Freitag, 21. Februar 2025

„Ich halte die grüne Transformation in Europa bis 2050 für unbedingt notwendig und machbar"

Ein wirklich spannendes Interview mit einem pragmatischen Fachmann der Energiebranche.
Es zeigt: Wir sind noch lange nicht am Ziel, doch wir sind auf dem richtigen Weg. Es kommt jetzt in erster Linie darauf an, dass verlässliche Rahmenbedingungen beibehalten / geschaffen werden.

Börsen-Zeitung hier  Artikel von BZ 20.2.25

„Wir schauen bei der Energiewende im Moment aufs falsche Ende“

Klimaschutz spielte im Bundestagswahlkampf eine Nebenrolle, die politische Großwetterlage hat sich geändert. 

Stefan Dohler, Chef des Energiekonzerns EWE und Präsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), hält die grüne Transformation in Europa bis 2050 weiterhin für möglich, dringt aber auf Pragmatismus bei der Umsetzung der Energiewende und auf bessere Investitionsbedingungen.

Herr Dohler, in den USA ist ein neuer Präsident im Amt, der auf fossile Energieträger setzt. Die EU schwächt Teile des Green Deal ab. In Deutschland könnte bald ein Kanzler regieren, der nicht als Freund von Windrädern gilt. Wie geht es mit der Energiewende weiter?

Wichtig ist zunächst, dass wir feststellen können: Das Ziel der Klimaneutralität in Deutschland und in der Europäischen Union gilt weiterhin. In der EU soll das Ziel 2050 erreicht werden. Hierzulande gilt nach der im Juli vergangenen Jahres in Kraft getretenen Klimaschutz-Novelle die Vorgabe, dass Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral sein soll. Dieses Ziel findet sich auch im Wahlprogramm der CDU wieder.

Erwarten Sie, dass die Umsetzung weiterer Maßnahmen für die Energiewende in Europa und in Deutschland an Schwung verliert?

Es geht jetzt vor allem um die Frage, wie sich in Europa und in Deutschland das Ziel der Klimaneutralität bezahlbar, das heißt mit vertretbarem Aufwand erreichen lässt. Zum einen ist Technologieoffenheit für Innovation wichtig. Zum anderen kommt es uns als Energiewirtschaft und meinem Unternehmen auf Rahmenbedingungen an, die langfristig für Planungs- und Investitionssicherheit sorgen.


„Wir brauchen doch mehr Erneuerbare Energien.
Ein starkes Argument dafür ist, dass es sich um eine
sehr günstige Form der Energieerzeugung handelt.“


Das heißt?

Es darf nicht in jeder Legislaturperiode, das heißt im Abstand von wenigen Jahren, rechtliche Änderungen geben. Investitionen gehen in unserer Branche zum Teil mit einer Amortisation von 30 bis 40 Jahren einher. Insofern hoffe und setze ich sehr auf langfristig verlässliche Rahmenbedingungen und damit auf Investitionssicherheit.

Nochmals nachgefragt: Sie gehen in den kommenden Jahren nicht von mehr Gegenwind für die Energiewende aus?

Davon gehe ich nicht aus, wenn wir als Branche gute Konzepte vorschlagen. Wir brauchen doch mehr Erneuerbare Energien. Ein starkes Argument dafür ist, dass es sich um eine sehr günstige Form der Energieerzeugung handelt. Ja, wir investieren jetzt erst mal viel Geld, um unser Energiesystem umzubauen. Wir brauchen außerdem abgesicherte, flexible Kapazitäten, Stichwort Kraftwerkssicherungsgesetz. Das muss jede neue Regierung sehr schnell anschieben.


„Weltweit, gerade in China und in den USA,
sehen wir in Summe einen massiven Ausbau
bei erneuerbaren Energien,
mit anderen Mitteln und direkter Förderung.

