Linkedin Tim Meyer 27.2.25
Energie auf den Punkt.
„Der grüne Umbau von Gesellschaften und Industrie
ist also nicht schon wieder beendet?
Nein, er hat gerade erst angefangen.
So wie auch der Kampf gegen den Klimawandel
gerade erst begonnen hat.“
Dieses Zitat aus einem aktuellen Interview in der Süddeutschen Zeitung hat mir besonders gut gefallen. Es beschreibt die auch nach der Bundestagswahl unveränderte Sachlage. Und zeigt dabei beispielhaft zwei Dinge:
Erstens, wie viel weiter viele Akteure in der Industrie gedanklich sind als der aktuelle politische Diskurs in Deutschland. Das Zitat stammt von Andrea Illy, dem Chef der bekannten Kaffee-Marke. In dem Interview spricht er über die stark gestiegenen Kaffeepreise aufgrund verschlechterter Ernten durch Überschwemmungen, Dürren und andere Klimawandel-Phänomenen.
In Kombination mit der traditionellen Preisdrückerei im Kaffeemarkt haben die dazu geführt, dass trotz seit 2020 vervierfachter Kaffeepreise im Großhandel die Hälfte aller Kleinbauern unter der Armutsgrenze lebt. Von denen stammt aber 70% der Kaffeeproduktion. Auf dem jetzigen Weg drohe eine „Kaffeekrise, die wir kaum noch beherrschen werden.“
Das wiederum zeigt Zweitens, wie allumfassend der Klimawandel unser Leben nicht nur während Extremwetterereignissen bei uns zu Hause, sondern auch in heute nebensächlich erscheinenden Dingen des Alltags verändern wird. Und wie wenig nachhaltig unsere liebgewonnene Art zu wirtschaften und zu leben ist - auch in Bereichen, an die man zunächst kaum denkt.
Teurer Kaffee und teurer Kakao alleine werden die nächste Bundesregierung vermutlich nicht motivieren, engagiert den klimaneutralen Umbau unserer Wirtschaft voranzutreiben. Doch das Interview gibt die Richtung für all jene vor, denen genau das am Herzen liegt: weiter die Wege für wirtschaftlichen Erfolg klima- und umweltbewusster Unternehmen zu ebnen und zu verbreitern. Und nicht nur deren Mahnungen, sondern vor allem deren Erfolgsgeschichten zu erzählen.
Verrückte Zeiten, in denen Kaffee-Unternehmer mehr von der Zukunft zu verstehen scheinen als Kanzlerkandidaten…
hier Süddeutsche Zeitung 23. Februar 2025,Interview von Thomas Fromm, München
„Die Kaffee-Branche erlebt gerade den perfekten Sturm“
Der Klimawandel trifft auch den Kaffeeanbau.
Der italienische Röster Andrea Illy über die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels, skrupellose Spekulanten und die immer größere Not der kleinen Bauern.
Mit Kaffee kennt sich der Espresso-König aus: Andrea Illy, von Haus aus Chemiker, führt das traditionsreiche Unternehmen Illycaffè aus dem norditalienischen Triest in dritter Generation. Allerdings verändert sich das Geschäft gerade dramatisch.
- Da ist der Klimawandel, der Anbauflächen nicht mehr kultivierbar macht.
- Da sind die Hedgefonds und Spekulanten aus dem Hochfrequenzhandel, die die Preise immer weiter in die Höhe und viele Kleinbauern damit in den Ruin treiben.
- Und da sind die grundsätzlichen Fragen nach dem Zustand der Welt. „Ich bin über die Zukunft der Demokratie besorgt“, sagt der 61-jährige Italiener. Ein sehr persönliches Gespräch über Kaffee, aber nicht nur.
SZ: Signor Illy – Kriege, Zölle, Handelskonflikte – es geht gerade ziemlich gefährlich und turbulent zu in der Welt … Andrea Illy: Ich hoffe, dass sich die Lage in den nächsten Monaten mal irgendwann beruhigt, das kann ja jetzt nicht ewig so weitergehen. Ein neues Problem nach dem anderen, langfristig hält man das nicht aus. Und irgendwann schläft man nicht mehr …
Wie erleben Sie als Kaffee-Unternehmer diese Zeiten? Die Kaffee-Branche erlebt gerade den perfekten Sturm. Die Preise sind auf einem Rekordhoch, da, wo wir sie noch nie gesehen haben. Sehr extreme Dürren in Vietnam und Brasilien haben im vergangenen Jahr eine Welle von Spekulationen am Markt ausgelöst, seitdem geht es drunter und drüber.
Wer spekuliert da? Leute, die eigentlich überhaupt nichts mit Kaffee zu tun haben. Da sind zum Beispiel einige Hedgefonds oder auch Pensionsfonds, die nur auf solche schwerwiegenden Ereignisse warten, um dann auf dem Markt für Rohstoff-Futures zu spekulieren und auf höhere Preise zu setzen. Das sind Leute, die sitzen am Computer und betreiben einen automatisierten Hochfrequenzhandel auf dem Rücken von Kleinbauern in Südamerika, Afrika oder Asien. Es ist ein sehr komplizierter Markt: 70 Prozent des gesamten Handels im Kaffeebereich ist rein spekulativ, deshalb sind die Dinge außer Kontrolle geraten.
