Freitag, 28. Februar 2025

"Jetzt erst recht'-Moment" beflügelt internationale Vereinbarung

Im Moment gibt es nicht vieles, über das man sich freuen könnte. Aber hier ist wirklich eine gigantische Nachricht: Die vereinten Nationen haben es geschafft, sich zu einigen. 

Die USA stehen jetzt ziemlich dumm rum, während andere Staaten sich feiern lassen können. Was anderes haben sie auch nicht verdient. Die Brics-Staaten sind erfolgreich in die offene Lücke vorgestoßen.

Süddeutsche Zeitung hier  Kommentar von Thomas Hummel  28. Februar 2025

Hurra, die Welt kann sich noch einigen

Die Vereinten Nationen legen überraschend einen Finanzplan für Naturschutz und die Vielfalt von Tieren und Pflanzen vor. Was für eine gute Nachricht, auch wenn die USA als einzige Nation abseitsstehen.

Der Hammerschlag von Rom mitten in der Nacht zum Freitag steht quer zum Weltgeschehen. 195 Länder plus die EU haben sich bei der 16. UN-Konferenz zur biologischen Vielfalt auf einen Plan geeinigt, wie der weltweite Naturschutz und die Artenvielfalt finanziert wird. Die Teilnehmer applaudierten stehend im Saal, und selbst die sonst gerne überkritischen Umweltverbände loben die Vereinbarung.
In diesen Tagen, in denen die Weltordnung wankt, in denen sich stark fühlende Männer an keine Regeln mehr halten wollen, ist das eine besonders gute Nachricht.

Vor allem für den Artenschutz, das stille, viel zu oft vergessene Problem. Von geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten sollen weltweit eine Million vom Aussterben bedroht sein, die Agrarindustrie vergiftet vielerorts Böden, die Gier nach Rohstoffen erlebt groteske Ausmaße. Will der Mensch weiterhin halbwegs gedeihlich auf der Erde leben, muss er sein Zerstörungswerk einschränken.

Dazu ist internationale Zusammenarbeit offenbar noch möglich. Wenngleich ohne die USA, was den Westen schwächen dürfte. Weil die Republikaner blockieren, haben die USA als einziges Land das Übereinkommen zur biologischen Vielfalt nicht ratifiziert und nach Rom auch keinen Vertreter geschickt. Stattdessen kam dort der entscheidende Kompromissvorschlag, der eine Lösung ermöglichte, von Brasilien. Und zwar im Namen der Brics-Staaten, des Anti-West-Bündnisses mit Russland, China und Indien. Wo eine Lücke ist, gibt es eben andere, die dankbar hineinstoßen.


ARD hier  28.02.2025 Von Simon Plentinger, BR

Ein spätes, aber klares Signal an die Welt

Biodiversitätskonferenz COP16

Lange stand ein Kompromiss auf der Kippe - in der Nacht gelang es dann: Der Weltnaturgipfel in Rom hat sich auf die Finanzierung der globalen Artenschutzziele geeinigt. Endlich, sagen Experten.
Kurz vor 23 Uhr am späten Donnerstagabend gab es in Rom keine Einwände mehr. 
Die kolumbianische Umweltministerin und Konferenzpräsidentin Susana Muhamad erklärt die Strategie zur Finanzierung des Artenschutzes für angenommen. Als Arme, Beine und Muskeln der 2022 gesteckten Artenschutzziele hatte die Konferenzpräsidentin die Strategie vorher bezeichnet. Die Strategie soll Gelder mobilisieren, mit denen das Artensterben bis 2030 gestoppt werden soll.

Der Einigung waren mehrere Textvorschläge vorausgegangen, unter anderem von der Präsidentin selbst. Aber auch die BRICS-Staaten - Bündnis gegründet von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika - hatten sich als Gruppe mit einem Kompromissvorschlag bei der Lösungsfindung eingebracht.

Delegierte nehmen am 25. Februar 2025 an der COP16-Biodiversitätskonferenz am Sitz der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in Rom teil.
Vertreter von rund 200 Teilnehmerstaaten konferieren am Sitz der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in Rom. Eine erste Runde der COP16 war vergangenen Oktober im kolumbianischen Cali ohne konkrete Beschlüsse vertagt worden.

Freude über Beschluss
Bei der deutschen Delegation kam ab dem Moment des Beschlusses sichtlich Feierstimmung auf, auch beim politischen Verhandlungsführer, dem parlamentarischen Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Jan-Niclas Gesenhues. "Die Stimmung ist richtig gut. Ich bin richtig glücklich. Wir haben unheimlich viel Arbeit reingesteckt und jetzt haben wir so einen richtigen 'Jetzt erst recht'-Moment gesehen", sagte Gesenhues kurz nach dem der Beschluss gefallen war.

