hier Zeit Von Christoph M. Schwarzer 6. Februar 2025
CO₂-Vorgaben der EU: Die schaffen dasDie Autolobby setzt derzeit alles daran, die europäischen CO₂-Vorgaben aufzuweichen. Dabei zeigen neue Zahlen: Strafzahlungen drohen derzeit keinem einzigen Hersteller.
Die Situation klingt dramatisch: Vor einem "vernichtenden Wettbewerb" warnt Imelda Labbé in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. CO₂-Strafzahlungen müssten sofort ausgesetzt werden, fordert die Vizepräsidentin des Verbands der Internationalen Kraftfahrzeugindustrie (VDIK). Nur werden solche Strafen ohnehin nicht fällig werden: Nach Daten des International Council on Clean Transportation (ICCT) wird kein Hersteller für 2024 auch nur einen Euro nach Brüssel überweisen müssen.
Die EU setzt der Autoindustrie bis 2035 Grenzwerte, wie viel klimaschädliches CO₂ ihre Flotten an Neuwagen jährlich ausstoßen dürfen, ab dann sollen sie komplett emissionsfrei fahren. Als Limit für das Jahr 2024 galten durchschnittlich 119 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer. Tatsächlich erreichten die Hersteller im Schnitt 107 Gramm. Auch weitere Interessensvertreter wie der europäische Herstellerverband ACEA treten dafür ein, diese Grenzwerte zu flexibilisieren. Denn ab diesem Jahr bis einschließlich 2029 gilt ein verschärfter Grenzwert von 94 Gramm pro Kilometer – und das ist für einzelne Marken eine reale Herausforderung.
Besonders bei Ford, Hyundai, Renault und Volkswagen ist der Handlungsdruck groß. Doch während Renault und Hyundai bereits eine Modelloffensive starten, müssen Volkswagenkunden noch bis 2026 auf Elektroautos im 25.000 Euro-Segment warten.
Über 20 Prozent der Neuwagen müssen elektrisch fahren
Der konkrete CO₂-Wert eines im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verkauften Pkw ergibt sich aus den Emissionen seiner Abgase, die im Labor gemessen werden. Der Gesamtwert eines Herstellers ist der Durchschnitt der CO₂-Emissionen aller neu registrierten Pkw in einem Bilanzjahr. Weil die Abgasemissionen beim Elektroauto null sind, entscheidet sich am Anteil der verkauften Elektroautos, ob ein Hersteller die CO₂-Flottengrenzwerte einhalten kann.
Je nach Schätzung muss der europaweite Anteil der Elektroautos von 13,6 Prozent (2024) auf 22 bis 28 Prozent steigen. Die höhere Annahme entspricht einem Extremszenario, bei dem sich für alle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor überhaupt keine Verbesserung mehr ergibt. Das ist unwahrscheinlich, weil auch dort Fortschritte feststellbar sind.
Allerdings hat die Autoindustrie vorgesorgt:
Der schwache Absatz von Elektroautos 2024 geht nicht nur auf gestrichene Kaufprämien in Deutschland zurück.
Vielmehr liegt nahe, dass die Neuzulassung von Elektroautos gezielt ins neue Jahr verschoben wurde, um besser auf die strengeren Limits vorbereitet zu sein.
Vielmehr liegt nahe, dass die Neuzulassung von Elektroautos gezielt ins neue Jahr verschoben wurde, um besser auf die strengeren Limits vorbereitet zu sein.
Theoretisch kann der Flottenmechanismus extrem teuer werden. Schließlich müssen pro Gramm Kohlendioxid Überschreitung und pro Pkw 95 Euro Strafe bezahlt werden. Beispiel Volkswagen-Konzern: Hätten seine 1,25 Millionen verkauften Autos des Jahres 2024 den Grenzwert im Durchschnitt nur um ein Gramm verfehlt, wären fast 120 Millionen Euro fällig geworden. Faktisch mochte sich bislang noch kein Hersteller die Blöße geben, solche Summen aufbringen zu müssen – in der Vergangenheit ist noch kein Cent Strafe an Brüssel geflossen.
Die Kosten sind gesunken
Was Autolobbyistin Imelda Labbé als vernichtenden Wettbewerb bezeichnet, ist gut für potenzielle Käuferinnen und Käufer von E-Autos. So bietet Volkswagen das kompakte Elektroauto ID.3 derzeit im Privatleasing für 249 Euro pro Monat an. Das ist sehr wenig für eine Art elektrischen Golf, zumal hier nicht die Basisversion, sondern bereits die mittlere Batteriegröße mit 434 Kilometern Reichweite auf die Straße gebracht wird.
Volkswagen füllt so die Bestellbücher und wird mutmaßlich prüfen, ob im Jahresverlauf weitere Aktionen notwendig sind. Fürs zweite Halbjahr erwarten Branchenvertreter eine regelrechte Rabattschlacht bei E-Autos. Tatsächlich hat sie bereits begonnen, schon jetzt gewähren viele Hersteller wie etwa Hyundai beim Ioniq 5 oder Skoda beim Elroq erhebliche Nachlässe.
Die Autoindustrie macht das nicht nur, weil sie es muss, sondern auch, weil sie es kann:
Die Kosten für eine Kilowattstunde Batteriespeicher sind stark gesunken und liegen unter 100 Euro pro Kilowattstunde. Ende 2022 waren es noch rund 160 Euro. Das ist vor allem für jene Marken eine Entlastung, die preissensible Käufergruppen bedienen; bei Premiumfahrzeugen wie etwa bei BMW lassen sich höhere Preise für Innovationen durchsetzen. Würden die Vorgaben gelockert, müssten die Hersteller die niedrigeren Kosten weniger an die Verbraucher weitergeben. Stattdessen könnten ihre Gewinnspannen steigen.
Nicht die Falschen bestrafen
Vor diesem Hintergrund ist eine Aufweichung oder Abschaffung der CO₂-Limits nicht unbedingt sinnvoll. "Wenn die Politik nichts unternimmt, wird die Industrie die Elektroautos etwas billiger machen und die Verbrenner etwas teurer. Solange, bis man den derzeit gesetzlich geforderten Anteil von 25 Prozent E-Autos erreicht", sagt Markus Lienkamp von der TU München. "Es wäre falsch, die Hersteller zu bestrafen, die sich gut auf die Gesetze vorbereitet haben", sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.
Es gibt auch schon heute unterschiedliche Wege, Strafzahlungen zu vermeiden. Am bekanntesten ist das sogenannte Pooling. Jeder Hersteller darf sich mit jedem anderen zusammen bilanzieren. Dafür darf auch Geld fließen, nur das Gesamtergebnis muss stimmen. Das kann jenen Herstellern, die gesetzliche Vorgaben übererfüllen, einen Zusatzgewinn bescheren.
So haben Ford und der Stellantis-Konzern mit den Marken Opel, Citroën, Peugeot und anderen angekündigt, einen Pool mit Tesla zu bilden. Ob diese Möglichkeit genutzt wird, bleibt abzuwarten; die Hersteller wägen ab, was für sie am günstigsten ist – mehr Elektroautos mit einer vielleicht geringeren Marge verkaufen – oder Geld an Tesla zahlen und die Rufschädigung hinnehmen. Bisher hat es in Europa kein Pooling mit Tesla gegeben. Einnahmen aus dem CO₂-Handel für Tesla kommen vorwiegend aus den USA.
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