Standard hier Interview / Markus Wanzeck 16. Dezember 2024
Verschlafene E-Mobilitäts-Wende in Europa: "Das ist die Arroganz der Macht"
Mobilitätsexperte Andreas Knie über die Kipppunkte der Verkehrswende, die verschlafene Elektrifizierung der deutschen Automobilindustrie – und darüber, warum E-Fuels keine echte Alternative sind
Europäische Automobilkonzerne wie VW haben jahrelang von China profitiert. Jetzt droht der Aufstieg chinesischer E-Auto-Hersteller ihre Vormachtstellung zu brechen.
Die deutsche Autoindustrie steckt in der Krise – und droht dabei auch Österreich mit seinen zahlreichen Zulieferbetrieben in den Abwärtsstrudel zu ziehen. Während deutsche Autokonzerne noch vom ewigen Erfolg ihrer Verbrenner träumten, baute China systematisch seine Vormachtstellung in der E-Mobilität aus. Neben China könnte ausgerechnet ein kleines EU-Land zu den Gewinnern der Transformation gehören: Ungarn positioniert sich als künftiger Batterie-Hotspot Europas. Der Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sieht das Land bei der Transformation zur E-Mobilität überraschend weit vorne.
weshalb er synthetische Kraftstoffe für überschätzt hält und
wie viele Autos eine Gesellschaft eigentlich braucht.
STANDARD: Herr Knie, Ungarn hat große Pläne: 2030 möchte das kleine Land drittgrößter Produzent von E-Auto-Batterien sein, nach China und Deutschland. Dieses Ziel verfolgt der ungarische Regierungschef Viktor Orbán mit aller Macht, setzt demokratische Prozesse außer Kraft, ignoriert Umweltbedenken. Mal rein wirtschaftlich gesehen: Halten Sie diese Strategie für eine gute Idee? Oder Größenwahn?
Knie: Es ist zumindest eine mutige Strategie, weil die bislang unter deutschem Einfluss befindliche EU-Politik dem Verbrennermotor ja noch eine gewisse Perspektive einräumt. Ungarns Politik setzt voraus, dass wir zeitnah Schluss machen mit den alten Zöpfen und mit Schwung auf die neue Technologie umsteigen. In China, dem weltgrößten Automarkt, passiert gerade genau das. Insofern: Wenn man es aus weltwirtschaftlicher Perspektive sieht, spricht einiges für Ungarns Weg.
STANDARD: Ungarn fährt also vorneweg?
Knie: Man traut es sich kaum zu sagen, aber: In diesem Fall ist Ungarn der EU tatsächlich weit voraus. Weil es globaler, weitsichtiger denkt und auf den nächsten Technologiesprung setzt, der kommen wird. Während die Mehrzahl der EU-Länder da noch zurückhaltend ist. Ganz besonders Deutschland.
STANDARD: Welche Länder fahren global gesehen, neben Ungarn, in der E-Mobilität vorneweg?
Knie: Mit ganz großem Ausrufezeichen: China. Schon seit 2005 hat China seine Industriepolitik entschieden auf die batterieelektrische E-Mobilität umgestellt und weitsichtige Kooperationen mit Lieferanten in afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Ländern getroffen. Nummer zwei ist Norwegen, wo sehr, sehr früh vollständig auf Elektromobilität gesetzt wurde – mit großem Erfolg: Seit diesem Jahr sind dort mehr reine Elektrofahrzeuge als Benziner auf den Straßen. Als drittes Land kann man, mit großem Abstand, die USA nennen.
STANDARD: Warum sind die deutschen Autokonzerne beim Zukunftsthema E-Mobilität nicht besser aufgestellt? BMW, Mercedes und vor allem VW sind ja eng mit dem chinesischen Markt verflochten. Sie sind eigentlich am Puls des Geschehens.
