Die normalerweise unpolitische Publikation »Nature«, eine der beiden wichtigsten wissenschaftlichen Fachzeitschriften der Welt, hatte am Donnerstag dieser Woche einen Artikel mit dieser Überschrift an Platz eins auf ihrer Website: »Es herrscht Chaos: US-Finanzierungsstopps gefährden die Weltgesundheit.«
Das ist die offizielle, schon für sich genommen erschreckende »Make America Great Again«-Doktrin, die das Kabinett Trump II angeblich verfolgt: Wir tun nur, was uns nützt, egal, was das für Konsequenzen hat. Doch die Wahrheit sieht noch einmal anders aus. Was Trump, Elon Musk und andere gerade tun – oder versuchen –, wird Amerika weder sicherer, noch stärker, noch wohlhabender machen. Im Gegenteil.
So sehen das auch die Feinde der USA: Russland, das USAID schon 2012 wegen »Einmischung« aus dem Land geworfen hatte, feierte öffentlich . Die dortige Regierung betrachtet USAID als CIA-Frontorganisation, manchmal hat die Organisation vermutlich auch so gehandelt, etwa in Kuba . Auch China feiert vermutlich, aber eher still: Es wird von den Lücken, die USAID hinterlässt, enorm profitieren, indem es sie füllt, da sind sich viele Fachleute einig . Entwicklungshilfe ist Geopolitik.
Elon Musks Lesart ist etwas anders: Er nannte USAID ein »Vipernnest von linksradikalen Marxisten, die Amerika hassen«.
Mittlerweile hat ein US-Gericht Teile der geplanten Beurlaubungen vorläufig gestoppt.
Vier Gruppen streiten um Einfluss
Trump, Musk und »MAGA« schaden den Interessen der USA. Augenfällig ist das nicht nur bei der medizinischen und der Hungerhilfe, sondern generell beim Umgang der neuen US-Regierung mit Medizin und Wissenschaft.
Tatsächlich geht es nicht darum, Amerika »wieder großartig« zu machen. Es geht darum, die Interessen bestimmter Gruppen durchzusetzen. Die Wissenschaft hat in den USA diverse Feinde, und sie führen Trump jetzt die Hand:
- evangelikale Christen
- die Öl- und Gasbranche
- Verschwörungsgläubige und Impfgegner
- Superreiche und US-Konzerne, die noch niedrigere Steuern und weniger Regulierung wollen
Ein paar Beispiele
Wenn man versuchte, die Webseite mit dem wörtlich übersetzten Titel »Bessere Ernährungsentscheidungen für schwangere Leute« auf den Seiten der riesigen US-Gesundheitsbehörde »Centers for Disease Control« (CDC) aufzurufen, landete man schon Mitte vergangener Woche bei der Meldung »Diese Seite ist nicht auffindbar«.
Mittlerweile gibt es eine neue Version, jetzt mit der Überschrift: »Sicherere Ernährungsentscheidungen für schwangere Frauen«. Darüber steht in einem gelben Kasten: »Die Webseiten der CDC werden modifiziert, um Präsident Trumps Dekreten Rechnung zu tragen.«
Warum wurde der Titel geändert? Weil »schwangere Leute« auf einer Liste mit Begriffen steht, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der CDC in Publikationen künftig nicht mehr verwenden dürfen : »Gender, transgender, pregnant person, pregnant people, LGBT, transsexual, non-binary, nonbinary, assigned male at birth, assigned female at birth, biologically male, biologically female.« Diese Liste stammt aus einer E-Mail an die CDC-Belegschaft, die der Notarzt und Medizinblogger Jeremy Faust diese Woche publik machte .
Zugeständnis an die Evangelikalen
Die Liste verbotener Wörter ist ein Geschenk an die Evangelikalen: Weil die reaktionären Kräfte der USA nicht akzeptieren wollen, dass es trans Personen wirklich gibt, muss jeder Hinweis auf ihre Existenz künftig aus allen wissenschaftlichen Publikationen getilgt werden, an denen CDC-Personal beteiligt ist. Das gilt sogar für Fachartikel, die bereits eingereicht sind: Kommen sie zur Überarbeitung zurück, müssen der neuen Doktrin zufolge die verbotenen Begriffe gestrichen oder die Publikation zurückgezogen werden.
Das ist für die medizinische Forschung ein ernstes Problem, denn selbstverständlich gibt es bestimmte Krankheitsbilder, bei denen die Frage, ob jemand trans ist oder der LGBT-Community angehört, eine durchaus relevante Rolle spielt. Die US-Regierung zensiert ab jetzt staatlich geförderte Wissenschaft.
Die CDC stoppte außerdem eine seit 1952 wöchentlich erscheinende Publikation über virulente Infektionskrankheiten. Das ist aktuell besonders problematisch, weil sich in den USA eine Variante des Vogelgrippevirus ausbreitet, die gelegentlich auf Säugetiere und ab und zu auch bereits auf Menschen überspringt. Ein Mensch starb kürzlich.
