hier Focus Christoph Englmann 24.04.2025
Ein Güterzug in zweieinhalb Jahren: Neue Bahnstrecke wird zum Milliardenflop, weil Steigung für Züge zu anspruchsvoll ist
Vier Milliarden Euro für 20 Minuten Zeitgewinn und nur ein einziger Güterzug: Die neue Bahnstrecke Wendlingen–Ulm sollte den Verkehr entlasten – doch bisher bleibt sie weit hinter den Erwartungen zurück.
Seit Dezember 2022 ist sie in Betrieb, die neue ICE-Trasse zwischen Wendlingen und Ulm. Sie sollte nicht nur den Fernverkehr beschleunigen, sondern auch den Güterverkehr revolutionieren. Doch was als bedeutender Fortschritt im deutschen Bahnnetz angekündigt wurde, entpuppt sich mehr als zweieinhalb Jahre nach der Eröffnung als ernüchternde Investition: Bis heute ist auf der rund 60 Kilometer langen Strecke genau ein einziger Güterzug gefahren.
Steigung der Strecke zu anspruchsvoll für reguläre Güterzüge
Ein Sprecher der Deutschen Bahn bestätigte dem SWR: „Weitere Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) haben bisher keine Leistungen bestellt.“ Der Grund liegt offenbar in der Steigung der Strecke. Diese ist zu anspruchsvoll für reguläre, schwer beladene Güterzüge. Nur besonders leichte Züge mit einer Tonnage von maximal 1.000 Tonnen könnten sie befahren – doch die existieren in der Praxis kaum.
„Diese leichten Güterzüge gibt es nicht und wird es wahrscheinlich auch nicht geben“, kommentierte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Für ihn sei das Ergebnis keine Überraschung. Schon bei der Planung sei klar gewesen, dass die Strecke vor allem im Bundestag „schön gerechnet“ worden sei. Die ursprüngliche Berechnung des Nutzen-Kosten-Faktors basierte auf der Annahme, dass täglich 17 Güterzüge über die Neubaustrecke rollen würden. Nur so konnte das Milliardenprojekt damals die Förderkriterien erfüllen.
Stuttgart 21 als letzte Hoffnung
Letztlich blieben „zum Glück für die Fahrgäste die Vorteile für den Nahverkehr“, erklärt Hermann. So gibt es einen neuen Bahnhalt in Merklingen (Alb-Donau-Kreis) und auch die mittlere Alb werde sich durch die Neubaustrecke verändern.
Ursprünglich sollte das Projekt auch die stark beanspruchte alte Strecke über die Geislinger Steige entlasten – eine gemeinsame Trasse für Güter- und Personenzüge. Doch auch nach der Inbetriebnahme der neuen Trasse wird die alte Route weiter für den Fernverkehr genutzt. Eine Verlagerung wird erst erwartet, wenn das Projekt Stuttgart 21 abgeschlossen ist und der neue Hauptbahnhof in Betrieb geht – derzeit geplant für Ende 2026.
Unrealistische Annahmen?
Das Bundesverkehrsministerium hatte während der Planungsphase mit täglich 16 Güterzügen gerechnet, um die Wirtschaftlichkeit der Trasse zu begründen. Die Realität sieht anders aus. Kritiker werfen der Bahn vor, mit unrealistischen Annahmen gearbeitet zu haben, um das Projekt durchzubekommen.
Trotz der ernüchternden Bilanz spricht derzeit niemand von einem Scheitern. Zu groß ist offenbar die Hoffnung, dass mit der vollständigen Inbetriebnahme von Stuttgart 21 doch noch mehr Güterverkehr auf die Trasse verlagert werden kann. Ob das allerdings jemals eintritt, bleibt fraglich. Denn selbst die alte Strecke bietet laut Experten ausreichende Kapazitäten.
Vier Milliarden Euro für 20 Minuten Zeitersparnis
Fazit: Eine Investition von vier Milliarden Euro, die bislang vor allem durch ein starkes Missverhältnis auffällt: 20 Minuten Zeitersparnis im Fernverkehr – und gerade einmal ein einziger Güterzug seit der Inbetriebnahme. Was als Meilenstein im Bahnverkehr geplant war, wirft heute mehr Fragen auf als es Antworten liefert.
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