Peter Jelinek hier auf LinkedIn 28. April 2025
Klima- & Biodiversitätskrise lösen | European Green Deal verstehen | The Goodforces
Mit viel Fanfare und großem Eigenlob hat die EU-Kommission Ende Februar den Clean Industrial Deal (CID) vorgestellt. Günstigere Industriestrompreise, globale Partnerschaften, grüne Leitmärkte mit freiwilligen CO₂-Labels, neue Recyclingsysteme und eine 100-Milliarden-Euro-Dekarbonisierungsbank sollen es richten.
So weit, so ambitioniert. Aber hinter dem großen Anspruch, Europas Industrie klimaneutral und konkurrenzfähig zu machen, bleibt vieles wieder einmal erstaunlich vage. Es droht, was schon beim Net Zero Industry Act drohte: Viel heiße Luft und erneut verlorene Jahre für Europas Clean-Tech-Wirtschaft.
Aber genau das muss nicht sein. Der neue Klimabericht skizziert zusammen mit Nathan Lauer 3 Schritte, was anders laufen muss.
Denn während China längst je nach Technologie zwischen 40% und 98% der weltweiten Produktionskapazitäten für zentrale Cleantech-Komponenten kontrolliert und die USA mit 369 Milliarden Dollar aus dem Inflation Reduction Act unter dem ehemaligen US-Präsidenten Joe Biden massiv investieren – was selbst Trump bislang nicht antastet –, setzt Europa weiterhin auf schöne Gesetzestexte und kleine Nachbesserungen. Gesetze wie der Net-Zero Industry Act (NZIA) formulieren zwar große Ausbauziele bis 2030 (bspw. 40 Prozent der Wertschöpfungskette im PV-Bereich), schaffen aber kaum neue Finanzierungswege – und scheitern damit mit Ansage. Leider ändert auch der CID daran wenig.
Zwar verbindet der CID Industrietransformation schlüssig mit Zielen wie Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Resilienz. Doch eine echte Finanzierung, die dem im CID genannten Bedarf von 480 Milliarden Euro jährlich gerecht wird? Fehlanzeige. Stattdessen sollen über zehn Jahre 100 Milliarden Euro aus bekannten Quellen wie Innovationsfonds, InvestEU und ETS umgeschichtet werden – plus ein paar freiwillige Beiträge der Mitgliedstaaten.
Wirklich neu ist daran wenig. Die Zahlenmagie ist eine typische Antwort der EU, um es allen recht zu machen. Niederlande, Luxemburg oder Deutschland, um bloß keine neuen Schulden (Investitionen) aufzunehmen, Spanien, Portugal oder auch Italien, um zumindest ein paar Gelder von a nach b zu schieben. Und die soziale Konditionierung von Fördermitteln? Bleibt natürlich freiwillig.
Damit riskiert Europa nicht nur, im globalen Technologiewettlauf endgültig abgehängt zu werden, denn kein Unternehmen auf der Welt wird hier das Risiko eingehen. Vielmehr scheint der Drops gelutscht: China hat sich behauptet. Doch gerade für Deutschland steht noch mehr auf dem Spiel: gut bezahlte, tarifgebundene Industriearbeitsplätze, die durch die Transformation eigentlich gesichert und ausgebaut werden sollten. Durch die erratische Zollpolitik unter Trump wäre hier ein Signal umso wichtiger. Neue Daten zeigen: Besonders der Süden Deutschlands wird von den Zöllen getroffen werden – von Chinas E-Autovormarsch sowieso.Quelle: Spiegel
Dabei gäbe es längst praktikable Wege, um neue Gelder zu mobilisieren – ohne gleich neue gemeinsame Schulden aufnehmen zu müssen, wovor sich zu viele Mitgliedstaaten leider immer noch sträuben.
Wir bei THE GOODFORCES unter Federführung von Nathan Lauer haben uns im Auftrag der IG Metall und beraten durch Future Matters tiefergehend damit beschäftigt. Ergebnis: Die bestehenden Finanzierungslücken führen dazu, dass die EU bei entscheidenden Technologien wie Batterien und grünem Wasserstoff nicht in der Lage ist, technologischen Vorsprung in Marktfähigkeit zu übersetzen. Was es jetzt also braucht, ist klar: eine Industriepolitik, die nicht nur große Ziele formuliert, sondern auch die nötigen Investitionen mobilisiert.
Hier drei konkrete Maßnahmen, die auf diesem Weg ein erster Schritt sein können:
1. Ausbauen, was funktioniert: Europäische Investitionsbank und EU-Innovationsfonds
Die erfolgreichen Rückbürgschaften der Europäischen Investitionsbank für die Windindustrie sollten auf weitere Schlüsseltechnologien ausgeweitet werden. Durch die Bereitstellung von Rückbürgschaften können Banken größere Kreditlinien für Hersteller von Batterien, Elektrolyseuren und anderen Zukunftstechnologien gewähren, ohne dass diese hohe Kapitalreserven binden müssen. Das beschleunigt die Skalierung, reduziert Investitionsrisiken und schafft bessere Rahmenbedingungen für europäische Produzenten
Der EU-Innovationsfonds ist eines der wichtigsten Finanzierungsinstrumente für europäische Cleantech-Technologien, konzentriert sich allerdings bislang zu stark auf die Frühphase neuer Technologien. Ausschreibungsprozesse sollten stärker auf die Skalierbarkeit ausgerichtet werden, um den Markthochlauf von Schlüsseltechnologien wie Batterien und Wasserstoff zu fördern. Zudem könnten durch eine Vorfinanzierung des Fonds zukünftige Mittel früher bereitgestellt und so bestehende Finanzierungslücken geschlossen werden.
