Sebastian Klein ist 42 Jahre alt, kommt aus Berlin und hat eigentlich alles erreicht, wovon er noch vor wenigen Jahren geträumt hat. Mit der Gründung und dem Verkauf von Blinkist, einem Unternehmen, das Sachbücher in einer App kurz zusammenfasst, hat er ein Vermögen verdient. Trotzdem war er nicht zufrieden und hat sich schlussendlich entschieden, 90 Prozent seines Vermögens zu spenden.
In seinem neuen Buch Toxisch reich (Oekom-Verlag) vertritt Sebastian Klein die These, dass extremer Reichtum der Gesellschaft schadet, da große Vermögen in den Händen einzelner undemokratisch sei. Wie es zu dem Entschluss kam, sein Vermögen aufzugeben, was er jetzt macht und warum eine Pflegekraft besser verdienen sollte als ein Investmentbanker, darüber spricht der ehemalige Millionär im STANDARD-Interview.
STANDARD: Herr Klein, warum haben Sie den Großteil Ihres Vermögens verschenkt?
Klein: Das Wort verschenkt klingt so, als hätte ich das Geld auf der Straße verteilt – so war es aber nicht. Ich bin über einen gewissen Zeitraum immer reicher geworden, weil eine Firma, die ich mitgegründet hatte, erfolgreich wurde und ich zunächst Anteile und irgendwann die ganze Firma verkaufen konnte. In dieser Zeit habe ich bemerkt, was dieses immer reicher werden mit mir macht, und habe das nicht nur als etwas Positives wahrgenommen. Ich fand irgendwann, dass es zu viel Reichtum war, der nur auf mich konzentriert war. Ich habe parallel dazu angefangen, mich mit dem Thema Ungleichheit in Deutschland zu beschäftigen. Österreich ist ja noch ein kleines bisschen ungleicher, was die Vermögensverteilung angeht. Ich war damals ein Teil dieses Problems und wollte lieber Teil der Lösung sein.
STANDARD: Wie hat es sich angefühlt, als Sie plötzlich reich waren? Waren Sie erleichtert, dass Sie sich nie wieder einen Job suchen müssen?
Klein: Das hat sich sehr gut angefühlt. Ich war zuvor ein paar Jahre lang pleite, weil ich mein ganzes Geld in Blinkist und andere Unternehmen investiert habe, die ich gegründet habe. Ich wusste oft nicht, wie ich meine Miete bezahlen soll. Als ich dann zum ersten Mal Blinkist-Anteile verkaufen konnte, hatte ich auf einmal nicht mehr null Euro auf dem Konto, sondern ein paar Hunderttausend. Ich habe mich auf einmal sicher gefühlt, weil ich genug Geld hatte. Ich habe mich dann immer mehr mit Geld und den Möglichkeiten, die dadurch entstehen, beschäftigt und bemerkt, dass sich das für mich nicht gut anfühlt. Ich wünsche mir, in einer Gesellschaft zu leben, in der viele Menschen dieses Gefühl von Sicherheit haben. Das ist viel wichtiger, als dass Einzelne sich unbegrenzt bereichern können.
STANDARD: Wann war dann der Moment, in dem Sie sich entschieden haben, Ihr Vermögen aufzugeben?
Klein: Das ist jetzt gute zwei Jahre her. Damals wurde Blinkist von einer Firma komplett gekauft. Ich habe mir dann überlegt, was ich mit diesem Vermögen machen möchte, und beschlossen, zehn Prozent zu behalten. Mit diesem Privatvermögen fühle ich mich sicher.
STANDARD: Wie viel Geld haben Sie jetzt noch übrig?
Klein: Ich habe mir von gut fünf Millionen zehn Prozent behalten.
STANDARD: Von einer halben Million kann man nur eine bestimmte Zeit leben. Womit verdienen Sie jetzt Ihr Geld?
Klein: Weiter arbeiten und Geld verdienen zu müssen, war eine bewusste Entscheidung. Als ich Ende 20 war, dachte ich, es gibt nichts Besseres, als spätestens mit Ende 30 nicht mehr arbeiten zu müssen. In den letzten Jahren habe ich aber nur Arbeiten übernommen, die sich für mich sinnvoll anfühlen und die ich gerne mache. Vor sechs Jahren habe ich das unabhängige Medienunternehmen Neue Narrative gegründet, das ein alternatives Wirtschaftsmagazin herausgibt.
Da bin ich involviert, und bei der Organisation Karma Capital bin ich angestellt. Das ist eine Organisation, aus der heraus wir Medienförderung, Medieninvestments und Investments in Verantwortungseigentum machen. Ich habe auch ein Buch geschrieben und bin ehrenamtlich bei Taxmenow aktiv. Meine Woche ist also relativ voll.
