Mittwoch, 19. Februar 2025

Parteiaussagen zur Mobilitäts- und Antriebswende

Süddeutsche Zeitung hier Von Elisa Pfleger  18.2.25

„Wenn wir die Geschwindigkeiten runterkriegen, verändert sich die Atmosphäre“

Am Sonntag will Fahrradkurier Jonas bei der Bundestagswahl abstimmen - auch mit Blick auf die Zukunft der Mobilität und seine Sicherheit im Verkehr. Wie unterschiedlich sich die Parteien bei diesen Themen positionieren.

Mobilität, sagt Jonas Geilert, „ist halt mein Lebensthema“. Auf dem Tisch des Dresdner Cafés, an dem der 35-Jährige sitzt, liegen fingerlose Handschuhe. Er ist mit dem Rennrad gekommen. Später wird er es gegen ein knallrotes Lastenrad tauschen, in der Zentrale, gleich die Straße runter. Jonas arbeitet als Fahrradkurier. Zwischen vier und sechs Stunden radelt er werktags durch die sächsische Landeshauptstadt und bringt Pakete, medizinische Proben oder wichtige Dokumente von einem Ort zum anderen.

Eigentlich ist Jonas studierter Ingenieur und Physiker, stieg in die Grundlagenforschung ein. Später kündigte er, um Fahrradkurier zu werden. Zusammen mit etwa 50 anderen Fahrer:innen ist er in einem Kurier-Kollektiv tätig. Dort teilen sie sich die Aufgaben wie Buchhaltung, Disposition und Lieferungen auf. Sie alle bekommen denselben Lohn und treffen Entscheidungen basisdemokratisch im Plenum – ohne Hierarchien, ohne Chef:in.

Als Jonas an einem Freitagmorgen im Café davon erzählt, wie er seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat, sind es noch drei Wochen bis zur Bundestagswahl. Das Thema Mobilität ist ihm bei der Wahl wichtig, sagt Jonas. Immerhin berühre es viele soziale und politische Aspekte wie Freiheit, Energieversorgung und Klimakrise. „Von einer neuen Regierung würde ich mir wünschen, dass Mobilität anders gedacht wird und die Antwort auf Mobilität nicht immer nur das Auto ist“, sagt er.

Tobias Kuhnimhof, Professor für Stadtbauwesen und Stadtverkehr an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, unterscheidet zwischen zwei Hauptkomponenten der sogenannten Verkehrswende. 

Die Mobilitätswende, wie Jonas sie beschreibt, steht für die Veränderung im Mobilitätsverhalten, zum Beispiel wenn Menschen auf nachhaltige Verkehrsmittel umsteigen oder kürzere Wege zurücklegen.
 
Die Antriebswende beschreibt den Wechsel hin zu nachhaltigen Kraftstoffen, vor allem zur E-Mobilität.

Obwohl seit Jahren über Elektroautos, E-Fuels und die marode Bahn diskutiert wird, kommt die Verkehrswende nur schleppend voran. Während die Emissionen in Deutschland insgesamt sinken, erziele der Verkehrssektor keine Verbesserungen, sagt Kuhnimhof. Das aktuelle Gutachten des Expertenrats für Klimafragen zeigt: Es liegt maßgeblich an diesen mangelnden Fortschritten im Verkehr, dass Deutschland Gefahr läuft, seine Klimaziele 2030 zu verfehlen. Dabei sei es „total unstrittig“, dass die Klimaziele erreicht werden müssen, sagt Kuhnimhof. „Das ist in weiten Teilen gesellschaftlicher Konsens.“

Jonas findet, man müsste den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und die Bahn dringend ausbauen. In Dresden entwickle sich das jedoch in die falsche Richtung. Ab April drohen je zwei Bus- und Fährlinien eingestellt zu werden. Und gerade in vielen Randbezirken wird die Taktung ausgedünnt.
Einen großen Mobilitätsradius zu haben, sei fester Bestandteil unserer Vorstellung von Wohlstand, sagt Kuhnimhof

Die Fahrgastzahlen steigen, heißt es seitens der Dresdner Verkehrsbetriebe, aber von Land und Bund fehlten Zuschüsse in Millionenhöhe. 
Wir zwingen hier Leute noch mehr, das Auto zu benutzen, weil wir Mobilität nur so ermöglichen“, kritisiert Jonas. Auch in Berlin, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen soll 2025 beim ÖPNV gekürzt oder Kürzungen zumindest geprüft werden.