Wo liegt der Marktpreis gerade? Bei mehr als vier Dollar pro Pfund. Der Durchschnitt der vergangenen Jahre lag bei 1,20 bis 1,30 Dollar. Was erschwerend hinzukommt: Rund die Hälfte der heute noch kultivierbaren Kaffeeanbaugebiete wird es wegen der Folgen des Klimawandels nach dem Jahr 2050 nicht mehr geben. Die Extremwetterlagen nehmen in letzter Zeit noch stärker zu und fallen drastischer aus, als wir das noch vor einigen Jahren gedacht hatten. Dazu kommen noch Wetterphänomene wie El Niño und La Nina, dessen Auswirkungen vor allem die Landwirtschaft von Vietnam, Brasilien, Peru und Ecuador bedrohen – das sind große Kaffeeanbauländer. Die Risiken steigen also, und die Spekulanten spekulieren.
Was bedeuten die hohen Kaffeepreise für den Markt? Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass manipulierte und durch Spekulation hochgehaltene Kaffeepreise nach einigen Jahren dann wieder ins Bodenlose fallen können – mit furchtbaren Konsequenzen für die Kaffeebauern.
Wer sind die Kaffeebauern? 30 Prozent des Kaffees wird von etwa 30 000 mittelgroßen und größeren Unternehmen produziert. 70 Prozent des Kaffees kommt von kleinen bis sehr kleinen Unternehmen – und davon gibt es 12,5 Millionen in 40 Ländern! Die Hälfte von denen lebt jetzt schon unterhalb der Armutsgrenze. Das heißt: Die Branche und die Menschen, die hier arbeiten, sind extrem verletzbar. In diesen Ländern haben die Menschen auch nicht das Geld, um zu investieren und Vorkehrungen gegen den Klimawandel zu treffen.
Hat sich die Lage der Kaffeebauern in den vergangenen Jahren verschlechtert? Sie verschlechtert sich seit Jahren immer weiter. Je mehr Überschwemmungen, Dürreperioden und andere Klimawandel-Phänomene ihre Ernten bedrohen, desto weniger Geld haben sie. Und desto größer ist die Gefahr, dass sie ganz verschwinden.
Welche Rolle spielt hier der Markt, spielen auch die großen Kaffeeeinkäufer? Ich sage es ganz offen – alle hatten lange Zeit einen sehr opportunistischen Ansatz: Die Ware immer zum besten Preis kaufen. Wenn wir allerdings so weitermachen würden, wäre das ein Problem. Klimawandel und zunehmende Armut hätten zur Folge, dass uns irgendwann schlichtweg die Lieferanten fehlen, das System würde zusammenbrechen. Deswegen müssen wir umdenken, wir müssen enger mit den Bauern zusammenarbeiten und wir müssen ihnen mehr helfen.
Wie? Wir brauchen einen Mix aus öffentlichen und privaten Finanzhilfen, um das System aufrechtzuerhalten. Das kann nur in unserem Interesse liegen: 50 Prozent der Kaffee-Weltproduktion landet in den wohlhabenden Ländern. Also bei uns, in Ländern wie Deutschland und Italien.
Wie viel Geld müsste denn in den Schutz der Kaffeeplantagen investiert werden? Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten zehn Jahren an die zehn Milliarden Dollar brauchen werden – also mindestens eine Milliarde im Jahr. Wenn wir jetzt aber gar nichts unternehmen, werden wir in fünf Jahren eine Kaffeekrise sehen, die wir dann kaum noch beherrschen werden.
Momentan scheint sich kaum noch jemand für Themen wie den Klimawandel zu interessieren. Und die USA sind gerade dabei, ihre internationale Entwicklungsbehörde USAID abzubauen. Die USAID ist enorm wichtig, wenn auch nicht so sehr im Bereich der Kaffeebauern. Allerdings ist es natürlich ein Alarmsignal, das auf diese Weise ausgesendet wird.
Was wir gerade sehen, ist doch ein großes Rollback, vieles wird auf einmal zurückgedreht – wobei die USA unter ihrem neuen Präsidenten Donald Trump die Richtung angeben. Zurück zu fossilen Energieträgern, weg von Windkraftanlagen, weg von Diversität und Inklusion, zurück in eine alte Welt. Ich bin bei dem Punkt weniger pessimistisch. Es ist schon so viel Neues im Bereich der erneuerbaren Energien entstanden, die Industrie hat schon so viel Geld in ihre grüne Zukunft investiert, dass sie kaum Lust haben wird, jetzt wieder rückwärtszugehen. Europa wird keine Lust dazu haben, und auch China nicht, wo die Industrie schon sehr weit ist bei grünen Technologien. Überall finden seit einiger Zeit langfristige Investitionen statt, und nur ein sehr seltsamer Mensch könnte auf die Idee kommen, dass Menschen jetzt wieder zurückwollen und alles für obsolet halten.