STANDARD: Wie haben Sie Ihr Vermögen verteilt?
Klein: Ich habe das ganze Geld in eine gemeinnützige Organisation gesteckt. Gemeinsam mit einem Team überlegen wir, welche Projekte wir fördern, um einen möglichst großen Nutzen zu schaffen. Für den Anfang sind wir jetzt bei zwei Themen gelandet, das sind einerseits journalistische Medien, die dazu beitragen, dass unsere Demokratie besser funktioniert. Das zweite Thema ist Verantwortungseigentum. Dabei wird Eigentum in Firmen anders organisiert, um Ungleichheit zu reduzieren.
STANDARD: Wie entscheiden Sie, welche Medien unterstützt werden?
Klein: Wir haben den Media Forward Fund mitgegründet. Das ist ein Förderfonds in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Darin entscheidet eine Jury, welche Medien unterstützt werden sollen. Ich habe auf diese Entscheidung keinen Einfluss. Ergänzend dazu setze ich mit einem kleinen Team gerade noch einen Fonds auf, der in Medienfirmen investiert. Das heißt, Geld fließt hinein und soll auch wieder zurückfließen, aber nicht um mich oder irgendjemanden anderen reicher zu machen, sondern einfach nur um dieses Geld mehrfach investieren zu können. Da bin ich in Entscheidungen involviert, aber nicht allein. Ich habe da eine Stimme von mehreren.
STANDARD: Sie haben die Möglichkeit, diese Entscheidungen zu treffen, einzig und allein, weil Sie einmal Multimillionär waren. Sehen Sie das als problematisch an?
Klein: Absolut. Wir haben derzeit ein System, in dem Menschen, die reich und privilegiert sind, eine starke Stimme haben. Sie haben wirtschaftliche Macht, politische Macht, mediale Macht – und ich bin ein Teil davon. Ich versuche meine Stimme und meine Möglichkeiten gut zu nutzen, aber das denken ja alle. Andere reiche Menschen denken auch, dass sie es richtig machen. Insgesamt ist das System nicht demokratisch. In demokratischen Systemen wären auch nicht alle gleich, auch darin hätte nicht jeder die gleichen wirtschaftlichen Möglichkeiten, aber zumindest hätten alle einigermaßen gleiche Mitgestaltungsmöglichkeiten.
STANDARD: Sie hätten das Geld auch in einen Fonds geben und komplett aussteigen können. Warum haben Sie das nicht gemacht?
Klein: Es ist eine Struktur angelegt, aus der ich gut aussteigen kann. Ich bin nicht Eigentümer auf Dauer oder habe irgendeine Möglichkeit, an der Macht festzukleben. Es ist auch mein Ziel, auszusteigen. Für mich ist es ein unternehmerisches Projekt. Ich habe schon oft Organisationen aufgebaut und sehe das jetzt als meine Rolle. Aber wenn ich in zehn Jahren immer noch hier sitze und Entscheidungen treffe, habe ich etwas falsch gemacht.
STANDARD: Ihre zweite Investition neben Medienprojekten sind Firmen in Verantwortungseigentum. Was ist das?
Klein: Firmen in Verantwortungseigentum gehören sich selbst beziehungsweise einer gemeinnützigen Stiftung und werden treuhänderisch geführt. (Anm.: Gewinne und entstandenes Vermögen bleiben im Unternehmen.) In dieser Struktur wird der Milliardärserbe überflüssig. Diese Firmen sind der Gegenentwurf eines klassischen Shareholder-Value-Modells, bei dem es nur darum geht, dass der Shareholder eine möglichst hohe Rendite aus dem Unternehmen zieht. Das führt dazu, dass Firmen häufig keinen Klimaschutz betreiben, sondern Greenwashing. In einer Struktur, in der die Firma sich selbst gehört und nicht dem externen Shareholder verpflichtet ist, kann man gut Klimaschutz betreiben und Entscheidungen treffen, die vielleicht kurzfristig wirtschaftlich nicht so toll sind, ohne dass der Shareholder den CEO rausschmeißt, was in klassischen Shareholder-Value-Firmen oft passiert. Ich habe solche Firmen schon gegründet und bin überzeugt davon, dass diesen Teil der Wirtschaft zu stärken, einen sehr großen Beitrag zu einer größeren Transformation haben könnte.
STANDARD: Wie unterstützen Sie diese Firmen?
Klein: Diese Firmen kommen schwieriger zu Kapital. Das brauchen sie aber, um wettbewerbsfähig zu sein. Wir haben einen Fonds gegründet und investieren somit Geld, außerdem bringen wir auch andere Menschen dazu, zu investieren.
STANDARD: In Ihrem Buch Toxisch reich vertreten Sie die These, dass sich extremer Reichtum und Demokratie ausschließen. Wann ist jemand extrem reich?
