Spiegel hier Von Markus Becker, Benedikt Müller-Arnold, Michael Sauga und Stefan Schultz 23.05.2025
20 Gigawatt neue Gaskraftwerke will Wirtschaftsministerin Katherina Reiche bauen lassen. Doch nach ihrem Treffen mit EU-Vizekommissionschefin Teresa Ribera wird klar: Es gibt Widerstand gegen ihr geplantes Gesetz.
Die neue Wirtschaftsministerin hatte auf eine schnelle Lösung gehofft. Anfang der Woche empfing Katherina Reiche (CDU) die EU-Vizekommissionschefin Teresa Ribera in ihrem Ministerium. Ribera ist für den klimafreundlichen Umbau von Europas Wirtschaft zuständig – und für die Wahrung eines fairen Wettbewerbs.
Zwei Ziele, die in der Energiepolitik oft in Konflikt stehen. So auch Anfang der Woche beim Spitzengespräch der beiden Politikerinnen.
Reiche hat mit Deutschlands Energieversorgung einiges vor. Bis zu 20 Gigawatt an neuen Gaskraftwerken will sie bauen lassen, als Backup für die schwankende Ökostromversorgung. Die Ausschreibungen dafür sollen nach ihrem Willen »so schnell wie möglich« beginnen.
Nach SPIEGEL-Informationen sollte es zwischenzeitlich einmal ganz schnell gehen. Die Fachebene des Ministeriums sei angewiesen gewesen, das Treffen zwischen Reiche und Ribera gut vorzubereiten, heißt es in Berlin. Man habe möglichst schon hier »den Sack zumachen« wollen.
Das hat ganz offensichtlich nicht geklappt. Bei dem Gespräch seien zwar viele Themen gestreift worden, heißt es. Doch tiefergehende Details habe man nicht besprochen. Ein Toptreffen, bei dem die Chefs nur letzte strittige Punkte abräumen, war das nicht.
Entsprechend höflich, aber nichtssagend kommentierte Ribera das Gespräch. »Wir müssen unsere Kräfte bündeln«, sagte sie hinterher vor Journalistinnen und Journalisten. Aber auch: »Wir dürfen nicht in unterschiedliche Richtungen laufen.«
In Brüssel ist zu hören, Ribera habe sich von Reiche zwar ihre Pläne erläutern lassen, aber nicht gesagt, wie sie diese finde. Es sei aber kaum vorstellbar, dass Brüssel die deutschen Vorschläge einfach schlucke. Denn sie unterlaufen die EU-Leitlinien für Energiebeihilfen.
Laut diesen müssen Staaten erst nachweisen, wie groß ihr tatsächlicher Bedarf an neuen Kraftwerken ist, ehe es eine Genehmigung gibt. Und sie müssen ihre Versorgung technologieoffen absichern. Beides erfüllt Reiches Plan nicht.
Schon Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) hatte sich an diesen Auflagen abgekämpft. Seine Leute hatten erst nach zähem Ringen einen Kompromiss mit Brüssel gefunden.
Fünf Gigawatt an neuen Gaskraftwerken wollte die Kommission ihm 2024 im Sinne der Versorgungssicherheit genehmigen. Im Gegenzug sollte für fünf weitere Gigawatt an neuen Gaskraftwerken die Auflage gelten, dass sie acht Jahre nach Inbetriebnahme auf Wasserstoff umgestellt werden. Hinzu kommen sollten 0,5 Gigawatt an neuen Kraftwerken, die sofort mit Wasserstoff laufen, und die Umrüstung von zwei Gigawatt bestehender Gaskraftwerke auf Wasserstoff.
Erst diese Gesamtlösung galt damals in Brüssel als akzeptabel. Und das auch nur, weil für die wasserstofffähigen Kraftwerke andere beihilferechtliche Vorgaben gelten. Sie dienen laut EU-Richtlinien nicht primär der Versorgungssicherheit, sondern der Dekarbonisierung. Und hierfür muss weder der genaue Bedarf an Versorgungsleistung nachgewiesen werden, noch gilt das Primat der Technologieoffenheit.