2. Ändern, was nicht funktioniert: Nationale Beihilfe und EU-Beschaffungswesen
Das EU-Beihilferecht setzt enge Grenzen für nationale Cleantech-Investitionen und behindert damit dringend notwendige Finanzierungsmaßnahmen. Eine gezielte Ausnahmeklausel für Cleantech-Investitionen könnte es Mitgliedstaaten ermöglichen, kurzfristig von strengen Defizit- und Haushaltszielen abzuweichen, wenn sie Investitionspläne für Schlüsseltechnologien wie grünen Wasserstoff vorlegen. Durch einen von der EU-Kommission festgelegten Richtwert für öffentliche Cleantech-Investitionen ließe sich zudem sicherstellen, dass diese Mittel gezielt und effektiv eingesetzt werden.
Mit einem Volumen von knapp 2 Billionen Euro pro Jahr könnte das öffentliche Beschaffungswesen der EU grüne Leitmärkte schaffen. Doch noch immer werden viele öffentliche Ausschreibungen primär nach dem niedrigsten Preis vergeben. Um dies zu korrigieren, sollten verbindliche nicht-preisliche Kriterien eingeführt werden, die strategische Schlüsseltechnologien bevorzugen (z.B. eine Quote für grünen Stahl in Bauprojekten). Dies würde nicht nur Anreize für Investitionen schaffen, sondern auch einen klar definierten Absatzmarkt für transformative Cleantech-Technologien.
3. Schaffen, was fehlt: Stabile, wettbewerbsfähige Strompreise
Stabile und wettbewerbsfähige Industriestrompreise sind entscheidend für den Erfolg der europäischen Cleantech-Industrie. Ein Netzentgeltdeckel für stromintensive Unternehmen könnte Produktionskosten senken und Standortnachteile ausgleichen. Gleichzeitig müssen Smart-Energy-Verträge und Datenstandards den flexiblen Stromverbrauch optimieren, um Netzstabilität und Kosteneffizienz zu fördern. Schließlich hilft eine selektive Förderung von Differenzkontrakten (CfDs) und Power Purchase Agreements (PPAs) dabei, feste Preise und Investitionssicherheit zu schaffen.
Entscheidend für alle diese Maßnahmen ist es, sie mit verbindlichen Arbeitsstandards zu verknüpfen, um faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen in der Energiewende zu verankern. Beim EU-Innovationsfonds und öffentlichen Beschaffungswesen sollten diese soziale Kriterien fester Bestandteil der Ausschreibungen sein. EIB-Rückbürgschaften, nationale Beihilfe sowie CfDs und PPAs sollten direkt an Tarifbindung und hohe Arbeitsstandards geknüpft werden, um soziale Fairness sicherzustellen.
Investieren oder verlieren – die EU hat die Wahl
Die Energiewende längst ein zentraler Wachstumsmotor ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Rund 30 % des europäischen Wirtschaftswachstums 2023 waren direkt dem Übergang zur Klimaneutralität verbunden. Und das Potenzial wächst weiter – Modellierungen zeigen, dass bis 2040 zusätzlich 2,1 Millionen Arbeitsplätze in diesem Sektor entstehen könnten.
Gerade für die deutsche Industrie, die aktuell mit sinkenden Bestellungen, historisch niedriger Auslastung und einer wachsenden Zahl von Insolvenzen und Produktionsverlagerungen zu kämpfen hat, wäre das ein dringend benötigter Aufschwung. Aber ohne eine gezielte Industriestrategie droht Europa, diese Chance zu verspielen: Marktanteile könnten verloren gehen, industrielle Strukturen erodieren, neue Abhängigkeiten entstehen. China ist so selbstbewusst, Trumps erratische Wirtschaftspolitik so unsicher wie nie. Europa muss sich behaupten und kann das auch: Der größte Binnenmarkt der Welt ist keine Kleinigkeit, sondern hier vorzufinden.
Und nein, es geht nicht nur um abstrakte Klima- oder Wettbewerbsziele – sondern um ganz konkrete Zukunftschancen für Industrie, Beschäftigte und Wohlstand in Europa. Und es geht auch, um beim Soziolgen Andreas Reckwitz zu bleiben, um die Frage, was die Demokratie liefert. Fortschritt und Wohlstand oder Abstieg und Verlustängste. Besonders letztes ist der Nährboden für die Populisten und Extremisten auf diesem Kontinent. Der Clean Industrial Deal liefert dafür zwar einige wichtige Ansätze, bleibt aber in der entscheidenden Frage der Finanzierung weit hinter dem Notwendigen zurück.
Was Europa jetzt braucht, ist eine echte Cleantech-Investitionsoffensive: klug, entschlossen und sozial abgesichert. Damit die Energiewende nicht zur Deindustrialisierung führt – sondern zur Basis einer klimaneutralen Wirtschaft im Dienst der Menschen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen