Letztens auf der großen "Laut gegen Rechts" Demo in Ravensburg war eine gute Rede von Wolfram Frommlet zum Thema Migration zu hören hier - sie bezog sich nicht auf Amerika und nicht auf Japan (wie unten) - sie bezog sich auf unser Deutschland.
W. Frommlet erinnerte: "Genau solche aber schufen einen erheblichen Teil unseres Wohlstands – die sog. Gastarbeiter. Eine fast vergessene Geschichte. Ein Rückblick."
Eine Mahnung an uns alle, den Populismus, der uns vor der Wahl alle fest im Griff hält, mal bewusst zur Seite zu schieben, um wieder klar denken zu können.
Süddeutsche Zeitung hier 16.2.25 Interview von Oliver Klasen und Kathrin Werner
„Deutschland wird bald um Migranten konkurrieren müssen“Einwanderung ist ein wirtschaftlicher Vorteil – wenn sie richtig gehandhabt wird, sagt Harvard-Ökonom Marco Tabellini. Gerade deshalb müssten Parteien der Mitte auch die Schwierigkeiten bei der Integration offen ansprechen.
Es ist fast unmöglich in diesen Zeiten nicht über Donald Trump zu reden, wenn man mit einem Ökonomen in den USA spricht. Auch das Gespräch mit Marco Tabellini dreht sich lange um den US-Präsidenten und dessen Schockpolitik, die sich gezielt gegen Einwanderer richtet. Tabellini, in den USA geboren und in Italien aufgewachsen, ist Professor an der Harvard Business School, seine Doktorarbeit hat er 2018 am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) geschrieben. In zahlreichen, auch historischen Studien hat er untersucht, wie sich Migration in verschiedenen Phasen ökonomisch auf die US-Gesellschaft ausgewirkt hat. Aber er hat auch die Debatte in der EU und in Deutschland genau im Blick, in der Rechtsaußen-Parteien wie die AfD immer mehr Stimmen gewinnen.
SZ: Donald Trump schickt neuerdings ungewollte Migrantinnen und Migranten nach Guantanamo. Welche Folgen hat das?
Marco Tabellini: Die offensichtlichste Konsequenz ist humanitärer Natur. Es geht schließlich um Menschen. Aus wirtschaftlicher Perspektive ist es zunächst ziemlich teuer, Migranten nach Guantanamo zu schicken, wegen der komplexen Logistik. Allerdings ist die Zahl der Betroffenen noch sehr klein. Sollte jedoch in größerem Umfang abgeschoben werden, wären die wirtschaftlichen Folgen gravierend. Irreguläre Migranten stellen in den USA einen großen Anteil der Arbeitskräfte am Bau, in der Landwirtschaft und im Gesundheitswesen. Wenn diese Arbeitskräfte plötzlich fehlen, steigen die Preise – für Unternehmen und für Verbraucher.
Trump hat doch versprochen, die Preise für Verbraucher zu senken.
Ja, das widerspricht sich. Denn einer der Gründe, warum die US-Wirtschaft in den vergangenen zwei Jahren wachsen konnte, während die Inflation relativ niedrig blieb, ist, dass Migranten die Lücken auf dem Arbeitsmarkt gefüllt haben – sowohl diejenigen mit temporärem Schutzstatus als auch einige ohne Papiere. Es gibt ein historisches Beispiel dafür, wie schädlich harte Maßnahmen gegen Migranten sind: der Chinese Exclusion Act aus den 1880er-Jahren. Damals wurden Menschen aus China von der Einreise ausgeschlossen, das Angebot an migrantischer Arbeitskraft sank drastisch, die Produktion ging zurück, Firmen mussten schließen, und auch einheimische Arbeitnehmer litten.
Trumps Anhänger verlangen aber nach harten Maßnahmen gegen Einwanderer. Sie haben ihn deshalb gewählt.
Das stimmt. Trump will beweisen, dass er ein starker Präsident ist, der sich um seine Wählerschaft kümmert. Er gibt ihr das Gefühl, dass die Diskriminierung von Minderheiten ein akzeptables Verhalten sei. Trump normalisiert Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Und er verbreitet gezielt Panik in der migrantischen Community. Niemand weiß, wer als Nächstes abgeschoben wird. Selbst Menschen mit rechtlich sicherem Status fühlen sich plötzlich bedroht.
Trump stellt den Kulturkampf über wirtschaftliche Interessen?