Fast das ganze vergangene Jahr gab es hitzige Diskussionen zu diesem Thema. Erst im November legte das Wirtschaftsministerium einen Referentenentwurf vor; doch kurz zuvor war die Koalition zerbrochen, das Gesetz kam nicht mehr durch den Bundestag.
Die schwarz-rote Koalition unternimmt nun einen neuen Anlauf. Und der kommt aus Sicht vieler Beobachter einem Affront gleich. Statt fünf Gigawatt reiner Gaskraftwerke sollen es nun bis zu 20 Gigawatt sein. Von einer Umstellungsfrist auf Wasserstoff ist im Koalitionsvertrag keine Rede mehr.
Die neue Regierung agiere so,
als hätte es die Diskussionen des vergangenen Jahres
nicht gegeben, heißt es in Unternehmenskreisen.
Man finde das einigermaßen befremdlich.
Schwarz-Rot hofft offenbar, ebenfalls einen Teil der 20 Gigawatt als Dekarbonisierungsmaßnahme zu deklarieren. Die geplanten Kraftwerke sollen dafür mit sogenannter CCS-Technologie bestückt werden. Dank ihr ließe sich ausgestoßenes CO₂ in unterirdischen Lagerstätten sammeln.
In Brüssel gilt CCS tatsächlich als Dekarbonisierungsmaßnahme. In der Energiebranche aber gilt diese Technologie als teuer und unausgereift. Es dürfte kaum Firmen geben, die solche Kraftwerke schon jetzt von sich aus bauen würden, heißt es bei einem Versorger. »Wenn das wirklich die Brücke zu Brüssel werden soll, dürften sich die Unternehmen das teuer entlohnen lassen.« Im Sinne der Steuerzahler wäre das sicher nicht.
Problematisch ist auch, dass die neuen Verhandlungen mit Brüssel Zeit kosten. Das Backup wird dringend gebraucht, weil im Rahmen der Energiewende demnächst viele alte Kraftwerke vom Netz gehen sollen. Der Bau der neuen Kraftwerke aber dürfte vier bis sechs Jahre dauern.
Besonders lange Gespräche mit Brüssel kann sich die neue Regierung nicht erlauben. Deutschlands größter Energieverband, der BDEW, rät Reiche zu Pragmatismus. Sie sollte einfach einen Großteil des Ampelplans übernehmen, schreibt der Verband sinngemäß in einer Presseerklärung.
NTV hier Von Sebastian Huld 24.05.2025
Reiches Angriffe auf Wärmepumpen werfen Fragen auf
Kaum im Amt stiftet Wirtschaftsministerin Katherina Reiche reichlich Unruhe: Vorschriften zu Heizungsumrüstung sollen weg, Gaskraftwerke her. Die Opposition erinnert an Reiches Vergangenheit als Chef-Lobbyistin, die SPD wirkt zerknirscht.
Ist die neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche der verlängerte Arm der Gaslobby im Bundeskabinett? "Ich glaube, dass Frau Reiche auch innerhalb der Verabredung des Koalitionsvertrags handelt und nicht als Lobbyistin in dieser Bundesregierung tätig ist", beantwortete Friedrich Merz' Regierungssprecher Stefan Kornelius zu Wochenbeginn eine Journalistenfrage zu entsprechenden Vorwürfen.
Die CDU-Politikerin hatte zuvor höchstselbst ihre berufliche Vergangenheit in den Vordergrund gerückt, auch wenn es ihr darum nicht gegangen sein sollte. Reiches bisher präsentierte Lösungen für Deutschlands künftige Energieversorgung oder für die Zukunft des von ihr abzuschaffenden Heizungsgesetzes lauteten nämlich auffällig oft: Gas geben!
