Montag, 21. April 2025

Ein Maulkorb für die Kirchen von der zweithöchsten Repräsentantin im Staat

 

Franz Sommerfeld
            Publizist

Klöckners „Maulkorb-Fantasien“ als Osterbotschaft

Scharf kritisiert das „Handelsblatt“ die Aufforderung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, der zweithöchsten Repräsentantin im Staat, zum höchsten Fest der Christen, sich nicht länger zu tagespolitischen Themen zu äussern, als „öffentliches Redeverbot“ (https://lnkd.in/eWWtpd4V): 

„Die Enttäuschung, die aus Klöckners Worten spricht, hat weniger mit Theologie als mit Parteipolitik zu tun. Dass sich führende Kirchenvertreter zuletzt kritisch zur Migrationspolitik von Friedrich Merz äußerten, scheint die Union schwer zu verdauen. Dabei wäre es Aufgabe gerade einer christlich geprägten Politik, sich dieser Kritik zu stellen – statt mit Maulkorb-Fantasien zu reagieren“.

Gerade die Vorgänger aus ihrer Partei, Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble, intervenierten immer wieder als Präsidenten des Parlaments für die freie Rede und offene Debatte. 

Wer die Äusserungen von ihr und mehr noch die von Jens Spahn zur AFD in den letzten Tagen verfolgt, könnte auf den Gedanken kommen, hier versuche ein Teil der CDU, der SPD-Basis die Zustimmung zum schwarz-roten Koalitionspapier zu erschweren, um so doch noch eine AFD-gestützte Minderheitenregierung der Union zu ermöglichen.


hier Handelsblatt  Kommentar Thomas Sigmund 20.04.2025

Ein Maulkorb für die Kirchen – Klöckners unpassender Vorstoß

Die neue Bundestagspräsidentin spricht den Kirchen öffentlich eine Art Redeverbot aus. Die Forderung nach einer unpolitischen Kirche verkennt aber deren gesellschaftliche Aufgabe.

Es ist ein bemerkenswerter Vorgang kurz vor Ostern: Die neue CDU-Bundestagspräsidentin Julia Klöckner – immerhin zweithöchste Repräsentantin im Staat – spricht den Kirchen öffentlich eine Art Redeverbot aus. Sie wünsche sich eine „starke Stimme“, aber bitte nur zu Kernthemen. Also: Abtreibung und Sterbehilfe ja, Tagespolitik nein.

Barmherzigkeit ja, aber bitte nicht zu laut und nur da, wo es der CDU nicht wehtut. Die Kirche werde immer mehr zu einer NGO, beschwert sich Klöckner.

Zu Letzterem kann man sagen: Die katholische Kirche ist eine NGO, und zwar eine sehr große, mit weltweit 1,2 Milliarden Mitgliedern. Auch wenn in Deutschland unter anderem wegen der Missbrauchsskandale Hunderttausende Menschen jedes Jahr aus den christlichen Kirchen austreten, mit rund 40 Millionen Mitgliedern sind sie nach wie vor die größten Nichtregierungsorganisationen im Land.

Die Enttäuschung, die aus Klöckners Worten spricht, hat weniger mit Theologie als mit Parteipolitik zu tun. Dass sich führende Kirchenvertreter zuletzt kritisch zur Migrationspolitik von Friedrich Merz äußerten, scheint die Union schwer zu verdauen. Dabei wäre es Aufgabe gerade einer christlich geprägten Politik, sich dieser Kritik zu stellen – statt mit Maulkorb-Fantasien zu reagieren.

Denn wer, wenn nicht die Kirchen, sollte sich zu Fragen von Menschlichkeit, Flucht, Gerechtigkeit äußern? Die Kirchen betreiben mit ihren diakonischen Werken Pflegeheime, Krankenhäuser, Flüchtlingsunterkünfte – sie sind mitten im Leben, nicht auf irgendeiner Wolke. Anders als Parteien können sie ihre Grundsätze nicht einfach anpassen, wenn der Wind sich dreht. 
Das christliche Menschenbild ist nicht verhandelbar. Es unterscheidet nicht zwischen Flüchtlingen erster und zweiter Klasse.

Die Kirchen haben sich klar gegen die AfD positioniert

Es waren übrigens die Kirchen, die sich früh und klar gegen die AfD gestellt haben – mit Rückgrat und Haltung. Während sich manche in der Union schwertun, eine klare Grenze nach rechts zu ziehen, war die Kirche hier viel mutiger, obwohl das auch in den eigenen Reihen nicht nur gut ankam.

Die Entfremdung zwischen Union und Kirchen ist schon lang im Gange. Die alten Zeiten, in denen der Pfarrer am Wahlsonntag im Gottesdienst mehr oder weniger deutlich dazu aufrief, das Kreuzchen bei den C-Parteien zu machen, sind vorbei.

Vielleicht, weil die Politik sich selbst vom Kompass katholischer Soziallehre entfernt hat. Wer heute nach einflussreichen Figuren wie Heiner Geißler oder Norbert Blüm sucht, wird enttäuscht. Wer würde heute in der Union noch mit Leidenschaft über Gerechtigkeit, Solidarität oder Menschenwürde sprechen – jenseits von Sonntagsreden?

