hier Handelsblatt Geschichte von Stratmann, Klaus • 29.4.24
Die Ampelkoalition preist die Fernwärme als Alternative zur Wärmepumpe. Doch die Betreiber der Netze haben Zweifel, ob die Ziele der Politik zu erreichen sind.Das Ziel der Ampelkoalition ist ehrgeizig: Jahr für Jahr sollen künftig mindestens 100.000 Gebäude mit Wärmenetzen verbunden werden. Bis 2045 soll sich damit die Zahl der angeschlossenen Gebäude gegenüber heute verdreifachen. Damit könnte sich die Fernwärme als Alternative zur elektrischen Wärmepumpe etablieren. Aktuell sind 14 Prozent der Wohnungen in Deutschland an Wärmenetze angeschlossen.
In den Unternehmen, die Fernwärmenetze betreiben, gibt es jedoch Zweifel, ob sich die Ziele tatsächlich erreichen lassen. Ein Überblick über die Hindernisse, die einem raschen Ausbau von Wärmenetzen im Wege stehen:
1. Knappe Fördermittel für Ausbau von Wärmenetzen
2022 hatte der Bund das Programm „Bundesförderung für effiziente Wärmenetze“ (BEW) aufgelegt, ausgestattet mit 3,5 Milliarden Euro. In diesem Jahr sollen aus dem Programm nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums 750 Millionen Euro bereitgestellt werden. Das Programm unterstützt den Bau neuer Wärmenetze, die einen Anteil von 75 Prozent erneuerbarer Energien aufweisen, sowie die Dekarbonisierung bestehender Netze.
Die ambitionierten Ziele stehen im Widerspruch zu den bereitgestellten Mitteln.
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) fordert ein Umdenken der Bundesregierung: „Die ambitionierten Ziele für den Aus- und Umbau stehen im Widerspruch zu den bereitgestellten, in den Haushaltsverhandlungen 2024 sogar leicht gekürzten Mitteln in der BEW“, sagt Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des VKU.
In dem Verband sind die Stadtwerke zusammengeschlossen, die in vielen Fällen die Betreiber der Wärmenetze sind. Liebing fordert, die Mittel bis 2035 auf drei Milliarden Euro pro Jahr anzuheben. Anders seien die Ziele nicht zu erreichen.
Hinzu kommt, dass sich nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November 2023 viele Förderzusagen als nicht verlässlich erweisen. Beim BEW ist aus Sicht der Branche der begrenzte Förderhorizont ein Hindernis.
Stand heute dürften die Mittel des Programms innerhalb weniger Jahre ausgeschöpft sein. Da viele Projekte bis zur Antragstellung einen Vorlauf von mehreren Jahren haben, ist die Fördersituation gegen Ende des Jahrzehnts unklar. Auf dieser Basis sei vorausschauende Planung schwierig, kritisiert ein Branchenmanager.
Beim Dresdner Versorger Sachsenenergie AG heißt es, eine „reine Kurzfristfinanzierung der Förderprogramme immer aus dem jeweiligen Haushalt“ könne die dringend erforderliche Planungssicherheit nicht gewährleisten. Erforderlich sei vielmehr ein langfristiger Förderrahmen, „mindestens für die kommenden zehn bis 15 Jahre“.
2. Zu wenige Investitionen
Die Politik hat es eilig bei der Wärmewende: Wenn das Ziel der Klimaneutralität von Gebäuden bis 2045 erreicht werden soll, muss in den kommenden Jahren viel passieren. Für die Betreiber der Wärmenetze heißt das, dass sie innerhalb kurzer Frist mehr Geld in die Hand nehmen müssen als je zuvor.
Andreas Feicht, Vorstandsvorsitzender der Kölner Rheinenergie AG, sagt, sein Unternehmen plane derzeit mit Investitionen von rund 3,8 Milliarden Euro bis 2035, davon entfalle die Hälfte auf die Infrastruktur. Allein knapp eine Milliarde Euro sei den Wärmenetzen zuzurechnen. Insgesamt lägen die Investitionen um den Faktor fünf bis sechs über dem normalen Niveau.
