Die Initiative "toMOORow" will zusammen mit 15 großen Unternehmen eine Moorwende. Das soll Klimaschutz und Wirtschaft verbinden - so könnte das gelingen.
Trockene Moorflächen setzen Unmengen an CO2 frei. Für sieben Prozent aller Treibhausgasemissionen in Deutschland sind sie verantwortlich. Ihre Wiedervernässung könnte beim Klimaschutz helfen.
Früher legte man Moore trocken, um Torf abzubauen oder Äcker anzulegen. Doch dadurch werden riesige Mengen an Treibhausgasen frei. Um Kohlenstoff zu speichern, sollen Moore wieder vernässt werden. Damit sich das auch rechnet, entwickelt die Initiative "toMOORow" geeignete Produkte für die Vermarktung der Biomasse aus nassen Mooren.
Klimaschutz mit wirtschaftlichem Mehrwert
Die Initiative bringt große Player der Industrie zusammen: Baustoffkonzern Strabag, Versandhändler Otto, Baumärkte wie Toom oder Obi und der Papierproduzent Wepa haben sich dazu verpflichtet, vermehrt Moorerzeugnisse zu verwenden.
Das Ziel: Geeignete Pflanzen in sogenannten Paludikulturen - wirtschaftlich genutzte nasse Moorflächen - anzubauen und zu verwerten.
Moorforscherin Franziska Tanneberger vom Greifswald Moor Centrum erklärt, wie es geht:
In den meisten Fällen muss man nur die Entwässerung im trockengelegten Moor stoppen. Binnen zwei bis drei Jahren siedeln sich typische Moorpflanzen an. Fast alle kann man industriell verwerten.
eingebettetes Video: Feuchtgebiete, wie Moore, sind wichtige CO2-Speicher.
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Moore als Chance für das Klima
Wenn sich Paludikultur rechnet, profitiert auch das Klima - und da besteht dringender Handlungsbedarf. Sind sie intakt, nehmen Moore Kohlenstoffdioxid auf und lagern den Kohlenstoff so effektiv wie kein anderes Ökosystem ein. Auf nur drei Prozent der Erdoberfläche speichern Moore mehr als doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder zusammen.
Wie Moore den Klimaschutz voranbringen
In Deutschland wurden jedoch rund 95 Prozent der Moore trockengelegt. Aus dem trockenen Torf werden Treibhausgase in großer Menge in die Atmosphäre freigesetzt. Ungefähr 7,5 Prozent aller deutschen Treibhausgas-Emissionen werden dadurch verursacht. Das entspricht ungefähr der Hälfte des gesamten privaten Autoverkehrs. Moorforscherin Tanneberger hält dieses Problem für absolut unterschätzt.
Abgase aus Schornsteinen sind für alle sichtbar -
Treibhausgase aus Mooren nicht.
Treibhausgase aus Mooren nicht.
Franziska Tanneberger, Umweltpreisträgerin und Moorforscherin an der Universität Greifswald
Trockengelegte Moore gibt es in Deutschland genug. Bei Wiedervernässung würden die Gase im Boden bleiben.
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Kartons und Klopapier aus Moorgras
Erste Projekte von "toMOORow" laufen bereits. Im vergangenen November hatte der Online-Händler Otto 100.000 Kartons mit einem Anteil von zehn Prozent Moorgräsern versendet. Den Praxistest haben sie bestanden, so das Unternehmen: Sie weichen bei Regen nicht auf und sind stabil, die Kunden sind zufrieden. Auch Tests für Toilettenpapier, Kosmetikverpackungen und Innentürfüllungen sind im Gange.
Durch die wirtschaftliche Nutzungwäre ein großes Problem
für die Revitalisierung von Mooren gelöst.
für die Revitalisierung von Mooren gelöst.
