hier Jonas Schaible Mai 03, 2025
Ich möchte kein Eisbär sein, ich möchte eine Zukunft
Warum das Heizungsgesetz zum schlechtesten Zeitpunkt kam und es keinen besonders guten oder schlechten Zeitpunkt gibt, die AfD als rechtsextrem einzustufen.
Diese Woche endete mit einer ziemlich großen Nachricht: Der Verfassungsschutz stuft die AfD in Gänze als »gesichert rechtsextremistische Bestrebung« (+) ein.
Zum Zeitpunkt des AFD-Verbots....
Überraschend ist das nur teilweise. Hätte Christian Lindner nicht die Regierung zu stürzen geplant, wäre die Hochstufung wohl schon früher gekommen. Aber mitten im Bundestagswahlkampf galt das als politisch zu heikel.
Als heikel wird auch dieser Zeitpunkt wahrgenommen – in den letzten Tagen der alten Regierung. Man kann sich ausmalen, wie das alles raunend gedeutet werden wird. Der US-Außenminister Marco Rubio hat sich schon eingeschaltet und in schlechtester Tradition dieser Trump-II-Regierung die »Tyrannei« ausgerufen.
Man sollte sich von alldem nicht verrückt machen lassen. Die entscheidende Frage lautet nicht: Kann die AfD aus Entscheidung und Zeitpunkt eine Opferlegende bauen? Das wird sie sowieso tun.
Die entscheidende Frage lautet: Ist die Entscheidung sachlich gerechtfertigt und ist der Zeitpunkt nüchtern betrachtet in Ordnung?
Es gibt keinen unpolitischen Moment und keine unpolitische Art, eine so genuin politische Tatsache zu verkünden wie die: Eine der größten Parteien dieses Landes hat von jetzt an als rechtsextrem zu gelten (natürlich wird sie gegen die Einstufung klagen).
Es gibt keine unkontroverse Möglichkeit für eine wehrhafte Demokratie, sich mit einer Partei auseinanderzusetzen, die die Grundlagen der Republik infrage stellt.
Mich erinnert die Debatte an die Reaktion auf das Urteil in Frankreich von neulich, wonach Marine Le Pen für fünf Jahre nicht für politische Ämter kandidieren darf. Natürlich war das ein politisches Urteil – aber das lag nicht daran, dass die Richter*innen politisch geurteilt haben. Sondern daran, dass die Verurteilte eine aussichtsreiche Präsidentschaftskandidatin ist.
In so einem Moment ist De-Politisierung keine Option. Nur Präzision, Nüchternheit und das Einhalten der Standards, die auch in anderen Fällen gelten.
Konkret bedeutet die Hochstufung, wenn ich das richtig verstanden habe, dass die nachrichtendienstliche Überwachung leichter wird. Es stellt sich künftig die Frage, ob AfD-Mitglieder Waffen führen dürfen und auch für Beamte könnte eine Parteimitgliedschaft Folgen haben.
Natürlich wird man nun neu über ein Verbotsverfahren reden müssen. Erste Forderungen gibt es schon, etwa von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther.
Eine andere Debatte dagegen sollte sich spätestens jetzt erledigt haben – ob man die AfD wie eine normale Partei behandeln sollte. Kann man nicht, weil sie es nicht ist.
Zum Zeitpunkt der Klimapolitik und des Heizungsgesetzes
Zum Earth Day am 22. April veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut Ipsos wieder Ergebnisse einer Befragung. Es geht um die Haltung der Menschen zur Klimapolitik. Ipsos selbst vermarktete sie so: »Deutsche verlieren Interesse am Klimaschutz.«
Ich habe mir die Zahlen mal genauer angeschaut und es ist ein bisschen komplizierter und ungleich interessanter.
Nehmen wir diese Frage: »Wenn die Regierung (des Landes X) jetzt nicht handelt, um den Klimawandel zu bekämpfen, dann lässt sie die Menschen in (diesem Land X) im Stich.« Da reichen die Antworten bis 2021 zurück.
Man sieht etwa in Deutschland, dass der Anteil (nur 45 Prozent stimmen zu) niedriger ist als im vergangenen Jahr, aber nur ein bisschen (von 47 Prozent). Man sieht zugleich, dass der richtige Einbruch länger zurückliegt. Er kam zwischen 2022 und 2023 – da ging es von 60 Prozent Zustimmung auf 49 Prozent
Auf den ersten Blick sah es so aus, als sei das in etlichen Ländern ähnlich. Ich habe mir die Zahlen in eine Tabelle gezogen und ein bisschen analysiert. Und tatsächlich zeigt sich ein Muster.
Die folgenden vier Grafiken zeigen die Differenz (Delta) der Jahre 2021 auf 2022, 2022 auf 2023 und so weiter. Enthalten sind die 32 Länder. Die rote Linie markiert Null, also keine Veränderung. Punkte darüber bedeuten: Die Zustimmung für Klimaschutz nahm zu. Punkte darunter bedeuten: Sie nahm sie ab.
Von 2021 auf 2022 stiegen die Werte in rund drei Viertel der Länder. Auch von 2024 auf 2025 stiegen die Werte in mehr als 60 Prozent der Länder. Es ist also nicht so, als würde Klimaschutz überall kontinuierlich an Zustimmung verlieren.
Was es gibt, ist ein krasser Einbruch von 2022 auf 2023 (die Zustimmung fiel in allen 32 Ländern!), der sich im Folgejahr schon abschwächte. Dieser Einbruch wurde in manchen Ländern wieder rückgängig gemacht, in vielen nicht, gerade in Europa.
Ich habe nochmal nachgeschaut, und es war tatsächlich 2023, an dessen Ende ich einen Essay über das »Jahr des Rückschritts« (+) geschrieben habe.
Wenn man seither den Eindruck hätte gewinnen können, dass sich die öffentliche Meinung kontinuierlich verschiebt, dann ist das offenbar falsch. Eher ist es so, wie ich damals beschrieben habe, dass sich Elitenpositionen dauerhaft verschoben haben:
“Der Eindruck war: Man konnte nicht mehr gegen Klimaschutz sein, ohne an Ansehen, Macht und Geld einzubüßen. Dass man Wählerinnen ebenso verliert wie Kunden.
Das ist 2023 vorbei. Politiker, Parteien, Regierungen, Konzerne haben getestet, ob der Eindruck richtig ist, und sie haben festgestellt: Er ist gar nicht richtig.
Was natürlich die Frage aufwirft: Was war da los in jenem Jahr?
Die einzig naheliegende Antwort ist die russische Invasion der Ukraine mit allen ihren Verwerfungen: Unsicherheit, eine Erschütterung der Weltgewissheit, und ganz konkret steigende Preise, Sorge um die Energieversorgung.
Die Befragung 2022 fällt genau in die Woche des russischen Angriffs, da waren die Folgen also größtenteils nicht absehbar. Die Befragung 2023 folgt genau ein Jahr später, im März.
Es war genau die Phase, in der in Deutschland Energie und Inflation als Themen präsent waren. Energiepreise zogen vor allem im zweiten Quartal 2022 deutlich an.
Ich habe deshalb die Inflationsraten, das Wirtschaftswachstum (gdp) und die pro-Kopf-Emissionen für einige der Jahre in meinem Datensatz ergänzt und nach Zusammenhängen Ausschau gesucht. Man findet über den gesamten Zeitraum keinen, in den einzelnen Jahren auch nicht wirklich. Mit einer Ausnahme.
Für die Veränderung auf das Jahr 2023 gibt es einen leichten Zusammenhang mit dem Wachstum in diesem Jahr (nicht mit Inflation).
Gern hätte ich mir angeschaut, ob es Zusammenhänge gibt zwischen der öffentlichen Meinung und der Abhängigkeit der Energielieferungen aus Russland, der Abhängigkeit von Gas oder den Energiepreisen. Alles aber viel mühsamer, als man meinen sollte. Vielleicht hole ich es noch nach.
Einstweilen gehe ich aber auch so davon aus, dass der globale Stimmungsumschwung 2023 mindestens in Teilen eine Folge des Ukraine-Schocks gewesen sein dürfte.
Was diese Auswertung so oder so anschaulich macht: Der Stimmungswandel 2022/23 war ein weltweites Phänomen, keine deutsche Besonderheit, keine Folge von Habecks Heizungsgesetz oder der Ampel-Politik. Und, umgekehrt, das Heizungsgesetz fiel in den absolut schlechtesten Zeitraum, um ambitionierte Klimapolitik durchzusetzen, den man hätte finden können. Es handelte sich um antizyklische Gesetzgebung.
Damals konnte man allerdings den Zyklus noch nicht kennen. Er wird erst in der Rückschau sichtbar.
Ich erinnere mich an Gespräche, in denen kundige Menschen die These vertraten, gerade jetzt hätten die Menschen erkannt, wie schlecht fossile Abhängigkeiten seien. Das war keine unplausible Überlegung. Sie stimmt nur offenbar nicht. Oder jedenfalls wogen andere Ängste schwerer.
Die andere Frage wäre: Wäre es später anders gelaufen? Man kann bezweifeln, dass sich das politisches Gelegenheitsfenster noch mal aufgetan hätte. Mir war nur bislang nicht so klar, wie fest das Fenster zu Beginn 2023 geschlossen war.
Ich musste dieser Tage auch in einem anderen Moment an die Heizungsdebatte denken, als nämlich in Spanien und Portugal für einen Tag weitgehend der Strom ausfiel. Zur Stunde ist immer noch nicht ganz klar, was da passiert ist und vor allem warum. Sicher scheint nur, dass ziemlich viele ungünstige und teils merkwürdige Faktoren zusammenkamen.