Ja. Er behauptet zwar, dass Abschiebungen der Arbeiterklasse nutzen, aber das sehe ich nicht. Selbst wenn einige einheimische Arbeiter in bestimmten Branchen kurzfristig Lohnerhöhungen sehen, weil ihre Arbeitskraft stärker gefragt ist, wäre das nur ein vorübergehender Effekt. Und weil es in den USA keine Arbeitsplatzsicherheit gibt, könnten selbst jene, die heute höhere Löhne bekommen, morgen ihren Job verlieren, wenn Firmen schließen. Dass es nicht um Wirtschaft geht, zeigt sich auch daran, dass viele Regionen mit der stärksten Anti-Migranten-Stimmung, etwa Teile Ohios, wirtschaftlich stark von der Migration profitiert haben.
Wann trägt Migration denn zum Wachstum bei – und wann nicht?
Migration führt zu Wirtschaftswachstum, das ist wissenschaftlich gut belegt. Aber es geht hier eben um den statistischen Durchschnitt, um die Volkswirtschaft als Ganzes. Die Krux ist, dass es Gewinner und Verlierer gibt: Einige Menschen profitieren deutlich mehr als andere. Der Kuchen wird größer, das stimmt, aber das Problem ist die Verteilung des Kuchens.
Wer gewinnt?
Zunächst die Arbeitgeber. Sie profitieren von Migration, weil das verfügbare Arbeitskräftereservoir größer wird und diese Arbeitskräfte zu wettbewerbsfähigen Löhnen verfügbar sind. Aber auch die Konsumenten profitieren. Unternehmen werden effizienter, das erhöht die Produktvielfalt, und die Preise sinken. Bezogen auf die ganze Volkswirtschaft gilt deshalb nachgewiesenermaßen: Migranten, insbesondere hochqualifizierte Migranten, treiben Innovationen und wirtschaftliche Expansion voran. Das Land wird also besser durch den Einfluss von außen. Aber auch wenn eher gering qualifizierte Migranten ins Land kommen, hat das eine Reihe von positiven wirtschaftlichen Effekten: Diese Menschen konsumieren, sie steigern die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Und weil sie Jobs übernehmen, die Einheimische nicht machen wollen, ermöglichen sie es diesen, in besser bezahlte Positionen aufzusteigen.
Und die Verlierer?
Migration kann in wirtschaftlichen Krisenzeiten oder in Regionen mit angespannten Arbeitsmärkten dazu führen, dass einige einheimische Arbeiter stärkere Konkurrenz spüren. Historisch gesehen waren diese Verluste jedoch meist vorübergehend und relativ gering.
Aber trotzdem entscheiden sie Wahlen, oder?
Eigentlich war die jüngste US-Wahl fast ein Referendum über die Einwanderung. Die Demokraten hatten große Probleme, mit Argumenten zu den Vorteilen der Migration durchzudringen. Trumps Erfolg spiegelt damit einen breiten Trend wider: Die Antimigrationsstimmung wächst fast überall. Wir sehen ähnliche Entwicklungen in Italien, Schweden, Frankreich und Deutschland, wo Parteien mit rassistischer Agenda an Einfluss gewonnen haben oder gerade gewinnen.
In gut einer Woche sind Bundestagswahlen in Deutschland. Was raten Sie den Politikern der Mitte?
Es ist wichtig anzuerkennen, dass Einwanderung auf lokaler Ebene Kosten verursacht. Wenn Migranten ankommen, benötigen sie Wohnungen, Schulen und öffentliche Dienstleistungen, die oft von den lokalen Regierungen finanziert werden, nicht von der Bundesregierung. Das führt zu Spannungen, weil Steuerzahler das Gefühl haben können, dass Ressourcen unfair verteilt werden. Die Lösung besteht aber nicht darin, Einwanderung zu verhindern, sondern sicherzustellen, dass lokale Gemeinschaften bei der Bewältigung unterstützt werden. Eine gut durchdachte Politik würde die langfristigen Vorteile, die Einwanderung für den Bundeshaushalt und die Sozialsysteme mit sich bringt, auch Ländern und Kommunen zugutekommen lassen.
Wo liegen die langfristigen Vorteile?
Deutschland steht vor riesigen Herausforderungen. Die Bevölkerung altert, in den kommenden Jahren werden mehr Arbeitnehmer in den Ruhestand gehen als in den Arbeitsmarkt eintreten. Wenn Deutschland sein Rentensystem aufrechterhalten und wirtschaftlich wachsen will, braucht das Land Einwanderer. Deutschland hat die Kraft, große Talente anzulocken, aber die Wirtschaft muss sich auch für niedrigqualifizierte Arbeitskräfte öffnen.
