Süddeutsche Zeitung hier 29. Juni 2022 von Björn Finke, Brüssel
Klimaschutz: So sollen von 2035 an nur noch emissionsfreie Autos zugelassen werden. Bei einigen Themen stehen aber bald wieder schwierige Debatten an - diesmal mit dem Europaparlament.
Die Einigung gelang nach mehr als 16 Stunden
zäher Debatten:
Die EU-Umweltminister haben sich in der Nacht zum
Mittwoch in Luxemburg auf ihre Positionen zu wichtigen Klimaschutz-Gesetzen
verständigt. Unter anderem unterstützen die Politiker den Vorschlag der
Kommission, von 2035 an nur noch Neuwagen mit Elektroantrieb
zuzulassen.
Im Herbst können nun Verhandlungen zwischen Ministerrat, dem
Gremium der Mitgliedstaaten, und dem Europaparlament über die finale
Version der Rechtsakte beginnen.
Die Europaabgeordneten verabschiedeten
ihre Positionen zu den Gesetzen bereits zuvor. Die Parlamentarier
sprechen sich zum Teil für schärfere Regeln aus als jetzt die
EU-Regierungen, daher könnten die Diskussionen zwischen den beiden
Gesetzgebungskammern mühsam werden.
Deutschland wurde bei dem Treffen in Luxemburg von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
und Umweltministerin Steffi Lemke vertreten, beide von den Grünen.
Habeck sagte hinterher, dies sei "das größte Klimaschutzpaket, das seit
15 Jahren in Europa geschmiedet wurde".
Die EU-Regierungen sprachen sich
nicht nur für das Verbrennerverbot aus, sondern machten auch den Weg
frei für eine Verschärfung des Emissionshandels, des wichtigsten
Klimaschutz-Instruments der EU.
Beim Verbrennungsmotor hielten die Umweltminister am Entwurf der Kommission fest, dass bis 2035 der Kohlendioxidausstoß von neuen Autos und leichten Nutzfahrzeugen um 100 Prozent sinken soll. Dies bedeutet in der Praxis, dass in 13 Jahren nur noch Elektrofahrzeuge neu zugelassen werden können. Bereits zugelassene Autos werden aber weiter mit Benzin und Diesel fahren dürfen. Das Europaparlament hatte das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 in seiner Verhandlungsposition ebenfalls unterstützt. Die Diskussionen zwischen Ministerrat und Parlament dürften also in diesem Punkt einfach werden - und der Abschied vom Verbrennungsmotor sollte eine ausgemachte Sache sein.
Das Thema hatte in Berlin einen Koalitionsstreit provoziert; erst am Dienstagabend teilte die Bundesregierung mit, dass sich FDP und Grüne auf eine gemeinsame Position geeinigt haben. Die Liberalen wollten durchsetzen, dass Autos mit Verbrennungsmotor weiter zugelassen werden können, wenn diese ausschließlich mit klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen unterwegs sind, sogenannten E-Fuels. Italiens Umweltminister warb in der Sitzung in Luxemburg ebenfalls für derartige Ausnahmen. Die EU-Regierungen verständigten sich schließlich auf einen Kompromiss, der ein vages Versprechen der Kommission vorsieht, zu prüfen, ob es Ausnahmen für Verbrennerfahrzeuge mit E-Fuels geben kann.
Eine halbe Million Jobs sind bedroht
Für
die Autohersteller wie Mercedes ist das Aus für den Verbrennungsmotor
nicht so dramatisch, da die Konzerne ohnehin auf Elektromobilität
setzen.
Das Verbot wird eher die Zulieferer treffen. Deren europäischer
Branchenverband Clepa schätzt,
dass der Bann eine halbe Million Arbeitsplätze in der EU kosten wird.
Zugleich würden bei der Produktion von Elektroantrieben und Batterien
230 000 neue Stellen entstehen, was zusammengerechnet trotzdem einen
Verlust von 275 000 Jobs bis 2040 bedeutet, wie die Lobbyisten
vorrechnen
Anmerkung: Wissen die schon, dass es bei uns einen dramatischen Arbeitskräftemangel gibt, der sich noch viele Jahre lang ausweiten wird?
im Handelsblatt am 27.5.22 hier :
Deutschland hat zu wenige Arbeitskräfte – Mangel steuert auf Rekordniveau zu
Ukrainekrieg, Inflation und Lieferkettenprobleme belasten die Wirtschaft. Unternehmen wollen trotzdem einstellen, doch hunderttausende Arbeitskräfte fehlen.
Kritiker werfen auch die Frage auf, ob es in der EU bis 2035
überhaupt genug Ladesäulen geben wird für den völligen Umstieg auf
Elektroantriebe - und ob der Strom für die Autos komplett aus
erneuerbaren Quellen stammen wird. Schließlich bringt es dem Klima
nichts, wenn Elektroautos mit Strom aus Kohlekraftwerken unterwegs sind.