Es ist kein Geheimnis, dass es kompliziert ist, ein Stromnetz stabil zu halten, in dem sehr, sehr, sehr viele Photovoltaikanlagen und Windräder und Kraftwerke einspeisen, mit sehr stark schwankender Erzeugung, mal viel, mal wenig. Wenn man einfach einige fossil betriebene Turbinen brummen lässt, ist das zumindest simpler.
Vielleicht hätte es so einen Stromausfall also in einem fossilen Energiesystem nicht gegeben hätte. Entscheidend ist nun, was man nun daraus folgert.
In »Demokratie in Feuer« habe ich folgendes über die nötige politische Grundhaltung geschrieben:
“Es muss eine andere Möglichkeit geben, mit der Steuerungsschwäche von Politik umzugehen. Man muss sie einkalkulieren und auch wenn es zunächst seltsam klingen mag: Die Antwort muss lauten, die eigene Ambition laufend zu steigern, schnell zu entscheiden, alles zu versuchen. Alles auf den Tisch also, alles tun, was möglich scheint, damit hoffentlich ein Teil davon funktioniert.
Das muss das gedankliche Modell für die Klimakrise sein. Nicht Mitigation, also Klimaschutz, nicht Adaptation, also Anpassung, sondern massive Mitigation und massive Adaptation müssen zum Prinzip werden.
Sondern: so viel wie irgendwie möglich.
Wer mit diesem Anspruch Politik macht, wird selbstredend Investitionen versenken. Wird sich korrigieren müssen, falsche Annahmen getroffen haben, sich verrennen, vielleicht sogar manchmal gegen sich selbst arbeiten, weil plötzlich zwei Maßnahmen im Widerspruch stehen. Muss sich und die Menschen fordern, überfordern, und dann nicht abwarten, sondern weitermachen.
Das ist nicht ganz trivial, denn das leidige Problem mit Überforderung ist natürlich, dass sie Überforderung bedeutet.”
Was da vor uns liegt, oder, nein: worin wir gerade sind,
das ist eine gigantische gesteuerte Transformation,
wie es sie noch nie gab.
Was es braucht, ist die Bereitschaft, Fehler einzugestehen, gepaart mit dem Willen, trotzdem zu beschleunigen.
Es ist schlicht ausgeschlossen, dass wir die Erderhitzung einigermaßen eindämmen, wenn wir beim ersten Fehler alles infrage stellen. Wir müssen laufend besser werden.
Es ist zugleich ausgeschlossen, dass wir die Erderhitzung einigermaßen eindämmen, wenn wir aus Fehlern nicht klug zu werden versuchen. Wir dürfen keine kalten Füße kriegen, sonst bekommen wir heiße Städte.
Das hieße, den Blackout in Portugal und Spanien genau zu analysieren, um zu lernen, wie man Stromnetze besser ausbalancieren kann. Wo Schwachstellen liegen, die man bisher übersehen kann. Was nicht bleiben kann, wie es war.
Meine Angst ist, dass er stattdessen zum Beleg dafür gemacht werden könnte, dass es mit erneuerbaren Energien eben nicht geht. Es gibt ja Leute, die so etwas sowieso schon unbedingt sagen wollen, zuletzt Tony Blair in Großbritannien.
Genauso fürchte ich immer noch, dass sich als (falsche) Lehre aus dem Heizungsgesetz festsetzt, dass es einfach nicht geht mit Nahwärme und Wärmepumpe.
Oder dass aus den wenig gelungenen Versuchen, Chipfabriken und andere Industrien mit großen Subventionen anzusiedeln oder zu retten, der Schluss gezogen wird, dass Industriepolitik nicht funktioniert.
Noch vor ein paar Jahren, als der CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der Vorgänger von Robert Habeck im Amt, eine Industriestrategie vorstellte, gingen viele Augenbrauen hoch: Industriewas? Dass beim ersten Versuch danach nicht sofort alles glückt, ist wenig überraschend.
Die Notwendigkeit von Industriepolitik bleibt aber. So wie die Notwendigkeit, erneuerbare Energien auszubauen. Oder wegzukommen von Gasheizungen.
Vor einer Woche schon habe ich mit Kolleg*innen Kritik aus den Reihen der Koalition, der Klimabewegung, der Gewerkschaften und der Wirtschaft an den Klimaplänen der künftigen Koalition beschrieben (+).
Es ist, das ist gerade der Stand, nahezu ausgeschlossen, dass Deutschland damit dem Zielpfad bis 2030 und darüber hinaus näherkommt. Im Verkehr wird die Lücke größer werden, das ist fast sicher. Im Gebäudesektor (Heizen) wohl auch. Wenn es um Landnutzung und Landwirtschaft geht, absehbar mit den größten verbleibenden Treibhausgasquellen Richtung 2045, ist auch kein Fortschritt absehbar.
“Es tut sich in den nächsten Jahren eine große Lücke zwischen Zielen und Realität auf, und die neue Koalition wird sie nicht schließen.”.....
Bitte im Original zu Ende lesen, dort sind auch zahlreiche Tabellen zu finden
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