Bislang hat man nicht den Eindruck, dass es an Menschen mangelt, die nach Deutschland kommen wollen.
Deutschland wird bald um Migranten konkurrieren müssen. Der demografische Trend ist mächtig, und er zeigt sich in fast allen Industrieländern. Länder wie Japan und Südkorea, die sich lange gegen groß angelegte Migration gesperrt haben, werden ebenfalls mit einem Arbeitskräftemangel konfrontiert sein. Selbst China erlebt einen schleichenden Bevölkerungsrückgang. Deutsche Politiker müssen die Sorgen der Wähler ernst nehmen, gleichzeitig aber deutlich machen, dass Einwanderung kein Nullsummenspiel ist. Richtig gehandhabt, kann sie Wachstum bringen, die öffentlichen Finanzen stärken und Industrien unterstützen, die Schwierigkeiten haben, Personal zu finden. Deutschland kann sich nicht leisten, die Einwanderungspolitik von fremdenfeindlichen Stimmungen bestimmen zu lassen, die letztlich den eigenen langfristigen Interessen schaden.
Sie sind in Italien aufgewachsen, sprechen Englisch mit Akzent. Haben Sie jemals selbst Fremdenfeindlichkeit erfahren?
Nein, ich hatte Glück und ich denke, dafür gibt es zwei Gründe: Erstens bin ich weiß. Es besteht kein Zweifel daran, dass in den USA und den meisten anderen westlichen Ländern die Hautfarbe eine entscheidende Rolle dabei spielt, ob jemand zur Zielscheibe von Diskriminierung wird. Und zweitens bin ich Wissenschaftler. Deshalb werde ich als hochqualifiziert wahrgenommen – und die Migration dieser Gruppe wird fast immer als „gut“ oder „wünschenswert“ angesehen.
Immigranten aus Italien wurden früher ausgegrenzt.
Ja. Einige Gruppen, die heute vollständig in die US-Gesellschaft integriert sind, die sogar den amerikanischen Traum verkörpern, erfuhren Anfang des 20. Jahrhunderts große Feindseligkeit, darunter waren neben Osteuropäern auch Italiener. Wer zur Zielscheibe wird, das wechselt im Lauf der Zeit – aber der Kreislauf der Ablehnung bleibt bestehen.
Ist die Angst vor Migration in Wahrheit eine Angst vor der Zukunft?
Ich möchte Fremdenfeindlichkeit wirklich nicht rechtfertigen, aber es gibt ein starkes empirisches Muster, das wir in vielen Studien sehen: Menschen tendieren dazu, nach einer „äußeren Gruppe“ zu suchen, die sie verantwortlich machen können, wenn sie große Unsicherheit spüren. Historisch gesehen waren Migranten stets ein leichtes Ziel für diesen Frust. Der Hass gegen sie nimmt zu, wenn die Unsicherheit in einer Gesellschaft steigt.
Und gerade sind die Zeiten sehr unsicher.
Definitiv. Die Menschen wissen nicht, was die Zukunft bringt. Sie sehen, dass ihr Viertel verfällt. Sie glauben, dass ihre Kinder es schlechter haben werden als sie selbst. Sie fürchten um ihren Status. Das sind reale Sorgen, die manchmal von Politikern oder auch von uns Wissenschaftlern zu wenig gesehen werden.
Wie kann man die Debatte in ruhigere Bahnen lenken?
Die Art und Weise, wie über Migration heute gesprochen wird, ist extrem. Ich glaube, das gilt vor allem für die USA, aber auch für andere westliche Länder. Migration wird entweder als vollkommen positiv oder als vollkommen negativ dargestellt. Das ist keine produktive Debatte.
Migration bringt für Teile der Gesellschaft sowohl soziale als auch wirtschaftliche Probleme mit sich – das ist unbestreitbar. Und ich glaube auch nicht, dass es angemessen ist, jeden Menschen, der für weniger Migration eintritt, als Rassisten zu bezeichnen. Statt so zu tun, als gäbe es keine Herausforderungen, sollten wir uns darauf konzentrieren, Migration so zu steuern, dass sie allen zugutekommt. Wenn die Debatte weiterhin polarisiert geführt wird, bleibt sie ein politisches Werkzeug für Extremisten.