Auch in Berlin sind die Dimensionen immens: „Allein für den Ausbau der Fernwärmenetze sind bis 2030 deutlich über drei Milliarden Euro erforderlich“, heißt es bei Vattenfall Wärme. Das Versorgungsunternehmen betreibt in der Hauptstadt mit rund 1,3 Millionen angeschlossenen Wohneinheiten das größte Wärmenetz Westeuropas.
3. Aufwendige Baumaßnahmen in den Städten
Wer ein solches Netz verlegen will, muss Erde bewegen. Bagger reißen Straßen auf, Behinderungen lassen sich nicht vermeiden. Rheinenergie-Chef Feicht umreißt die Probleme so: „Der Trassenraum in Großstädten wird knapp, wir müssen teils Bestandsleitungen neu anordnen. In vielen Straßen werden Vollsperrungen erforderlich, was äußerst herausfordernd für die Verkehrsführung ist.“
Hinzu komme, dass zeitgleich Gasleitungen auf Wasserstoff umgestellt oder zurückgebaut werden müssten. Das vergrößere den Planungs- und Koordinationsaufwand enorm.
4. Schwierige Regulierung der Heizkosten
Zugleich bereitet die Regulierung den Wärmenetzbetreibern Sorgen. Vattenfall Wärme hebt die Wärmelieferverordnung als negatives Beispiel hervor. Sie legt fest, dass die Heizkosten bei der Umstellung auf Wärmelieferungen durch ein Wärmenetz nicht höher sein dürfen als die bisherigen Kosten.
„Damit werden die Investitionen in zukunftsfähige Technologien noch immer mit den Betriebskosten von Öl- und Gaskesseln der Vergangenheit verglichen“, kritisiert Vattenfall Wärme. Die künftigen Mehrkosten dieser fossilen Lösungen, etwa infolge steigender CO2-Preis, würden außen vor gelassen.
Mit Sorge blickt die Branche auf Forderungen aus der Politik, die Endverbraucherpreise für die Versorgung mit Fernwärme strenger zu regulieren. Vielen Fernwärme-Angeboten haftet der Verdacht an, überteuert zu sein.
Hintergrund ist, dass die Betreiber von Wärmenetzen Monopolversorger sind. Wer einmal seinen alten Heizkessel verschrottet hat und sich ans Wärmenetz anschließen lässt, muss sich meist über viele Jahre vertraglich binden und hat kaum mehr Wechselmöglichkeiten. Verbraucherschützer fordern deshalb seit Langem eine strenge Preisaufsicht. Die Branche betrachtet das als Investitionsbremse.
5. Fernwärme-Ausbau: Heizkraftwerke müssen erst noch umgerüstet werden
Mit dem Ausbau der Netze ist es allerdings nicht getan. Die Heizkraftwerke, die das Wasser erhitzen, das durch die Wärmenetze zirkuliert, werden heute zum großen Teil mit Erdgas betrieben.
Der Anteil an klimaneutral bereitgestellter Wärme im deutschen Fernwärmenetz beträgt nach Branchenangaben heute rund 22 Prozent. Für 78 Prozent der Wärmequellen müssen also neue Lösungen her, während zugleich die Zahl der angeschlossenen Gebäude steigen soll.
Verschiedene Lösungen kommen in Betracht. So gewinnen Großwärmepumpen an Bedeutung. Als Wärmequelle für Großwärmepumpen kommen Erdwärme oder auch beispielsweise Abwässer infrage. Einzelne Projekte mit Großwärmepumpen sind in Deutschland bereits umgesetzt, viele weitere in Planung. Standardisierte Lösungen gibt es noch nicht, die Betreiber betreten Neuland. Das erschwert die Planung und die Kostenkalkulation.
Auch Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), die derzeit noch mit Erdgas betrieben werden, können eine Zukunft in einer klimaneutralen Welt haben. In KWK-Anlagen werden die Strom- und die Wärmeproduktion kombiniert. Sie können künftig etwa mit Biogas oder auch mit Wasserstoff betrieben werden.
Sachsenenergie beispielsweise setzt darauf, 2030 an das geplante Wasserstoff-Netz angeschlossen zu sein. Hier gibt es aber eine neue Unwägbarkeit: Das Wasserstoff-Kernnetz wird voraussichtlich später fertig. Ursprünglich hatte die Bundesregierung 2032 angepeilt, kürzlich verständigte man sich aber auf das Jahr 2037
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