Jonas achtet darauf, nachhaltig mobil zu sein. In der Stadt fahre er auch privat jede Strecke mit dem Fahrrad. Wenn es die Zeit zulasse, sagt er, legt er sogar die 200 Kilometer nach Brandenburg zu seiner Schwiegermutter mit dem Rad zurück. Ansonsten steigt er auf den Zug um. Ab und zu, sagt Jonas, nutzt er auch ein Auto, das er sich mit Freunden teile. „Ein privates Carsharing sozusagen.“

Jonas‘ Art sich fortzubewegen, stellt eher eine Ausnahme dar. Das Auto ist weiterhin das beliebteste Fortbewegungsmittel der Deutschen. Verkehrsforscher Kuhnimhof findet das logisch: Immerhin sei Autofahren bequem, schnell und praktisch, und über Jahrzehnte hinweg immer günstiger geworden. Damit sich auch junge Menschen weiterhin das Autofahren leisten können, wollen sich CDU, FDP und SPD dafür einsetzen, dass der Führerschein günstiger wird. Einen sehr großen, unkomplizierten Mobilitätsradius zu haben, sei ein fester Bestandteil unserer Vorstellung von Wohlstand, sagt Tobias Kuhnimhof – und das Auto deshalb attraktiv, über alle Generationen hinweg.

Zusätzlich lebt Jonas in einer Großstadt, wo es leichter ist, auf das Auto zu verzichten. In Sachen Mobilitätswende sei in Städten viel zu machen, sagt Stadtverkehrsexperte Kuhnimhof. In öffentlichen Verkehrsmitteln lassen sich mehr Personen in einer gewissen Querschnittsbreite befördern als per Auto.


Der Ausbau des ÖPNV
löse deshalb Verkehrsprobleme wie Stau und
ermögliche es,
den übrigen Raum für Flächenentsiegelung zu nutzen. 

Mit der fortschreitenden Klimakrise werde das immer wichtiger, denn es senke Temperaturen in der Stadt und
beuge Überschwemmungen vor
 Auch die Luftqualität lasse sich so verbessern.


In ihrem Programm für die Bundestagswahl lehnt die Union das Umwidmen von Parkplätzen, das eine Möglichkeit für eine Flächenentsiegelung in den Städten wäre, ebenso ab wie Fahrverbote für Innenstädte. Die SPD fordert hingegen, dem ÖPNV in Ballungszentren den Vorrang zu lassen und will wie Grüne und Linke Flächen entsiegeln.

Die Linke setzt sich zusätzlich für autofreie Innenstädte ein. Smart Cities, in denen Künstliche Intelligenz Verkehrsströme steuert, sieht die FDP als Lösung vor. Die in Teilen gesichert rechtsextreme AfD plant als einzige Partei, innerstädtische Fahrspuren und Parkraum auszubauen. Den vergleichsweise ineffektiven Autoverkehr in der Stadt zu fördern, birgt allerdings ein Risiko, sagt Kuhnimhof. Man müsse den Schwerpunkt auf den ÖPNV legen. „Sonst kollabiert der Verkehr.“


    „Das, was wir heute auf die Straße bringen,
ist eine Hypothek über Jahrzehnte, was Emissionen angeht“


Während ein Umstieg auf ÖPNV in Städten die Mobilitätswende vorantreiben kann, könne man im ländlichen Raum das Auto kaum überflüssig machen. Die Strecken – zum Beispiel zwischen Arbeitsplatz, Zuhause und Einkaufsmöglichkeiten – sind auf dem Land wesentlich länger, die Regionen dünner besiedelt. Bus und Bahn zu einer wirklich praktischen Alternative zum Individualverkehr auszubauen, sei deshalb schwer, sagt Kuhnimhof. Auf dem Land müsse man deshalb primär die Antriebswende vorantreiben und die individuelle E-Mobilität fördern.

Aber die Antriebswende stockt, sagt der Forscher. „Fahrzeuge, die dieses Jahr neu zugelassen werden, verschwinden im Durchschnitt zwischen 2040 und 2045 von deutschen Straßen. Dann fahren sie in Nordafrika und Osteuropa weiter. Das, was wir heute auf die Straße bringen, ist eine Hypothek über Jahrzehnte, was Emissionen angeht.“ Es müsste schneller vorangehen. Aber das Aus für Verbrenner in der EU, das auf 2035 festgesetzt ist, wollen CDU, FDP, AfD und BSW kippen.

Patrick Mennig forscht am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering in Kaiserslautern zu Infrastrukturbau und Smart Mobility. Er hat sich insbesondere damit beschäftigt, wie eine Verkehrswende im ländlichen Raum bis 2030 gelingen kann. Einen „Schlingerkurs“, der den Verbrenner-Ausstieg in Frage stellt, hält er für kontraproduktiv – nicht nur fürs Klima. „Um die Autoindustrie stärken zu können, sollten wir uns wirklich festlegen auf die klimaneutrale Zukunft des Autos, also E-Mobilität“, sagt er.

