Dienstag, 28. Juni 2022

"Christian Lindner gefährdet mit seinen Vorschlägen die Autoindustrie"

Muss man die Züge von Lindner und Wissing noch verstehen? Es ist gerade wenige Wochen her, dass Wissing die Kaufprämie für E-Autos unsinnig hochtreiben wollte (hier) und damit mit vollen Händen in die Staatskasse gegriffen hätte.
Geht es überhaupt noch darum, den Klimaschutz voran zu treiben? Mir vermittelt das alles einen wenig seriösen und wenig durchdachten Eindruck für die Planung unserer Zukunft.

businessinsider  hier  Don Dahlmann   29 Jun 2022

  • DREHMOMENT

Finanzminister Christian Lindner will die Kaufprämie für E-Autos streichen und dem geplanten Verbrennerverbot nicht zustimmen. Das hätte drastische Folgen.

Eines der erfolgreichsten Projekte der Bundesregierung betrifft die Elektromobilität. Der Zuschuss für den Kauf eines E-Autos läuft so gut, dass die Produktionskapazitäten vieler Hersteller für mehr als ein Jahr ausgelastet sind. Für manche Fahrzeuge wie den Dacia Spring oder den E-Fiat 500 gibt es gar einen Bestellstopp. Gleichzeitig steigt die Nachfrage wegen der Förderung weiter. Deutschland ein Elektroautoland – das hätte vor zehn Jahren noch niemand für möglich gehalten.

Umso mehr verwundern aktuelle Vorschläge von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Er will den Förderbonus aus Bundesmitteln komplett streichen. Mehr noch: Dem geplanten Verkaufsverbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 in Europa will er nicht zustimmen. Die anstehende EU-Entscheidung sei nicht technologieoffen, kritisierte Linder vergangene Woche. Das grenzt an Realitätsverweigerung.

Nichts gelernt aus Desaster der Solarindustrie

Die deutsche E-Auto-Kaufprämie zählt – gemeinsam mit der von Norwegen – zu den erfolgreichsten weltweit. Die Zahl der E-Autos ist sprunghaft angestiegen. Waren am 1. Januar 2021 noch rund 310.000 E-Autos in Deutschland angemeldet, waren es ein Jahr später schon 618.000 Autos. Die Zahl wird am Ende dieses Jahres vermutlich bei über einer Million Fahrzeuge liegen. Da ergibt es natürlich viel Sinn, den beginnenden Boom wieder abzusägen. Ein Muster, das man in Deutschland schon kennt.

Beispiel Solarindustrie: Die einst hochgelobte Branche in Deutschland produzierte schon 2012 jährlich Solaranlagen mit einer Leistung von 7,5 Gigawatt. Das entspricht der Leistung von etwa sieben Atomkraftwerken. Auf Betreiben des damaligen FPD-Chefs und Wirtschaftsministers Philipp Rösler wurde das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) dann so verändert, dass sich der Ausbau der Solarenergie kaum noch lohnte. In der Folge brach der Neubau auf 1,5 Gigawatt pro Jahr ein und große Teile der Solarbranche gingen pleite. Technologie und Fertigung wanderten nach China ab.

Damit der Autoindustrie nicht ein ähnliches Schicksal droht, will Finanzminister Christian Lindner den Verbrennungsmotor über das Jahr 2035 hinaus in Europa verkaufen. Damit würde die Bundesregierung den hiesigen Herstellern um VW oder BMW einen Bärendienst erweisen.
Denn die profitieren von der Förderung gleich doppelt. Erstens treibt die Nachfrage nach den E-Autos den Umsatz der Industrie an und hilft dabei, den nötigen Umbau der Produktionsanlagen zu finanzieren. Zweitens ist der Druck auf die Hersteller groß, neue Wege zu gehen, statt weiterhin auf veraltete Technik zu setzen.

Schützenhilfe für Tesla

Der Wandel ist es auch deswegen wichtig für die Autohersteller, weil sie sich so international einen technischen Vorsprung erarbeiten können. Die Industrie hat die Elektromobilität sowieso erst verspätet für sich entdeckt. So spät, dass Tesla immer noch einen Vorsprung bei der Reichweite seiner Fahrzeuge hat. Eine weitere Verzögerung könnte bedeuten, dass die Hersteller weiter zurückfallen. Am Ende werden sich dann wieder die chinesischen Hersteller freuen, die voll auf E-Mobilität setzen.

Damit eng verbunden ist die Frage, wie lange die Verbrennungsmotoren in der EU verkauft werden sollen. Zwar gibt es Bedenken, dass die östlichen Länder der EU den Wechsel zur Elektromobilität in den nächsten 13 Jahren nicht hinbekommen werden. Aber das müssen sie auch nicht. Es spricht wenig dagegen, dass Länder wie etwa Ungarn, Polen, Rumänien oder Bulgarien ihre Initiativen erst in den nächsten Jahren starten. Wer 2034 noch einen Verbrenner kauft, wird diesen problemlos bis 2044 fahren können. Die Länder haben also mehr als 20 Jahre Zeit, ihre Infrastruktur aufzubauen.

An der Kaufprämie hängen auch Startups

Problematisch wäre ein Wegfall der E-Auto-Förderung indes auch für alle Zulieferer und Startups aus der Branche. Ihre Investitionen setzen schnelles Wachstum in der Elektromobilität voraus. Würden diese Innovationen nun ausgebremst, geraten einige Firmen ins Schlingern. Anbieter wie Sono Motors oder eGo wären besonders stark betroffen. Erst durch die Förderung werden ihre Fahrzeuge für die Masse bezahlbar. Niemand kann wollen, dass Unternehmertum in Deutschland so behindert wird.

Statt die Förderung einzustellen, sollte Christian Lindner sie vielmehr ausbauen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem bundesweiten Zuschuss für den Kauf von E-Scootern, E-Mopeds und E-Bikes? Das hätte zwei zukunftsweisende Effekte: Einerseits würde es den Menschen nicht nur in den Städten den den Umstieg vom Auto auf multimodale Mobilitätsangebote erleichtern. Vielen würde es moderne Form der Mobilität überhaupt erst möglichen. Herr Lindner: Lernen Sie aus dem Desaster ihres früheren Parteikollegen bei der Solarindustrie – und würgen sie neue Technologien nicht ab.

Don Dahlmann ist seit über 25 Jahren Journalist und seit über zehn Jahren in der Automobilbranche unterwegs. Jeden Montag lest Ihr hier seine Kolumne „Drehmoment“, die einen kritischen Blick auf die Mobility-Branche wirft.



Ein Artikel aus dem Spiegel beleuchtet die Hintergründe zum Koalitionsstreit Verbrenner-Aus ein wenig besser

Spiegel hier  Von Susanne Götze und Nils-Viktor Sorge   22.06.2022, 

EU-Vorschlag für ein Verkaufsverbot ab 2035

Warum die FDP das Verbrenner-Aus kippen will

Wenige Tage vor der Abstimmung im EU-Ministerrat hat sich FDP-Parteichef Lindner im Alleingang gegen einen Verkaufsstopp von Verbrennerautos ausgesprochen. Interne Papiere zeigen, was die Liberalen wirklich wollen.

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