Es gibt aus meiner Sicht langfristig keine günstigere Alternative zu erneuerbaren Energien.“


Wie beurteilen Sie den internationalen Trend, was die grüne Transformation angeht?

Weltweit, gerade in China und in den USA, sehen wir in Summe einen massiven Ausbau bei erneuerbaren Energien, mit anderen Mitteln und direkter Förderung. Es gibt aus meiner Sicht langfristig keine günstigere Alternative zu erneuerbaren Energien. Die zuletzt wieder deutlich gestiegenen Gaspreise sprechen auch nicht gegen den weiteren Ausbau bei den erneuerbaren Energien.

In Deutschland haben lange Genehmigungsverfahren, Bürokratie und langwierige Rechtsstreitigkeiten den Ausbau der Erneuerbaren behindert. Das hat sich geändert, 2024 gab es Rekordzahlen beim Zubau von Wind und Solarkapazitäten. Wie fällt die energiepolitische Bilanz der vergangenen Jahre aus Ihrer Sicht aus?

Für mich sind drei Aspekte wichtig. Das Handeln in der Krise unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 fand ich bemerkenswert gut. Aus meiner Sicht war auch beeindruckend, dass wir es in Deutschland trotz des Kriegs und der damit verbundenen Sonderthemen geschafft haben, die erneuerbaren Energien auszubauen, Genehmigungsverfahren und Vergabe deutlich zu beschleunigen. Leider sind wir aber auch schnell wieder in die Falle getappt.

Was meinen Sie?

Überbordende, zu kleinteilige Vorgaben der Politik verzögern und verteuern den weiteren Ausbau. Sie schränken auch Innovationen bei Unternehmen ein und bremsen den Fortschritt. Geschwindigkeit bzw. Zeit ist aber immer auch Geld. Ich würde mir hier einen Kurswechsel der Politik wünschen.

Was ist Ihre Erwartung für die nächsten Jahre?

Ganz klar: Deutschland sollte den erfolgreichen Hochlauf bei den Erneuerbaren fortsetzen.
Dazu gehört auch, dass die Infrastruktur, vor allem die Netze, leistungsfähig wird, um die Erneuerbaren aufzunehmen. Wir brauchen Flexibilisierung auf Seiten der Verbraucher, aber auch in der Art und Weise, wie wir Erneuerbare einspeisen.


„Das ist Volksverdummung,
weil Erneuerbare nicht nur eine sehr günstige,
sondern auch sichere Form der Energieversorgung ermöglichen. 

Ein Abriss von Windrädern,
der dann ja wohl auch mit Abhängigkeit von
Gas- und Ölimporten aus Russland einhergehen würde,
wäre ein Irrweg.“


Wie beurteilen Sie die Aussagen zu den Erneuerbaren in den Wahlprogrammen der Parteien zur anstehenden Bundestagswahl? Im Wahlkampf polemisiert die AfD gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien. Was sagen Sie dazu?

Das ist Volksverdummung, weil Erneuerbare nicht nur eine sehr günstige, sondern auch sichere Form der Energieversorgung ermöglichen. Ein Abriss von Windrädern, der dann ja wohl auch mit Abhängigkeit von Gas- und Ölimporten aus Russland einhergehen würde, wäre ein Irrweg.

Es besteht bei den meisten Parteien offenbar ein Konsens, dass es nach der Bundestagswahl eine Neuausrichtung der Energiewende geben sollte, dass sie effizienter, dass sie kostengünstiger gestaltet werden muss. Was hat aus Ihrer Sicht jetzt Priorität?

Es gibt leider keinen Königsweg. Wir haben zeitgleich viele Herausforderungen in einem komplexen System zu lösen. Im Moment steht aus unserer Sicht die gesicherte Leistung im Vordergrund. 

Wir brauchen Gaskraftwerke und in fernerer Zukunft Wasserstoffkraftwerke, um mit diesen Kraftwerkskapazitäten Dunkelflauten abzufedern. 