Reiche ist tatsächlich so etwas wie die Abrissbeauftragte der Union für das von CDU, CSU und anderen so oft verfluchte Gebäudeenergiegesetz ihres Amtsvorgängers Robert Habeck. Das landläufig als Heizungsgesetz bekannt gewordene Konvolut aus Einzelregelungen und Förderrichtlinien "werden wir abschaffen", heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Das bedeutete, eins zu eins das Wahlversprechen der Kanzlerpartei umzusetzen. "Das Heizungsgesetz werden wir zurücknehmen", versprach der jetzige Unionsfraktionschef Jens Spahn im Bundestagswahlkampf. Der damalige Kanzlerkandidat Merz kündigte im Dezember an: "Wir werden die alten Regeln wieder in Kraft setzen." Reiche aber will offenbar noch weiter gehen.
"Es gibt de facto ein Betriebsverbot für Gasthermen, die vor 1991 eingebaut wurden. Zunächst müssen wir dieses Betriebsverbot abschaffen", sagte Reiche bei "Table Media". Sie wolle so "wieder Ruhe in den Markt" bekommen. Malte Kreutzfeld, Journalist beim selben Medium, rechnete nach: Gerade einmal 16.100 von 19 Millionen Öl- und Gasheizungen in Deutschland fallen unter das Verbot - macht 0,1 Prozent. Weil aber Reiche nach Angaben ihres Ministeriums mit der Verbotsaufhebung nur die alten Gasheizungen gemeint habe, fällt die Zahl der betroffenen Heizkörper noch geringer aus. Nicht gerade ein Faktor, der "Unruhe" in so einen großen Markt bringen sollte.
Ferner hat das Verbot nichts mit dem berühmt-berüchtigten Habeck-Gesetz zu tun. Im Gespräch mit ntv.de erinnert Grünen-Energiepolitikerin Julia Verlinden daran, dass das Betriebsverbot für diese Heizungen noch unter der alten schwarz-roten Bundesregierung, sprich mit Stimmen der Union, beschlossen worden war. "Das war richtig, auch im Sinne des Verbraucherschutzes, weil diese sehr alten, ineffizienten Gasheizungen nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen, mit hohen Kosten verbunden und daher unwirtschaftlich sind." Diese Regelung nun aufzuheben, gehe über Merz' Versprechen hinaus, "die alten Regeln" wieder in Kraft zu setzen.
Aus der Regierung in die Wirtschaft und zurück
Anders als manch andere Bundesminister, die ihr Ressort ohne vertiefte Kenntnis der Materie übernommen haben, gilt für Reiche kein Welpenschutz. Sie weiß, wovon sie spricht. Nach 17 Jahren im Deutschen Bundestag war die Brandenburgerin 2015 an die Spitze des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) gewechselt, der die Interessen der kommunalen Energie-, Wasser- und Entsorgungsunternehmen vertritt. Die Stimme des VKU hat Gewicht, wann immer im Bund neue Gesetze und Verordnungen diskutiert werden. 2020 folgte der nächste Karriereschritt: Reiche wurde Vorstandsvorsitzende der Eon-Tochtergesellschaft Westenergie, der nach eigenen Angaben größten regionalen Betreiberin von Verteilnetzen für Wasser, Gas, Strom und Internet.
Angesichts so viel Expertise verwunderte daher auch Reiches Ankündigung im Interview mit dem "Handelsblatt", es müsse "Schluss sein mit dem Zwang zur Wärmepumpe". Das Gesetz schreibt vor, dass seit 2024 neu verbaute Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben werden müssen. Das kann mit einer Vielzahl an Technologien erreicht werden. Ende 2044 schließlich erlischt die Betriebserlaubnis für alle mit Öl und fossilem Gas befeuerten Heizungen. Das wiederum ist nur logisch: Deutschland - diesem Ziel hat sich auch die Union verpflichtet - will ab 2045 klimaneutral sein und ist ab 2050 durch internationale Verträge dazu verpflichtet.
