hier Tagesspiegel 5.2.25Artikel von Felix Kiefer • 20 Std.
Fünf Erkenntnisse aus dem Klimagutachten: Was Deutschland gut macht – und besser machen müssteDer Expertenbeirat schlägt erneut Alarm: Zwar sinken die Emissionen, seine Klimaziele wird Deutschland aber weiter reißen. Die Fachleute fordern mehr Einsatz – auch für die Bevölkerung.
Klimaschutz und Klimapolitik finden auch in den finalen Wochen des Wahlkampfs bisher kaum statt. Für die Wahlentscheidung spielt es nahezu die gleiche nachgelagerte Rolle wie das Thema Migration, wie etwa das jüngste Politbarometer für ZDF und Tagesspiegel zeigen. Kontrovers gestritten wurde in Berlin zuletzt aber vor allem über die Begrenzung der Migration statt des weiteren Anstiegs des Meeresspiegels. Und das, obwohl sich der Klimawandel beschleunigt und in Deutschland auch 2024 wieder das wärmste Jahr seit Messbeginn war.
Mit einem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Bericht von fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern könnte sich das ändern. Der unabhängige Expertenrat für Klimafragen hat sein Zweijahresgutachten vorgelegt, in dem er die Treibhausgasentwicklung der letzten Jahre sowie die unternommenen Gegenmaßnahmen der Politik analysiert. Schon im Sommer hat das Gremium Alarm geschlagen: Deutschland ist nicht auf Kurs, um seine Klimaziele zu erreichen. Hat sich das geändert? Fünf zentrale Aussagen des Berichts.
Positiv halten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest:
- Der Treibhausgasausstoß sinkt, und zwar deutlich schneller als früher. Nach der Jahrtausendwende stieß Deutschland um die 1000 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr aus. Dieser Wert sank lange nur unwesentlich. Inzwischen sind es gut 600 Millionen Tonnen. Die jährliche Minderungsrate hat sich in der letzten Dekade mehr als verdoppelt. Zur Erreichung der Klimaziele müsste sie aber schon jetzt nochmal in gleicher Höhe zunehmen.
- Mehr als zwei Drittel des jüngsten Emissionsrückgangs gehen dabei auf den Bereich Energie zurück. Hier lobt der Expertenbeirat vor allem den Ausbau nicht-fossiler Erzeugungsarten. Die Ampel hat unter Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ihre Ziele beim Solarausbau deutlich übererfüllt. Auch der Windkraftausbau geht schneller voran.
- Gleichzeitig sind die Erfolge nicht nur hausgemacht: Der starke Rückgang in der Industrie ist wesentlich durch höhere Energiepreise sowie weniger Nachfrage bedingt. Sollten etwa Maschinenbau und Autoindustrie wieder stärker produzieren, würde das die Erfolge konterkarieren.
Zwar hätten sich die klimapolitischen Anstrengungen der Regierung insgesamt erkennbar verstärkt. Der Fokus sei aber zu stark darauf gewesen, fossile durch nicht-fossile Anlagen (etwa durch die Ausweitung der Solarkapazitäten) zu ersetzen und bestehende industrielle Strukturen zu erhalten.
So sind die Emissionen in den letzten Jahren auch im Gebäudesektor und der Land- sowie Abfallwirtschaft gesunken. Aus Sicht der Expertinnen und Experten ist der Rückgang allerdings „unzureichend“. Im Verkehrsbereich hat sich der Treibhausgasausstoß sogar gegenüber 2021 vergrößert. Um auf dem Reduktionspfad zu bleiben, müsste die Geschwindigkeit sechsmal (Gebäude) beziehungsweise fünfmal (Verkehr) so hoch sein, wie in der letzten Dekade.
Gerade diese beiden Bereiche hat die Politik aus Sicht des Expertenrats noch zu wenig adressiert. Das liegt vor allem daran, dass sich in der ehemaligen Ampel-Koalition vor allem FDP und Grüne häufig nicht einigen konnten.
Ein Beispiel ist die Reform des Klimaschutzgesetzes im letzten Frühjahr: Nach wochenlangen gegenseitigen Vorwürfen wurden verbindliche CO₂-Einsparziele für einzelne Sektoren abgeschafft (die Grünen wollen sie wieder einführen). Davon profitierte der Verkehrssektor, weil dessen höherer Ausstoß mit Erfolgen aus anderen Bereichen verrechnet werden kann. Im Wesentlichen wollte die FDP Autofahrer und Autoindustrie schützen, während die Grünen auf mehr Klimaschutz drangen.