Wir können ferner sehr viel dafür tun, um die Gesamtsystemkosten zu minimieren. Dabei dürfen wir nicht allein auf die Kilowattstunde oder die reinen Commodity-Kosten für Gas und Strom achten, sondern vermehrt auch auf die Infrastruktur, deren Anteil an den Gesamtkosten steigt. 

Hier liegen große Potenziale, um Kosten zu reduzieren, indem wir ein kluges System entwickeln oder im bestehenden System Kosten optimieren.

Zum Beispiel?

Ein Stichwort ist das Design der Offshore-Ausschreibungen mit der derzeitigen Fokussierung auf Leistung statt maximaler Energiemengenausbeute zu minimalen Kosten. Kostenvorteile hätten auch Freileitungen verglichen mit einer Erdverkabelung. Es gibt eine große Vielfalt an Möglichkeiten zur Kostenreduzierung. Ein großer zweiter Block ist der Wärmemarkt. 

Im Gesamtenergiesystem liegen wir in Deutschland bislang bei einem Anteil der Erneuerbaren von 20%. Wir haben also noch einen weiten Weg vor uns. Und auf diesem Weg spielen der Wärme- und der Verkehrssektor eine sehr große Rolle.    

Wenn Sie einen Masterplan für die Energiewende vorlegen müssten: Was wären die wichtigsten Inhalte?

Ich sehe drei wesentliche Blöcke. 

Wir sollten auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität zum einen die Systemkosten reduzieren. Der europäische Emissionsrechtehandel, die CO2-Bepreisung zur Reduktion von Treibhausgasen, ist wichtig. 

Das muss ergänzt werden um weitere Instrumente wie einen Kapazitätsmechanismus. Das Marktdesign sollte angepasst werden, indem es mehr Anreize für Flexibilisierung auf der Abnehmerseite gibt. 

Wir brauchen einen besseren Beitrag aller Teilnehmer im System. Das senkt die Gesamtsystemkosten. Zum zweiten können wir die Finanzierbarkeit dieser Maßnahmen erleichtern. Das können wir erreichen, wenn wir einen Teil der Risiken für die Investoren herausnehmen.

Und weiter?

Der dritte Punkt ist, wie die resultierenden Kosten aus diesem zeitlich sehr gestauchten Investitionszyklus auf an die Verbraucherseite weitergegeben werden. In diesem Zusammenhang bietet die Idee des Wasserstoff-Kernnetzes und des Amortisationskontos aus meiner Sicht kluge Ansätze, weil wir Infrastrukturen für mehrere Jahrzehnte errichten, deren Investitionen sich innerhalb kurzer Zeit nicht amortisieren lassen.

Können Sie das näher erläutern?

Das Wasserstoff-Kernnetz wird privatwirtschaftlich gebaut und betrieben und durch Entgelte der Wasserstoffabnehmer finanziert. Zu Beginn ist von einer geringen Nutzerzahl auszugehen, weshalb die Investitionskosten der Kernnetzbetreiber nicht voll über Netzentgelte auf die Nutzer umgelegt werden können. Die Idee ist, dass die Bundesnetzagentur daher eine Obergrenze für die Netzentgelte festlegt, was einen Anreiz schafft, auf Wasserstoff umzusteigen. Die entstehende Differenz zwischen dem notwendigen und dem von der Agentur festgelegten Netzentgelt wird durch jährliche Ausgleichszahlungen aus einem Amortisationskonto überbrückt. Dieses wird dann in späteren Jahren durch Mehrerlöse aus einer breiten Nutzerbasis wieder aufgefüllt. 

Über solche Mechanismen sollten wir auch an anderer Stelle nachdenken. Am Ende müssen die drei zentralen Fragestellungen – wie teuer wird es, wie finanziert man es, und wer trägt es – im Kontext zusammen gelöst werden.


