Mittwoch, 3. April 2024

Superwahljahr 2024: Wie Fake News und Desinformation uns beeinflussen sollen

 t3n  hier  Von Claudia Wieschollek  28.03.2024

Vor den Wahlen lauert eine Gefahr: Experten warnen vor mehr Fake News und wie sie die Wahlen beeinflussen können. Da stellt sich die Frage: Was bewirkt Desinformation?

2024 ist ein Superwahljahr: Neben der US-Präsidentschaftswahl und dem Urnengang für das Europäische Parlament stehen in Ostdeutschland drei richtungsweisende Landtagswahlen an. Nach dem Verfassungsschutz warnt nun auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor Versuchen, durch Desinformationen Einfluss auf anstehende Wahlen zu nehmen.

Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass 81 Prozent der Deutschen Desinformation im Internet als Bedrohung für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt betrachten. 67 Prozent machen sich Sorgen, dass Desinformation den Ausgang von Wahlen beeinflussen könnte. Der Internationale Faktencheck-Tag am 2. April legt das Augenmerk auf die Reichweite und den Einfluss von Falsch-Informationen im Netz.

Expertinnen wie Cathleen Berger von der Bertelsmann-Stiftung und Pia Lamberty vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) warnen vor gezielten Desinformationskampagnen. Berger sieht darin den Versuch, „demokratische Diskurse zu manipulieren“.

Beeinflussung durch halbseidene Umfragen

Ein Beispiel: In regelmäßigen Abständen werden vollkommen unseriöse Wahlumfragen kolportiert. Im Januar etwa freute sich der AfD-Bundestagsabgeordnete Marc Bernhard über vermeintliche Projektionen, wonach sich seine Partei in Baden-Württemberg mit 26 Prozent der Wählerstimmen fast gleichauf mit der CDU befinde. Mitte März wiederum verbreitet sein bayerischer Parteifreund Andreas Winhart, dass die AfD angeblich „mit bundesweit 21 Prozent bei den Zweistimmen nur noch zwei Prozent hinter der CDU“ liege.

So werden Umfrage-Höhenflüge suggeriert, die es in echt gar nicht gibt. Denn die vermeintlichen Werte sind vor allem eins: überhaupt nicht valide. Hinter ihnen steckt das undurchsichtige Institut PrognosUmfragen, das seine Methodik und Finanzierung nicht transparent macht. Bei seriösen und anerkannten Instituten wie Infratest dimap oder Forsa liegt die AfD in beiden genannten Fällen mit großem Abstand hinter der CDU.

Starke Rechte befeuert Ausbreitung der Desinformation

Gerade das Erstarken der extremen Rechten in weiten Teilen Europas macht nach Lambertys Ansicht die Gesellschaft empfänglicher für Desinformation. Die Co-Geschäftsführerin von Cemas, das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht, erwartet solche Versuche auch aus dem Ausland wie Russland.

Desinformationskampagnen sind dabei alles andere als Schnellschüsse. Sie „bereiten in der Regel über längere Zeiträume hinweg einen Nährboden“, erklärt Berger – und veranschaulicht das: Bevor es zum Anzweifeln von Wahlergebnissen komme, würden gesellschaftlich kontroverse Themen wie Klimakrise, Krieg oder Genderidentitäten über Extrempositionen emotionalisiert.

So ist zum Beispiel seit Jahren in sozialen Medien die krude Falschbehauptung nicht tot zubekommen, die Grünen planten ein generelles Verbot von Hunden, Katzen und anderen Haustieren, um das Klima zu schützen. Dieser Fake waberte bereits vor der letzten Bundestagswahl 2021 durch die dunklen Echo-Räume.

Besorgniserregend ist, dass viele anfällig für Manipulationen sind. Nach einer Erhebung der Initiative D21, eines Netzwerks für die digitale Gesellschaft, kann fast ein Drittel der Befragten mit dem Begriff Desinformation wenig anfangen – oder kennt ihn gar nicht. „Dann werden Wissenslücken mit eigenen Haltungen und Ideologien gefüllt“, erklärt Lamberty.