"Sehr populistische und auch falsche Aussagen"
Wer bringt also gerade Unruhe in den Markt? Die Grünen-Abgeordnete Verlinden sieht diese Rolle eher bei Reiche: "Die betroffenen Branchen kritisieren zu Recht, dass die neue Energieministerin zum Teil Dinge behauptet, die so nicht stimmen. Einen sogenannten Wärmepumpenzwang, den sie abschaffen will, findet sich in keinem Paragraphen im Gebäudeenergiegesetz." Auch ist die Unruhe und die von der Union behauptete Ablehnung der Wärmepumpe relativ. Der Bundesverband Wärmepumpe (BWP) meldet nach dem deutlichen Einbruch im letzten Jahr für das erste Quartal einen um 35 Prozent gestiegenen Absatz und prognostiziert für das laufende Jahr, trotz Wirtschaftskrise, 220.000 verkaufte Wärmepumpen in Deutschland.
Von den 500.000 neu verbauten Wärmepumpen pro Jahr, die Habeck als Ziel ausgegeben hatte, ist das ein gutes Stück entfernt, doch zumindest haben sich nach Einschätzung des BWP die von der Ampelregierung eingeführten Fördermaßnahmen in Form staatlicher Zuschüsse inzwischen bewährt. "Frau Reiche bringt mit diesen zum Teil sehr populistischen und auch falschen Aussagen sehr viel Unruhe in den Markt, dabei brauchen die Menschen und Unternehmen zuverlässige Rahmenbedingungen und Planbarkeit", sagt Verlinden.
Vom sozialdemokratischen Koalitionspartner kommt zum Thema bisher zumeist beredtes Schweigen. Auf Nachfrage von ntv.de sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, immerhin: "Die Heizungsbranche sagt, man kann mit dem Gesetz mittlerweile arbeiten." Die Diskussion über die Wärmepumpe müsse die Regierung hinter sich lassen. Es seien allenfalls "kleine Änderungen" nötig, so Wiese. "Oberstes Prinzip, das ist das, was das Handwerk zurückmeldet, ist Planungssicherheit." Wie passt das zum Satz im Koalitionsvertrag, das Gesetz werde abgeschafft?
Die Förderkulisse wackelt
Plus: Was anstelle des Heizungsgesetzes kommen soll, weiß offenbar noch niemand so recht. Reiche sagt, sie wolle künftig gar keine Heiztechnologie mehr vorschreiben und stattdessen die CO2-Einsparpotenziale eines Gebäudes in den Blick nehmen. Wie die Eigentümer diese Einsparungen erreichen, solle ihnen überlassen bleiben. Damit steht aber auch die laufende Förderkulisse von bis zu 70 Prozent staatlichen Zuschüssen zur Umrüstung auf der Kippe. Denn die Förderungen sind an die existierenden Vorgaben gebunden.
Reiche müsste also das ganze Paket neu schnüren. Dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Matthias Miersch schlackern heute noch die Ohren beim Gedanken, wie kompliziert die Verhandlungen hierzu mit Grünen und FDP waren. Ist das gerade wirklich oberste Priorität einer Regierung, die sich doch ganz der schnellen Rückkehr zu einer wachsenden Wirtschaft verschrieben hat?
Zumal auf die eingeführten Fördermaßnahmen wird insbesondere die SPD nicht verzichten wollen. Ab 2027 wird der Emissionshandel EU-weit auf Heizenergieträger wie Öl und Gas ausgeweitet. Die Preise dürften weiter steigen. Grüne und Sozialdemokraten hatten deshalb das Heizungsgesetz nicht zuletzt als Kostenbremse im Sinne der Verbraucher beworben.
Und während die neue Bundesregierung Stromkosten weiter absenken will und der anhaltende Boom der Erneuerbaren deren Preis auch weiter senken dürfte, wird der Preis für Öl und Gas absehbar nur nach oben gehen - heftige Ausschläge durch geopolitische Ereignisse wie dem russischen Angriffskrieg inbegriffen.
Kommt "Lord Voldemort der Energiewende" zurück?