Die Kirchen müssen sich ihr Recht auf politische Einmischung nicht nehmen lassen. Sie sollten sich viel öfter äußern. Denn Demokratie lebt vom Streit der Argumente, nicht vom Schweigen. Eine entpolitisierte Kirche verkennt deren gesellschaftliche Aufgabe. Die Menschen sind klug genug, selbst zu beurteilen, wann Worte aus Überzeugung gesprochen werden – und wann aus Taktik.

Tim Achtermeyer auf Linkedin
Landtagsabgeordneter und Grüner Landesvorsitzender in NRW

Hab ich was verpasst – oder haben wir jetzt eine Staatskirche?
Julia Klöckner ist Bundestagspräsidentin – Repräsentantin eines Verfassungsorgans.
Einer Verfassung, die die Religionsfreiheit garantiert.

Und zur Religionsfreiheit gehört auch, dass sich Religionsgemeinschaften zu allem äußern dürfen.

Zu grundsätzlichen Fragen und zu politischen. Denn wo fängt das eine an und hört das andere auf?
Und wer entscheidet das eigentlich?
Julia Klöckner traut sich das offenbar zu.

In der Bild fordert sie, die Kirche solle sich nicht wie eine „NGO“ verhalten.
Auch wenn das abwertend gemeint war:
NGO heißt Nichtregierungsorganisation. Und genau das ist die Kirche in Deutschland.
Eine ziemlich große sogar.

Und das Neue Testament? Voll mit politischen Aussagen über das gesellschaftliche Zusammenleben.
Armut, Gerechtigkeit, Frieden – alles drin.

Papst Franziskus lebte das vor. Genauso wie seinen Einsatz für Klimaschutz und Ökologie.
Aber wenn Kirchen in Deutschland heute zu Armut, Ungleichheit oder Klimaschutz Stellung beziehen – dann ist das plötzlich „zu politisch“?

Die Forderung nach Zurückhaltung scheint für Klöckner übrigens nur zu gelten, wenn die Kirche ihrer Meinung widerspricht.
Denn sobald es zur eigenen Inszenierung passt – sei es im Gottesdienst, beim Bischofsgrußwort oder bei der Unterstützung ihrer Positionen zur Selbstbestimmung über den weiblichen Körper – ist die Kirche plötzlich wieder sehr willkommen.

Das zeigt: Hier geht es nicht um Prinzipien, sondern um Taktik.
Und es zeigt ein fragwürdiges Verhältnis zu einem der zentralen Grundrechte unserer Verfassung – das sie entweder nicht verstanden hat oder nicht ernst nimmt.

Julia Klöckner ist erst wenige Wochen im Amt. Aber sie zeigt schon jetzt: Sie ist diesem Amt nicht gewachsen




Süddeutsche Zeitung hier 
21. April 2025, 
Kommentar von Robert Roßmann

Klöckner offenbart ein eigenartiges Bild von Kirche

Zu Ostern kritisiert die CDU-Politikerin, dass sich Kirchen zu oft tagespolitisch äußerten. Anstatt sich zu fragen, ob ihre Union zu wenig christlich ist.

Julia Klöckner hat schon immer viel und gern geredet, Zurückhaltung ist nicht ihre größte Stärke. In der Politik ist das kein Manko. 

Klöckner wurde Partei- und Fraktionschefin in Rheinland-Pfalz und Ministerin im Bund. Inzwischen ist sie Präsidentin des Bundestags – und damit die Nummer zwei im Staat. Dass die Viel-und-gern-Rednerin mit manchen ihrer Äußerungen unangenehm auffiel, hat ihrem Aufstieg nicht geschadet.

Jetzt hat Klöckner erneut für Unmut gesorgt. Die Bundestagspräsidentin meinte, den Kirchen als Osterbotschaft einen Rat mit auf den Weg geben zu müssen. Wenn die Kirche nicht mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick habe, sondern zu tagesaktuellen Themen Stellungnahmen wie eine Nichtregierungsorganisation abgeben würde, werde sie austauschbar, klagte Klöckner. 

Sie hat damit ein eigenartiges Bild von Kirche offenbart. Sollen sich die Kirchen etwa nicht mehr tagesaktuell einmischen, etwa wenn es um soziale Missstände oder den Umgang mit Schutzlosen geht? Am Montag hat auch Klöckners Unionsfraktion den gestorbenen Papst dafür gelobt, „eminent politisch“ gewesen zu sein.

Natürlich dürfen und sollen sich Kirchen auch tagespolitisch einmischen. Es wäre gut, wenn Klöckner wenigstens von jetzt an – eben weil sie nun als Nummer zwei im Staat eine besondere Rolle hat –, ihre Worte gründlicher wägen würde. Und wenn sie sich zumindest manchmal die Frage stellen würde, ob Kritik der Kirchen an der Union daran liegt, dass die Kirchen zu politisch sind – oder vielleicht auch daran, dass die Politik der Union zu wenig christlich ist. 

Bezeichnend ist allerdings auch, wie viele Linke, Grüne und Sozialdemokraten sich wegen Klöckners Intervention gerade beinahe schützend vor die Kirchen stellen. Wenn die katholische Kirche sich nicht zur Flüchtlingspolitik, sondern zu Abtreibungen, Leihmutterschaften oder der Sterbehilfe äußert, ist von derlei rot-rot-grüner Zuneigung weniger zu spüren.

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