Claudia Bühler, Co-Leitung der "toMOORow"-Initiative und Vorständin der Michael Otto Stiftung, sagt:
Die Wiedervernässung nimmt den Landwirten zunächst die Einkommensgrundlage, da sie nicht mehr wie gewohnt Ackerbau und Grünland bewirtschaften können. Gleichzeitig fehlte bislang der Rohstoff aus den Mooren, der industriell genutzt werden könnte. Dieses Henne-Ei-Problem versuchen wir gerade zu lösen.
Expertin: Klimaziele ohne Moore nicht erreichbar
Noch ist die industrielle Verwertung von Moorpflanzen teuer, doch das Potenzial ist groß:
"Von den insgesamt 1,3 Millionen Hektar an trockengelegten Mooren ließe sich ungefähr eine Million wieder verwässern. Wenn die entsprechenden Branchen ihren Produkten nur fünf Prozent Paludi-Biomasse beifügen würden, könnte man ein Drittel davon bewirtschaften", so Bühler.
"Von den insgesamt 1,3 Millionen Hektar an trockengelegten Mooren ließe sich ungefähr eine Million wieder verwässern. Wenn die entsprechenden Branchen ihren Produkten nur fünf Prozent Paludi-Biomasse beifügen würden, könnte man ein Drittel davon bewirtschaften", so Bühler.
Das wäre mehr als die Klimaschutzzielvereinbarungen von Bund und Ländern bis 2030 vorsehen. Anwendungsmöglichkeiten gäbe es genug, ist sich Bühler sicher.
NTV hier 02.02.2025
Die heimischen Moore sind fast alle tot
Lebensraum und Klimaschutz: Die Moore in Deutschland sind weitgehend zerstört und geben deshalb große Mengen Treibhausgase ab. Fachleute fordern, die Fläche der Wiedervernässung von Mooren drastisch zu steigern. Auch Tier- und Pflanzenarten in diesen speziellen Ökosystemen könnten so besser geschützt werden.
Entwässert, abgetorft, bebaut: Heimische Moore sind inzwischen zu rund 95 Prozent zerstört. Auf vielen Moorflächen wird seit Langem Landwirtschaft betrieben oder es wurden Wälder aufgeforstet. Dabei bieten die Feuchtgebiete nicht nur wichtige Lebensräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Im Klimaschutz haben Moore als Kohlenstoffspeicher große Bedeutung. Im Umkehrschluss bedeutet das auch: Trockengelegte Moore geben große Mengen Treibhausgase frei.
Mit dem UN-Welttag der Feuchtgebiete soll jährlich am 2. Februar auf die große Bedeutung von Mooren im Natur- und Klimaschutz aufmerksam gemacht werden. Nach der Überzeugung von Experten sind Feuchtgebiete die am stärksten bedrohten Ökosysteme der Erde. Ein Beispiel ist das Rote Moor in der hessischen Rhön, wo jahrzehntelang Torf abgebaut wurde. Im Sommer 2023 startete in dem Hochmoor ein Projekt zur Wiedervernässung.
Meterdicker Torf im Boden
"Wir haben in Deutschland ganz viele Moorflächen, die gar nicht sichtbar sind, weil auf dem Grünland etwa Kühe weiden, Bäume wachsen oder Häuser und Straßen gebaut wurden", sagt Sabine Wichmann, Moorexpertin der Universität Greifswald. "Erst wenn man in den Boden guckt, erkennt man, das ist Torfboden, das ist ein Moor." Aufgrund von Sauerstoffmangel wurde abgestorbenes Pflanzenmaterial im nassen Moor nicht komplett zersetzt und konnte zu teils meterdicken Torfschichten anwachsen.
Mit einer Entwässerung kann Sauerstoff eindringen. Der Kohlenstoff, der dort über Jahrtausende der Atmosphäre entzogen und gespeichert wurde, reagiert mit diesem Sauerstoff und wird als Treibhausgas Kohlendioxid freigesetzt. "Ungefähr sieben Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen stammen allein aus entwässerten Moorflächen", sagt Wichmann.