Derartige Zielkonflikte von Klimapolitik mit beispielsweise Industrie- oder Verkehrspolitik sollte die Politik dem Expertenbeirat zufolge stärker in den Blick nehmen. „Klimapolitik muss breiter gedacht werden“, sagte der Vorsitzende Hans-Martin Henning: „Die umfassende Einbettung klimapolitischer Maßnahmen in eine politische Gesamtstrategie ist jetzt wichtiger denn je.“ Eine Möglichkeit sei die Einführung eines Klimakabinetts, also einer zentralen Koordinierungs- und Integrationsstelle zum Beispiel im Kanzleramt. Wie mittwochs im Bundeskabinett (oder montags auf der Ebene der Staatssekretäre) könnten dort regelmäßig Zielkonflikte zwischen den einzelnen Ministerien ausgehandelt werden.
Neben einer stärkeren Koordinierung muss aus Sicht des Expertenrats auch die Frage der Finanzierung eine stärkere Rolle spielen. Seit die Karlsruher Verfassungsrichter die Verschiebung von Corona-Hilfen in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) Ende 2023 für unrechtmäßig erklärt haben, sind dessen Mittel nahezu abgeschmolzen und Klimaschutzinvestitionen konkurrieren mit anderen Bereichen, etwa Infrastruktur, Bildung oder Verteidigung.
Das Investitionsvolumen für die Transformation zur Treibhausgasneutralität bis 2030 beziffern die Expertinnen und Experten unter Berufung auf mehrere Studien auf 135 bis 255 Milliarden Euro pro Jahr. Das wären bis zu sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die jährliche staatliche Finanzierungslücke liegt dabei im mittleren bis hohen zweistelligen Milliardenbereich. Grünen und SPD schwebt zu deren Finanzierung ein neuer Investitionsfonds sowie eine Reform der Schuldenbremse vor. Union und FDP schließen beides aus.
In ihrem Gutachten haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch mit der Verteilungswirkung von Klimaschutzmaßnahmen beschäftigt. Am stärksten sind private Haushalte demnach im Gebäude- und Verkehrssektor finanziell betroffen. Etwa durch die energetische Sanierung von Häusern, den Einbau einer neuen Heizung oder die Verteuerung von Kraftstoffen. Betroffen sind allerdings nicht alle Menschen gleichermaßen.
„Einige Maßnahmen weisen ein soziales Ungleichgewicht auf, so wurden bisher primär einkommensstarke Haushalte gefördert“, sagte die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf. Das könnte sich künftig noch verstärken: Zum einen, da ab 2027 auch Gebäude- und Verkehrssektor unter den Europäischen Emissionshandel fallen. Zum anderen durch einen weiteren Anstieg beim CO₂-Preis. Seit Januar liegt dieser bei 55 Euro pro Tonne. Der Expertenrat fordert daher zusätzliche Unterstützungs- und Kompensationsmaßnahmen. Darunter fallen etwa sozial differenzierte Förderprogramme, die Einführung eines Klimagelds oder die Stärkung der Daseinsvorsorge.
Zu viel Zeit kann sich die Bundesregierung nicht lassen. Nach dem Klimaschutzgesetz muss eine neue Bundesregierung schon innerhalb des ersten Jahres der Legislaturperiode ein Klimaschutzprogramm vorlegen. Wie schon im Prüfbericht des letzten Sommers kommt der Expertenrat auch heute zu folgendem Urteil: Mit den bisher beschlossenen Maßnahmen würde Deutschland seine Klimaziele reißen. Sowohl das Reduktionsziel von 65 Prozent bis 2030 gegenüber 1990 als auch das Netto-Null-Ziel bis 2045.
Sollten die Expertinnen und Experten im Sommer erneut zu diesem Urteil kommen, dass wir unsere gesetzlich erlaubten Emissionsgrenzen überschreiten, wäre die Bundesregierung zu Sofortmaßnahmen verpflichtet. Unabhängig davon, ob der Kanzler dann Friedrich Merz, Olaf Scholz oder Robert Habeck heißt.
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