Aufhorchen lässt auch eine Personalie im Zusammenhang mit dem Heizungsgesetz: Abteilungsleiterin Wärme in Reiches Ministerium soll Stephanie von Ahlefeldt werden. Das Wirtschaftsministerium will die Ernennung bisher nicht bestätigten, doch die Vertraute von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hatte schon einmal im Bundeswirtschaftsministerium unter Peter Altmaier gearbeitet und damals an den Verhandlungen über den Kohleausstieg mitgewirkt. Der Gegenseite ist von Ahlefeldt als Hardlinerin in Erinnerung geblieben. In Anspielung auf den "Harry-Potter"-Bösewicht bezeichnete ein Grünen-Politiker von Ahlefeldt einmal als "Lord Voldemort der Energiewende".
Gasversorger mögen die mögliche Berufung von Ahlefeldts dagegen mit Wohlwollen zur Kenntnis nehmen. Sowohl den Kraftwerks- als auch den Netzbetreibern droht infolge des Heizungsgesetzes ein echtes Problem: Die Gasnetze verlieren an Wert. Und je mehr Menschen vom Gas weggehen, desto höher werden die Netzentgelte für die verbliebene Kundschaft, was weitere Kunden Richtung alternativer Heizquellen verprellen könnte. Die auf Lobby-Betreiben von der FDP forcierte Öffnung des Heizungsgesetzes für Wasserstoffheizungen erweist sich bislang als Fata Morgana: Weder gibt es absehbar genügend günstigen Wasserstoff am freien Markt, noch steht bisher ein konsistenter Fahrplan für eine Umstellung der Gasnetze auf Wasserstoff.
Was diesen aber einen Schub geben könnte, wäre die Öffnung für Wasserstoff, der nicht nur aus erneuerbaren Energien wie Wasser, Wind und Solar gewonnen wird. Längst wirbt Reiche, die sich schon in der Vergangenheit positiv zur Rückkehr zur Atomkraft geäußert hatte, dafür, die Markteinführung des Wasserstoffs zu befördern, indem auch Wasserstoff genutzt wird, der aus Atomstrom und Gaskraftwerken gewonnen wurde. Darüber stritt Reiche in Woche drei der Bundesregierung bereits öffentlich mit Umweltminister Carsten Schneider.
Rückkehr der Gaskraftwerke
Zudem meldete Reiche einen Bedarf an neuen Gaskraftwerken mit einer Gesamtkapazität von 20 Gigawatt an. Das wäre weit mehr, als zur Abfederung sogenannter Dunkelflauten gebraucht würde - jenen Zeiten also, in denen Solar- und Windkraft den Bedarf nicht abdecken können. Julia Verlinden ist das Motiv dahinter unverständlich: "Strom aus Gas senkt nicht die Energiepreise, sondern verteuert sie."
Unter Habeck wurde noch mit weit weniger neuen Gaskraftwerken geplant und auch nur verbunden mit der Auflage, dass diese perspektivisch auf Wasserstoff umrüstbar sind, sobald dieser ausreichend und günstig am Markt ist. Von dieser Auflage scheint Reiche nun abzurücken und nimmt dafür wohl auch Konflikte mit der EU-Kommission in Kauf.
Der SPD-Abgeordnete Wiese weist auf Nachfrage den Gaslobby-Vorwurf gegen Reiche zurück. "Es ist schon sehr fraglich, ob Frau Reiche die nötige Distanz mitbringt, um unabhängig von den wirtschaftlichen Interessen der Gaslobby über wichtige Fragen der Energiepolitik zu entscheiden", sagt dagegen Verlinden mit Blick auf Reiches bisherige Einlassungen. Dass die Grünen-Politikerin die einstige Gas-Unternehmerin kritisch sieht, überrascht weniger als die Tatsache, dass Reiche ihren Gegnern gleich zu Beginn ihrer Amtszeit reichlich Futter gibt, ohne dabei ihre Überlegungen zu konkretisieren.
Vielleicht ist das aber auch so gar nicht nötig. Am Mittwoch tagt erstmals der Koalitionsausschuss, um den Fahrplan bis zur Sommerpause festzuzurren. Auf Reiches kommen große Aufgaben zu: Die Strompreise sollen schnell runter, die Bürokratiekosten ebenfalls. Merz mag das Heizungsgesetz im Wahlkampf noch wichtig gewesen sein. Ob er aber das Thema mit seiner Sprengkraft für den Koalitionsfrieden aber wirklich weiter forciert oder Reiche nicht mit anderen prioritär zu beackernden Aufgaben befasst, wird sich schnell zeigen. Zumindest die Aufmerksamkeit ihrer Gegner hat sich Reiche in ihren ersten Wochen im Amt gesichert.