Kandidaten streuen teils selbst Falschnachrichten

Beispiele wie der Wahlkampf von Jair Bolsonaro in Brasilien oder von Donald Trump in den USA zeigen, dass das Vertrauen in demokratische Prozesse besonders dann geschwächt wird, wenn die Kandidaten selbst Misstrauen säen. Dass Trumps Lügen über vermeintliche Wahlfälschungen konkrete Folgen haben, zeigt der gewalttätige Sturm auf das Kapitol im Januar 2021. Für einen solchen Schaden hat Desinformation hierzulande bislang nicht gesorgt. Dennoch geht Lamberty davon aus, dass solche Erzählungen in einzelnen Milieus „ihren Beitrag zur Radikalisierung leisten“.

So haben bei vergangenen Wahlen Verschwörungsideologen und Rechtsradikale versucht, Behauptungen zu einem weitreichenden Wahlbetrug zu verbreiten – teils auch mithilfe von AfD-Politikern. Geraunt wird viel: Briefwahlunterlagen würden ungefragt an Wahlberechtigte verschickt; Wahlzettel gingen auf dem Postweg vorsätzlich verloren; in einer Ecke gelochte Wahlzettel seien ungültig. Alles gelogen. Doch die Botschaft dahinter an die Anhänger: Die Wahlen in Deutschland sind nicht vertrauenswürdig.

So kamen etwa bei der Landratswahl im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree im Mai 2023 wieder einmal an den Haaren herbeigezogene Vorwürfe der Manipulation durch Briefwahl auf – vor allem, weil sich der SPD-Kandidat wegen der postalisch übermittelten Stimmen gegen den AfD-Konkurrenten durchsetzte. Letzterer hatte in den Wahllokalen knapp die Nase vorn. Die Wahrheit: Dem Kreiswahlleiter wurde bei der Abstimmung keine einzige Unregelmäßigkeit angezeigt.

Dass eine solche Einflussnahme unsere Demokratie in ihren Grundfesten ins Wanken bringt, verneint Expertin Berger. Die Zersetzung unserer politischen Ordnung sei aber „kein Prozess, der von heute auf morgen stattfindet“, sagt Lamberty. „Propaganda wirkt oft eher langfristig, schleichend – und gerade das macht es so gefährlich.“


DW hier  Janosch Delcker  28.03.2024

Deutschland wappnet sich gegen russische Einflussnahme

Die Regierung warnt vor neuen Versuchen Russlands, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Was ist "hybride Kriegsführung" - wie lässt sie sich bekämpfen?

Die Bundesinnenministerin ist besorgt. "Die Gefahr wächst weiter, dass Russland durch Cyberangriffe, Propaganda und andere Methoden versucht, die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen", sagte Nancy Faeser (SPD) der Süddeutschen Zeitung. Und, so Faeser weiter, die Gefahren hätten eine neue Qualität erreicht. 

Ihre Warnung kommt vor dem Hintergrund der anstehenden Europawahl im Juni sowie drei Landtagswahlen im September. Russland, so die Befürchtung, könnte im Vorfeld der Wahlen versuchen, Unterstützung für prorussische Parteien wie die in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) zu mobilisieren.

Deutschland ist seit langem Ziel russischer Einflussnahme. Seit Beginn der großangelegten russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 zielen viele dieser Operationen darauf ab, die öffentliche Unterstützung für die Ukraine zu untergraben. Nun fordern Experten ein entschlossenes Vorgehen.

"Es geht darum, Entschlossenheit und Stärke dem gegenüber zu zeigen und aufzudecken, mit welchen Mitteln die andere Seite operiert", sagt Rüdiger von Fritsch, ehemaliger deutscher Botschafter in Moskau und Ex-Vizepräsident des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND.

Was ist "hybride Kriegsführung"?

Wenn Staaten militärische Mittel mit unkonventionellen Methoden - von wirtschaftlichem Druck bis hin zu Propaganda - kombinieren, spricht man von "hybrider Kriegsführung”. Sie ist kein neues Phänomen. Seit Jahrhunderten nutzen Staaten nicht-militärische Mittel, um die öffentliche Meinung im Ausland zu beeinflussen.

Das Internet und soziale Medien bieten ihnen dafür heute jedoch ein ganz neues Arsenal an Online-Waffen: So verschaffen sich Hacker bei sogenannten "Hack-and-Leak"-Operationen Zugang zu sensiblen oder vertraulichen Informationen und streuen diese strategisch in der Öffentlichkeit. Cyberangriffe können auch dazu genutzt werden, die kritische Infrastruktur eines Landes, einschließlich Wahlcomputer oder Wahlsoftware, lahmzulegen. Gleichzeitig werden Online-Plattformen oft genutzt, um falsche oder irreführende Narrative zu verbreiten.

