Frankfurter Rundschau hier Stand:23.03.2025,Von: Sereina Donatsch
‚Carbon Majors‘ müssen Verantwortung übernehmen“Juristin Theresa Mockel über die Klimakosten-Klage der indonesischen Insel Pari gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim. Ein Interview.
Den Firmensitz des Konzerns Holcim, der den Klimakiller Zement herstellt, und die Insel Pari trennen mehr als 11 000 Kilometer. Doch Treibhausgase wirken überall. Wer also haftet für Klimaschäden? Theresa Mockel vom Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) hilft den Menschen der Insel im Kampf um Gerechtigkeit.
Frau Mockel, das ECCHR unterstützt mit dem Schweizer Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche (HEKS) und der indonesischen Umwelt- und Menschenrechtsorganisation WALHI vier Bewohner:innen der Insel Pari in Indonesien, die gegen Holcim klagen. Was werfen sie dem Schweizer Baustoffproduzenten vor?
Holcim gehört zu den sogenannten Carbon Majors. Dabei handelt es sich um circa 100 Unternehmen, die etwa 70 Prozent der weltweiten industriellen Treibhausgasemissionen produziert haben. Holcim ist einer der größten Zementhersteller weltweit. Zement ist in der Herstellung extrem CO₂-intensiv. Der Zementsektor ist für bis zu acht Prozent der jährlichen globalen Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Zum Vergleich: Die Zementproduktion stößt mehr CO₂ aus als der gesamte weltweite Flugverkehr. Holcim trägt also eine besondere Verantwortung für die globale Erwärmung.
Was fordern die Bewohner:innen der Insel konkret?
Asmania, Edi Mulyono, Mustaqfarin (genannt Bobby) und Arif Pujianto fordern
- erstens, dass Holcim seine absoluten und relativen CO₂-Emissionen bis 2050 gemäß den Erfordernissen des Pariser Abkommens reduziert.
- Zweitens, dass das Unternehmen anteilig für die auf der Insel verursachten Klimaschäden zahlt.
- Und drittens, dass es sich an den Kosten für Maßnahmen beteiligt, die notwendig sind, um die Insel gegen die Folgen des Klimawandels zu schützen, beziehungsweise diese Folgen abzumindern.
Zur Person: Theresa Mockel arbeitet seit 2023 bei der Menschenrechtsorganisation ECCHR als Juristin im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte, mit dem Schwerpunkt auf Klimagerechtigkeit. sd/Bild: ECCHR
Was meinen Sie mit relativen und absoluten Emissionen?
Die relativen Emissionen entstehen pro Tonne produzierten Zements. Etwa 60 Prozent der CO₂-Emissionen entstehen bei der Entsäuerung von Kalkstein: Bei diesem chemischen Prozess wird der Rohstoff in Öfen erhitzt, wobei große Mengen an CO₂ freigesetzt werden. Durch die Heiztemperaturen kommt es außerdem zu einem hohen Energieverbrauch, der bis heute noch wohl zu einem großen Teil auf dem Einsatz fossiler Brennstoffe beruht. Die absoluten Emissionen sind die, die das Unternehmen insgesamt ausstößt. Um das Ziel von 1,5 Grad zu erreichen, will Holcim vor allem seine relativen Emissionen reduzieren. Es reicht aber nicht aus, wenn Holcim weniger CO₂ pro Tonne Zement ausstößt, aber dafür die Produktion insgesamt hochfährt.
Ein HEKS-Bericht beziffert, wie viel CO₂ Holcim seit 1950 emittiert hat und wie viel das Unternehmen pro Tonne CO₂ zahlen müsste. Was kommt heraus?
Der Bericht bezieht sich auf eine durch das HEKS in Auftrag gegebene Studie des amerikanischen Attributionsforschers Richard Heede. Nach dessen Berechnungen hat Holcim seit 1950 mehr als sieben Milliarden Tonnen CO₂ ausgestoßen. Das sind 0,42 Prozent aller industriellen CO₂-Emissionen weltweit und mehr als doppelt so viele Emissionen, wie in der gesamten Schweiz bislang ausgestoßen wurden. Im Jahr 2021 verursachte das Unternehmen noch immer dreimal so viele Emissionen wie das gesamte Land. Nach einer Berechnung des Umweltbundesamtes betragen die Klima- und Umweltkosten 195 Euro pro Tonne CO₂. Hätte Holcim diesen Betrag allein für jede im Jahr 2021 ausgestoßene Tonne seiner direkten CO₂-Emissionen zahlen müssen, so hätte die Firma etwa 22 Milliarden Euro gekostet, was ungefähr dem Umsatz im selben Jahr (26,8 Milliarden) entspricht. Das Problem ist aber: Diese Kosten werden aktuell nicht von Holcim getragen, sondern von Menschen, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, wie den Kläger:innen von der Insel Pari.
