Donnerstag, 10. April 2025

Warum der Klimaschutz wider Erwarten gestärkt werden könnte

Fingerspitzengefühl und Einführung des Klimageldes - wer hofft darauf bei der neuen Koalition?

Handelsblatt hier 08.04.2025 

Berücksichtigt die neue Bundesregierung drei Punkte, würde die Klimapolitik pragmatischer und effizienter. Davon würden Bürger, Industrie und das Klima profitieren, argumentiert Olaf Däuper.

Olaf Däuper ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Klimaschutz-, Energie- und Kartellrecht an der Universität Kassel. Er hat verschiedene Bundesregierungen in Klimaschutz- und Energiefragen beraten. 

Im Wahlkampf und in den Sondierungen spielte Klimaschutz nur eine Nebenrolle. Bei der Reform der Schuldenbremse aber sorgten die Grünen dafür, dass einerseits 100 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds fließen und andererseits das Ziel der Klimaneutralität (bis 2045) im Grundgesetz erstmals Erwähnung findet. Wie also wird die Klimaschutzpolitik von Union und SPD in der kommenden Legislatur aussehen?

Dabei sind drei Erkenntnisse wichtig.

  1.  Klimaschutz betrifft Haushalte und Industrie demnächst ganz unmittelbar, weil die Preise für fossile Energien steigen werden. Grund ist der Emissionshandel als zentrales marktwirtschaftliches Instrument des Klimaschutzes. Er wird künftig mehr Wirkung entfalten, weil die Verschmutzungszertifikate verknappt werden.

    Die neue Regierung muss verhindern, dass hierdurch Akzeptanz und Industriearbeitsplätze verloren gehen. Dafür ist Fingerspitzengefühl und zum sozialen Ausgleich auch die Einführung eines Klimagelds nötig. Mit dem Geld würden Bürger je nach ihrem Verbrauch für die Mehrkosten entlastet, die durch den Emissionshandel entstehen.

    Für die Industrie wird der europäische Clean Industrial Deal wichtig. Er soll die Transformation der Industrie mittels grüner Leitmärkte und Klimaschutzverträgen vorantreiben. Grüne Leitmärkte sollen die Nachfrage nach klimafreundlich hergestellten Grundstoffen wie Stahl oder Zement ankurbeln.

    Der Clean Industrial Deal muss der Industrie gleiche Voraussetzungen wie ihren globalen Wettbewerbern bereiten und sie in der Transformationsphase schützen.

  2. Für die Energiewende sind enorme private Investitionen nötig

    Für den Klimaschutz werden weitere extrem hohe Investitionen nötig – in Netze, Kraftwerke, Elektrolyseure oder Großbatterien. Der Expertenrat für Klimafragen beziffert den Bedarf in den kommenden Jahren auf 135 bis 255 Milliarden Euro – pro Jahr!

    Die Kapitalbindung im Energiesystem – nicht die Kosten – wird deutlich steigen. Angesichts leerer Haushaltskassen ist das Sondervermögen „Infrastruktur“ zwar richtig, aber die Details, wie diese Finanzmittel genutzt werden sollen, sind noch unklar.

    Das Sondervermögen allein wird auch nicht ausreichen. Nötig sind zusätzlich große Mengen an privatem Kapital. Dafür benötigen Investoren attraktive Rahmenbedingungen, etwa was die Höhe der Renditen angeht, die Energieversorger für Investitionen in ihre Netze erzielen dürfen.

    Risiken und Cashflow-Profile der Projekte müssen den Anforderungen des Kapitalmarktes entsprechen
    . Das bedeutet, die Projekte müssen ein angemessenes Verhältnis von Chancen und Risiken aufweisen, kurze Abschreibungszeiträume sowie ausreichend schnellen Cash-Rückfluss an die Investoren.

    Wichtig: Auch die kommunalen Energieversorger, die für das Gelingen der Energiewende in der Fläche entscheidend sind, müssen einen einfachen Zugang zu Eigenkapital und zum Kapitalmarkt insgesamt erhalten.
    Denkbar wäre ein niederschwellig ausgestalteter Investitionsfonds mit staatlicher Ausfallbürgschaft, in den private Kapitalanleger investieren können.

  3. Der Koordinierungsaufwand im Energiesystem wird exponentiell steigen. Grund ist zum einen die vom Wetter abhängige und damit volatile Produktion der Erneuerbaren.

    Der entscheidende Grund ist zum anderen aber die stark steigende Zahl von Prosumern, also denen, die sowohl Energie verbrauchen als auch einspeisen. Laut dem Statistischen Bundesamt waren im April 2024 insgesamt 3,4 Millionen Solaranlagen in Deutschland installiert. Flexibilität im System, also der Zugang zu steuerbaren Erzeugungseinheiten, Verbrauchern oder auch zu Speichern, wird zukünftig immer wichtiger werden.
Die Energieversorgung muss zum digitalen Vorreiter werden.

Ohne eine voll digitalisierte Energiewirtschaft lässt sich die Energieversorgung mit dem hohen Anteil von Erneuerbaren und – in der Folge – einer Vielzahl von Kommunikationsprozessen schon rein technisch nicht einwandfrei abwickeln.

Aus der Not lässt sich aber eine Tugend machen: Warum nicht die Energiewirtschaft als einen Vorreiter der Digitalisierung begreifen, Datenschutzregelungen sektorspezifisch vereinfachen und damit eine voll automatisierte Marktkommunikation ermöglichen?

Nachdem im Wahlkampf noch befürchtet wurde, dass der Klimaschutz verwässert oder gar in Teilen rückgängig gemacht wird, ist inzwischen klar: Am Klimaschutz wird weder in Deutschland noch in Europa  gerüttelt. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 bleibt bestehen. Ob in Deutschland ein eigenes Klimaschutzministerium geschaffen wird oder nicht, ist letztendlich nur Symbolpolitik - genauso wie ein Wiedereinstieg in die Atomenergie. Der würde kein Klimaschutzproblem lösen, sondern nur neue Probleme schaffen.

Entscheidend ist: Auch wenn die Probleme drängender werden, sind sie lösbar! 

In der Vergangenheit war es nicht selten so, dass die politische Seite, die einer Herausforderung erst skeptisch gegenüberstand, sie aber anging, dadurch in der Bevölkerung insgesamt für mehr Akzeptanz gesorgt hat. Als historische Beispiele seien Merkels Atomausstieg oder Schröders Agenda 2010 angeführt.

Insofern: Viele erwarten von der neuen Bundesregierung klimapolitisch wenig. Tatsächlich könnte es eine Überraschung geben, wenn nämlich eine sowohl pragmatische als auch effiziente Vertiefung der bisherigen Politikansätze entlang der genannten Erkenntnisse gelingt.

Der Autor: Olaf Däuper ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Klimaschutz-, Energie- und Kartellrecht an der Universität Kassel. Er hat verschiedene Bundesregierungen in Klimaschutz- und Energiefragen beraten.

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