Ein guter Artikel keine Frage, aus dem man einige positive Denkansätze entnehmen kann.
Was mich etwas irritiert ist das hoffnungsvolle Beispiel Berlin, das längst abgeräumt wurde. Berlin versagt momentan auf ganzer Linie hier, es ist kein Hoffnungsträger mehr. Paris ist die Hoffnung!
hier 09.02.2025 eine Kolumne von Andreas Knie: Tacheles, Andreas Knie!
Das Fahrrad muss Teil des Alltags sein
Das Fahrrad gilt als die große Hoffnung zur Bewältigung der Verkehrsprobleme. Kein anderes Verkehrsmittel ist so nachhaltig, die Bedienung so einfach und noch dazu hält es fit. Gemessen daran tut sich aber zu wenig. Denn es ist ein schwieriges Verhältnis, das Deutschland mit dem Fahrrad hat.Obwohl Karl von Drais schon 1817 mit seiner Laufmaschine eine bedeutende Pionierleistung erbracht hat und Deutschland damit in gewisser Weise auch Fahrraderfinderland ist, bleibt das Verhältnis zum Fahrrad im Autoland weiterhin verkrampft. Wenige fahren viel und aufwendig und setzen andere damit moralisch und praktisch unter Druck. Auch die Lobbyarbeit erscheint mehr puritanisch gesteuert als mit politischem Kalkül konzipiert, und das Fahrrad als Wirtschaftsmacht bleibt immer noch unerkannt.
Seit Jahren wird das Fahrrad gelobt, hofiert und immer wieder als Alternative zum Auto empfohlen. Rund 90 Prozent aller Wege in Deutschland sind keine zehn Kilometer lang, das ist eine gute Distanz, um viel Fahrrad zu fahren.
In manchen Städten, Bremen oder Leipzig beispielsweise, dominiert das Rad bereits die Verkehrslandschaft und ist beliebter als das Auto. Überall, wo die Stadtstrukturen kompakt sind und die Fahrradinfrastruktur gut ist, werden bereits die meisten Wege mit dem Rad absolviert.
Der Radverkehrs-Anteil stagniert
Aber im Rest von Deutschland sieht es düster aus. Bundesweit hat das Rad gerade mal einen Anteil von knapp dreizehn Prozent am Verkehrsmarkt. Die Tendenz ist stagnierend.
Die Zahl der Radwege wächst nur noch sehr langsam, zwischen 300 und 400 Millionen Euro konnten in den vergangenen Jahren verbaut werden. Dabei lag es nicht am nötigen Geld. In den vergangenen zehn Jahren waren nämlich deutlich mehr Bundesmittel verfügbar, als die Kommunen wirklich abrufen konnten.
Man kommt nicht so recht voran mit dem Fahrrad. Das hat Gründe. Auf einer Jubiläumsveranstaltung des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) im Frühjahr 2024 sahen sich die Moderatorin sowie nahezu alle Beitragenden bemüßigt, bei allen Beiträgen zunächst einmal Bekenntnisse pro Fahrrad abzugeben: Ja, ich fahre natürlich täglich mit dem Rad. Ja, ich mache dies schon seit Kindheitstagen – und so weiter und so fort.
Andreas Knie: Der Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung lehrt an der TU Berlin und leitet die Forschungsgruppe Digitale Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin. Andreas Knie ist Mitglied im Herausgeberrat von Klimareporter°.
Würde man solche Bekenntnisse auch bei einer Tagung beispielsweise des ADAC erwarten? In etwa wie: "Ich muss das jetzt hier mal sagen: Ja, ich fahre Auto." Nein, doch eher nicht.
Fahrradfahren ist bis heute in Deutschland keine Selbstverständlichkeit, es braucht ganz offenkundig selbst auf Lobbyveranstaltungen immer noch Bekenntnisse.
Das Fahrrad ist im kollektiven Gedächtnis immer noch
als Massentransportmittel für Arme eingeschrieben.
Die Bedeutung des Fahrrads in Deutschland wirkt verkrampft und eben auch völlig übertrieben.
Wenn Rad gefahren wird, dann richtig:
Die allerneueste Montur und die teuerste Technik
sind gerade gut genug.
Dass mittlerweile fast 50 Prozent der Neuverkäufe eine elektrische Unterstützung haben, ist allerdings den Puristen in der Fahrradbranche ein Dorn im Auge.
Das Fahrrad als normales Alltagsverkehrsmittel kommt nicht vor. Als Landwirtschaftsminister Cem Özdemir seine Ernennungsurkunde beim Bundespräsidenten mit dem Fahrrad abholte, konnte man die Bilder als Kuriosität in allen Medien bestaunen. Es war außergewöhnlich.