Auch Biologin Katrin Böhning-Gaese zeigt sich erleichtert: "Wir sind jetzt einen ganz zentralen Schritt vorangekommen", sagt die Direktorin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ) im tagesschau24-Interview. "Es zeigt, dass internationale Vereinbarungen geschlossen werden können, dass da alle in dem Fall 200 Nationen an einem Strick ziehen können und der gemeinsame Wille besteht, die Biodiversität auf dieser Erde zu schützen und zu fördern."

Player: videoKatrin Böhning-Gaese, Direktorin des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig zum Ausgang der Weltnaturkonferenz in Rom
9 Min

Artenvielfalt als Existenzgrundlage
Denn die ist lebenswichtig für uns Menschen, erklärt Professorin Böhning-Gaese. "Fast alles, was wir nutzen - unsere Luft, das Trinkwasser, unsere Kleidung, unser Essen, selbst moderne Medikamente - kommt aus der Natur. Deswegen sind wir als Menschheit ganz massiv auf den Schutz der Biodiversität angewiesen." Das hat auch einen wirtschaftlichen Faktor: Über die Hälfte der Wirtschaftsleistung auf globaler Ebene hänge von funktionierenden Ökosystemen ab. "Zu den Toprisiken für Unternehmen steht in den nächsten zehn Jahren an Platz zwei der Verlust der Biodiversität."

Gelder aus unterschiedlichen Quellen für den Naturschutz
Bei der Konferenz im kolumbianischen Cali waren die Staaten noch an einer Einigung gescheitert. Im Kern ging es in dem Streit um die Frage, wie in den kommenden Jahren Gelder aus privaten und öffentlichen Quellen für den Erhalt der biologischen Vielfalt mobilisiert und verteilt werden sollen.

Die anvisierte Summe steht dabei bereits seit dem Weltnaturabkommen Kunming-Montreal von 2022 fest: Die weltweiten Ausgaben für den Erhalt von Ökosystemen und biologischer und genetischer Vielfalt sollen bis 2030 sukzessive steigen und ab 2030 mindestens 200 Milliarden US-Dollar (knapp 193 Milliarden Euro) betragen

.Die Summe beinhaltet jegliche Ausgaben von Staaten für den Schutz der Natur auf ihrem eigenen Gebiet, aber auch Abgaben von Unternehmen, private Investitionen und Hilfsgelder der Industriestaaten für den Erhalt von Ökosystemen in ärmeren Ländern. Die Summe dieser Gelder soll schon ab diesem Jahr 20 Milliarden und ab 2030 dann 30 Milliarden US-Dollar betragen.

Streit um Finanzinstrument
Viele Länder des globalen Südens hatten dafür das Errichten eines neuen Fonds gefordert. Hintergrund ist, dass sie sich davon einen freieren Zugang und mehr Mitsprache, als bei den bisherigen Finanzinstrumenten versprechen. Bisher werden die Gelder von der "Global Environmental Facility" (GEF) verwaltet, die eng mit der Weltbank zusammenarbeitet.

Der deutsche Chefverhandler Gesenhues hatte im Vorfeld jedoch davor gewarnt, sich in Strukturdebatten zu verlieren und so die Umsetzung der Artenschutzziele auszubremsen. "Wir haben einen guten Kompromiss geschafft", wertete Gesenhues das Verhandlungsergebnis. "In einer sehr diversen Welt zeigen wir: Multilaterale Instrumente, Konferenzen funktionieren und die können Lösungen liefern. Und allein das ist eine Supernachricht von dieser Konferenz", so der Staatssekretär.

Kompromiss sieht Reformen vor
Der Kompromiss zwischen den Staaten sieht vor, die bestehenden Fonds und Institutionen zu überprüfen, zu reformieren und gegebenenfalls zu ergänzen. So sollen auch Länder des globalen Südens mehr Zugang und Mitspracherecht bekommen, ohne das sofort zwangsläufig ein neuer Fonds eingerichtet wird. Hintergrund der Debatte ist aber auch, dass Gelder bisher nicht ausbezahlt werden können, wenn ein Staat, wie beispielsweise Russland, mit UN-Sanktionen belegt ist. Wie damit in Zukunft umgegangen wird, muss noch geklärt werden.