Christoph Bautz hier
Geschäftsführender Vorstand Campact bei Campact e.V.
Keinen Monat im Amt und CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche reiht einen Dammbruch an den nächsten. Erst redet sie von “mindestens 20 Gigawatt” fossilen Gaskraftwerken, dann erfindet sie den “Zwang der Wärmepumpe”, den es abzuschaffen gilt. Und jetzt verkündet sie einen neuen Pro-Atom-Kurs in Europa.
Reiche schafft damit nicht nur neue fossile Tatsachen hierzulande, sondern öffnet mit ihrer Ankündigung in Brüssel die Tür für extrem teure Subventionsflüsse in die Atomkraft. Die Gelder werden dann bei Batteriespeichern, europäischen Stromnetzen oder den Erneuerbaren fehlen. Gleichzeitig torpediert Reiche damit die europäische Energiewende insgesamt.
Ihr Kalkül? Ihr geht es um neue “Mini-AKWs” - sogenannte Small Modular Reactor (SMR). Diese sind aber weder wirtschaftlich noch ein wichtiger Baustein in der Energiewende. Im Gegenteil. Atomkraft birgt schwer beherrschbare Risiken, schafft ungelöste Entsorgungsprobleme und unterscheidet sich grundlegend von der Funktionsweise der Erneuerbaren: Sie können mit ihrer ununterbrochenen Stromproduktion nicht die wechselnde Erzeugung der Erneuerbaren ausgleichen. Diese Probleme bleiben auch bei SMRs bestehen.
Reiche scheint aber vor allem Frankreich einen Gefallen tun zu wollen. Mit der Einstufung als “nachhaltig” kann Frankreich seine atomaren Schrottmeiler günstiger instand setzen. Das Land hat über Jahrzehnte sich zu wenig um die Nachrüstung der alten Atommeiler gekümmert und parallel Investitionen in die Erneuerbaren zurückgehalten.
Vor einiger Zeit kündigte Frankreichs Präsident Macron an, sechs neue Reaktoren bauen zu wollen. Kostenpunkt laut französischen Rechnungshof: Fast 80 Milliarden Euro! Hinzu kommen die Instandhaltungskosten der bestehenden Meiler. Die Kosten sind jetzt schon nicht zu stemmen, weshalb Frankreich den Energieversorger EDF kurzerhand verstaatlichte. Sprich: Frankreichs Atomkraft ist ein Subventionsloch ohnegleichen.
Reiche öffnet diesem Loch nun Tür und Tor und das für eine atomare Technologie, die kaum ein anderes EU-Land wirklich will und die für unsere Energiewende pures Gift wäre. Um es anders zu sagen: CDU-Wirtschaftsministerin Reiche setzt die Axt an die Energiewende an. Das können wir uns angesichts der fossilen Abhängigkeit zu Putin, Trump oder anderen autokratischen Ländern aber nicht leisten.
Das alles ist schon schlimm genug, aber das ist nicht alles. Reiche scheint selbst in Berlin für große Verwirrungen zu sorgen. Ihr Koalitiontskollege von der SPD, Umweltminister Carsten Schneider, widerspricht Reiches Atomkurs-Plänen direkt. Gut so, aber für die junge Koalition bahnt sich hier bereits der nächste Streit an. Erst kürzlich kündigte Merz an, das europäische Lieferkettengesetz abschaffen zu wollen – und brachte die SPD auf die Barrikaden.
All das hinterlässt mich mit großen Fragezeichen. Denn Reiche untergräbt das Vertrauen in einen notwendigen energiepolitischen Kurs - in Zeiten, in denen wir eine bürgernahe Energiewende dringender denn je brauchen
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