Knie: Gute Frage, auf die es aus meiner Sicht nur eine Antwort gibt: Das ist die Arroganz der Macht. VW etwa hat jahrzehntelang prächtig von China gelebt, zwischenzeitlich 60 Prozent seiner Produkte dort verkauft. Schon recht früh hat der chinesische Staat klargemacht: Wir wollen in Richtung E-Mobilität. Der VW-Konzern, inklusive Audi, hat daraufhin gesagt: Nein, diesen Weg gehen wir nicht. Wir Deutschen erklären euch Chinesen mal, wie die Welt funktioniert. Tja, und jetzt wird China uns erklären, wie sie funktioniert. Im Juli dieses Jahres waren in China erstmals mehr als 50 Prozent der neu zugelassenen Pkws reine E-Autos oder Plug-in-Hybride. Damit ist ein Kipppunkt erreicht. Die USA werden bald folgen. Und schon in zwei, drei Jahren könnte der Pkw-Markt weltweit in Richtung E-Mobilität kippen.
STANDARD: Drohen Autostädte wie Stuttgart, Ingolstadt oder Wolfsburg dann zu "deutschen Detroits" zu werden?
Knie: Das ist gut möglich. Wolfsburg könnte das deutsche Detroit werden. Und Stuttgart mit seinem Speckgürtel zum neuen Ruhrgebiet. Die ganzen Kolbenlieferanten, all die auf Verbrennermotoren spezialisierten Firmen – und davon gibt's ja in der Stuttgarter Gegend nicht wenige – werden, das muss man so brutal sagen, untergehen. Das wird, ähnlich wie bei der Kohle-, der Stahl- und der Textilindustrie, nicht von heute auf morgen passieren. Doch von nun an geht es stetig, aber sicher den Bach runter.
STANDARD: Wer sind aus Ihrer Sicht die größeren Bremser für die deutsche Verkehrswende? Die Autofirmen, die zu träge sind? Oder die Politik, die die falschen Rahmenbedingungen setzt?
Knie: Es ist ein Zusammenspiel von beidem. Bei den Autofirmen gab es auch mal lichte Momente. Bei BMW war dies zum Beispiel der i3. Das war damals das E-Auto mit dem fortschrittlichsten Gesamtkonzept. Es wurde aber, aus mir nicht ersichtlichen Gründen, wieder über Bord geworfen. Und bei VW hat Herbert Diess während seiner vier Jahre als Konzernchef versucht, einen konsequenten Weg in Richtung E-Mobilität zu gehen. Aber auch dieser Weg wurde nicht durchgehalten.
STANDARD: Und die Politik?
Knie: Die ist als Tiger abgesprungen und als Bettvorleger gelandet. Man hatte ambitioniert begonnen. Den europäischen Leitmarkt für Elektromobilität ausgerufen. Kaufprämien für E-Autos beschlossen. Es wurde sogar ein Elektromobilitätsgesetz erlassen, mit einigen Vorteilen für elektrische Fahrzeuge. Aber dann gingen der Schwung und die Courage verloren. Obendrein wurde, dank der FDP, auf europäischer Bühne Verwirrung gestiftet, indem Deutschland auf einmal – als einziger Staat in Europa – auf E-Fuels setzen wollte.
STANDARD: Sie glauben nicht, dass E-Fuels – also synthetische Kraftstoffe, die mithilfe von Strom aus Wasser und CO2 gewonnen werden – für die Verkehrswende eine Rolle spielen werden?
Knie: Keine bedeutende. Es wird E-Fuels geben. Aber als Nischenprodukt. Das ist ja ein höchst kostbarer Saft. Der Champagner unter den Antriebsstoffen, wenn man so will. Die Produktion von E-Fuels ist unendlich aufwendig. Und die Effizienz ganz, ganz gering.
STANDARD: Aufgrund des großen Energieverlustes bei der Herstellung von E-Fuels?
Knie: Genau. Zudem muss man E-Fuels, damit sie klimafreundlich sind, mit regenerativen Energien herstellen. Das ist nur dann sinnvoll, wenn es viel zu viel davon gibt. Als Antriebsstoff im großen Maßstab sind E-Fuels damit schlicht nicht denkbar.