Dass ein solches Virus, wenn es weiter mutiert, die nächste Pandemie auslösen könnte, ist unter Fachleuten seit Jahrzehnten ein mit Sorge betrachteter Konsens. Die Fachjournalistin Amy Maxmen zitiert den ehemaligen CDC-Direktor Tom Frieden mit den Worten: »Es ist schockierend. Es ist, als ob man erfährt, dass die lokale Feuerwehr angewiesen wurde, keine Feueralarme mehr auszulösen.«
Von der Regierungszensur betroffen sind nicht nur die CDC, sondern auch die US National Science Foundation (NSF) , eine Fördereinrichtung, die etwa mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft vergleichbar ist und Forschungsprojekte fördert. Zunächst hatte Trump verfügt, alle Fördermittel vorerst einzufrieren, was ein Bundesrichter schnell, aber zunächst nur vorübergehend stoppte .
Die NSF hat eine eigene Informationsseite eingerichtet, auf der der jeweils aktuelle Stand des Durcheinanders und seiner Folgen nachzulesen ist. Hier geht es einerseits um Spitzenforschung, andererseits darum, dass in der Spitzenforschung tätige Menschen auch kommenden Monat noch ein Gehalt bekommen.
Auf der Abschussliste
Die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) stand, genau wie USAID, die CDC und die National Institutes of Health (NIH), schon im Masterplan für einen fossilen Gottesstaat namens »Project 2025« auf der Abschussliste. Nun zeigt sich, dass Trump die Pläne aus diesem Papier, von dem er sich im Wahlkampf unglaubwürdig zu distanzieren versucht hat, eins zu eins umzusetzen beginnt.
Die NOAA hielten die Autoren von »Project 2025« für »schädlich für den Wohlstand der USA« – und zwar deshalb, weil diese Organisation zu den weltweit wichtigsten gehört, was das Erforschen des Klimasystems und der Ozeane angeht. Die Fossilkonzerne wünschen, dass in den USA die Behauptungen »es gibt keine Klimakrise« und/oder »die Erwärmung ist kein echtes Problem« mehrheitsfähig bleiben. Da stören wissenschaftliche Fakten.
CBS News berichtete unter Berufung auf ehemalige NOAA-Mitarbeiter, dass gegenwärtig dort Angestellten mitgeteilt worden sei, sie müssten mit einer 50-prozentigen Reduktion der Belegschaft und einer 30-prozentigen Budgetkürzung rechnen.
»Einfach an der Security vorbeigelaufen«
Vergangene Woche marschierten dann Mitarbeiter von Elon Musks Schattenbehörde »Department of Government Efficiency« (DOGE) in die NOAA-Zentrale: »Sie sind offenbar einfach an der Security vorbeigelaufen und haben gesagt: ›Geht aus dem Weg‹, und sie wollten Zugriff auf die IT-Systeme, so wie sie das in anderen Behörden auch erreicht haben«, berichtete ein ehemaliger NOAA-Mitarbeiter dem britischen »Guardian« .
»Wired« zufolge erreichte alle NOAA-Mitarbeiter dann auch noch eine interne Mail mit einer für Wissenschaftskreise bizarren Ansage: »ALLE INTERNATIONALEN AKTIVITÄTEN« seien sofort einzustellen, wurden die Mitarbeitenden in Großbuchstaben angewiesen. Auch E-Mails an »ausländische Kollegen« seien zu unterlassen. Die vermeintlichen Freunde der »Free Speech« verhängen jetzt Kommunikationsverbote für Forschende.
All das wird Amerika auf gar keinen Fall »großartig« machen, im Gegenteil
Die Partikularinteressen von Verschwörungsideologen, religiösen Fanatikern und Ölkonzernen über die Freiheit der Forschung zu stellen, das wird die Wissenschaft in den USA im Ganzen beschädigen, und zwar schnell. Die Wirklichkeit geht nicht weg, wenn man ihre wissenschaftliche Erforschung und Beobachtung einstellt oder behindert. Die Klimakrise verschwindet nicht, wenn man sie ignoriert. Abwesenheit von virologischer und epidemiologischer Expertise wird die nächste Pandemie nicht verhindern, sondern verschlimmern.
Und jetzt die gute Nachricht
Menschen, die in der Spitzenforschung arbeiten, haben eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Sie sind in der Regel an der Sache interessiert, sie denken international, sie lassen sich ungern in ihre Arbeit hineinreden und sie sind hochmobil. Die Logik der Wissenschaft ist der Nullsummen-Vorstellung von der Welt, in der Donald Trump lebt, diametral entgegengesetzt: In der Forschung ist seit spätestens dem siebzehnten Jahrhundert, seit Newton und Leibniz, klar, dass internationale Kooperation zwischen den klügsten Köpfen ohne Ansehen der Nation die besten Resultate erbringt. Dass echte Forschungsfreiheit für maximalen Erkenntnisgewinn unverzichtbar ist. In den USA gilt das jetzt nicht mehr.
Für Europa ist all das eine Chance: Wenn Trump, Musk und Co. so weitermachen, ist ein Exodus insbesondere junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA unvermeidlich. Wenn Europas Universitäten und Forschungseinrichtungen sie mit offenen Armen empfangen, was sie zweifellos tun werden, dann wird Trumps fossil-evangelikal orchestrierter Angriff auf die Freiheit der Forschung den Wissenschaftsstandort Europa stärken – und die USA mittelfristig nachhaltig schwächen.
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