„Regeln bis zur letzten Unterlegscheibe bringen uns nicht voran. Auf EU-Ebene gibt es Regeln ohne erkennbaren Mehrwert,
etwa beim Thema Taxonomie.
Eine Vereinfachung würde uns sehr viel administrativen Aufwand ersparen und Kosten reduzieren.“


Wie beurteilen Sie die Aussichten?

Wir als Energiewirtschaft haben viele Ideen vorgebracht, die zeigen, welche Maßnahmen mit Pragmatismus eine große Hebelwirkung hätten. Regeln bis zur letzten Unterlegscheibe bringen uns nicht voran. Auf EU-Ebene gibt es Regeln ohne erkennbaren Mehrwert, etwa beim Thema Taxonomie. Eine Vereinfachung würde uns sehr viel administrativen Aufwand ersparen und Kosten reduzieren. Wir Unternehmen leisten uns Stäbe, die sich nur mit regulatorischen Vorgaben befassen, damit wir überhaupt etwas umsetzen können und eine Finanzierung erhalten.

Regulierung ist nicht der einzige Hemmschuh. Um künftig emissionsarm Stahl herstellen zu können, setzen Unternehmen mit energieintensiver Produktion wie Stahlhersteller auf grünen Wasserstoff. Projekte für Elektrolyseure, die für die Herstellung von grünem Wasserstoff notwendig sind, kommen bislang nicht richtig in Gang. Was muss passieren, dass grüner Wasserstoff schnell in ausreichender Menge zur Verfügung steht?

Notwendig ist Skalierung. Wir müssen raus aus der kleinteiligen Pilot- oder Reallabor-Welt und rein in die Phase der Skalierung. Das passiert gerade. Die Entscheidung zum Wasserstoff-Kernnetz gibt einen wichtigen Impuls auf der Infrastrukturseite. 

Wir als EWE haben den Zuschlag für vier wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse, sogenannte IPCEI, erhalten, was nun den Weg bereitet, um in Summe bis zu 1 Mrd. Euro zu investieren. Wir befinden uns bereits in der Umsetzung, einen der größten Elektrolyseure in Deutschland mit 320 Gigawatt in Emden zu bauen, mit den notwendigen Anbindungen an Leitungen und an Speicher.

Warum nicht drei oder vier Elektolyseure?

Wir müssen auf der Abnehmerseite auch Kunden haben, die den Wasserstoff bezahlen möchten und können. Die Stahlindustrie, um bei dem Beispiel zu bleiben, hat für die Umrüstung von der klimaschädlichen Hochofenproduktion zum Herstellungsverfahren per Direktreduktion Förderungen erhalten. Dauerhaft entscheidender Faktor sind aber die Betriebskosten. Wir müssen aufgrund überzogener und ökologisch kontraproduktiver Anforderungen aus Brüssel an die Strombezugskriterien für grüne Wasserstoffproduktion unnötig teuer produzieren. Eine einfache Anpassung kann die Kosten für grünen Wasserstoff um 50% senken. Hier kann die EU mit ihrem Aktionsplan für bezahlbare Energie mal zeigen, ob sie es damit ernst meint. Zweiter Teil der Gleichung sind die Klimaschutzverträge. Die sind weiter in der Planung.

Wird die nächste Bundesregierung diese Klimaschutzverträge auch ausschreiben?

Ich fände es sehr richtig. Eine Alternative wäre, man schafft sogenannte grüne Leitmärkte. Man erlaubt und ermöglicht Unternehmen, gewisse Kontingente ihrer Stahlmengen als grünen Stahl einzukaufen. Man würde einen Pull-Effekt erzeugen. Da gibt es viele Mechanismen. Und dann kommt das in Gang. Wichtig für mich: Wir brauchen nicht nur grünen Wasserstoff, sondern auch blauen Wasserstoff zu Beginn, um diesen Hochlauf, diese Skalierung zu ermöglichen und Vertrauen auf stabile Lieferketten zu schaffen in der Industrie.