Fahrradlobby kommt mit viel Moral daher
Die politische Lobbyarbeit passt ins Bild. Die Branche tritt keineswegs geschlossen auf, die Strukturen sind zersplittert, die Strategie sehr defensiv angelegt, weil man ja im Glauben ist, "im Namen des Herrn" unterwegs und immer im Recht zu sein.
Damit bleibt die politische Strategie im Kern eine moralische. Fahrradfahren ist gut und muss deshalb gefördert werden. Dass man eine Geschichte oder – neudeutsch – ein Narrativ braucht, ist notwendig und auch richtig. Die Branche und ihre Lobbyisten vergessen dabei aber, dass die politische Landschaft so nicht funktioniert, sondern die Vorteile und Vorzüge des Fahrrades tatsächlich machtpolitisch hergestellt werden müssen.
So, wie die Lobbyarbeit zurzeit aufgestellt ist, erzwingt sie bei zuständigen Politikern nur Gewissensbisse: Ja, man sollte und man müsste sicherlich mehr tun.
Es muss tatsächlich mehr getan werden. Der zentrale Engpass ist und bleibt die Infrastruktur. Es gibt in der vom Auto dominierten Verkehrslandschaft schlicht einfach keinen Platz für Fahrräder.
Das liegt daran, dass der Bau der Fahrradverkehrsanlagen
eine Aufgabe der kommunalen Verkehrsplanung ist und
erst dann in Angriff genommen wird,
wenn alles andere im Straßenverkehr
zum Wohle der Autos bereits gemacht ist.
Druck kommt eher aus der Zivilgesellschaft
Der Druck, dennoch mehr zu machen, kommt weniger von den Lobbyverbänden als von der Zivilgesellschaft. Sehr erfolgreich sind Radentscheide, die als demokratisch legitimiertes Mittel mithilfe von Volksbegehren und Volksentscheiden wirksamen Druck auf Legislative und Exekutive ausüben konnten.
In Berlin kam am Ende sogar erstmals ein ganzes Mobilitätsgesetz für ein Bundesland heraus, bei dem die Förderung des Fahrrades als politisches Ziel deklariert wurde.
Wirklich jetzt? - Trauerspiel ums Fahrrad in Berlin hier
Autoparadies Berlin: Was wird aus der Umweltpolitik, wenn die CDU regiert? In Berlin deutet sich an: Probleme werden verschleppt, mit oft populistischen Argumenten.
Man reibt sich zwar bei der Lektüre immer noch die Augen, dass dies angesichts der hohen Zahl an Radfahrenden notwendig ist, aber so ist im Autoland Deutschland die Realität.
Das sichtbarste und wirkungsvollste Zeichen, dem Fahrrad eine neue Bedeutung einzuräumen, war die Entscheidung des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, mitten in der Pandemie sogenannte Pop-up-Fahrradwege einzurichten, eine unmittelbare Folge des Mobilitätsgesetzes.
So wurde auf vierspurigen Straßen ein Fahrstreifen eingezogen und Parkplätze zugunsten eines markierten und geschützten Radweges abgeschafft. Der bauliche Aufwand war sehr gering, das damit gesetzte politische Zeichen dafür umso größer.
Die Deklarierung als "Pop-up" erwies sich deshalb als schlau, weil damit eine Vorläufigkeit mit der Botschaft ausgerufen wurde, dass man prinzipiell bei Nichtgefallen alles wieder rückgängig machen könnte. Eine wirksame taktische Maßnahme, die dazu führte, dass das Abendland doch nicht unterging.
Nach mittlerweile drei Jahren Provisorium will niemand mehr zurück zum alten Zustand. Aus einer ehemaligen Straßenschlucht mit lautem Verkehr ist fast eine Flaniermeile geworden, die keiner mehr missen will.
Mehr Fahrrad heißt mehr Umsatz im Einzelhandel
Mitten in Kreuzberg wird damit demonstriert, welche Folgen der Ausbau der Fahrradwege wirklich hat: die Städte beleben sich wieder, es kommt zu mehr Geschäftigkeit und – ein bis heute immer noch nicht anerkannter Sachverhalt – die Einzelhandelsumsätze steigen.
Die zu Fuß Gehenden und die mit dem Rad sind die Umsatzbringer in den Innenstädten. Autos stören eher, weil sich das Einkaufs- und Konsumverhalten im Zeichen der Digitalisierung verändert hat. Was zählt, ist Aufenthaltsqualität.
Obwohl über die Pop-up-Radwege im In- und Ausland viel berichtet wurde, bleiben flächendeckende Nachfolgeprojekte aus. Denn das eigentlich Besondere an den Pop-ups war der Mut, sie überhaupt gegen vermeintlich viele Gegenstimmen einzurichten.