Die Staaten haben aber Kriterien festgelegt, die Finanzmechanismen in Zukunft erfüllen sollen, wie Transparenz, Effizienz und fairer Zugang. Die Finanzierungsstrategie gibt auch den Plan vor, wie Gelder aus anderen Quellen wie von Unternehmen oder aus privater Hand mobilisiert werden sollen. Auch soll es in Zukunft einen regelmäßigen weltweiten Dialog von Umwelt- und Finanzministern und Ministerinnen geben um die Finanzierung des Naturschutzes zu sichern
Ein Durchbruch, findet Biologin Böhning-Gaese. Aber: "Die Uhr tickt." 2030 sei nicht mehr lange hin, nun gehe es um die Umsetzung. "Jetzt können wir richtig loslegen."



hier TAZ  1.3.2025  Von Heike Holdinghausen

Die Menschheit kann auch anders

Wie wird der Artenschutz ab 2030 finanziert? Die Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention haben Antworten. Deutschland muss jetzt dranbleiben.

Nein, die Menschheit kann nicht nur Krieg und Machtkampf. Sie kann auch klug sein und schützend. In der Nacht zum Freitag haben sich die Ver­tre­te­r:in­nen der 196 Mitgliedstaaten der UN-Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD) in Rom darauf geeinigt, wie der globale Naturschutz nach 2030 weiter finanziert werden kann. Dabei haben sie sich auf ein Verfahren geeinigt, in dem sie die bisherigen Finanzstrukturen – zum Beispiel Fonds – auf ihre Tauglichkeit prüfen und eventuell weiterentwickeln können. Was technokratisch klingt, ist für eine global gerechte Finanzierung von Naturschutz wesentlich.

Wie viel Geld bis 2030 zur Verfügung stehen soll, war schon im Herbst auf der ersten Verhandlungsrunde der Konferenz der Vertragsstaaten (COP16) im kolumbianischen Cali beschlossen worden. So sollen für den Naturschutz in den nächsten fünf Jahren jährlich 200 Milliarden Dollar an staatlichem und privatem Kapital mobilisiert werden. Zusätzlich sollen die Industriestaaten pro Jahr 20 Milliarden an Länder des Globalen Südens zahlen, um sie beim Schutz ihrer häufig besonders wertvollen biologischen Vielfalt zu unterstützen.

Zudem einigte sich die Staaten in Rom auf Indikatoren, an denen der Erfolg von Naturschutzprojekten gemessen werden soll. Künftig wollen die Mitgliedstaaten ihre Bemühungen einheitlich einschätzen und gemeinsam diskutieren. Eine erste Überprüfung ist für die 17. Weltnaturkonferenz im kommenden Jahr vorgesehen.

Die Konferenz in Rom war ­nötig geworden, weil die Verhandlungen in Cali nicht rechtzeitig abgeschlossen werden konnten. Am Ende waren so viele De­le­ga­tionen abgereist, dass die verbliebenen nicht mehr be­schluss­fähig waren.

Die Wirkung von politischer Strahlkraft
Be­ob­ach­te­r:in­nen wie Katrin Böhning-Gaese, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig, hielt die hiesige Lesart, die Konferenz sei „gescheitert“, schon damals für unfair. Es seien wichtige Beschlüsse gefasst worden, etwa in Bezug auf die Beteiligung indigener Gemeinschaften an der inter­na­tio­na­len Naturschutzpolitik. Die Ergebnisse der COP in Cali seien immens wichtig für den globalen Schutz der Natur.

Die Bedeutung der Beschlüsse liege weniger in ihrer rechtlichen Verbindlichkeit als in ihrer politischen Strahlkraft, sagt Sabine Schlacke, Professorin für Verwaltungs- und Umweltrecht und Direktorin des Instituts für Energie-, Umwelt- und Seerecht der Universität Greifswald.

„Werden Entscheidungen in Form von Beschlüssen von der Vertragsstaatenkonferenz der CBD getroffen, handelt es sich nicht um bindendes Völkerrecht“, sagt Schlacke, „sondern um sogenanntes Soft Law, im Grunde also politische Absichtserklärungen.“ So sei auch der vor zwei Jahren in Montreal beschlossene Globale Biodiversitätsrahmen ein völkerrechtlich unverbindlicher Beschluss und kein völkerrechtlicher Vertrag.

„Allerdings sollten die faktischen Wirkungen des Soft Law nicht unterschätzt werden“, so Schlacke. Die Beschlüsse konkretisieren das Übereinkommen zur Biologischen Vielfalt und machen es für die Regierungen und Verwaltungen handhabbar. „Deshalb wird oft auch zäh um jede Formulierung gerungen und verhandelt“, sagt Schlacke.

