Sonntag, 2. Juni 2024

Das Programm der AfD ist viel krasser als Herr Krah

 hier im Spiegel Eine Kolumne von Nikolaus Blome   27.05.2024



Äußerste Rechte und Europawahl

Der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl scheitert an seinem narzisstischem Extremismus. Aber Maximilian Krah ist läppisch im Vergleich zu den Plänen seiner Partei.

Zum Autor 

Nikolaus Blome, Jahrgang 1963, war bis Oktober 2019 stellvertretender Chefredakteur und Politikchef der »Bild«-Zeitung. Von 2013 bis 2015 leitete er als Mitglied der Chefredaktion das SPIEGEL-Hauptstadtbüro, zuvor war er schon einmal stellvertretender »Bild«-Chefredakteur. Seit August 2020 leitet er das Politikressort bei RTL und n-tv. Dort macht er auch einen wöchentlichen Podcast zusammen mit Jakob Augstein .

Herrn Krah ist im Laufe der letzten Zeit so viel zum Vorwurf gemacht oder nachgewiesen worden, dass er selbst in der giftgewohnten AfD-Führung toxisch wurde: Seine Ansichten, seine Freunde, seine Allüren, alles schien zu krass, darum wurde er politisch kaltgestellt. 

Die wichtigere Wahrheit jedoch geht andersherum: Selbst dem nun AfD-amtlich zum Radikalen gestempelten Herrn Krah war das Europawahl-Programm seiner Partei mindestens an einem absolut zentralen Punkt zu – Obacht – radikal. Nämlich da, wo auf Seite elf unter der Überschrift: »EU-Parlament abschaffen« steht: »Das undemokratisch gewählte EU-Parlament wollen wir abschaffen. Die Rechtsetzungskompetenz wird bis zur Neuordnung der Verhältnisse allein dem Rat übertragen (…)«

In einem langen Interview mit Tilo Jung  hatte Herr Krah diese Programm-Passage erst verleugnet, dann von einer unterkomplexen »Kurzfassung« gesprochen, dann erklärt, die »Forderung ist unglücklich formuliert« und schließlich verkündet: »Dann erkläre ich hiermit mit der Autorität des Spitzenkandidaten«, dass die AfD das Europaparlament »nicht abschaffen« wolle. »Das ist ein Missverständnis, und ich sorge dafür, dass es korrigiert wird.« Die Partei werde diese »Klarstellung selbstverständlich mittragen«. Das Parteiprogramm als Privatbesitz. Was man eben so sagt, wenn man sich selbst für den Größten hält oder glaubt, ihn zu haben.

AfD-Mann Krah zieht sich zurück – und hofft noch immer

Aber nun frage ich mich, ob Herr Krah das vor seinem Ausscheiden noch erledigen konnte? Will die AfD das Europaparlament nun abschaffen, wie es aufgeschrieben steht, oder doch lieber nicht? Weniger als zwei Wochen vor dem Wahltag wäre das von Interesse, es hat ja nicht viel Sinn, zu einer Wahl zu gehen, wenn hinterher das Parlament weg ist.

Gewiss, man mag nicht ausschließen, dass Herr Krah auch an seine künftig angespannten Finanzen dachte, als er sich vor das Europaparlament stellte, dessen Diäten und späteren Pensionen nicht zu verachten sind. Mit denen kann er rechnen, wenn er jetzt brav in der Besenkammer bleibt, die Klappe hält und das Europaparlament nicht abgeschafft wird, sondern weiter zahlen kann. Da könnte man, wenn man böswillig ist, zu dem Schluss kommen: Einen Krah kann man kaufen, AfD-Kandidaten sind derzeit im Angebot.

Trotzdem: Wenn Herr Krah der Einzige auf der AfD-Liste ist, der dem Parlament mit der zweitgrößten freien Wählerschaft auf der ganzen Welt die Existenz retten will – ist es dann nicht ein bisschen schade, dass ausgerechnet er aussortiert wurde? Das Halbseidene an solchen Hallodris ist tatsächlich harmlos im Vergleich zu dem, was die Partei ganz offiziell ins Werk setzen will, sobald sie es kann. Es reicht darum nicht, in ihre Gesichter zu blicken, um sie zu erkennen. Man muss die Texte lesen .

Also, die EU soll weg: »Da die EU nicht im Sinne der AfD reformierbar ist, treten wir für die Neugründung einer europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft ein« (Europawahl-Programm, Seite 10).

Der Klimaschutz soll weg: »Abschaffung aller Klimaschutzgesetze auf nationaler und europäischer Ebene sowie Stopp der Programme ›Green Deal‹, ›Fit für 55‹ und anderer CO₂-Reduktionspläne der Brüsseler Bürokraten« (Seite 42).

Klimaforschung und -Berichterstattung können auch weg: »Auch seit der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren wechselte das Klima in Europa zwischen Phasen, die kälter oder wärmer waren als das aktuelle Klima. Die jetzigen klimatischen Veränderungen ordnen sich vollkommen normal – auch in ihrer Geschwindigkeit – in diese Wechsel ein. Trotz des durch Medien und Politik verbreiteten Alarmismus zeigen sich in der Realität weder vermehrte Extremwetterereignisse noch ein beschleunigt ansteigender Meeresspiegel« (Seite 41).

Der Euro soll natürlich auch weg: »Der Euro ist gescheitert. (…) Der Euro ist für ein Wirtschaftsgebiet mit 20 sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften eine Fehlkonstruktion und kann in dieser Form weder ökonomisch noch sozial funktionieren« (Seite 19).

Stattdessen soll die Gold-Mark zurück: »Bei einer Wiedereinführung der Deutschen Mark könnte das teilweise im Ausland gelagerte Staatsgold als temporäre Deckungsoption dienen. Gold ist nach aller historischen Erfahrung eine potenzielle Deckung für eine Währung, was besonders in Krisensituationen bzw. nach Einführung einer neuen Währung zum Vertrauensaufbau relevant wird« (Seite 22).

Geht’s noch, soll das wirklich alles weg und die Gold-Mark wieder her? Ich meine, ist das ernst gemeint und weiß das auch Herr Höcke, mit dessen Konterfei ja nur ein Silbertaler geprägt wurde? Oder greift wie bei der Sache mit dem Europaparlament im Falle von Nachfragen die Krah-skade: verleugnen, verharmlosen, zum Missverständnis erklären, Korrektur versprechen? Das sollten Frau Weidel und Herr Chrupalla bitte öffentlich beantworten, es ist ja noch ein paar Tage Wahlkampf. Die Schriftart, in der das digital abrufbare AfD-Wahlprogramm gesetzt ist, heißt in meiner Word-Version übrigens »Bitter«. Das kann kein Zufall sein. 

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