"Die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation und die modernen soziale Medien
sind der wahrgewordene Traum aller Nachrichtendienste",
so von Fritsch zur DW.


Wie funktioniert "hybride Kriegsführung"?

Hybride Kriegsführung wird oft als "Schattenkrieg” beschrieben, der im Verborgenen stattfindet und nie offiziell erklärt wird. "Das Konzept der hybriden Kriegsführung besteht darin, dass man sie zunächst nicht bemerkt", erklärt Leslie Schübel, Russland-Expertin bei der Hamburger Körber-Stiftung, im Gespräch mit der DW.

Ziel solcher Kampagnen ist nach Ansicht von Experten, soziale Gräben zu vertiefen, Wut zu schüren und Misstrauen in Politik, demokratische Prozesse und Medien zu wecken. "Allein Zweifel zu säen, ist für Russland schon ein Erfolg", so Schübel.

Lektionen aus dem "Taurus-Leak"

Während die meisten Methoden hybrider Kriegsführung nie an die Öffentlichkeit kommen, werden einige Operationen bewusst publik gemacht. Anfang März veröffentlichte die Chefin des russischen Staatssenders RT ein vertrauliches Gespräch hochrangiger deutscher Luftwaffenoffiziere. Der als "Taurus-Leak" bekannt gewordene Vorfall führte zu diplomatischen Verstimmungen und stürzte die Bundeswehr in eine Krise.

"Die Affäre dient (dem russischen Präsidenten) Putin auch innenpolitisch", sagt Maria Sannikova-Franck vom Think Tank "Zentrum Liberale Moderne". Das veröffentlichte Gespräch drehte sich um mögliche Szenarien im Krieg Russlands in der Ukraine. Russische Medien behaupteten nach der Veröffentlichung, der Mitschnitt belege, dass die Bundeswehr umfassende und konkrete Pläne für einen Angriff auf russisches Territorium diskutiere.

"Das Bild, das er [Wladimir Putin] vermitteln will, ist, dass Deutschland und der Westen Russland bedrohen, und das ist ihm sehr gut gelungen", sagt Sannikova-Franck der DW. "Gleichzeitig hat er auch erfolgreich vom Tod und der Beerdigung Alexei Nawalnys abgelenkt." Nawalny, einer der prominentesten innenpolitischen Gegner Putins, starb Mitte Februar im Alter von 47 Jahren in einer Strafkolonie in der Arktis. Er wurde am 1. März beigesetzt - demselben Tag, an dem die Aufnahme veröffentlicht wurde.

Wie kann man im hybriden Krieg zurückschlagen?

Um sich gegen hybride Kriegsführung zur Wehr zu setzen, braucht man einen komplexen Ansatz auf verschiedenen Ebenen, so Experten. Länder müssen ihre kritische Infrastruktur, einschließlich der bei Wahlen verwendeten Technologien, angemessen vor Cyberangriffen schützen.

Gleichzeitig unterstreicht der "Taurus-Leak"-Vorfall auch die Notwendigkeit, das Bewusstsein für Cybersicherheit auf allen Ebenen der Gesellschaft zu schärfen. Denn der russische Geheimdienst hatte sich offenbar deswegen Zugang zu der militärischen Kommunikation verschaffen können, weil sich ein Teilnehmer über eine ungesicherte Verbindung in das Gespräch eingewählt hatte.

Schließlich betonen Experten, wie wichtig es ist, Bürgerinnen und Bürger über die Methoden von Desinformation aufzuklären und ihnen bewusst zu machen, dass alle Informationen, die sie online sehen, sie gezielt täuschen oder manipulieren könnten. "Es ist wichtig, die Mechanismen dieser Propaganda aufzudecken - wie sie funktioniert, wie sie uns beeinflusst, wie sie Meinungen beeinflusst", so Sannikova-Franck.

Im Kampf gegen die gezielte Verbreitung von Falschinformationen hatten Deutschland, Frankreich und Polen im Februar 2024 einen Warnmechanismus vereinbart. Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné erklärte nach einem Treffen mit seinen Amtskollegen, dass die drei Länder Opfer der gleichen russischen Destabilisierungsstrategie geworden seien und sich gemeinsam dagegen wehren wollen.

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