STANDARD: Wenn E-Fuels der Champagner unter den Antriebsstoffen sind, könnte man dann sagen: Wasserstoff ist der Sekt?
Knie: Das ist ein guter Vergleich. Wasserstoff wird mengenmäßig sicherlich eine größere Bedeutung haben als E-Fuels. Denn er ist deutlich einfacher herzustellen. Und es gibt mit den Gasleitungen eine Infrastruktur, die wasserstoffkompatibel ist. Wenn wir überall dort, wo zu bestimmten Zeiten Energie nicht gebraucht wird, konsequent Elektrolyseure aufbauen würden, könnten wir die überschüssige Energie in Form von Wasserstoff einfangen. Dieser könnte dann im Schwerlastbereich eine gewisse Rolle spielen.
STANDARD: Wasserstoff ist also eher etwas für Lkws als für Pkws?
Knie: Ja. Toyota macht das wirklich wacker mit seinem Wasserstoffauto Mirai. Aber der Aufwand, der hinter einem solchen Antrieb steckt, ist immens. Die Energiebilanz ist im Vergleich zur batterieelektrischen Variante, also dem klassischen E-Auto, nicht gut – und ähnlich unattraktiv sieht es im Moment bei den Kosten aus. Insofern ist auch Wasserstoff eine Nischenlösung. Aber eine mit deutlich mehr Potenzial als E-Fuels.
STANDARD: Ganz alltagsnah gefragt: Wie sinnvoll fürs Klima ist es, wenn ich heute in Deutschland meinen Verbrenner gegen ein E-Auto eintausche?
Knie: Damit ist schon eine Menge getan. Selbst wenn Sie Ihren Stecker fürs E-Auto einfach in die heimische Steckdose stecken, haben Sie bereits eine deutlich bessere Klimabilanz im Vergleich zum Verbrenner. Das gilt auch, wenn man die Herstellung der Autos in die Bilanz einbezieht. Und die Recyclingfähigkeit ist beim E-Auto ebenfalls deutlich höher. Beim Verbrenner fahren Sie heutzutage ja mit einer Chemiefabrik unterm Hintern herum, wegen all der Katalysatoren mit ihren Schwermetallen. Es gilt also die Formel: Wenn schon ein Auto, dann bitte ein batterieelektrisches! Das gilt auch für Österreich: Durch den hohen Anteil an erneuerbaren Energien – über 75 Prozent, vor allem aus Wasserkraft – fällt die CO2-Bilanz eines E-Autos hier sogar noch positiver aus als in vielen anderen Ländern. Zudem fördert Österreich den Umstieg aktiv durch Zuschüsse, steuerliche Vorteile und eine stetig wachsende Ladeinfrastruktur, was die Umstellung erleichtert.
STANDARD: Aber noch besser: kein Auto?
Knie: Ja, wenn möglich. Darin liegt ein riesiges Potenzial. Wir haben in Deutschland aktuell rund 50 Millionen Pkws. 50 Millionen! Bei knapp 85 Millionen Einwohnern! Macht um die 580 Autos pro 1000 Einwohner. In Österreich ist die Situation ähnlich, mit rund 570 Autos pro 1000 Einwohner. Das muss man sich mal vorstellen. Das ist einfach viel zu viel Gerät. Die Devise muss also lauten: Reduzieren der Flotte! Und rein in Alternativen! Die da heißen: zu Fuß gehen, Rad fahren, Carsharing. Und natürlich Busse und Bahnen. Das Umweltbundesamt hat ausgerechnet, dass wir langfristig eigentlich alles ganz gut auch mit 150 Autos pro 1000 Einwohner hinbekommen würden. Und dann hätten wir mehr Platz, mehr Ressourcen, mehr Freiheit. (Markus Wanzeck, 16.12.2024)
Andreas Knie ist Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
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