Der grüne Umbau von Gesellschaften und Industrie ist also nicht schon wieder beendet? Nein, er hat gerade erst angefangen. So wie auch der Kampf gegen den Klimawandel gerade erst begonnen hat.
Und doch ist das politische, soziale und kulturelle Klima zurzeit ziemlich schlecht. Wo man hinschaut … Da stimme ich Ihnen zu, das empfinde ich auch so.
Wie geht man damit um, wenn man als Unternehmer am Abend ins Bett geht und nicht weiß, ob man es am nächsten Morgen mit neuen Zöllen zu tun hat?
Wissen Sie, wir müssen uns daran gewöhnen, dass die Globalisierung, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten kannten, nicht mehr existiert. Und auch China ist nicht mehr die Werkbank der Welt. Die neuen Regeln sind andere, die Welt ist multipolar …
… und es kommt auf die richtigen Deals an. … und es kommt auf die richtigen Deals an, ja. Aber man weiß eben noch nicht, welche die neuen Pole dieser neuen Weltordnung sind. Alles ist maximal im Fluss. Nur eines scheint mir relativ klar zu sein.
Was? Diesen alten Win-win-Ansatz aus Politik und Wirtschaft, wonach alle etwas gewinnen konnten, den gibt es so nicht mehr. Jetzt heißt es: Win-loose. I win, you loose. Einer verliert immer.
Kann man sich daran gewöhnen? Man kann versuchen, sich auf komplexere Zeiten einzustellen. Die wirkliche Gefahr aber sehe ich in dem, was man „Black Swan“ nennt, also „Schwarzer Schwan“. Die plötzliche Gefahr von Ereignissen, mit denen niemand gerechnet hat. Wie zum Beispiel der Ausbruch der Covid-Pandemie vor fünf Jahren.
Was könnte der nächste schwarze Schwan sein? Schwer zu sagen. Das könnten Klimaereignisse sein, aber auch soziale Themen. Und Themen, wie sie zum Beispiel aus der künstlichen Intelligenz entstehen könnten.
Der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance hat davor gewarnt, künstliche Intelligenz zu stark zu regulieren. Hat er recht? Künstliche Intelligenz wird immer wichtiger werden in unserem Leben, weil sie Dinge kann, die über das hinausgehen, was wir schaffen. Wir brauchen sie also. Aber es muss in einem vernünftigen Rahmen passieren, ohne ihr die absolute Freiheit zu geben. KI muss reglementiert werden, wir müssen aufpassen, dass wir uns als Menschen nicht von der Realität verabschieden. Wir müssen gerade heute aufpassen, dass die Menschen nicht das Vertrauen in die Gesellschaft verlieren. Vertrauen ist sozusagen der Klebstoff, der alles zusammenhält. Das größte Risiko ist, dass dieses Vertrauen verloren geht. Bei einer komplett unreglementierten künstlichen Intelligenz könnte es passieren, dass wir irgendwann unsere demokratischen Institutionen in Rente schicken – das wollen wir nicht.
Sorgen Sie sich um die Demokratie? Ja. Ich bin über die Zukunft der Demokratie besorgt, leider. Angela Merkel sagte vor einigen Jahren in Davos, die Demokratien hätten es nicht geschafft zu zeigen, dass sie mehr Wohlstand hervorbringen als die autoritären Staaten. Das ist tatsächlich das Problem. Demokratische Regierungen müssen Entscheidungen treffen, die sehr komplex und oft langfristig angelegt sind. Sie haben einfach nicht die Zeit, um zu beweisen, dass ihre Entscheidung richtig war. Sie haben oft nicht einmal die Zeit, solche Entscheidungen technisch vorzubereiten. Autoritäre Regierungen haben es da einfacher: Sie haben kein zeitliches Limit.
Und die sagen dann: Wir haben es drauf, wir können eure Probleme in vier Wochen lösen. Alles nur Lärm!
Wir sind jetzt ziemlich weit abgekommen vom Kaffee … Wohl wahr. Wollen wir wieder über Kaffee reden? Das ist einfacher für mich.
Ihr Kollege Giuseppe Lavazza hat neulich mal gesagt, dass der Kaffee in italienischen Bars zu billig ist. Dass es aber auch schwierig sei, ihn teurer zu verkaufen. Er sei halt Teil der Kultur … Da hat Giuseppe recht! In Italien sind die Preise für Espresso sehr niedrig, ein Euro, 1,50 Euro. Aber das liegt auch an der knallharten Konkurrenz – an die 140 000 Bars gibt es bei uns. Es kommt eine Bar auf 400 Einwohner. Klar, dass das auch über den Preis geht. Und wenn Sie den Kaffee zu Hause trinken, ist es noch einmal viel billiger. Allerdings müssen wir uns fragen: Ernähren wir mit solchen Preisen noch diejenigen, die uns aus dem Süden die Kaffeebohnen liefern? Sind dies noch ethisch vertretbare Preise? Ich würde sagen: Nein.
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