(ich denke genau deshalb muss nun Klarheit geschaffen werden, bezüglich der Ziele die man anstrebt. Ladeinfrastruktur wird nur gebaut, wenn das Ziel Elektromobilität heißt)
Für die grünen Ziele der EU ist ein anderes Gesetz, über das in der Nacht verhandelt wurde, ohnehin viel wichtiger: die Verschärfung des Emissionshandels. In der EU müssen Kraftwerke und viele Industriebetriebe schon seit 2005 Kohlendioxid-Zertifikate vorweisen können, wenn sie Klimagase in die Atmosphäre blasen. Mit diesen Verschmutzungsrechten darf man handeln, Emissionen erhalten damit einen Preis. Konzerne, denen die Verringerung des CO₂-Ausstoßes einfacher fällt, können überschüssige Zertifikate verkaufen. So werden die Emissionen auf die günstigste und wirtschaftlichste Art verringert.
Die geplante Reform, welche die Umweltminister nun abnickten, senkt die Zahl der Verschmutzungsrechte im System, um die ehrgeizigen Klimaschutzziele der EU zu erreichen. Daher werden die Preise der Zertifikate steigen. Die Minister sprechen sich für eine Verringerung um 61 Prozent bis 2030 aus, verglichen mit 2005. Das deckt sich mit dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission. Das Europaparlament fordert in seiner Verhandlungsposition allerdings ein Minus von 63 Prozent.
Tanken und Heizen werden teurer
Außerdem will die Kommission 2026 ein getrenntes Emissionshandelssystem für Sprit sowie Gas oder Öl zum Heizen einführen - Tanken und Wohnen würden teurer. Zugleich sollen jedoch 25 Prozent der Einnahmen aus diesem neuen System in einen neuen EU-Klimasozialfonds fließen. Der wird nationale Programme unterstützen, mit denen Regierungen bedürftigen Haushalten beim Energiesparen helfen. Dabei wird Geld von reicheren zu ärmeren Mitgliedstaaten umverteilt.
Die Umweltminister beschlossen, die Ausweitung auf Sprit und Heizen um ein Jahr zu verschieben. Hier dürften schwierige Verhandlungen mit dem Europaparlament anstehen, denn die Abgeordneten verlangen in ihrer Position, diese Ausweitung auf Sprit und Heizöl zunächst auf Firmenfahrzeuge und Gewerbeimmobilien zu beschränken, um die Bürger nicht zu belasten.
Umstritten
unter den 27 Regierungen war die Größe des neuen Klimasozialfonds.
Die
Bundesregierung hatte zunächst darauf gedrungen, ihn drastisch
einzudampfen. Osteuropäische Regierungen wollten der Verschärfung des
Emissionshandels jedoch nur zustimmen, wenn sie ausreichend Finanzhilfen
aus Brüssel erhalten - Berlins Sparsamkeit riskierte also ein Scheitern
der Reform. Minister Habeck gab sich am Dienstag in Luxemburg
allerdings wieder großzügiger: Der Fonds könne bis 2032 fast 49
Milliarden Euro ausschütten, nicht bloß 18 Milliarden Euro, wie die
Bundesregierung zuvor gefordert hatte, sagte der Grüne seinen
EU-Amtskollegen. Am Ende einigten sich die Minister auf ein Volumen von
bis zu 59 Milliarden Euro. Trotzdem votierten mehrere EU-Regierungen
gegen das Verhandlungspaket, weil der Fonds ihrer Meinung nach weiterhin
zu klein ist. Für diese Gesetze war aber keine Einstimmigkeit nötig.
Ein Klimazoll soll die Industrie schützen
Ein weiterer Streitpunkt zwischen Ministerrat und Europaparlament dürften die kostenlosen Verschmutzungsrechte im Emissionshandelssystem sein. EU-Unternehmen erhalten bislang viele Zertifikate geschenkt, um Nachteile im Wettbewerb mit Rivalen aus anderen Ländern ohne solch ein System zu mindern. Diesen Schutz vor unfairer Konkurrenz soll demnächst aber ein neuer Klimazoll übernehmen, den die EU einführen wird. Diese Abgabe wird die Importe mancher Produkte verteuern, wenn in den Herkunftsländern laxere Klimaschutzstandards gelten. Daher sollen die kostenlosen Kohlendioxid-Zertifikate abgeschafft werden.
Die Minister wollen das schrittweise zwischen 2026 und 2035 vornehmen. Das Europaparlament spricht sich aber dafür aus, diese Geschenke bereits 2032 auslaufen zu lassen. Eine lange Verhandlungsnacht ist vorbei, doch schon bald stehen neue mühsame Debatten an.
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