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Debatte über Tempolimit: Städtetag bittet um Prüfung, FDP bleibt beim Nein
Vor dem Hintergrund drohender Energieversorgungslücken durch den Ukraine-Krieg wird verstärkt über die Einführung eines Tempolimits diskutiert. Der Deutsche Städtetag forderte die Bundesregierung auf, die Einführung einer solchen Maßnahme zu prüfen. Zur Begründung sagte Hauptgeschäftsführer Dedy, ein russischer Gas- oder Öl-Lieferstopp sei ein realistisches Szenario.
ARD Tagesschau hier Von Moritz Rödle, ARD-Hauptstadtstudio
Energiesicherheit Tempolimit per Verordnung?
Energiesparen wird wegen des Ukraine-Kriegs immer wichtiger. Auch ein Tempolimit steht wieder zur Debatte. Doch für ein Gesetz fehlen weiter die Mehrheiten - dabei gäbe es andere Wege.
Im Zuge der Debatte um russische Öl- und Gas-Importe wird eines immer wieder diskutiert: ein Tempolimit auf Autobahnen. Laut Zahlen des Umweltbundesamtes könnten durch ein generelles Tempolimit von 120 km/h auf deutschen Autobahnen jährlich rund 2,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden. Umgerechnet wären das mehr als 1000 Millionen Liter Benzin. Bei einem Tempolimit von 130 km/h kämen umgerechnet immer noch gut 600 Millionen Liter eingespartes Benzin zusammen.
Der Deutsche Städtetag plädiert dafür, die Maßnahme zu prüfen. Und auch der Umweltverband BUND fordert sofortige Maßnahmen zum Energiesparen - darunter ein generelles Tempolimit.
Mit SPD und Grünen haben sich zwei von drei Koalitionspartnern in der Regierung grundsätzlich für ein Tempolimit ausgesprochen. Zuletzt hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in einem Interview mit der Tageszeitung "taz" klar gemacht, dass er sich ein Tempolimit wünsche, die FDP da aber anders draufschaue.
Auch in der SPD gibt es einen Parteitagsbeschluss für ein generelles Tempolimit. Es wäre also wenig verwunderlich, wenn es beim Koalitionsausschuss in der vergangenen Woche nicht auch um ein Tempolimit gegangen wäre. Offiziell wollen sich die Parteien zu den Inhalten der elf Stunden dauernden Verhandlungen zwar nicht äußern. Fakt ist aber: Selbst wenn das Tempolimit diskutiert wurde, ins Ergebnispapier schaffte es die Maßnahme am Ende nicht.
Bei den Grünen löst das zunehmend Frust aus. Der verkehrspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Stefan Gelbhaar sagte dem ARD-Hauptstadtstudio: "Wer die Abhängigkeit vom russischen Erdöl reduzieren will, muss auch konkrete Maßnahmen auf den Weg bringen."
Selbst temporäre Geschwindigkeitsreduzierungen abzulehnen, dürfe sich das Verkehrsministerium nur dann erlauben, wenn andere Vorschläge vorgelegt würden. "Die fehlen bislang", so Gelbhaar. Das Verkehrsministerium wird von der FDP geführt und die stemmt sich - sehr zum Verdruss der Grünen und von Teilen der SPD - offenbar wacker gegen ein Tempolimit. Ohne die FDP hat die Ampelkoalition im Bundestag aber keine Mehrheit für ein solches Vorhaben.
Für ein befristetes Tempolimit wäre so eine Mehrheit aber weder im Bundestag noch im Bundesrat nötig. Möglich macht das ein altes Gesetz von 1974. Das Jahr nach der ersten sogenannten Ölkrise. Das Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung, kurz Energiesicherungsgesetz, ermöglicht es der Bundesregierung, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klima eine Verordnungsermächtigung zu übertragen. Das Ministerium könnte dann ein befristetes Tempolimit anordnen.
Dafür gibt es aber ein paar Voraussetzungen. Der Verfassungsrechtler Joachim Wieland erklärt: "Ziel der Verordnung müsste die Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie sein." Dafür müsse die Energieversorgung unmittelbar gefährdet oder gestört sein. Die Verordnung müsse außerdem auf das Maß beschränkt werden, das zur Behebung der Gefährdung oder Störung der Energieversorgung unbedingt erforderlich sei.
Und das Energiesicherungsgesetz beschränkt sich nicht nur auf ein Tempolimit. Auch zeitliche Beschränkungen - zum Beispiel autofreie Sonntage - könnte die Bundesregierung verordnen oder die Nutzung von Verbrenner-Autos für bestimmte Personengruppen einschränken. Statt der beschlossenen Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe hätte die Bundesregierung auch Höchstpreise für Mineralölprodukte festlegen können. Für alle diese Maßnahmen bräuchte sie kein neues Gesetz. Der Bundestag müsste nicht tätig werden. Das alte Energiesicherungsgesetz hält all diese Werkzeuge vor.
Und in der Praxis?
Der renommierte Verfassungsrechtler Wieland glaubt aber trotzdem nicht, dass die Bundesregierung sich darauf berufen wird. Dem ARD-Hauptstadtstudio sagte er: "In der Staatspraxis würde allerdings die Bundesregierung vermutlich wegen der Brisanz des Themas nicht den Weg über eine Rechtsverordnung gehen, sondern eine entsprechende gesetzliche Regelung durch den Bundestag beschließen lassen, wenn sich denn eine politische Einigung in der Regierung erzielen lassen würde." Und das, obwohl der Werkzeugkasten bereits zur Verfügung steht.
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