Der Artikel stammt zwar schon vom 10.6.22, ist aber vielleicht gerade deshalb angesichts der neuen Entscheidungen und im Rückblick nicht uninteressant
SPIEGEL-Klimabericht 10.06.2022 hier Von Susanne Götze, Redakteurin Wissenschaft
es wird ernst für den europäischen Green Deal. Ein Jahr nachdem die Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, das größte Klimapaket der Geschichte der Union vorstellte, geht es nun ans Eingemachte. Das zeigte sich in den vergangenen Wochen dadurch, dass Politiker und Lobbyisten ziemlich nervös werden, kommentierte der Wissenschaftler Oliver Geden recht passend, der die erste Abstimmung dazu im Europaparlament verfolgte.
Die Abgeordneten blamierten
sich am Mittwoch auf offener Bühne: Wichtige Teile des Paketes kamen
nicht durch, es wurde mit Rechtspopulisten paktiert und man schob sich
anschließend gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Nun müssen alle
Beteiligten einen neuen Anlauf wagen.
(ein Kompromiss wurde inzwischen gefunden hier)
Doch ist die Verzögerung des Klimapaketes wirklich so schlimm? Die Antwort ist wie immer komplex und lautet in diesem Fall: Jein. Geht es nach den Inhalten, ist es vielleicht sogar besser, dass Teile des Paketes im Plenum keine Mehrheit bekamen. Denn die konservative EVP-Fraktion, zu der auch CDU und CSU gehören, hatte dafür gesorgt, dass die Reform des bestehenden Emissionshandels (ETS) verwässert wurde. Demnach sollte die Industrie noch bis 2034 einen Anspruch auf freie CO2-Gutschriften bekommen, außerdem wollten die Konservativen die Zertifikate langsamer verknappen – und somit das Angebot länger stabil halten.
Zur Erinnerung: Übersteigt der CO2-Ausstoß der am Emissionshandel beteiligten Unternehmen die zugeteilten Gutschriften, müssen sie am Markt zukaufen. Außerdem wird die Menge an verfügbaren Zertifikaten wegen eines automatischen Reduktionsmechanismus immer knapper.
Lobbyisten: Wasch mich, aber mach mich nicht nass
Für diese verwässerte Position der Konservativen hatten auch Unternehmensverbände geworben: Würden CO2-Gutschriften reduziert oder gelöscht, führe das zu »einer unnötigen, künstlichen Verknappung auf dem Kohlenstoffmarkt« und zu hohen Kosten für Unternehmen und Haushalte, hieß es in Lobbyschreiben, die dem SPIEGEL vorliegen. Stattdessen forderten die Industrievertreter mehr Subventionen und finanzielle Anreize, um neue Technologien einzuführen.
Das meint: Der Emissionshandel ist in Ordnung, solange er nicht weh tut.
Für die Unternehmen geht es bei den EU-Beschlüssen um sehr viel Geld: Wenn sie nicht rechtzeitig auf klimafreundliche Technologien umstellen, der CO2-Preis weiter steigt und sie die Zertifikate auch nicht mehr gratis bekommen, könnte es tatsächlich teuer werden. Derzeit steht der Preis bereits bei rund 80 Euro pro Tonne CO₂, vor einem Jahr lag er noch bei rund 50 Euro.
Allerdings war – und ist – auch das genau die Idee des Emissionshandels. Und diesen gibt es immerhin schon seit rund 17(!) Jahren. Genug Zeit also, sich umzuorientieren, könnte man meinen.
Der Pakt mit den Rechten
Diese industriefreundliche Position wollten die konservativen Europaabgeordneten dann auch noch mit einer äußerst fragwürdigen Allianz durchdrücken: Angeblich sprachen sie sich sogar mit den extrem rechten Fraktionen ID und ECR ab, um die verwässerten Positionen durchzubringen.
Doch das klappte überraschenderweise nicht, weil Grüne und Sozialdemokraten dagegenstimmten und auch die Rechten sich nicht an die Absprache hielten. Nun geht alles zurück in den Umweltausschuss.
Pech nur, dass mit dieser verständlichen Ablehnung der ETS-Reform auch viele andere Teile des Klimapaketes umfielen. Auch der neue CO2-Grenzausgleich, der Klimasozialfonds und der zweite Teil des Emissionshandels für Verkehr und Gebäude konnten deshalb nicht abgestimmt werden. Der neue Emissionshandel soll ab 2025 zuerst einmal nur für den Ausstoß klimaschädlicher Gase von gewerblichen Gebäuden und beim kommerziellen Verkehr gelten – private Haushalte wären zunächst ausgenommen. Der Sozialfonds soll eigentlich die Preissteigerungen für sozial Schwache ausgleichen.(auch darüber scheint inzwischen abgestimmt zu sein hier)
Es gab am Ende nur ein Trostpflaster: Überraschend bekam das Aus für Verbrennungsmotoren ab 2035 eine Mehrheit. Die Grünen konnten ihr Glück gar nicht fassen – damit hatte eigentlich keiner gerechnet. Vor allem nicht nach dem Widerstand der Autoindustrie, die bis zum Schluss versuchte, das Verbot zu verhindern.
Doch auch hier gibt es noch keine echten Gewinner – denn richtig zur Sache geht es ja erst in den Verhandlungen mit den Staats- und Regierungschefs.
Und hier kommt die schlechte Nachricht: Je zerstrittener das EU-Parlament, desto schwächer ist es gegenüber den Mitgliedstaaten. Die haben ohnehin meist die stärkeren Trümpfe, auch wenn das Parlament in den vergangenen 20 Jahren systematisch gestärkt wurde.
Außerdem gibt es allen Grund zur Eile: Bereits in weniger als acht Jahren müssen die ehrgeizigen Zwischenziele der EU von minus 55 Prozent Emissionen gegenüber 1990 erreicht sein, in 28 Jahren soll die EU schon klimaneutral sein. Wenig Zeit also, um Hunderte Millionen Tonnen beim Verkehr, Heizen oder in der Landwirtschaft einzusparen. Die Planung von Windparks, klimafreundlichen Stahlwerken und der Bau von Hunderttausenden Ladesäulen für die Elektroautos benötigt teils Jahre. Und die Klimagesetze sind selbst im Falle einer Einigung des EU-Parlaments noch lange nicht beschlossen.
Auch will die EU bis Ende des Jahres mit vorzeigbaren Ergebnissen zur nächsten Weltklimakonferenz reisen. Die COP27 findet Anfang November in Ägypten statt. Es wäre ein fatales Zeichen, wenn die Union bis dahin nicht endlich die Verhandlungen beendet und in die Umsetzung kommt.
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