Migration bringt für Teile der Gesellschaft sowohl soziale als auch wirtschaftliche Probleme mit sich – das ist unbestreitbar. Und ich glaube auch nicht, dass es angemessen ist, jeden Menschen, der für weniger Migration eintritt, als Rassisten zu bezeichnen. Statt so zu tun, als gäbe es keine Herausforderungen, sollten wir uns darauf konzentrieren, Migration so zu steuern, dass sie allen zugutekommt. Wenn die Debatte weiterhin polarisiert geführt wird, bleibt sie ein politisches Werkzeug für Extremisten.
Frankfurter Rundschau hier Artikel von Felix Lill 12.2.25
„Als wichtiges liberales Vorbild gilt Deutschland“ – Japan-Hype der AfD bleibt unerwidert
Die extrem rechte Partei, allen voran Björn Höcke, feiert Japan für seine geringe Zuwanderung und homogene Gesellschaft. Doch das überalterte Land öffnet sich und will von Deutschland lernen.
Björn Höcke rief gegen tosenden Applaus an, als er forderte: „Mehr Japan wagen!“ Jenes Land in Ostasien habe nämlich so viele Gemeinsamkeiten mit Deutschland, mache aber eine Sache ganz anders. Dort gebe es ein „exzellentes Gastarbeitersystem“ mit „Zuwanderern auf Zeit.“ Der AfD-Politiker betonte: „Wenn wir nicht den japanischen Weg gehen als Deutschland und Europa, dann werden wir in Deutschland und Europa eine kulturelle Kernschmelze erleben!“
Diese Worte stammen aus dem April 2021, als die AfD beim Bundesparteitag ihr damaliges Wahlprogramm diskutierte. Höcke, Rechtsaußen in der Rechtsaußenpartei, plädierte damals gar für ein „Migrationsmoratorium“, das jegliche Zuwanderung aussetzen sollte – mit der Ausnahme wohlhabender Investoren. Knapp drei Jahre und einen Bundestagswahlkampf kochen solche Themen wieder hoch. Über kaum etwas wird so viel diskutiert wie Migration.
AfD-Politikerin in Japan: „Endlich weider sicher gefühlt“
Spätestens seit Ende Januar, als sich CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz mit den Stimmen der AfD um eine Mehrheit im Bundestag für eine strengere Migrations- und Flüchtlingspolitik bemühte, erscheint es nicht mehr ausgeschlossen, dass auch radikale Pläne der AfD in Parlamenten umgesetzt werden. Und wie sehr bei einem der für Deutschlands Rechte wichtigsten Themen – Migration – Japan als Vorbild gesehen wird, hört man nicht nur bei Björn Höcke.
Auch Nicole Höchst, AfD-Abgeordnete aus Rheinland-Pfalz, schwärmt: „Endlich habe ich mich auf der Straße mal wieder sicher gefühlt“, berichtet sie in ihrem Berliner Büro von einer Reise nach Japan 2024. Die stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Japanischen Parlamentariergruppe ist sich sicher, dass dies an Japans restriktiverer Migrationspolitik liege.
Japan will weg von der „homogenen Gesellschaft“
Tatsächlich fallen zwischen Japan und Deutschland einige Unterschiede auf: Während 2020 18,8 Prozent der in Deutschland lebenden Bevölkerung in einem anderen Land geboren war, lag dieser Anteil in Japan nur bei 2,2 Prozent. 2024 lebten in Deutschland gut 3,1 Millionen Geflüchtete, in Japan nur rund 25 800. Und das Thema, das Höchst und Höcke damit verknüpfen: In Deutschland wurden 2023 pro 100 000 Menschen rund 7000 Straftaten angezeigt, in Japan an die 500.
Wenn es einzig darum geht, in einer Gesellschaft mit möglichst wenig Diversität und Straftaten zu leben, kann Japan also tatsächlich als Leitbild dienen. Zumal sich im ostasiatischen Land über Jahrzehnte das Narrativ verfestigte, man sei eine „homogene Gesellschaft“, in der sich die allermeisten Personen ähnlich seien, dieselben Ideale teilten, Regeln respektieren und befolgen. Diese Erzählung kommt dem nahe, was die CDU um Friedrich Merz vermutlich unter dem Begriff „Leitkultur“ versteht.
In Japan löst die AfD-Bewunderung Verwunderung aus
Inwieweit hohe soziale Homogenität mit geringer Kriminalität zusammenhängt, ist allerdings umstritten. Laut Studien scheint eher das Niveau sozialer Polarisierung und Ungleichheit eine wichtige Rolle zu spielen. Während Ausländerinnen und Ausländer überproportional häufig Straftaten begehen, fallen in die Statistiken auch Vergehen, die Inländer nicht begehen könnten, wie eine irreguläre Einreise. Die wiederum fällt nach Deutschland, als Teil der EU, wesentlich leichter als in den Inselstaat Japan.
