WiWo hier KOMMENTAR von Herbert Diess 06.04.2025 -
Liebt Elektroautos, verabschiedet euch von Diesel-SubventionenDeutsche Premium-Automobilhersteller stehen unter Druck. Doch sie müssen sich chinesischer Konkurrenz nicht ergeben. Eine Kolumne.
Was ist los mit dem deutschen Automobilcluster, das seit 40 Jahren den weltweiten Premiummarkt dominiert? Das sich so lange gegen alle internationalen Wettbewerber erfolgreich verteidigen konnte?
Porsche, Daimler, BMW und Audi bauen im Wettbewerb untereinander die besten Autos und haben lange mit Innovationen Zeichen gesetzt. Sie arbeiten quasi auf Sichtweite – im Umkreis von 200 Kilometern, gestützt durch leistungsfähige Zulieferer und durch eine beachtliche Produktion von Volumenfahrzeugen bei VW und (abnehmend) Ford und Opel, die für die nötigen Skaleneffekte sorgen.
Alles in allem ein extrem erfolgreiches Automobilcluster, gestützt durch die Politik: Es gibt kein Tempolimit, dazu eine Dienstwagenbesteuerung, die den Marktanteil von Premiumfahrzeugen auf über 30 Prozent treibt. Es gab „Auto-Kanzler“ über Bundesregierungen hinweg. Und dennoch hat das Cluster an Kraft verloren.
Die Autoindustrie ist im Umbruch, weltweit. Die Weiterentwicklung des Verbrennerantriebs ist nach mehr als hundert Jahren Optimierung ausgereizt. Er kann die neuen Forderungen nach weiteren CO2- und Emissionsreduzierungen nicht mehr erfüllen. Die Ausbreitung der elektrifizierten Antriebe hat fulminant begonnen.
Der noch mächtigere Entwicklungsschub ist mit dem automatischen Fahren in Sichtweite. Die Dynamik dieser Industrie wird nicht mehr in Deutschland, sondern in China bestimmt – dem weltweit mit großem Abstand größten Automobilmarkt und noch größerem Abstand größten Premium-Automobilmarkt.
Zurzeit ist es unsere Wahrnehmung, dass insbesondere die deutsche Industrie von diesem Umbruch betroffen ist. Das stimmt nicht. Wenngleich die Auswirkungen und Gefahren in Deutschland aufgrund der Bedeutung des Autos für unseren Wohlstand größer sind als anderswo.
Der Weltmarkt wächst kaum. Der Wettbewerb nimmt weltweit durch „Neustarter“ in der Industrie und zusätzliche Kapazitäten in Fabriken von Tesla oder BYD dramatisch zu. Die Gewinne schrumpfen dadurch.
Nur sehr wenige Autounternehmen können in diesem Umfeld derzeit wirklich gute Nachrichten verbreiten. Die CO2-Flottenziele werden nicht erreicht. Die Gewinnmargen schwinden weltweit, die Marktanteilsverluste in China sind für Japaner, US-Amerikaner und Deutsche, aber auch für chinesische Staatsunternehmen selbst, eklatant. Werke müssen geschlossen werden.
1. Der Leitmarkt für die neuen Technologien ist nicht mehr Deutschland
Wir haben leider regulatorisch, politisch und emotional verschlafen – und, wir lieben das Elektroauto noch nicht genug. Wir haben es nicht geschafft, die Rahmenbedingungen für einen Durchbruch der neuen Technologien zu schaffen. Vielleicht verständlich aufgrund unserer Automobilgeschichte, geprägt von Gottlieb Daimler und Rudolf Diesel – aber eben auch schade und ein Nachteil in der neuen Automobilwelt. Ein starker Heimatmarkt ist eigentlich Voraussetzung für internationalen Erfolg.
Um weltweit technologisch vorne dabei zu bleiben, müssen wir jetzt vor allem im wettbewerbsintensivsten Markt und dem größten Cluster für NEV (New Energy Vehicles = Plug-in-Hybride und E-Fahrzeuge), in China erfolgreich sein – nicht mehr in Deutschland. Der Heimatmarkt hinkt bei der Marktdurchdringung mit solchen Fahrzeugen derzeit weit hinterher, selbst im europäischen Vergleich.
Die erfolgreiche Teilnahme am chinesischen Ökosystem, mit der dortigen Dominanz bei Batterietechnologie, den riesigen Skaleneffekten für alle Elektroauto-Komponenten und fast uneinholbar bei den Kosten, ist für die deutschen Hersteller essenziell, um weltweit bei Technologien und Kosten wettbewerbsfähig zu werden.
2030 wollte China einen NEV-Absatz in Höhe von 50 Prozent der verkauften Autos erreichen. Wie so viele Fünfjahrespläne in kommunistischen Systemen ist auch diese Planung fehlgeschlagen: Die Ziele wurden sechs Jahre zu früh erreicht! Mit all den Verwerfungen, insbesondere auch für chinesische Staatsunternehmen und ihre westlichen Kooperationspartner, die besonders schwer am schnellen Wandel tragen. Da täuscht der hier wahrgenommene Erfolg der Marke MG des Staatsunternehmens SAIC in Europa etwas.
2. Chinesische Unternehmen überflügeln deutsche und europäische Konkurrenten
Beachtenswert in China ist zum Beispiel, dass dort von Huawei ausgegründet inzwischen ein chinesischer „Über Bosch“ (oder Continental) entstanden ist, der mit seinen Entwicklungen praktisch die gesamte Fahrzeugfunktionalität Elektrik/Elektronik als Plattform für verschiedene Hersteller zur Verfügung stellt. Und das auf höchstem technischem Niveau.