Bezogen auf die Landwirtschaft bedeute das: Ungefähr sieben Prozent der genutzten Flächen sind Moorböden, diese Areale sind jedoch für über 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen der Sparte verantwortlich.
"Das ist ein großer Hebel, um sehr effizient auf einer begrenzten Fläche einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten", ist Wichmann überzeugt. Dafür müssten die Entwässerung gestoppt und die Wasserstände wieder angehoben werden.
Experte: Es werden viel zu wenig Flächen wiedervernässt
Nach Einschätzung des Moor-Experten Felix Grützmacher wird in Deutschland viel zu wenig für den Moorschutz getan. Auf dem Weg zur Klimaneutralität müssten 50.000 Hektar pro Jahr wiedervernässt werden, rechnet der Referent des Naturschutzbundes (NABU) vor. In den vergangenen Jahrzehnten seien es aber insgesamt lediglich 70.000 Hektar gewesen. Bleibt Deutschland unter der Zielmarke, müssten die notwendigen Emissionseinsparungen an anderer Stelle kompensiert werden.
Als eine Möglichkeit, Landwirtschaft und Moorschutz zu vereinen, gelten sogenannte Paludikulturen. Dabei werden auf wiedervernässten Flächen spezielle Pflanzen angebaut. Grundsätzlich geeignet für Paludikulturen seien klassische heimische Feuchtgebietspflanzen, erklärt Wichmann. Dazu zählt Schilf, das vor allem im Norden Deutschlands bei Häusern mit Reetdach zum Einsatz kommt.
Auch der Rohrkolben - umgangssprachlich unter anderem Lampenputzer, Kanonenputzer oder Schlotfeger genannt - eigne sich zum Anbau in Paludikultur, sagt Wichmann. "Wir haben zum Beispiel seit drei Jahren eine Kooperation mit einem britischen Startup, das die Samenfasern des Kolbens als Daunenersatz für Jacken einsetzt", erläutert die Expertin. Die restliche Pflanze könne als Baumaterial und Dämmstoff für Gebäude verwendet werden. Biomasse von Nasswiesen werde außerdem bereits zu Papier und Verpackungen verarbeitet.
Torfmoose können Torf im Gartenbau ersetzen
In nährstoffärmeren, saureren Hochmooren könnten Torfmoose kultiviert werden, die im professionellen Gartenbau als Torfersatz dienen. "Torfmoose haben ganz ähnliche physikalische und chemische Eigenschaften wie Torf", erklärt Wichmann. Torfmoose etwa aus Chile und Neuseeland werden bislang unter anderem in der Orchideenkultur oder für Terrarien eingesetzt und weltweit gehandelt.
Ob sich ein Einstieg in die Paludikultur für einen landwirtschaftlichen Betrieb lohnt, müsse für jeden Hof individuell beurteilt werden, sagt Wichmann. Um auf nassen Wiesen etwas anzubauen, seien meist nicht nur Maschinen mit breiteren Reifen nötig, sondern - etwa für die Ernte von Rohrkolben oder Schilf - Spezialtechnik. "Es ist eben auch Neuland für die Höfe", gibt die Expertin zu bedenken. Die Kulturen benötigten neues Know-how und neue Verwertungswege.
Inzwischen gebe es zwar deutschlandweit mehrere Projekte zur Bewirtschaftung nasser Wiesen, zum Anbau von Paludikulturen oder auch zur Kombination von Photovoltaikanlagen mit wiedervernässten Mooren, aber es würden noch nicht viele Tausend Hektar in der Praxis umgesetzt. Wichmann mahnt, dass es zur Abschwächung des Klimawandels "eine enorme Reduzierung von Treibhausgasen geben muss". Nasse Moore spielten dabei für den natürlichen Klimaschutz eine ganz entscheidende Rolle.
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