Süddeutsche Zeitung hier mit vielen Infografiken. Es lohnt sich den Artikel im Original zu lesen wenn man einen Zugang hat
Text: Benjamin von Brackel; Infografik und Illustration: Julia Schubert / 20. Mai 2022
Nicht mal ein Rülpser entgeht den Satelliten. In einer Höhe von 500 Kilometern umrunden Iris, Hugo und Claire die Erde, 15 Mal am Tag, immer auf der Jagd nach Methanquellen. Dieses potente Treibhausgas haben die Interferometer der Satelliten schon über Industrieanlagen, Erdgasförderstätten und Kohletagebaue aufgespürt und vermessen, aber am 2. Februar konnten sie erstmals eine Methanquelle identifizieren, die das Weltklima stark belastet, aber bisher kaum zu fassen war.
Im kalifornischen San-Joaquin-Tal registrierten die hochauflösenden Apparate Schwaden von Methan. Sie stammten von einer Rindermastanlage nahe Bakersfield. Pro Stunde wurden zwischen 443 und 668 Kilogramm Methanemissionen detektiert. Aufs ganze Jahr hochgerechnet wäre das genug, um mehr als 15 000 Haushalte zu beheizen, erklärt die Betreiberfirma der Satelliten GHGSat.
Verdauen die Rinder in ihren Mägen das Pflanzenfutter, rülpsen sie Methan aus, und zwar durch die Nase. Ähnlich stark ins Gewicht fallen die Kohlendioxid-Emissionen, die freigesetzt werden, wenn Wälder Weideland und Sojafeldern weichen; der Einsatz von Dünger wiederum setzt Lachgas frei, ein weiteres Treibhausgas..........
Aus den Grafiken geht hervor, dass der Fleischkonsum weiter wächst, besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern...
In Zukunft dürfte sich die Klimabilanz also noch verschlechtern. Das aber ist unvereinbar mit dem Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu halten. Klimaforscher und Biologen warnen deshalb immer eindringlicher vor den „desaströsen“ Folgen des ausufernden Fleischkonsums in der Welt, und fordern eine Trendumkehr.
Wie groß das Potenzial einer radikalen Ernährungsumstellung ist, haben zwei US-Wissenschaftler kürzlich in einem Gedankenexperiment dargelegt. Im Fachjournal Plos Climate rechnen sie vor, was passieren würde, wenn die Welt innerhalb von 15 Jahren komplett auf pflanzliche Ernährung umsteigen und die bislang zur Haltung und Ernährung der Nutztiere verwendeten Flächen renaturieren würden. Das Ergebnis: Mehr als zwei Drittel der CO₂-Emissionen, welche die Welt jährlich ausstößt, würden ausgeglichen. Der Verzicht auf Rindfleisch wäre dabei schon die halbe Miete......
Das käme auch der Artenvielfalt zugute. Der Weltbiodiversitätsrat
betrachtet die Ausweitung der Landwirtschaft als die größte Bedrohung
für die Biodiversität, ist sie doch für rund 90 Prozent der Entwaldung
verantwortlich. Aber auch Feuchtgebiete, Strauch- und Graslandschaften
gehen auf Kosten der Weidetiere und ihrer Futterpflanzen verloren,
während Pestizide und Dünger den Arten zusätzlich zusetzen.
In atemberaubendem Tempo holzen vor allem Lateinamerika und Südostasien ihre Tropenwälder ab. „Nie zuvor wurde so viel Urwald in so kurzer Zeit zum Zwecke der menschlichen Landnutzung umgewandelt wie im Amazonasgebiet“, konstatierten vor ein paar Jahren US-Biologen im Fachblatt Science of The Total Environment. Auch die artenreichen brasilianischen Savannen im Südosten der Amazonasregion sind inzwischen überwiegend zerstört. Mehr als drei Milliarden Wiederkäuer gibt es heute. Gerade mal ein paar Handvoll Arten, die ein monotones Landschaftsbild auf der Erde prägen und Tausende von wildlebenden Arten verdrängen.
Für Deutschland hat der WWF nun erstmals berechnet, wie sich die Ernährung auf die Artenvielfalt auswirkt. Den Hauptanteil von mehr als drei Viertel am Biodiversitäts-Fußabdruck hätten demzufolge tierische Erzeugnisse, was vor allem am hohen Flächenbedarf für Futtermittel wie Weizen, Mais, Gerste und Raps liege. Weltweit werden rund zwei Drittel der Ackerflächen für den Anbau von Futterpflanzen genutzt. Die Fläche, auf der Tierfutter angebaut wird, ist mehr als drei Mal so groß wie die Anbaufläche für Nahrungsmittel....
