Dienstag, 21. Juni 2022

Habeck gegen Söder: Wer lügt in der Atom-Debatte?

Das wollten wir alle schon immer mal wissen! Und noch dazu von einem Finanz-Magazin, das nicht dem Verdacht ausgesetzt ist, "Grüne Klientel"-Berichterstattung zu machen.
Es scheint so: Lindner und FDP, Söder und CSU machen es sich ganz schön leicht...

Finanzen 100 hier    Von FOCUS-Online-Redakteur Matthias Hochstätter

Strom- und Wärmeversorgung 

CSU-Chef Söder bringt wieder einmal die Atomkraft als möglichen Retter in der Not ins Spiel. Bundeswirtschaftsminister Habeck winkt dagegen ab und setzt auf die klimaschädliche Steinkohle, falls Deutschland das Erdgas ausgeht. Wer hat die besseren Argumente auf seiner Seite?

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will, dass die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke entgegen dem Ausstiegsbeschluss über den Jahreswechsel weiterlaufen. Es sei nicht sinnvoll, „angesichts einer drohenden Gaslücke, eine zusätzliche Stromlücke zu produzieren, indem man die Atomkraft abschaltet“, so der CSU-Parteichef im Gespräch mit „RTL“.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hingegen hatte angekündigt, weniger Gas zur Stromproduktion nutzen zu wollen und stattdessen verstärkt Steinkohle zu verstromen. Habeck wehrt sich gegen die Reaktivierung von Atomkraftwerken und begründete dies im ZDF mit dem Mangel an Brennelementen.

„Kohle zu reaktivieren macht sicher Sinn, ist aber klimaschädlich“, sagt aber Söder. Zugleich räumte er ein, Atomkraft sei „nicht einfach für die Dauer“. Söder weiter: „Aber sie ist aus jetziger Sicht für das Klima besser, billiger und in dem Fall schnell aktivierbar.“

Mit seinem Klima-Argument mag Söder recht haben, denn in einem Atomreaktor wird ja kein CO2 freigesetzt. Doch wer das als einziges Argument für die Atomkraft anführt, macht es sich zu einfach.

Gibt es einen Mangel an Brennelementen?

Zum einen sind sich sogar die Betreiber der drei verbliebenen AKW über einen möglichen Weiterbetrieb über das gesetzlich definierte Laufzeitende (Neujahr 2023) uneins. Bereits Ende März antwortete EnBW auf eine Anfrage von FOCUS Online abschlägig: „Die Bundesregierung hat angesichts möglicher Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine eine Verlängerung der Laufzeiten der noch in Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerke geprüft und Anfang März entschieden, derzeit keine Änderungen am geltenden Rahmen für den Betrieb der Kernkraftwerke vorzunehmen. Dieser gesetzliche Rahmen schließt eine Stromproduktion in deutschen Kernkraftwerken über den 31. Dezember 2022 hinaus eindeutig aus“, so der Versorger aus Baden-Württemberg: „Damit hat sich das Thema erledigt. Die EnBW bittet um Verständnis, dass sie sich deshalb an einer weiteren, rein hypothetischen Debatte derzeit nicht beteiligt.“

Der Block Neckarwestheim II ist das letzte Atomkraftwerk, mit dem die EnBW noch Strom produziert.

Die RWE AG, die das AKW Emsland betreibt, äußerte sich damals ähnlich. Man setze zudem nun auf erneuerbare Energien. Nur PreussenElektra (Eon) stand gegenüber FOCUS Online einem Weiterbetrieb seines AKW in Niederbayern aufgeschlossen gegenüber: „Aus unserer Sicht könnte das Kernkraftwerk Isar 2 (KKI 2) über den 31.12.2022 hinaus betrieben werden und damit eine kritische Versorgungssituation im kommenden Winter abfedern. Insbesondere für einen Betrieb im kommenden Winter bedürfte dies zunächst keiner frischen Brennelemente, keiner Neugenehmigung und keiner Nachrüstung, da die Anlage heute alle Sicherheitsstandards erfüllt und dies auch im nächsten Jahr tun würde. Wir würden alle Anstrengungen unternehmen, das im KKI 2 erforderliche Personal für einen Weiterbetrieb aus der gesamten Kraftwerksflotte der PreussenElektra zur Verfügung zu stellen.“

Einen Mangel an Brennelementen, wie Habeck dies suggerierte, scheint es also nicht zu geben, da ist sich auch Söder sicher: Es sei „fachlicher Blödsinn“ zu sagen, es seien keine Brennstäbe für die Atomkraftwerke zu bekommen. Und: „Überall in der Welt sind sie besorgbar, alle europäischen Nachbarn machen das.“

Aber selbst wenn nicht nur Isar 2 sondern alle drei Kernkraftwerke mit frischen Brennelementen weiterlaufen könnten: Würde eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten wegen eines möglichen Gas-Mangels energiewirtschaftlich überhaupt Sinn machen?

Kernkraftwerke sind sehr schwerfällig zu regulieren

Bei der Stromversorgung könnten AKW die Gaskraftwerke nicht ersetzen. Denn Gaskraftwerke decken im Strombereich die Spitzenlast und kommen dann zum Einsatz, wenn etwa mittags plötzlich der Stromverbrauch stark ansteigt und Solar-Kraftwerke den Mehrbedarf nicht decken können. 10,5 Prozent des deutschen Strombedarfs lieferten so die Gaskraftwerke 2021.

Atomkraft hingegen deckt die Grundlast bei der Stromversorgung, also den Strombedarf, der tags wie nachts benötigt wird. So wie Braunkohle-Kraftwerke sind Kernkraftwerke sehr schwerfällig zu regulieren, hoch- und runterzufahren und eignen sich daher nicht zum Ersatz von Gaskraftwerken, die bei Bedarf blitzschnell angeworfen werden müssen. Pumpspeicher-Kraftwerke in den Bergen wären hier ein entsprechender Ersatz oder der schnell steuerbare Ausgleich durch große Stromverbraucher aus der Industrie, die – wie etwa Kühlhäuser oder Aluminiumschmelzen – ihre Anlagen kurzfristig vom Stromnetz nehmen.

Andreas Fischer, Energie-Experte vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, ist gegenüber FOCUS Online Habecks Meinung: „Für kurzfristige Anpassungen in der Stromerzeugung sind moderne Steinkohlekraftwerke wesentlich besser geeignet, da sie viel schneller und flexibler zu steuern sind als Kernkraftwerke.

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Und ältere Steinkohlekraftwerke würden laut Habecks Plan dann mit rund sieben Gigawatt in Reserve stehen, um bei Bedarf ab 2023 die drei Atommeiler zu ersetzen.

Nur Strom: Abwärme der AKW verpufft ungenutzt in den Kühltürmen

Auch beim Heizen hilft Atomkraft nicht weiter. Denn Atomkraftwerke dienen nur der Stromversorgung. Und Stromheizungen sind in Deutschland kaum gebräuchlich. Zum Heizen verwenden die Deutschen überwiegend Gaskessel in ihren Kellern, seltener strombetriebene Wärmepumpen, Holzpellet-Heizungen oder alte Ölkessel.

Die Abwärme der AKW verpufft ungenutzt in den Kühltürmen, deren erwärmtes Wasser dann in die benachbarten Flüsse geleitet wird. Um die Wärme eines AKW zu nutzen, müsste man es nahe an die Städte und deren Fernwärmenetze heranbauen. Ein AKW in einem Stadtgebiet gibt es aber aus sicherheitstechnischen Gründen nicht. Daher gelten AKW auch als sehr ineffiziente Kraftwerke. IW-Experte Fischer: „Im Großen und Ganzen kann die Atomkraft das Erdgas-Problem nicht lösen, da es vor allem ums Heizen und um den Wärmebedarf geht.“

Fazit: Söder liegt falsch: Die Atomkraft kann Gas weder beim Heizen noch bei der Stromerzeugung ersetzen. Das hat aber nichts mit einem Mangel an Brennelementen zu tun, wie Habeck behauptete, sondern mit der Schwerfälligkeit und Ineffizienz der AKW.
Um die Energieversorgung zu sichern, müssen Deutschlands Gasspeicher wohl bis zum Winter weiter mit Putins Gas befüllt werden. Russisches Erdgas kann in den nächsten Monaten zudem mit LNG-Flüssiggas aus den USA oder von der arabischen Halbinsel teilweise ersetzt werden. Gelingt dies nicht, müssten wohl Steinkohlekraftwerke einspringen, um die Stromversorgung zu sichern. Offen bliebe dann die Versorgungsfrage beim Heizen, falls die Gas-Speicher für den Winter nicht voll genug wären.