Die abhängigen Autohersteller konzentrieren sich auf das Design von Exterieur und Interieur, machen das Blech und die Innenräume und vermarkten das Produkt. Für den technischen Fortschritt und die Wettbewerbsfähigkeit sorgt Huawei.
„BYD“ muss man ernst nehmen, gestartet als erfolgreicher Batteriehersteller, mittlerweile auch profitabler Marktführer bei E-Autos mit bester Kostenbasis, Technik und Wettbewerbsfähigkeit. Aber auch mit dem weit über das Auto hinausgehenden Anspruch, das Auto zum Teil des Heim-Ökosystems zu machen, mit BYD-Solar, BYD-Speicher, BYD-Auto und BYD-Energie.
Pony AI, ein Anbieter von automatischen Taxis, und andere Robotaxi-Start-ups muss man ernst nehmen. In China fahren rund zehnmal mehr Robotaxis als bei Waymo in den USA. Sie haben Hunderttausende Kunden täglich, die den Fahrer im Taxi nicht mehr vermissen. Europa hat hier deutlichen Nachholbedarf. VW hat angekündigt, im nächsten Jahr zusammen mit Mobileye auch in Deutschland mit Robotaxi-Fahrten zu beginnen. Die neue Bundesregierung setzt sich das Ziel, die regulatorischen Rahmenbedingungen dafür voranzubringen.
3. Der europäische Markt für E-Auto-Batterien braucht Kooperationen
Der Traum einer europäischen Alternative zu chinesischen Batterien erfüllt sich derzeit nicht. Mit fast wöchentlichen Rekordmeldungen aus China zu Ladegeschwindigkeit („Laden so schnell wie tanken“), Lebensdauer (Garantien für 1,8 Millionen Kilometer beispielsweise bei Lkw-Batterien) und Kostenreduzierungen erscheint das nicht mehr möglich. Die Chinesen enteilen mit Riesenschritten. Nur gemeinsam mit chinesischen Unternehmen kann eine wiedererstarkende europäische Batterieindustrie gelingen – ohne weitere Milliarden in Start-ups zu investieren, die in diesem Wettbewerb keine Chance mehr haben.
Wo liegen die Chancen für deutsche Hersteller?
Ein Wettbewerbsvorteil ist eine starke Marke über einzelne Fahrzeugmodelle hinweg, dazu eine hohe Identifikation des Kunden mit der Marke. Außerdem müssen die Hersteller eine konsistente Modellpolitik über Generationen hinweg (3er-BMW, Golf, Mercedes S-Klasse, Porsche 911), sowie ein Premium-Kundenerlebnis im Vertrieb und ein dichtes Servicenetzwerk bieten. Das sind Aufgaben, die chinesische Hersteller nicht so leicht lösen können wie „schneller und kostengünstiger“.
Es gibt bisher nur wenige chinesische Weltmarken (vielleicht Huawei?). Aber die Chinesen werden auch hier schnell dazulernen.
Die deutschen Hersteller sind technisch auf Augenhöhe und nah dran. Die größten und wichtigsten Kunden von CATL, dem wichtigsten Batteriehersteller, sind aus Deutschland. Außerhalb Chinas funktioniert die chinesische Elektronik und Software bislang auch nicht so gut wie im Heimatmarkt. Fahrerassistenz? Bedienung? Klassische Fahrzeugeigenschaften? Das sind Stärken deutscher Automarken.
Ich habe auch in China noch nichts gefahren, was man in Deutschland nicht auch leisten könnte – mit Ausnahme der auf Huawei-Technologie basierenden Fahrzeuge und Robotaxis. Und die nächste, zweite Generation der deutschen NEV wird wieder Maßstäbe setzen, bei Reichweite, Schnellladen und Fahrerassistenz. Die elektrische Plattform bei BMW (Neue Klasse) und anderen kommt erst jetzt auf den Markt.
Und anders als viele Start-ups und chinesische Hersteller verdienen die deutschen Konzerne noch Geld mit der Automobilherstellung, zwar weniger als zu Zeiten des China-Booms, aber immer noch mehr als zuvor. Sie verkaufen mehr NEV als die meisten Start-ups und wachsen zudem schneller mit ihren E-Fahrzeugen. Schon jetzt führt VW mit deutlichem Abstand im europäischen E-Fahrzeugmarkt. In den ersten Monaten 2025 hat sich der Bestelleingang bei VW um mehr als 80 Prozent erhöht.
Lasst die Diesel-Subventionen auslaufen
Das Koalitionspapier der Unionsparteien und der SPD zeigt den Weg nach vorne auf – anders als noch in der Wahlkampfauseinandersetzung, als reaktionäre Stimmungen geschürt wurden. Das NEV hat Priorität, durch bidirektionales Laden wird es Teil des gesamten Energiesystems. Und elektrische Energie wird wieder billiger, das Autofahren dadurch auch.
Die Aufforderung an die künftige Bundesregierung lautet: Bildet eine Koalition zum Wiedererstarken der deutschen Autoindustrie: Deutschland wird Heimatmarkt und weltweites Cluster für Premium-NEV durch schnelles Laden überall und kostenfreies Fahren, durch Integration des Fahrzeugs in das Energiesystem. Und durch ein Auslaufen der Diesel-Subventionen – Rudolf wird es uns nachsehen.
Die deutsche „Auto AG“ hat das Potenzial, zu alter Stärke zurückzukehren. Politik und Unternehmen sind gleichermaßen gefordert. Und wir alle tun besser daran, das NEV zu lieben.
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