Donnerstag, 30. Juni 2022

Blick über die Grenze zum "Klimaticket in Österreich: Fast schon zu erfolgreich"

 07.06.2022, BR 24 hier  Wolfgang Vichtl

Mit dem 9-Euro-Ticket in den Bummelzug, mal eben als Ausnahme? Österreich hat da eine ganzheitliche Lösung, deutlich nachhaltiger: Das "Klimaticket". Eine Jahresnetzkarte für alles, was sich "Öffi" nennen darf - vom Landbus bis zum schnellen Railjet.

Der Zugbegleiterin ist es hörbar peinlich, was sie da durchsagen muss. Wir sitzen im Railjet Xpress 661 von Landeck in Tirol nach Wien. Sonntagnachmittag. Fünf Stunden quer durch die Alpenrepublik. Viele Fernpendler, fast alle mit dem österreichischen Klimaticket unterwegs.

Aber jetzt, Salzburg-Hauptbahnhof: "Bitte aussteigen" und in den nächsten (Bummel-)Zug wechseln - alle, die keinen Sitzplatz haben. Der Zug ist überfüllt. Natürlich will keiner freiwillig raus - wir stehen eine Viertelstunde. Dahin das Versprechen der schnellen Railjet-Verbindungen in Österreich.

Zug überfüllt – Polizei: Bitte aussteigen

Gelegentlich musste auch schon mal die Polizei als Aussteigehilfe bemüht werden. Das ist die Kehrseite des österreichischen Klimatickets. Eigentlich die einzige.

Sonst ist die Netzkarte für alles, was in Österreich öffentlich fährt, ein großer Erfolg. Egal ob Railjet – der österreichische ICE – ob U-Bahn in Wien, Straßenbahn in Graz, Regionalbusse in Tirol, in Kärnten – alles drin für 1.095 Euro im Jahr (ermäßigt: 821 Euro). Mehr als 160.000 haben schon ein (bezahltes) Klimaticket, Bundesheersoldaten bekommen es sowieso, viele Firmen zahlen es ihren Mitarbeiterinnen, in der Hoffnung, so Reisekosten zu sparen – und gute Mitarbeiter zu halten.

Rechnet sich das Klimaticket?

Ob sich das Klimaticket rechnet, muss jeder selbst kalkulieren. Für Berufspendler, für Vielreisende, für Hauptstädter lohnt es sich: etwas mehr als 90 Euro im Monat für alles, was einen öffentlich von A nach B bringt. Was viele sehr zu schätzen gelernt haben – vor allem die Wiener – ist, dass die U-Bahn-Jahreskarte der Wiener Linien auch mit im Preis enthalten ist. Für Wien sind das 365 Euro, also ein Euro pro Tag, für die U-Bahn-Jahreskarte. In Linz, Graz, Salzburg gilt ebenfalls: all inclusive.

Tarifzone A, B, C? Vergessen Sie's!

Der Vorteil für alle: Kein kompliziertes Einarbeiten in unverständliche Tarifregeln von Stadt zu Stadt. Wer die blau-grüne Scheckkarte, das "KlimaTicketÖ" hat, setzt sich einfach in den nächsten Bus, die nächste Straßenbahn, ohne weiter nachzudenken, ob und was er dafür jetzt eigentlich abstempeln muss.

Das gilt grundsätzlich auch für Fernzüge, auch für den schnellen Railjet, anders als beim 9-Euro-Ticket in Deutschland. Da empfehlen die ÖBB, die Österreichischen Bundesbahnen, aber inzwischen dringend: Bitte Platz reservieren (3 Euro), am besten mit der ÖBB-App. Denn – siehe oben – wer keinen Sitzplatz hat, dem kann es passieren, dass er beim nächsten Halt umsteigen muss.

Erfolg des Klimatickets ist plötzlich das Problem

Österreich erlebt schon seit Wochen einen ähnlichen Effekt wie Deutschland jetzt mit dem 9-Euro-Ticket: Viel mehr Menschen fahren Bahn - aber die Bahn ist nicht dafür gerüstet. Zwar investiert Österreich kräftig, 18,2 Milliarden Euro bis 2026, so Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, aber bis dafür neue Züge und Waggons auf den Schienen stehen, zieht es sich.

Gestiegene Benzinpreise, mehr Parkverbotszonen in der Hauptstadt Wien, vielleicht auch ein etwas gestiegenes Umweltbewusstsein und das Klimaticket – das zieht viele Menschen in den Zug. Vor allem an Ferienwochenenden: alles vollbesetzt. Was bereits die schöne Schlagzeile provoziert hat: "Erfahrene Zugpendler fahren jetzt lieber mal Auto."

ÖPNV auf dem Land: Ausbaufähig auch in Österreich

Ein altes Problem soll das Klimaticket lösen helfen. In vielen Tiroler Bergtälern, im Waldviertel, im Burgenland, auf dem Land sind die Verbindungen nicht so, dass alle aufs Auto verzichten könnten.

Zwar gibt es viel Werbung, mit konkreten Routenvorschlägen – mit Bus und Bahn und Bergschuhen von der Haustür zur Gipfeltour und zurück. Es geht schon, aber wehe, der letzte Bus an der Talstation ist weg. Daran muss auch Österreich noch arbeiten, wenn "Bergsport" kein "Autosport" mehr sein soll.

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