Mittwoch, 16. April 2025

Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt

 hier ARD

Grüne sehen Rückschritt in der Klimapolitik

Für Michael Bloss von den Grünen ist der Copernicus-Bericht ein Beleg dafür, dass Europa noch nicht das Tempo aufgenommen hat, das es braucht. Der Bericht zeige, dass Europa sich beeilen müsse. Es müsse mehr Tempo her, nicht weniger. Der Politik stellt er ein Armutszeugnis aus, weil sie nicht genügend darauf reagiere.

Er sieht sowohl in Europa wie auch im Koalitionsvertrag der mutmaßlichen neuen Bundesregierung Rückschritte in der Klimapolitik. Vor dem Hintergrund des Copernicus-Berichts sei das geradezu absurd, so Bloss." 


hier Handelsblatt  Silke Kersting  15.04.2025 

 Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt

Die Wetterextreme nehmen zu und mit ihnen auch die Folgen des Klimawandels in Europa, beobachten Klimaforscher. Welche Antworten darauf gibt der Koalitionsvertrag von Union und SPD?

Das Jahr ist noch zu jung, um die Auswirkungen des Klimawandels in 2025 zu prognostizieren. Doch nach Daten des EU-Klimaforschungsdiensts Copernicus ist Europa der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt – und auch die Auswirkungen des Klimawandels sind hier deutlich spürbar.

Nicht nur global gesehen war 2024 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, die bis 1850 zurückreichen. Das gilt auch für Europa, mit Rekordtemperaturen auf fast der Hälfte des Kontinents. Das gaben der Copernicus Climate Change Service (C3S) und die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) am Dienstagmorgen in ihrem Bericht zum European State of the Climate (ESOTC) bekannt.

C3S-Direktor Carlo Buontempo sprach von „großen klimatischen Unterschieden“. Demnach gab es einen ausgeprägten Ost-West-Kontrast zwischen trockenen, sonnigen und extrem warmen Bedingungen im europäischen Osten und bewölkteren, feuchteren und weniger warmen Bedingungen im Westen. Nach Angaben von Copernicus führten die heftigen Stürme und Überschwemmungen zu mindestens 335 Todesopfern und betrafen schätzungsweise 413.000 Menschen.

In diesem Jahr hat die Frühjahrstrockenheit in Deutschland schon Einschränkungen bei der Schifffahrt auf dem Rhein zur Konsequenz, die Waldbrandgefahr ist vielerorts bereits im April hoch, während auf der kanarischen Insel Lanzarote am Wochenende schwere Regenfälle für Überflutungen gesorgt haben.

Die Risiken für die Bevölkerung steigen, warnt Copernicus. Einerseits wegen zunehmender Extremwetterereignisse wie Stürmen und Starkregen, andererseits wegen einer zunehmenden Zahl heißer Tage mit Temperaturen über 30 Grad Celsius. Auch die Zahl der Tropennächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt, steigt – und damit die gesundheitliche Belastung für viele Menschen.

Hohe Risiken für die Infrastruktur

Copernicus warnt zudem vor zunehmenden Risiken für die bebaute Umwelt und die Infrastrukturen; es bestehe dringender Handlungsbedarf vor allem mit Blick auf Hochwasserrisiken, die bis Mitte des Jahrhunderts ein „kritisches Ausmaß“ erreichen könnten. Die Klimaforscher schließen nicht aus, dass sich die Schäden an der bebauten Umwelt aufgrund extremer Wetterbedingungen bis zum Ende dieses Jahrhunderts verzehnfachen könnten.

Immerhin beobachtet Copernicus, dass inzwischen 51 Prozent der europäischen Städte Pläne zur Anpassung an den Klimawandel eingeführt und mit der Umsetzung begonnen haben. 2018 seien es nur 26 Prozent gewesen.


Auch in Deutschland sind Kommunen dabei, 
ihre Klimaanpassungsmaßnahmen zu erweitern. 
Im Sommer 2024 trat ein 
bundesweites Klimaanpassungsgesetz in Kraft. 
Eine Strategie des Bundes 
für die Anpassung an den Klimawandel 
hat das Bundeskabinett vergangenen Dezember verabschiedet.



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Union und SPD wollen die Klimaanpassungsstrategie umsetzen, das bestätigen sie in ihrem Koalitionsvertrag. Kommunen würden bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt, Hochwasser- und Küstenschutzmaßnahmen würden beschleunigt, heißt es.

Bei Entwicklungs- und Umweltorganisationen stößt der Passus auf Zustimmung. Ebenso das Bekenntnis der Koalition, Investitionen zum Schutz der Ökosysteme hierzulande verstetigen zu wollen. Noch-Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte vor zwei Jahren ein Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ auf den Weg gebracht. Bis 2026 wurden dafür insgesamt vier Milliarden eingeplant.