Klein: Ich will mich nicht auf eine Zahl festlegen. Wir müssten als Gesellschaft definieren, ab wann es zu viel wird. Wir müssen aber darüber reden, wie es eigentlich sein kann, dass nur 0,1 Prozent der Deutschen ein Fünftel des Gesamtvermögens besitzen. Das ist extremer Reichtum und eine krasse Vermögenskonzentration.
STANDARD: Und warum schließt extremer Reichtum nun Demokratie aus?
Klein: Als ich das Buch letztes Jahr geschrieben habe, dachte ich, dass das eine provokative These wäre und dann kam die Wahl von Trump und Musk. Wir sehen seither jeden Tag, was passiert, wenn einzelne Menschen so mächtig sind, dass sie sich die Politik kaufen können. In Deutschland gibt es das nicht, da sind sehr reiche Menschen sehr unsichtbar. Die haben natürlich trotzdem wirtschaftliche, politische und mediale Macht. Viele Medien gehören sehr reichen Menschen, und die Verbindungen zu den Parteien sind eng. In Deutschland gibt es viele Lobby-Organisationen, die einen großen Einfluss auf die Politik haben und die oft so klingen, als wären sie gemeinwohlorientierte Organisationen.
Wir haben den Bund der Steuerzahler und die Stiftung Familienunternehmen. Das klingt nett, in Wahrheit werden aber die Interessen der ganz Reichen vertreten. Wir haben in einer Demokratie eine Stimme pro Person, aber ein System, in dem eigentlich längst ein Euro / eine Stimme gilt.
STANDARD: Sie sprechen sich für ein Grunderbe für alle aus und wollen, dass junge Erwachsene, die nichts erben, ein Startkapital bekommen. Die Staatskassen in Österreich und Deutschland sind aber alles andere als prall gefüllt. Wer sollte das bezahlen?
Klein: Die Staatskassen sind leer, weil der Staat sich entschieden hat, die reichen Menschen nicht mehr in die Verantwortung zu nehmen, Steuern zu zahlen. In Deutschland sind die Milliardäre heute dreimal so reich wie vor zehn Jahren. Das geschätzte Privatvermögen liegt bei 20 Billionen Euro. Da wäre also wahnsinnig viel Geld da und die Summen, über die wir reden, um ein Grunderbe zu finanzieren, sind ja Peanuts für diese Vermögenden.
STANDARD: Sehen Sie es nicht als ungerecht an, einzelne Personen zu besteuern, damit sich die Staatskassen füllen?
Klein: Das Steuersystem ist derzeit darauf ausgelegt, dass Menschen, die mit ihrer Arbeit Geld verdienen, sehr viel davon in Form von Steuern abgeben. Diejenigen, die bereits ein Vermögen haben oder erben, müssen aber nur sehr wenig oder gar nichts davon abgeben. Das Steuersystem geht also zulasten derer, die von Arbeit leben. Ich finde das unfair, darüber kann man aber natürlich streiten.
STANDARD: Ihrer Meinung nach ist die ökonomische Ungleichheit das größte gesellschaftliche Problem unserer Zeit.
Klein: Wir haben natürlich sehr viele Krisen in der Welt. Die ökonomische Ungleichheit hat aber das größte Potenzial, unsere Gesellschaft zu spalten. Das ist für mich die größte Bedrohung für die Demokratie. Die Ungleichheit wird immer größer und gleichzeitig haben extremistische, antidemokratische Parteien starken Zulauf. Das ist sicher kein Zufall. Ich bin nicht der Meinung, dass man den Erfolg rechtsextremer Parteien allein über die Ungleichheit erklären kann, aber sie trägt auf jeden Fall dazu bei.
STANDARD: Wie sieht Ihre Vorstellung einer gerechten Vermögensverteilung aus?
Klein: Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der alle Menschen die Möglichkeit haben, reich zu werden, wenn sie sich anstrengen und die erforderliche Leistung erbringen. Momentan ist das nicht gegeben. Deswegen sollte Vermögen ab einer gewissen Größe besteuert werden, damit das Geld wieder in die Gesellschaft zurückfließt. Dann kann fairer Wettbewerb stattfinden. Wenn wir unsere Wirtschaft transformieren wollen, brauchen wir auch neue Eigentumsformen wie das Verantwortungseigentum. Was ich außerdem bedauerlich finde, ist, dass Berufe, die wichtig sind für eine Gesellschaft, auch die Berufe sind, die meistens schlecht bezahlt sind. Das umzukehren und in einer Gesellschaft zu leben, in der eine Pflegekraft besser verdient als ein Investmentbanker, ist jetzt vielleicht ein bisschen utopisch, aber als Idealvorstellung würde ich es mir wünschen.
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