Und davon profitiert auch Deutschland, das Soja aus den USA, Brasilien und Argentinien importiert. „Ob Biene und Braunkehlchen in Mecklenburg, der Jaguar im Amazonas oder der Ameisenbär im Mato Grosso noch genug Lebensräume finden zum Überleben, hängt maßgeblich davon ab, wie wir uns ernähren“, sagt Tanja Dräger vom WWF....
Ein Sonntagsbraten in der Woche wäre noch drin. „Nicht die Entwicklungsländer sind das Problem“, sagt der Agrarökonom und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, Matin Qaim. „Wir sind es, die ihren Fleischkonsum reduzieren müssen.“
Für das Fachjournal Annual Review of Resource Economics hat Qaim mit seinem Kollegen Martin Parlasca aktuelle Studien zum Fleischkonsum ausgewertet und dabei Klima, Artenvielfalt, Gesundheit und Wirtschaft gegeneinander abgewogen. „Würden wir nur die Klimadimension betrachten, müssten wir zu dem Schluss kommen, dass alle weltweit Veganer werden müssten“, sagt Qaim. Aber es gebe eben noch andere Faktoren.
So leben mehr als 1,3 Milliarden Menschen weltweit von der Viehhaltung. In manchen Teilen der Welt haben die Menschen keine andere Alternative, als mit Fleisch ihre Nährstoffversorgung zu decken und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Daran ist erst einmal auch nichts Schlechtes, wenn auf den Flächen, auf denen kein Wald oder Getreide wachsen kann, Weidetiere extensiv grasen. Denn das Gras können nur Weidetiere in ihrem Pansen verdauen. Sie verwandeln also die für den Menschen nicht nutzbare Biomasse in wertvolle Proteine und ernähren uns damit. Wie in den Savannen Afrikas oder auch auf natürlichen Grünlandflächen in Europa. „Wir sollten Fleisch nicht grundsätzlich verteufeln“, sagt Qaim. „Aber wir müssen erkennen, dass wir bei den derzeit konsumierten Mengen die planetaren Grenzen deutlich überschreiten.“
Wissenschaftler tüfteln deshalb daran, den Methanausstoß von Rindern zu senken. Die Idee ist es, die Tiere so zu züchten, dass sie das Futter effizienter verwerten und weniger Methan produzieren. Das Futter ließe sich um Methanhemmer ergänzen. Und Bauern experimentieren mit Gasmasken, welche die Rülpser der Rinder einsaugen und das Methan ins weniger klimaschädliche Kohlenstoffdioxid umwandeln.
Bleibt immer noch das Flächenproblem. Deshalb wird über Alternativen diskutiert. Ernährungswissenschaftler der Universität Helsinki haben berechnet, dass eine Ernährung auf Basis von Laborfleisch, Mikroalgen und Milch, die in Zellkulturen hergestellt wurde, den Treibhausgasausstoß um bis zu 80 Prozent senken könnte. Manche dieser neuartigen Lebensmitteln sind allerdings noch gar nicht auf dem Markt. Auch ist fraglich, ob die Konsumenten bereit sind, zum Frühstück proteinreiches Insektenmehl und Algenextrakt in ihren Morgenshake zu streuen und mittags einen Burger mit Fleisch zu verzehren, das auf Basis von Pilzkulturen oder Tierzellen im Labor heranreift.
Vielleicht sind solche Verrenkungen auch gar nicht nötig. Das finnische Team fand nämlich eine Alternative, die sich deutlich einfacher umsetzen ließe und fast zu ähnlich guten Ergebnissen führte. Die Europäer müssten einfach weniger Fleisch und Molkereiprodukte konsumieren. 80 Prozent weniger, vor allem von rotem Fleisch. Womit wir wieder beim Sonntagsbraten wären.
Wie aber lassen sich die Leute von ihrem Steak entwöhnen? Am effektivsten dürfte eine saftige Fleischsteuer sein, wovor die Politik bislang zurückschreckt. Subtilere Methoden: Die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse zu erlassen, wie es die EU-Kommission kürzlich den Mitgliedsländern freigestellt hat. Oder auf einer Speisekarte zuerst die vegetarischen und veganen Gerichte aufzulisten und erst dann – und zwar in geringerer Zahl – die Fleischgerichte. Auch die CO₂-Emissionen der jeweiligen Gerichte anzugeben, beeinflusst die Auswahl der Speisen nachweislich. Matin Qaim empfiehlt, all solche Ansätze parallel zu verfolgen, wenngleich er klarmacht: Allein über Bewusstseinsbildung werde man die Abkehr vom Fleisch nicht schnell genug hinkriegen.
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