Viele Punkte im Koalitionsvertrag zum Klimaschutz stoßen auf positive Resonanz, an erster Stelle das Festhalten an den deutschen und europäischen Klimazielen. Auch zum Pariser Klimaabkommen bekennen sich Union und SPD.

Dass Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik stärker zusammengedacht und die bilateralen Beziehungen zu den Ländern des Globalen Südens verstärkt werden sollen, kommt positiv an, ebenfalls das Festhalten an einem eigenständigen Entwicklungshilfeministerium.

Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch wertet es als „wichtiges Signal“, dass sich bei den künftigen Koalitionspartnern die Einsicht durchgesetzt habe: „Sicherheit wird nicht allein militärisch und mit Blick auf die Ukraine gewährleistet, sondern auch durch internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen Hunger, Pandemien und die Klimakrise.“

Die Klimakrise zähle zu den größten sicherheitspolitischen Herausforderungen, sagte Germanwatch-Politikchef Christoph Bals. Eine gezielte Unterstützung von Partnerländern im Globalen Süden sei Ausdruck notwendiger globaler Verantwortung – und zugleich in direktem sicherheits- und wirtschaftspolitischem Interesse. Die geplanten Kürzungen bei der Entwicklungshilfe sieht Bals kritisch.

Experten des Forschungsinstituts NewClimate Institute werfen Union und SPD dagegen vor, dass der Koalitionsvertrag eine klare Strategie für internationale Klimapolitik und strategische Partnerschaften vermissen lasse. Statt Partnerschaften auf Augenhöhe stünden einseitige deutsche Interessen im Fokus, von Fluchtursachenbekämpfung bis Rohstoffzugriff, sagten Lukas Kahlen und Ines Paiva dem Berliner „Tagesspiegel Background“.

Koalitionsvertrag

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Ob die Koalition das Versprechen Deutschlands hält, die Mittel aus dem Bundeshaushalt zur Unterstützung gegen die Klimakrise in den einkommensschwachen Ländern in diesem Jahr auf mindestens sechs Milliarden Euro anzuheben, ist unklar. „Wir werden unseren fairen Anteil an der internationalen Klimafinanzierung bereitstellen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Dabei werde verstärkt auch auf die Mobilisierung von privaten Mitteln sowie Beiträge nicht-traditioneller Geber gesetzt.

Die Zuständigkeit für internationale Klimapolitik soll künftig wohl nicht mehr im Außenministerium angesiedelt sein, sondern wandert zurück ins Umweltministerium. Ob es weiterhin einen Sonderbeauftragten für Klimaschutz geben wird, ist unsicher. Im Koalitionsvertrag ist davon keine Rede.

Noch-Außenministerin Annalena Baerbock hatte vor drei Jahren die ehemalige Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan als Staatssekretärin geholt. Wesentliche Fortschritte der internationalen Klimapolitik der vergangenen Jahre wären „nicht ohne ihre Strategie und ihr diplomatisches Geschick möglich gewesen“, lobte kürzlich Germanwatch-Experte Christoph Bals, der wie Morgan auf jeder der bisher 29 Weltklimakonferenzen persönlich dabei war.

Kai Niebert, Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR), kritisiert, der Koalitionsvertrag „greift tief in das Umwelt-, Planungs- und Beteiligungsrecht“ ein – und das in einer Zeit, in der mehr Klimaschutz notwendig wäre, nicht weniger. Noch schwerer wiegt laut Niebert, dass es künftig verstärkt möglich sein soll, Emissionsminderungen im Ausland auf heimische Ziele anzurechnen und dass Union und SPD „an überschätzte Technologien wie CCS für Gaskraftwerke“ glaubten.

CO2-Entnahme aus der Atmosphäre – Ein neues Geschäftsmodell?

CCS steht für Carbon Capture and Storage und bedeutet, dass CO2 direkt an der Emissionsquelle aufgefangen und unterirdisch gelagert wird und nicht in die Atmosphäre gelangt. Im Koalitionsvertrag heißt es, man wolle die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid „für schwer vermeidbare Emissionen des Industriesektors und für Gaskraftwerke“ ermöglichen.

Damit wird die Technologie nicht nur auf die Branchen Zement, Kalk und Abfallwirtschaft begrenzt, deren Emissionen bislang als „nicht vermeidbar“ angesehen werden. Wegen der Erweiterung auf Gaskraftwerke gehen Umweltorganisationen davon aus, dass weniger engagiert an einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes gearbeitet wird.


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