 sind die Beamten im Kanzleramt offensichtlich nicht deshalb in Sorge, weil Putin Gas als Waffe einsetzen könnte, sondern weil sie Kritik an dem geplanten Gas-Deal zwischen BASF und Gazprom erwarten – vor allem aus Polen, der Ukraine und den baltischen Staaten. Diese Länder hatten schon 2012 protestiert, als das Geschäft zum ersten Mal im Gespräch war. Aber im Jahr 2015 wirkt der Deal noch anstößiger: Denn Russland hat im Vorjahr die zur Ukraine gehörende Krim besetzt und annektiert.
Im Kanzleramt wird argumentiert, man könne das Geschäft rechtlich nicht verhindern. Die Transaktion falle nicht unter die Sanktionen gegen Russland, und auch das Außenwirtschaftsgesetz biete keine Handhabe, solange das Geschäft über die deutsche Gazprom-Tochter abgewickelt würde. Es liest sich alternativlos, und es wird auch gar keine Möglichkeit erörtert, eine Alternative zu finden.
Intern ist man sich der politischen Brisanz bewusst: Im Kontext der „aktuellen UKR-Krise“ (wegen der Krim-Annexion durch Russland) dürften die Ukraine, Polen und das Baltikum scharf reagieren. Um die diplomatischen Verwerfungen gering zu halten, schlagen die Beamten der Kanzlerin vor, sich mit den kritischen Regierungen auszutauschen. „Wir sollten (…) aktiv und transparent ggü. diesen Partnern die Hintergründe (mangelnde rechtliche Handhabe, unternehmerische Entscheidung) kommunizieren“, heißt es im Vermerk. Mit blauer Tinte hat jemand, offenbar ein Abteilungsleiter, das Wort „transparent“ unterstrichen, Merkel dies mit grüner Kanzlertinte am Rand mit zwei Strichen bekräftigt. Mehr aber auch nicht.
Zwei Striche als Reaktion der Regierungschefin darauf, dass die Bundesrepublik Gasspeicher aus der Hand gibt – an Russland, das ein Jahr zuvor einen Nachbarn überfallen hat.
Mangelnde rechtliche Handhabe gegen eine rein unternehmerische Entscheidung – das ist auch die Argumentation der Bundesregierung bei einem anderen umstrittenen Großprojekt:
Nord Stream 2, das zweite Röhrenpaar durch die Ostsee.
Auch dazu gibt sich das Kanzleramt gerne neutral, so als könne Merkel nur mit den Schultern zucken. Doch Akten und Vermerke aus dem Bundeskanzleramt zeigen, wie wenig neutral die Haltung war.
Der Vermerk von 2015 stammt aus einem Konvolut von 63 Dokumenten, die das Kanzleramt der Süddeutschen Zeitung auf juristischen Druck hin überlassen hat. Die SZ hatte die Herausgabe der Unterlagen im Jahr 2024 beantragt und sich dabei auf das Informationsfreiheitsgesetz berufen. Das Kanzleramt weigerte sich zunächst, lenkte aber ein, nachdem die SZ widersprochen hatte.
Die 63 Dokumente sind bisher nicht bekannt und zeigen, wie intensiv sich das Kanzleramt in der Amtszeit Angela Merkels mit Fragen rund um das russische Gasgeschäft beschäftigt hat – insbesondere mit der Pipeline Nord Stream 2.
In dem Material werden zwei Muster sichtbar. Erstens setzte sich die Bundesregierung mit Merkel an der Spitze dafür ein, die Gasgeschäfte mit Russland auszuweiten und Nord Stream 2 gegen etliche Widerstände durchzusetzen. Zweitens war Merkels Kanzleramt stets darum bemüht, sich in der Sache nicht angreifbar zu machen und so zu tun, als habe die Regierungschefin des mächtigsten EU-Landes keinen Einfluss. Die Bundesregierung unterstützte das Projekt, aber niemand sollte es mitbekommen.
Diese Doppelstrategie zeigt sich auch zwei Monate nach dem ersten Vermerk. Am 13. November 2015 erreicht ein weiteres Schreiben das Büro der Kanzlerin, diesmal geht es um Nord Stream 2 – Gazprom will das Projekt nun vorantreiben.
In dem Schriftstück wird deutlich, wie umstritten das Vorhaben ist: Die EU-Kommission, Polen, das Baltikum und mehrere südosteuropäische Staaten hinterfragen, ob die zweite Nord-Stream-Pipeline die EU nicht zu abhängig mache von Russland. Die Leitung würde zu einem Marktanteil von Gazprom in Deutschland von 60 Prozent führen. „Die Abhängigkeit von russischem Gas in der EU wäre jedenfalls nach Auffassung osteuropäischer EU-Mitgliedstaaten unzumutbar hoch“, heißt es in dem Vermerk.
Die Beamten im Kanzleramt gehen die Bedenken im Detail durch, reden sie aber klein. Flüssiggas als Alternative zu Nord Stream 2? Zu teuer. Die Drohung Putins, er könne die Gaslieferungen nach Europa stoppen und nach China umleiten? „Dies ist technisch wie wirtschaftlich extrem schwierig und sehr unwahrscheinlich.“ Die Gefahr, dass die Ukraine nicht mehr als Transitland für russisches Gas benutzt wird und auf die Einnahmen verzichten muss? Selbst schuld – die Ukraine versäume es „schon seit Jahren“, ihr Gastransportsystem zu modernisieren.
Das Kanzleramt ist also mindestens aufgeschlossen für Nord Stream 2. Nach außen aber soll Deutschland möglichst wenig anecken. Die Beamten in Merkels Amt empfehlen laut Vermerk, erst mal sollten die Bundesnetzagentur und die EU-Kommission die Sache prüfen. Politisch hingegen solle man sich zurückhalten. „Quintessenz: Die BReg sollte ihre neutrale Position beibehalten.“ (Mit der Kurzform BReg ist die Bundesregierung gemeint.)
Die neutrale Position bedeutet, das Projekt nur im Stillen zu fördern.
Merkel schreibt zwei Fragen auf den Vermerk, sie sind eher technisch und gelten der europäischen Rechtslage. Außerdem will sie sich mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel beraten, der ein bekannter Verfechter der neuen Pipeline ist. Es gibt in den Unterlagen aus dem Kanzleramt keinen Hinweis darauf, dass sich Merkel gegen das Projekt gestemmt hätte....
In der Folgezeit wird trotz der angeblichen „neutralen Position“ auch nach außen immer deutlicher, dass das Kanzleramt Nord Stream 2 verteidigt. Im Februar 2017 wendet sich etwa ein Vize-Fraktionschef der Union an Kanzleramtschef Peter Altmaier. Der Abgeordnete hat mit ukrainischen Diplomaten gesprochen und teilt deren Bedenken, „auch mit Blick auf die sich verstärkende Abhängigkeit Deutschlands“. Er schickt dem Kanzleramt dazu Fragen, im April liegt dort der Entwurf für eine Antwort des Kanzleramtschefs vor. Darin heißt es: „Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die geplante Erweiterung der Gaspipeline Nord Stream eine unternehmerische Entscheidung der beteiligten Unternehmen ist.“ Und: „Gazprom verfügt (...) über keine Allein-/Monopolstellung.“
Längst hat sich zu dieser Zeit die EU-Kommission den Kritikern angeschlossen. Sie besteht auf strengen Regeln für die neue Pipeline, am liebsten will sie Details direkt mit Moskau aushandeln. Schließlich darf auch in der EU ein Unternehmen, das Gas fördert, nicht zugleich dessen Transporteur sein. Im Kanzleramt sind die Fachleute alarmiert und regen an, dass Außen- und Wirtschaftsministerium bei anderen Mitgliedstaaten werben, „um ein entsprechendes Ratsmandat zu verhindern“. Das Ziel: eine Sperrminorität im Europäischen Rat, die direkte Verhandlungen der EU-Kommission mit Moskau verhindert.
Aber den Beamten im Kanzleramt schwant schon, dass sich Berlin damit nicht beliebt machen würde. Im Juli empfehlen sie, den Plan der Kommission vor allem „kritisch zu hinterfragen“ – „um einen möglichen politischen Schaden einer frühzeitigen, offenen Ablehnung des Ratsmandats zu vermeiden“. Nicht die Haltung Deutschlands ist neutral – es soll nur der Anschein erzeugt werden.
Die Fassade der Neutralität soll nicht einstürzen
Das gilt auch noch, als die EU-Kommission ihre Strategie ändert, auch wegen juristischer Vorbehalte. Stattdessen will sie von Herbst 2017 an die europäische Gas-Richtlinie verschärfen. Wieder wird das Kanzleramt aktiv – zumal viele EU-Staaten dem Vorschlag der Kommission folgen und im Europäischen Rat zustimmen wollen. Im Januar 2018 schlagen Merkels Beamte deswegen Alarm. Eine Sperrminorität gegen die Pläne Brüssels sei nur noch mit „erheblichem politischen Einsatz“ Deutschlands zu erreichen. Dann müsse wohl auch die Kanzlerin selbst eingreifen, schreiben sie.
Laut dem Vermerk wäre eine solche Lobbyarbeit durch Merkel allerdings riskant: „Ein solches Engagement könnte als Parteiergreifen Ihrerseits für Nord Stream interpretiert werden“, steht in dem Vermerk an die Kanzlerin. Die sorgfältig gepflegte Fassade der Neutralität würde also einstürzen. Das Amt bittet Merkel zu entscheiden, ob die Bundesregierung weiterhin Verbündete suchen solle, um eine Einmischung der EU-Kommission zu verhindern. Jetzt kommt es allein auf die Kanzlerin an.
Der Vorgang scheint Merkel länger zu beschäftigen. Mit grüner Tinte macht sie Notizen auf dem Vermerk, am 22., 23. und 25. Januar 2018. Die letzte Notiz an ihr Team lautet: „Bitte die erbetenen Materialien zusammenstellen.“ Die Verschärfung der europäischen Gas-Richtlinie kann Deutschland diesmal nicht verhindern, im Jahr darauf wird sie erlassen.
Im Mai 2018 erreicht die Akte Nord Stream 2 abermals das Kanzleramt, wieder steht eine heikle Entscheidung an. Die Nord Stream 2 AG will nunmehr mit den Arbeiten beginnen und braucht Kredite, um etwa die Stahlröhren zu kaufen. Dafür hat sie beim Bund eine Staatsgarantie beantragt, eine sogenannte Hermes-Bürgschaft. Eigentlich müsste nun der Prozess beginnen, in dem die Ministerien den Antrag begutachten. Doch das Timing ist denkbar schlecht.
Im Hintergrund laufen Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland über den künftigen Gastransit, und Merkel ist für den 18. Mai mit Putin verabredet. Sollte die Bundesregierung vor diesem Treffen die Prüfung einer Hermes-Bürgschaft zusagen, würde es wie ein Geschenk an Putin wirken. „Daher empfehlen wir“, schreiben Merkels Beamte, „die Gutachtenphase erst im Juni einzuleiten“. Merkel setzt in grüner Tinte ein Häkchen neben diese Empfehlung. Außerdem soll noch einmal betont werden, dass die ganze Sache „ergebnisoffen“ sei – schließlich könne die neutrale Position der Bundesregierung durch eine Hermes-Deckung „in Frage gestellt werden“. Und das will im Kanzleramt niemand.
Im Sommer 2020 eskaliert der Streit mit den USA. Im US-Kongress liegt ein Gesetzentwurf für drakonische Sanktionen gegen alle Firmen, die mit dem Bau der Pipeline Nord Stream 2 zu tun haben. Im Kanzleramt gehen etliche Hilfsgesuche ein. Der Energiekonzern Uniper bittet Helge Braun, der nun Kanzleramtschef ist, sich „über alle verfügbaren Kanäle“ gegen neue Sanktionen zu stemmen. Ähnliche Briefe gehen vom Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft ein oder von der CDU-Fraktion Mecklenburg-Vorpommern. Von der Kanzlerin wird erwartet, dass sie für Nord Stream 2 kämpft.
Die Strategie des Kanzleramts: bloß nicht auffallen
Aber das Kanzleramt bleibt bei seiner Strategie: bloß nicht auffallen. In einem Vermerk vom Juni 2020 an die Kanzlerin heißt es, die geplanten US-Sanktionen könnten Nord Stream 2 verzögern. In den USA sei das Klima wegen des bevorstehenden Wahlkampfs aufgeheizt. „Daher erscheinen öffentlichkeitswirksame Reaktionen Deutschlands auf die neuen US-Sanktionspläne derzeit nicht zielführend“, schreiben die Beamten. Eine Reaktion auf die US-Sanktionen solle „vorzugswürdig auf EU-Ebene erfolgen“. Während sich die Bundesregierung also lange gegen jeden Einfluss aus Brüssel gewehrt hat, soll sich nun im Streit mit den USA ausgerechnet Brüssel vor Deutschland stellen.
Die Bundesregierung, so heißt es im Vermerk, solle sich lieber „vorsichtig“ verhalten. „Entsprechend gilt es, die Erwartungen von Nord Stream 2 und der beteiligten Unternehmen bezüglich einer klaren Reaktion der Bundesregierung zu dämpfen.“
Erst im Frühjahr 2021 geht die Bundesregierung wieder auf die USA zu, da ist der neue Präsident Joe Biden im Amt. In einem Vermerk an Merkel vom 18. März heißt es, die Bundesregierung solle schon mal „Gesprächsbereitschaft auch zu Nord Stream 2 zeigen“. Es sollten „Gemeinsamkeiten vorangestellt“ werden; eine Energiepartnerschaft zum Beispiel könne das transatlantische Verhältnis mit einer „Positivagenda“ unterlegen. Die Beamten regen an, dass sich Merkel einbringt. Das Thema könne „gegebenenfalls auch von Ihnen mit US-Präsident Biden erörtert werden“.
Als Angela Merkel im Herbst 2021 abtritt, ist die Gaskrise schon in vollem Gange, während an der Grenze zur Ukraine immer mehr russische Truppenverbände aufmarschieren. Zwei Tage vor der Bundestagswahl fertigen ihre Beamten einen Vermerk. Trotz des „verhältnismäßig niedrigen Füllstands der europäischen Gasspeicher“ sehe das Wirtschaftsministerium keinen Anlass zur Sorge, heißt es darin. Allerdings solle man an Russland appellieren, die Lage am Gasmarkt zu beruhigen – „auch um dem Eindruck zu begegnen, dass Russland zur Durchsetzung von Nord Stream 2 bewusst eine Verknappung herbeiführt“. Spätestens da werden sie sichtbar – die Geister, die auch Merkel mit gerufen hat.

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