Mennigs Forschung zeigt Möglichkeiten auf, zumindest einen Zweitwagen auf dem Land überflüssig zu machen. Dafür sei es entscheidend, öffentliche Verkehrsmittel durch eine größere Angebotsdichte zu attraktiven Alternativen zu machen. Mennig hält eine höhere Taktung des ÖPNV und den Einsatz von Rufbussen für sinnvoll. Diese Vorschläge finden sich in den Wahlprogramm der Grünen und der Linken, auch die FDP tritt für bedarfsgerechte, digital vernetzte ÖPNV-Angebote ein.

Außerdem, sagt Mennig, könne es eine Chance sein, Mobilität und Logistik integrierter zu denken. Paketabholungen könnten zum Beispiel an E-Ladesäulen geknüpft werden, um Wege einzusparen. Durch die geringe Dichte sei öffentliche Mobilität auf dem Land teurer, sagt Mennig. Das Vorhaben benötige deshalb eine gesellschaftliche Entscheidung dafür, nachhaltige Mobilität auch dort finanzieren zu wollen.

Einen besonderen Anreiz für den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel schafft das Deutschlandticket. 
Doch durch die stetig steigenden Preise werde auch nachhaltige Mobilität unattraktiver, sagt Mennig. Es wäre ein wichtiges Signal, das Ticket wieder günstiger zu machen. „Es ist so oder so ein Minusgeschäft, da müssen wir sowieso querfinanzieren“, sagt er.

Die Parteien haben zum Deutschlandticket sehr unterschiedliche Positionen: Die SPD will das Deutschlandticket zum aktuellen Preis beibehalten, die Grünen möchten den alten Preis von 49 Euro zurück. Die Linke plant, das Neun-Euro-Ticket wieder einzuführen, während das BSW einen „bezahlbaren“ und die AfD einen „ehrlichen“ Preis fordert. Die FDP macht keine genaueren Angaben zur Zukunft des Tickets, die Union erwähnt es nicht in ihrem Programm. Vergünstigungen für junge Menschen planen Grüne, SPD und die Linke ein.

Nur für Radfahrende wird der Straßenverkehr immer gefährlicher

Als Fahrradkurier spielt für Jonas auch das Thema sichere Mobilität eine große Rolle.
Mehrmals täglich erlebe er gefährliche Situationen, sagt er. Radfahrende sind die einzigen Verkehrsteilnehmer:innen, für die der Straßenverkehr gefährlicher wird. Während die Zahl der Verkehrstoten von 2010 bis 2023 um 22 Prozent sank, stieg die Anzahl von Menschen, die auf dem Fahrrad getötet wurden, um 17 Prozent.

Um Radfahren attraktiver zu machen, wollen SPD und Grüne Radschnellwege bauen und verfolgen wie die Linke die sogenannte „Vision Zero“ – die völlige Vermeidung von Verkehrstoten. BSW, Linke und Union möchten mehr Fahrradwege schaffen, CDU und CSU zusätzlich die Verknüpfung von Fahrrad und anderen Verkehrsmitteln attraktiver machen.

Die Linke plädiert außerdem innerorts – mit Ausnahme von Verkehrshauptachsen – für ein Tempolimit von 30 km/h. Ansonsten plant keine Partei eine Änderung der Straßenverkehrsordnung. Dabei hält Tobias Kuhnimhof das für die am leichtesten zu derehende Stellschraube, um Fahrradfahren sicherer zu machen. 

„Wenn wir die Geschwindigkeiten runterkriegen,
dann verändert sich die Atmosphäre.
Das lässt sich relativ schnell umsetzen.“


Jonas findet Fahrradwege und Tempo 30 wichtig. Ihm würde es aber bereits helfen, wenn sich alle Verkehrsteilnehmer:innen an die Verkehrsregeln hielten, sagt er. Dafür braucht es seiner Meinung nach strengere Kontrollen. Solange die Polizei bei Fehlverhalten nicht eingreift, werden Autos ihn weiter knapp überholen oder den Fahrradstreifen blockieren, sagt er. Diese gefährlichen, eigentlich vermeidbaren Situationen seien ein ständiger Teil seines Berufsalltags.

Apropos, es ist schon Nachmittag. Jonas muss los, in zehn Minuten beginnt seine Schicht. Er verabschiedet sich kurz, schwingt sich auf sein Rad und tritt in die Pedale.

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