Georg Buschmann hier auf LinkedIn 16.5.24
Redaktionsleiter Onvista
Mal nix zur Börse - aber es muss gesagt werden
Stichwort Arbeit: Es gibt ja immer mal wieder den Hot Take, dass wir einfach mal wieder mehr arbeiten müssen und schon lösen sich alle wirtschaftlichen Probleme in Wohlgefallen auf - jüngst zu hören vom neuen #Bundeskanzler. ("Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand unseres Landes nicht erhalten können"). Höre ich als Vier-Tage-Faulpelz natürlich immer ungern.
Ins Feld geführt wird dann gerne der Verweis, dass die durchschnittliche Arbeitszeit je Erwerbstätigem sinkt; zuletzt auf 1.332 Stunden im Jahr laut Statistischem Bundesamt (-9 % seit dem Jahr 2000; lila Chart, rechte Skala). Sind wir also alle faul geworden, wie es gerne suggeriert wird? Die Fakten sprechen eine andere Sprache: Die Zahl der insgesamt in Deutschland geleisteten Arbeitsstunden lag 2024 bei 61,4 Millionen und damit 5 Prozent ÜBER dem Wert von vor 25 Jahren (blauer Chart, linke Skala).
Wie kann das sein? Meine Familie ist da ein gutes Beispiel: Meine Frau und ich arbeiten beide 80 Prozent, um Familie und Job zusammen zu bringen. Das macht in Summe also "160 Prozent". Meine Eltern dagegen haben das klassische Hundert-zu-Null-Modell gefahren. Vater Arbeit, Mutter Hausfrau. Und entsprechend kam genau das heraus: Mein Vater hat mehr (Erwerbs-)Arbeit geleistet als ich, seine (Kern-)Familie insgesamt aber weniger als meine.
Die Tage sind übrigens in all der Zeit gleich lang geblieben. Entsprechend müssen viele Familien, in denen beide Partner in Teilzeit berufstätig sind, die zugunsten von Unternehmen (!!!) im Vergleich zu Alleinverdiener-Ehen zusätzlich geleistete Arbeit an anderer Stelle abknapsen. Und das trifft dann eben die Carearbeit, die man auslagert oder auch nicht und sich dann so irgendwie durchschlägt.
Das klappt bei mir und vielen anderen, die auf verlässliche Betreuung angewiesen sind, derzeit eher schlecht als recht (Stichwort #Kitakrise). Und weil das so ist, ist es auch in vielen Fällen schlicht unmöglich, Vollzeit zu arbeiten - selbst wenn der Wille noch so groß ist.
Dort anzusetzen halte ich deswegen für den besseren Weg, die Zahl geleisteter Arbeitsstunden und übrigens auch die Produktivität zu erhöhen als ständig den alten Geier-Sturzflug-Hit vom In-die-Händespucken zu singen. Oder, um einen noch bescheideneren Wunsch zu äußern: Die sich ändernden Familienmodelle beim Wettern gegen die Vier-Tage-Woche zumindest mal mit erwähnen.
Marcel Fratzscher @mfratzscher.bsky.social 16.5.25
Der Schlüssel für den Arbeitskräftemangel liegt im Abbau der vielen Hürden für die Erwerbstätigkeit von #Frauen, von #Geflüchteten und anderen Menschen aus dem Ausland.
Wir brauchen dringend eine ehrliche Debatte, denn nur über eine deutlich steigende #Zuwanderung und der Abbau von Hürden für Frauen wird sich der Arbeitskräftemangel begrenzen lassen.
Und: Bei vielen schwingt der Vorwurf implizit mit: wir Deutschen seien faul geworden, vor allem junge Menschen wollten nicht ausreichend Leistung bringen.
Die Fakten widerlegen dies sehr eindeutig: nie wurde in Deutschland mehr gearbeitet als in den vergangenen Jahren, die geleisteten Arbeitsstunden haben einen Höhepunkt erreicht. Deutsche sind also nicht faul geworden, sie teilen sich die Arbeit lediglich anders auf.
Kommentar dazu: Christian Himmighoffen
Leiter Presse und Kommunikation / Director Communications bei Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft - hier privat unterwegs!
Wenn Friedrich Merz sagt, wir hätten zu viel "geringqualifizierte Migration" zugelassen, zeigt das, dass er die Probleme nicht wirklich verstanden hat. Wir brauchen nicht nur IT-Fachkräfte, sondern auch Pflegehelfer, Busfahrer, Servicepersonal, Verkäufer und und und, sonst wird es zunehmend schwierig mit der Sicherstellung der Grundversorgung.
Sara Weber hier auf LinkedIn
Bestseller-Autorin, Expertin für Arbeitswelt, KI und Digitalisierung, Speakerin und Moderatorin
Mehr Leistung, mehr Arbeit – das ist eine der Lieblingsforderungen von Friedrich Merz. Ich frage mich: Was meint er mit Leistung eigentlich?
Heute wird Merz in seiner Regierungserklärung auf das Thema Leistung und Arbeit zu sprechen kommen, das hat er schon angekündigt. "Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten", sagte er auf dem CDU-Wirtschaftstag. "Mit Viertagewoche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können."
Mal abgesehen davon, dass dieser Wohlstand nicht bei allen gleichermaßen ankommt: Die Art, wie Politiker wie Merz über Leistung sprechen, ist nicht mehr zeitgemäß. Zum einen, weil mehr Arbeitszeit in einer Arbeitswelt, die von Wissensarbeit geprägt ist, nicht automatisch mehr Leistung bedeutet.
Und weil es abgesehen davon unrealistisch ist, von allen mehr Arbeitszeit zu fordern. Diese Forderung blendet unterschiedliche Lebensumstände und die Existenz von unbezahlter Sorgearbeit aus, die unsere Gesellschaft aufrecht hält. Es ist ganz so, als gäbe es keine Kitakrise. Als wäre unbezahlte Sorgearbeit gerecht verteilt und würde nicht mehr vor allem von Frauen geleistet. Als gäbe es in einer alternden Gesellschaft nicht immer mehr ältere Menschen, die von ihren Angehörigen versorgt werden.
All diese Probleme werden weggewischt, vielleicht auch, weil sie in der Lebensrealität von Menschen wie Merz keine Rolle spielen. Dabei könnten Wirtschaft und Politik hier einiges leisten – für die Gesellschaft. Oder ist diese Art der Leistung nicht gemeint?
Ich habe übrigens schon 2024 in einer Kolumne über dieses Leistungsverständnis von Politikern und Wirtschaftsbossen geschrieben – und seitdem hat sich wenig getan, auch wenn wir jetzt eine neue Koalition haben: https://lnkd.in/gaXt854n (Spiegel+)
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