Sie waren vor kurzem auf Pari. Wie war es dort?
Ursprünglich haben die Bewohner:innen der Insel hauptsächlich vom Fischfang gelebt. Durch den globalen Temperaturanstieg hat sich das Meerwasser erwärmt, was wichtige Fischlebensräume wie Korallen verändert und zu einem drastischen Rückgang der Fischbestände geführt hat. Aus diesem Grund hat sich die Insel in den letzten Jahren auf den Tourismus umgestellt. Doch die Strände erodieren und Bäume, die an der Wasserkante stehen, stürzen um, weil sie keinen Halt mehr finden. Die Kläger:innen berichten, dass die Strände bereits bis zu acht Meter Tiefe verloren haben. Zur Illustration: Die Insel ist 2,6 Kilometer mal 430 Meter groß. Durch den steigenden Meeresspiegel werden auch die Überschwemmungen immer häufiger und heftiger.
Wenn die Strände verwüstet und verschmutzt sind, kommen auch keine Tourist:innen. Ein weiterer Tourismusmagnet waren bisher die strahlenden Korallenriffe, die mittlerweile aufgrund der steigenden Meerestemperatur bleich und farblos geworden sind. Asmania bietet etwa auch Tauchtouren an, und auch die anderen sind direkt oder indirekt auf den Tourismus angewiesen. Aber ohne Urlauber:innen verlieren sie eine wichtige Einnahmequelle. Durch den Anstieg des Meeresspiegels und häufigere Sturmfluten gelangt zudem immer mehr Salz in das Grundwasser. Infolgedessen ist der Gemüseanbau auf dem Großteil der Insel nicht mehr möglich und Produkte, die die Bewohner:innen früher selbst anbauen konnten, müssen sie nun kaufen. Für die Kläger:innen bedeutet all das Tag ein Tag aus eine enorme physische und psychische Belastung.
Warum klagen Sie ausgerechnet gegen Holcim? Wie ist es juristisch zu begründen, dass einzelne Unternehmen für den Anstieg des Meeres bei Indonesien verantwortlich sein sollen?
Der Konzern mit Sitz in Zug zählt zu den größten CO₂-Verursachern weltweit. Juristisch ist es möglich, nur einen Verursacher zu belangen, auch wenn mehrere gleichzeitig für einen Schaden verantwortlich sind. Wenn Holcim 0,42 Prozent aller weltweiten CO₂-Emissionen der Industrie verursacht, muss der Konzern einen entsprechenden Anteil der Schadenskosten in Pari tragen, beziehungsweise 0,42 Prozent der Kosten der Anpassungsmaßnahmen, wie etwa Mangroven pflanzen und Wellenbrecher bauen. Der finanzielle Ausgleich für bereits entstandene Schäden ist das eine, das andere ist, dass Holcim durch übermäßigen CO₂-Ausstoß nicht noch zu weiteren klimawandelbedingten Schäden beiträgt.
Doch Holcim verzögert das Gerichtsverfahren. Will man sich der Verantwortung entziehen?
In dem Rechtsstreit geht es vor allem um zwei Fragen:
- Ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen für Klimaschäden verantwortlich, die durch seine Geschäftstätigkeit mitverursacht wurden?
- Und ist das Unternehmen verpflichtet, das Verhalten, welches zu solchen Schäden führt, das heißt in diesem Falle den übermäßigen Ausstoß von CO₂-Emissionen, zu unterlassen?
Selbst wenn die Rechtstradition besagt, dass diejenigen, die einen Schaden verursachen, auch dafür bezahlen müssen, ist es nicht ein wenig naiv, gegen einen Riesen wie Holcim vorzugehen zu wollen?
Ich würde eher sagen, es ist naiv zu glauben, dass wir als Gesellschaft und Menschheit weiterkommen und vor allem die Klimakrise überwinden, ohne diesen Grundsatz aufrechtzuerhalten.
Dieser Grundsatz ist letztlich aus der wohlbegründeten Erkenntnis entstanden, dass eine Gemeinschaft nur dann funktionieren kann, wenn zugefügter Schaden wiedergutgemacht wird. Wenn wir diesen Grundsatz bei den weitreichendsten Schäden der Geschichte der Menschheit über Bord werfen, bedeutet das letztlich, dass wir offiziell zum Recht des Stärkeren zurückkehren. Wir sehen derzeit, wie diese Haltung weltweit an Boden gewinnt und auch, was sie für den Klimawandel bedeutet. Umso wichtiger ist es, dass sich die Gerichte diesem Trend widersetzen und auf die Einhaltung dieses Grundsatzes beharren.
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