„Ich halte die grüne Transformation in Europa bis 2050
für unbedingt notwendig und machbar.
Wir sollten jetzt nur pragmatisch vorgehen und
uns mit Wegbeschreibungen und Instrumenten
nicht jetzt schon über die letzten 5% der Treibhausgasreduktion Gedanken machen.“


Halten Sie es angesichts der aktuellen politischen Großwetterlage und der komplexen Herausforderungen das Ziel der Klimaneutralität in der EU 2050 für erreichbar?

Ich halte die grüne Transformation in Europa bis 2050 für unbedingt notwendig und machbar. Wir sollten jetzt nur pragmatisch vorgehen und uns mit Wegbeschreibungen und Instrumenten nicht jetzt schon über die letzten 5% der Treibhausgasreduktion Gedanken machen. Wir werden in den kommenden 10 bis 15 Jahren viel Innovation erleben. Insofern müssen uns die letzten 5% keine Angst machen. Der große Hebel liegt im Jetzt. Wir schauen bei der Energiewende im Moment aufs falsche Ende.

Wie beurteilen Sie die Diskussion über den Emissionshandel?

Es ist ein marktorientiertes und richtiges Instrument, auch um das Thema der Treibhausgase-Reduktion zu steuern. Wir erleben gerade eine Diskussion über die Erweiterung dieses Systems auch auf den Wärmemarkt und den Verkehr.

Ich halte es für unabdingbar, dass wir diesen Weg gehen. Sonst werden wir bis 2050 Klimaneutralität nicht erreichen. Es sollten aber auch alle Länder mitziehen, weil es ein globales Thema ist. Länder wie die USA und China setzen über Steuervorteile oder Produktionshilfen eher auf Subventionen von Unternehmen, die dann in erneuerbare Technologien investieren. In Deutschland müssen Unternehmen erst mal eine CO2-Abgabe zahlen, sie erhalten nur in Teilen Hilfen bei der Umrüstung. Unternehmen aus China, den USA und Deutschland treffen aber im Weltmarkt aufeinander. Das ist schwierig. 

Der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), das neue Klimaschutzinstrument der EU, hilft nur bei Importen in die EU. CBAM hilft nicht bei Exporten. Diese unterschiedlichen Regime – wir bepreisen CO2, die anderen subventionieren Investitionen in Erneuerbare – sind ein Thema, das zügig gelöst werden sollte.


„Jetzt Kernenergie in Deutschland auszubauen würde heißen, die Kernkraftwerke nur wenige Stunden im Jahr
laufen zu lassen.


Das wäre sehr teuer.


Kapitalkosten sind hier der Faktor, der entscheidet,
nicht die Betriebskosten.
Es wäre eine sehr unkluge und extrem teure Kombination.“


Sollte Deutschland mit Blick auf künftige energieintensive Bereiche wie den Betrieb von Elektroautos und Datenzentren oder die Nutzung von künstlicher Intelligenz sowie mit Blick auf geopolitische Konstellationen auch auf eigene Kernenergie setzen?

Im globalen Maßstab wird Kernkraft eine Rolle spielen, um zu einer klimaneutralen Energieproduktion zu kommen. Man muss aber immer auch beachten, welchen Status die einzelnen Länder haben. Nehmen wir Deutschland: Wir haben im Strommix einen Anteil von knapp 60% Erneuerbare. Damit haben wir ein System, das in weiten Teilen des Jahres große Mengen sehr günstig produzierter Energie bereitstellen kann. 

Jetzt Kernenergie in Deutschland auszubauen würde heißen, die Kernkraftwerke nur wenige Stunden im Jahr laufen zu lassen. Das wäre sehr teuer. Kapitalkosten sind hier der Faktor, der entscheidet, nicht die Betriebskosten. Es wäre eine sehr unkluge und extrem teure Kombination.

