Samstag, 18. Juni 2022

Vorbild Kommune: das kleine Hegau-Städtchen Tengen

 16.06.2022  |  VON CIAN HARTUNG CIAN.HARTUNG@SUEDKURIER.DE  hier

Wie ein Städtchen Ökostrom in rauen Mengen erzeugt

In Tengen trägt der Bürgermeister Sneaker. Und während er über die Energiewende spricht, streicht er sich durchs Haar. „Es ist gut, dass wir uns selbst versorgen können“, sagt Marian Schreier. Obwohl der 32-Jährige in rund einem halben Jahr das Rathaus verlassen wird, ist das offenbar noch kein Grund, die Sneaker auf den Schreibtisch zu legen. „Wir wollen damit noch nicht aufhören, sondern noch weitermachen“, sagt er.

Schreier hat Tengen in seiner Amtsperiode zur ersten Selbstversorger-Kommune im Landkreis Konstanz gemacht. Der Windpark Verenafohren, zwei Biogas-Anlagen, ein kürzlich eröffneter Solarpark am Berghof und viele Solarpanels auf Tengener Dächern sind in dieser Zeit entstanden.

In der Gemeinde werden jährlich rund 35 Millionen Kilowattstunden produziert, während der Eigenbedarf bei rund 11 Millionen Kilowattstunden liegt. Damit nicht genug: Bald soll der Windpark Am Brand folgen. Dort sollen weitere rund 30 Millionen Kilowattstunden Strom produziert werden.

Schreier erklärt: „Wenn man die Energiewende wirklich vorantreiben will, kann man bei entsprechendem politischem Willen die Prozesse schnell organisieren.“ Eine Gemeinde müsse heutzutage nicht mehr Untersuchungen oder Machbarkeitsstudien in Auftrag geben. „Es gibt die Investoren, die solche Projekte machen wollten und die Möglichkeit, einfach loszulegen.“

Was in Tengen im Gegensatz zu anderen Kommunen auch ausblieb, seien langwierige Streitigkeiten zwischen Bürgermeister, Gemeinderat und Bürgern. „Der Bau des ersten Windparks wurde von vielen Informationsveranstaltungen und Exkursionen begleitet“, erklärt Schreier. Vor dem Bau des zweiten Windparks ließ er die Bürger über dieses Vorhaben entscheiden. „Wir haben versucht, das aktiv zu gestalten und nicht auf Druck durch eine Bürgerinitiative gewartet.“

Was sich nach lokalem Klimaschutz und Hemdsärmeligkeit anhört, hat für die Gemeinde durchaus wirtschaftliche Vorteile. Durch die Wind- und Solarparks erhalte man Gewerbesteuer, Pachteinnahmen sowie Einnahmen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, so Schreier.

„Wie viel das in der Summe sein wird, lässt sich erst in den kommenden Jahren definitiv sagen. Garantiert sind bei drei Anlagen in den Anfangsjahren 60 000 Euro und später 90 000 Euro pro Jahr.“ Beim geplanten Windpark Am Brand kalkuliere man später mit zusätzlichen Pachteinnahmen von mindestens 100 000 Euro pro Jahr. „Für Tengen sind das wichtige Einnahmen“, sagt Schreier, „wir sind nämlich kein Gewerbestandort.“ Einen Teil der Einnahmen werde man vor Ort in Watterdingen wieder investieren. „Zum Beispiel in den Unterhalt von Straßen, Wegen und Spielplätzen“, so der Bürgermeister.

Die Bürger ziehen mit

Wer die Energiewende in Tengen mitgestaltet hat, ist Bene Müller, Vorstandsmitglieder der Firma Solarcomplex. Sein Unternehmen hat die Wind- und Solarkraftanlagen errichtet. Er hat zudem auf mehreren Bürgerveranstaltungen in der Gemeinde gesprochen. „Tengen ist vom Angebot für erneuerbare Energien her nicht von Gott geküsst“, sagt er. „Aber wir haben hier einen Bürgermeister, der Windpark- und Solarparkprojekte sehr aktiv unterstützt.“...

Es bedarf einer Wärmewende

Außerdem sei es mit der Produktion von Strom durch Solar- oder Windkraftanlagen nicht getan. „Wir haben eine ganze Menge an Bedarf, den wir für Mobilität und Wärme verbrauchen“, sagt Pilarsky-Grosch. Neben Biogasanlagen wäre ein Solarwärmenetz mit Solarthermie eine Möglichkeit zur Wärmeerzeugung. „Das ist der Schritt, den eine ländliche Kommune gehen kann, um 100 Prozent Selbstversorgung zu erreichen.“

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