Die Schwäbische Zeitung versteigt sich mit wilder Polemik:

Mehr Chancen statt Gefahren: Wissenschaftsphilosoph hält Atomkraft in Deutschland für sinnvoll  hier

Ein kleiner aber vielsagender Ausschnitt:

Aufgrund von politischem Gerangel sieht es aber so aus, als würde die Kernenergie von der EU doch bestenfalls als Übergangstechnologie eingestuft, entgegen dem Expertenvotum.

Warum zählen für Sie die Argumente, Kernenergie sei wegen des potenziell enormen Schadens bei einem Störfall und wegen des viele Jahrhunderte strahlenden Atommülls gefährlich, nicht? Waren Tschernobyl und Fukushima keine klaren Warnungen?

„Gefährlich“ ist relativ. Wissenschaftliche Studien haben sich angesehen, wie viele Tote welche Form der Energiegewinnung pro Energieeinheit verursacht hat. Und da liegt Kernenergie etwa gleichauf mit Wind- und Solarenergie und weit vor den fossilen Energien. Ihr Risikoprofil – Unfälle sind selten, aber wenn sie passieren, dann auf vergleichsweise großer Skala – ist ähnlich dem der Wasserkraft.

sollte das ein Witz sein? 


Während der Südkurier am 23.6.22 recht sachlich berichtet. Danke dafür!

Konzerne gegen Akw-Verlängerung

Die deutsche Energiewirtschaft hält derzeitige Überlegungen zur Verlängerung der Atomkraft für rückwärtsgewandt und fordert stattdessen angesichts drohender Versorgungsengpässe einen Fokus auf das Gassparen. RWE-Chef Markus Krebber sagte, er „wundere“ sich über die Debatte, vor allem über den Zeitpunkt. Eon warb um Verständnis für das Aus seiner Atomkraftwerke (Akw).

Die verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland müssen nach geltendem Atomrecht spätestens Ende Dezember vom Netz gehen. Vor dem Hintergrund der reduzierten Gaslieferungen aus Russland wird derzeit über Kohleverstromung diskutiert, um die Gasreserven zu schonen. Es gibt aber auch Forderungen, eine Akw-Laufzeitverlängerung zu prüfen – unter anderem aus der FDP.

Krebber sagte, die Atomdebatte komme „zu spät“. Es könnten nicht einfach von irgendwoher die benötigten Brennstäbe für die Akw eingekauft werden, diese müssten „genau zum Reaktortyp passen“. Es gehe zudem nicht nur um die Verfügbarkeit von Brennstäben, sondern auch um die „Frage der Sicherheitsarchitektur, der Sicherheitsüberprüfungen“ und der Übernahme von Risiken. 

„Wir müssen uns um die Sachen kümmern, die wirklich die Probleme lösen.
Gasinfrastruktur aufbauen, Gas sparen“, sagte der RWE-Chef. 

Wir müssen die neuen Technologien an Bord bringen und nicht
Diskussionen führen, ob irgendwas einen Monat länger läuft.“
 Es gehe um Zukunftsthemen und nicht um den Blick „nach hinten“.
Markus Krebber, RWE-Chef 

Der Eon-Konzern warb in einem Brief an die Beschäftigten der Atomtochter Preussenelektra um Verständnis, dass der Konzern seine Atommeiler nicht länger betreibt. „Die Bundesregierung hat den Beitrag, den die verbliebenen Kernkraftwerke zur Lösung der aktuellen Energie-Krise leisten können, geprüft und ist nach einer Abwägung zu der Entscheidung gelangt, dass Kernenergie nicht Teil der Lösung sein soll“, hieß es im Brief von Eon-Chef Leonhard Birnbaum. „Diese Entscheidung müssen wir respektieren.“ Eons letzter Atommeiler Isar 2 geht Ende des Jahres vom Netz.

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