Ein Beispiel für solch eine Umsetzung ist die Verordnung der Wiederherstellung der Natur (Nature Restauration Law, NRL), die die EU im vergangenen Sommer beschlossen hat. „Damit hat die EU das an sich völkerrechtlich unverbindliche Ziel des Global Biodiversity Framework, bis 2030 mindestens 30 Prozent der geschädigten Land-, Süßwasser-, Meeres- und Küstenökosysteme wiederherzustellen, rechtlich verankert und damit zu einem unmittelbar in jedem Mitgliedstaat geltenden Ziel transformiert“, sagt Schlacke. Als Verordnung muss die NRL nicht in na­tio­na­les Recht umgesetzt werden.

Das NRL zeigt aber auch das Konfliktpotenzial konkreter Naturschutzpolitik. So hat die neue brandenburgische Landwirtschaftsministerin Hanka Mit­tel­städt (SPD) zeitgleich zu den Verhandlungen in Rom beschlossen, das NRL in Brandenburg auszusetzen. Ihr sei es ein Anliegen, „deutlich zu machen, dass im Land Brandenburg nicht irgendeine nicht näher definierte Natur zu schützen ist“, teilte die Ministerin am Mittwoch mit, „sondern die Weiterentwicklung unserer Kulturlandschaften im Konsens mit berechtigten Naturschutzinteressen im Vordergrund steht.“ Bis zur Erreichung dieses Konsenses würden keine vollendeten Tatsachen geschaffen.

„Es gibt rund 600 FFH-Gebiete in Brandenburg, die nach der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützt sind“, sagt Björn Ellner, Landesvorsitzender des Naturschutzbunds in Brandenburg, „und 27 EU-Vogelschutzgebiete.“ In ihnen gehe es darum, zum Beispiel wieder artenreiches Grünland zu schaffen, Wiesen seltener zu mähen und zu düngen.

„Die Methoden und Instrumente sind da“, sagt Ellner, „wir brauchen Vertragsnaturschutz, Anreize für die Land­be­sit­ze­r:in­nen und gesetzliche Vorgaben, was sie in Schutzgebieten dürfen – und was nicht.“ Dazu das Bundesnaturschutzgesetz neu zu formulieren, hält Ellner nicht für erforderlich. „Wir verlieren nur wertvolle Zeit.“

Herausforderung: Gelder verteidigen
Das sieht Umweltrechtlerin Schlacke zwar ähnlich: „Die Wiederherstellungsziele sind ambitioniert, und die Umsetzung sollte nicht verzögert werden“, sagt sie, außerdem enthalte die NRL sehr konkrete Begriffsbestimmungen und „listet im Anhang einzelne Lebensraumtypen auf, die zu renaturieren sind“, so Schlacke.

Im Anhang finde sich eine Beispielliste für Wieder­her­stel­lungs­maß­nahmen wie die Entfernung von Entwässerungsstrukturen für Moorböden – was für Brandenburg als Land mit zahlreichen trockengelegten Moorflächen relevant sei. Allerdings bestehe „möglicherweise Bedarf für Gesetzesänderungen im Raumordnungsrecht, um Flächen für die Renaturierung zügiger ausweisen zu können“.

Außerdem müsse man überprüfen, ob die Ziele des Naturschutzgesetzes an das NRL angepasst werden müssten. Bislang sind sie nämlich stärker auf den Schutz des Status quo ausgerichtet, was einer Wiederherstellung nicht unbedingt entsprechen muss.

Das Naturschutzgesetz neu zu fassen, ist also ein Thema für die oder den nächs­te:n Um­welt­mi­nis­te­r:in. Die größere Herausforderung wird sein, die Gelder für das „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ (ANK) zu verteidigen, welche Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zäh durch alle Haushaltsverhandlungen der Ampel gerettet hat. Bislang hat das BMUV in seinem Rahmen „rund 1,2 Milliarden Euro eingesetzt und für die Folgejahre gebunden, mehr als 9.000 Projekte sind bewilligt“, so das Ministerium.

Die Projekte verbinden Natur- mit Klimaschutz, etwa durch die Renaturierung von Auen oder dem Erhalt von Wildnisgebieten. Insgesamt sind für das ANK bis 2028 rund 3,5 Milliarden Euro vorgesehen. Eine neue Bundesregierung könnte die zwar einkassieren. „Wir gehen jedoch fest davon aus, dass das ANK auch in der kommenden Legislaturperiode weitergeführt wird“, heißt es aus dem Ministerium. Schließlich entspreche es den inter­na­tio­na­len Verpflichtungen, die sich auch aus der CBD ergeben.

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