Andere Länder wie Frankreich setzen auf Kernenergie. Es gibt in den Programmen einiger Parteien zur Bundestagswahl Passagen, wo zumindest erörtert wird, inwieweit man Kernenergie in Zukunft wieder nutzen sollte.

Länder wie Frankreich haben einen sehr hohen Anteil an Kernenergie. Diese Länder wollen auf ihrem Weg weitergehen. Kernenergie ist eine sehr kapitalintensive Technologie. Aber diese Länder leben mit einem anderen System, das eine sehr stabile Dauerversorgung benötigt. 

Wir sind in Europa erfolgreich in einem integrierten Binnenmarkt, in dem wir auch Strom tauschen – wie zwischen Deutschland und Frankreich. Das heißt, dass Importe von Atomstrom in Deutschland Teil des Mixes sind. Wir haben im Sommer aber auch die Situation, dass Flüsse in Frankreich nicht ausreichend für die Kühlung genutzt werden können und die Leistung der Kernreaktoren dort massiv zurückgefahren werden muss. Dann nimmt Frankreich erneuerbaren Strom aus Deutschland. Wir haben also einen Energieverbund in Europa, der sinnvoll ist. Er macht das Energiesystem in Europa resilienter und billiger.


Zur Person: Stefan Dohler 

Seit 2018 steht Stefan Dohler als Vorstandschef an der Spitze des in Oldenburg ansässigen Energiekonzerns EWE, seit Juni 2024 ist der 58-Jährige zudem Präsident des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Vor seinem Wechsel zu dem mehrheitlich von Weser-Ems-Kommunen getragenen Energieversorger war der gelernte Seemann und Diplom-Ingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik Finanzvorstand des schwedischen Energieunternehmens Vattenfall in Stockholm. Seine berufliche Laufbahn begann Dohler, der gebürtig aus Cochem an der Mosel stammt, 1998 beim Hamburger Energieversorger HEW, einem Vorgängerunternehmen von Vattenfall in Deutschland.

Das heißt, Deutschland sollte auf eine eigene Kernenergie verzichten?

Dass wir in Deutschland ökonomisch sinnvoll noch einmal die Kernenergie hochfahren, halte ich für extrem unwahrscheinlich. Es müsste – wenn überhaupt – Aufgabe des Staates sein. Ob es dafür einen politischen Konsens gibt? Aus den Wahlprogrammen einzelner Parteien geht hervor, dass im Thema Kernfusion Potenzial sein könnte. Das ist eine andere Form von Kernenergie, die aber in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen wird.

Zur Finanzierung der Energiewende: Es gibt Berechnungen, welche Investitionen erforderlich wären, um mittelfristige Ziele der bisherigen Bundesregierung zu erreichen. Wie ist Ihre Sicht?

In einer Analyse kommt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zu dem Ergebnis, dass wir bis 2030 etwa 700 Mrd. Euro und bis 2035 etwa 1,2 Bill. Euro benötigen werden. Diese Zahlen sind aber zu relativieren.

Inwiefern?

Es gibt Potenziale, um die Energiewende klug umzusetzen und weniger Mittel zu benötigen, also Optimierung im System. Zudem handelt es sich bei den Summen nicht um die gesamten Mehrkosten für eine Energietransformation. Es geht überwiegend um Ersatzinvestitionen, das heißt um Investitionen, die ohnehin anstehen, ergänzt um Zusatzaufwände. Diese Zusatzaufwände sind aufgrund des Hochlaufs in kurzer Zeit oder dadurch, dass wir uns eine Transformation im Wärmesektor, im Erzeugungssektor und in der Leitungsinfrastruktur vornehmen, erforderlich. Wir wollen vieles zur selben Zeit und am besten innerhalb weniger Jahre umsetzen. Deshalb entsteht ein großer Finanzierungsbedarf. Zur Refinanzierung kann man aber nicht schockartig auf die Verbraucher zugehen. Wir können einen klugen Weg finden.