Und hier liegt der Hase im Pfeffer: In den Kommunen fehlt es an diesem Mut, weil unmittelbar vor Ort natürlich die Betroffenheit bei Umgestaltungen im Verkehrsraum immer groß ist. Verkehr ist zuallererst eine Routineangelegenheit, jede Änderung wird als eine Belastung empfunden und kritisch gesehen. Erst im Nachhinein, wenn die neue Situation getestet und als brauchbar angenommen wurde, ändern sich die Einstellungen.
Kommunen fehlt es an Mut zur Umgestaltung
In Deutschland gehört dem Auto der Platz für den fließenden und ruhenden Verkehr. Dafür sind die baulichen Vorkehrungen gedacht und die rechtliche Ordnung gemacht.
Kommunen sind daher immer so etwas wie in Geiselhaft. Einerseits gibt es Druck zu Veränderungen, aber es muss auch der Widerstand einkalkuliert werden, der die Öffentlichkeit mobilisiert und oft genug vor den Verwaltungsgerichten landet und die Mutigen wieder zur Räson bringt.
Es zeigt sich, dass die Kommunen für den Bau von Radverkehrsanlagen zwar der zuständige Akteur sind, dass hier aber strukturelle Probleme der Realisierung bestehen. Denn der nur schleppende Ausbau der Infrastruktur spricht Bände.
Nach mehr als 20 Jahren Debatten um die fehlende Dynamik sollte dieser Engpass einmal anerkannt und gelöst werden. Dem Motto folgend "Vom Auto lernen heißt siegen lernen", wäre eine Folgerung, die Finanzierung, Planung und den Bau von Fahrradanlagen in professionelle Hände zu überführen und analog zur Autobahn GmbH des Bundes eine Fahrradwegebau GmbH zu gründen, die bundesweit die Ressourcen und die Kompetenzen bündelt.
Kommunen könnten dann, vermittelt und sortiert über die Bundesländer, ihre Fahrradinfrastruktur "bestellen". Damit wäre in den Bau von Radverkehrsanlagen die notwendige Professionalität eingezogen. Die Mittel würden nicht mangels ausreichender Kompetenzen und Kapazitäten verfallen, weil sicherlich damit zu rechnen ist, dass mehr Bestellungen vorliegen als gebaut werden kann.
Radfahren muss kulturell verankert werden
Dafür müsste bei den Lobbyverbänden aber die Einsicht reifen, dass mehr zu machen ist, als Appelle zu verabschieden und parlamentarische Abende zu veranstalten.
Parallel würde auch die Rechtspflege vorangetrieben werden. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Straßenverkehrsordnung (StVO), die vom Straßenverkehrsgesetz abgeleitet ist; beide sind Bundesangelegenheiten.
Diese sind aber stark auf die Optimierung des Autoverkehrs ausgerichtet und lassen Eingriffe nur zu, wenn es bereits Unfälle gegeben hat. Zwar wurden Gesetz und Verordnung im Jahr 2024 novelliert und erstmals können auch verkehrsrechtliche Anordnungen zugunsten von Fahrradwegen vorgenommen werden, aber die Spielräume enden immer wieder bei der Leichtigkeit und Sicherheit des Autoverkehrs.
Viel erfolgreicher wäre es, mit den Straßengesetzen der Länder zu operieren. Hier werden nicht die Verkehrsregeln definiert, sondern der Charakter der Straße bestimmt. Beispielweise können hierüber leichter Fahrradstraßen eingeführt und überhaupt nur noch solche Straßen für den Betrieb zugelassen werden, die über einen sicheren Fahrradweg verfügen.
Aber auch diese Maßnahmen allein reichen nicht aus, das Fahrrad zu einer Alltäglichkeit werden zu lassen, zu einer unhinterfragten Realität. Was fehlt, ist eine breite kulturelle Verankerung des Fahrrads. Die Branche wird viel zu sehr von Menschen geprägt, die mindestens 100 Kilometer in der Woche fahren und missmutig auf die herabblicken, die das nicht können.
Es müssen mehr Bilder vom Fahrrad als alltäglichem Verkehrsmittel erzeugt werden. Die Tatort-Reihen des Fernsehens aus Saarbrücken und Münster waren schon mal ein Anfang, aber die Figuren blieben Außenseiter und Sonderlinge, nicht verallgemeinerbar.
Es müssen Repräsentanten aus der Mitte der Gesellschaft gefunden werden, für die das Rad einfach ein alltägliches Verkehrsmittel ist, die darüber nichts erzählen, nicht mit neuen Features und dem Tageskilometerpensum angeben, sondern es einfach nur jeden Tag selbstverständlich nutzen.
Der Beitrag erschien zuerst im Magazin des Deutschen Technikmuseums
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