In Japan löst die Bewunderung unter Deutschlands Rechtspopulisten aus anderen Gründen für Verwunderung. Masaaki Ito, Soziologieprofessor an der Seikei Universität in Tokio, sagt: „Hier ist man sich heute weitgehend einig, dass sich Japan dringend weiterentwickeln muss und nicht mehr so bleiben kann. Selbst die konservativ ausgerichtete Regierung hat Japan in vielen Bereichen auf einen Reformkurs geschickt.“ Nach wem man sich dabei richte? Ito schmunzelt: „Als wichtiges liberales Vorbild gilt heute Deutschland!“
Japans Wirtschaft gerät laut Forscher wegen Überalterung an seine Grenzen
Tatsächlich hat sich Deutschlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit 1994 verdoppelt. Jenes von Japan dagegen hat im selben Zeitraum leicht abgenommen. Das BIP pro Kopf stieg in Deutschland von 27 000 US-Dollar 1994 bis 2023 auf 52 700 Dollar. Während Japan 1994 mit einem BIP pro Kopf von fast 40 000 US-Dollar insofern noch deutlich wohlhabender war als Deutschland, ist es heute mit knapp 34 000 Dollar abgeschlagen.
Einen entscheidenden Grund hierfür benennt Franz Waldenberger, Ökonom und Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio: „Die Bevölkerung altert hier nicht nur, sie schrumpft.“ Das bremst das ökonomische Wachstum. Mit seinem bisherigen Modell, das sich gegenüber Migration abgeschottet hat, sei Japan an seine Grenzen geraten. Es klafft ein Arbeitskräftemangel.
Japan öffnet sich – Schritt für Schritt
Das haben allmählich alle im Land verstanden. Stellenangeboten begegnet man überall. Wer sein Pensionsalter erreicht hat, wird vom Unternehmen ums Weiterarbeiten gebeten. Betriebe gehen pleite, weil sie keine Arbeitskräfte oder kein Führungspersonal finden. Da Japan seit 2009 um gut fünf Millionen Menschen geschrumpft ist, öffnet sich das Land seit Jahren – Schritt für Schritt.
Kurz vor der Pandemie beschloss das Parlament ein vom damaligen Premier Shinzo Abe auf den Weg gebrachtes Gesetz, das die Anwerbung von Fachkräften deutlich erleichtert hat: In 14 Branchen – darunter der Bau, Altenpflege, Landwirtschaft, Gastronomie, Hotellerie und Jobs in Supermärkten – wurden auch Menschen mit einfachen Japanischkenntnissen für zunächst bis zu fünf Jahre willkommen geheißen. Im Gegensatz zur vorigen Politik ein monumentaler Wandel.
„Diversität ist heute eines der großen Ideale“
Seit 2012 hat sich die Zahl der Gastarbeiter:innen auf rund drei Millionen vervierfacht. Und wer Spezialkenntnisse hat, kann Familienmitglieder nachholen, das Visum uneingeschränkt erneuern. Selbst Hunderte Asylsuchende aus der Ukraine kamen zuletzt ins Land. Das sind immer noch wenige im Vergleich zu Deutschland. Aber die Menschen aus der Ukraine werden in Japan erstaunlich gut integriert. Jüngeren erhielten schnell Studienplätze. Man erhofft sich, dass einige bleiben.
„Diversität ist heute eines der großen Ideale“, sagt Masaaki Ito. Als Tokio im Sommer 2021 die Olympischen Spiele austrug, prangte überall das Banner „Unity in Diversity“: Einheit in Vielfalt. „Tayousei“ – Japanisch für Diversität – ist nun ein Modewort in Politik und Wirtschaft. Die alte Idee der homogenen Gesellschaft ist abgelöst. Ein Wort wie Leitkultur – oder gar Remigration – würde im heutigen Japan verstaubt klingen.
Tagesspiegel hier Von Felix Lill 17.02.2025 - leider hinter der Bezahlschranke
Kein
Vorbild mehr für deutsche Rechte: Warum Japan mittlerweile um Migranten wirbt
AfD-Politiker schwärmen immer wieder von Japans strenger Migrationspolitik. Dort sieht man diese Politik allerdings längst als gescheitert – und orientiert sich an Ländern wie Deutschland.
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