„Es ist sehr viel Geld im Kapitalmarkt.
Es braucht aber im Energiesystem auch gute Investitionsbedingungen, um dieses Geld anzuziehen. Deutschland ist beispielsweise bei der Netzinfrastruktur gerade nicht dabei, solche guten Bedingungen sicherzustellen.“


Woher soll das Geld kommen?

Es ist sehr viel Geld im Kapitalmarkt. Es braucht aber im Energiesystem auch gute Investitionsbedingungen, um dieses Geld anzuziehen. Deutschland ist beispielsweise bei der Netzinfrastruktur gerade nicht dabei, solche guten Bedingungen sicherzustellen. Renditeanforderungen, die internationale Investoren – und die brauchen wir – haben, werden nicht durch das gedeckt, was die Netzagentur an Kapitalzinsen im Moment zugesteht. Ein zweites Thema ist, das sich gerade Unternehmen im kommunalen Bereich – und davon gibt es viele in der deutschen Energiewirtschaft – stellt, ist, dass sie keinen direkten Zugang zum Kapitalmarkt haben. Es sollten Wege gefunden werden, wie diese Unternehmen dort Finanzierungsinstrumente finden können, beispielsweise über hybride Instrumente. Es geht darum, den möglichen Finanzierungsmix auszuweiten.

Welche Möglichkeiten, welche Anreize halten Sie für sinnvoll, um privates Kapital stärker zu mobilisieren?

Ein erster Baustein könnte die Festlegung einer höheren Eigenkapitalverzinsung für Neuinvestitionen der Netzbetreiber durch die Bundesnetzagentur sein. 

Ein weiterer Baustein wäre aus meiner Sicht, eine Absicherung für bestimmte Investitionen zu schaffen, beispielsweise über ein gutes Erneuerbare-Energien-Gesetz. 

Für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren wäre ein Rahmen sinnvoll, der Risiken verringert. Weniger Risiken machen die Finanzierung einfacher und günstiger. Der BDEW und der Verband Kommunaler Unternehmen haben einen Energiewendefonds vorgeschlagen, der es Unternehmen aus der Branche, die sich nicht direkt Kapital an der Börse besorgen können, ermöglicht, Gelder ins Unternehmen zu holen, die wie Eigenkapital wirken und nicht die Verschuldungsgrenzen tangieren. Hier müsste der Staat lediglich gewisse Garantien für sein eigenes Handeln geben, etwa eine Versicherung. Auf der Basis ließe sich privates Kapital sehr gut mobilisieren.


„Wenn wir in der Energiewirtschaft
die anstehenden großen Investitionen
nicht hinreichend finanzieren können,
wird die Energiewende abgebremst. 

Oder die Transformation wird teurer.
Beides wäre nicht im Interesse unseres Landes.“


Wie beurteilen Sie die bisherige Haltung der Politik in dieser Frage?

Die Politik hat das Problem verstanden, das zu lösen ist. Es wurden auch schon viele Gespräche geführt. Leider fehlen Ergebnisse. Hier ist die nächste Bundesregierung gefordert. Wenn wir in der Energiewirtschaft die anstehenden großen Investitionen nicht hinreichend finanzieren können, wird die Energiewende abgebremst. Oder die Transformation wird teurer. Beides wäre nicht im Interesse unseres Landes. 

Und um es klar zu sagen: Es geht nicht um riesige zusätzliche Lasten für den Staatshaushalt. Wir brauchen einen Rahmen, der für Planungs- und Investitionssicherheit sorgt. Die Folgekosten für unsere Volkswirtschaft und nachfolgende Generationen durch Nicht- oder verzögertes Handeln übersteigen die jetzt diskutierten Investitionen um ein Vielfaches.


Das Interview führte Carsten Steevens. Das vollständige Interview lesen Sie unter www.boersen-zeitung.de

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