Montag, 15. April 2024

„Es wäre gut, wenn wir auch benennen, wenn mal etwas klappt in Deutschland, wenn man Erfolge würdigt. Der Atomausstieg ist so ein Erfolg“,

Und ewig lebe die Atomkraft, wenigstens im Angedenken vieler Mitbürger.

Daher dieser sehr gute Artikel, in dem eigentlich alles gesagt wird. Vielleicht führt das mal weg vom immer wieder hochploppenden "ich denk ja nur..." der Nuklearnostalgie-Anhänger  hin zu den Fakten.

WiWo hier  von Florian Güßgen  14. April 2024

EIN JAHR ATOMAUSSTIEG: Fehlen Deutschland die Kernkraftwerke?

Ergreift Sie bei diesem Anblick eine Nuklear-Nostalgie? Das Kernkraftwerk Neckarwestheim von EnBW in Baden-Württemberg.

Ein Jahr ohne Kernkraft. Wie ist’s gelaufen? Gut, sagt der Energieexperte Bruno Burger – und untermauert das mit Daten. Beim Kohleausstieg fordert er Pragmatismus.

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, da war Schluss mit der Kernenergie in Deutschland, da sind die letzten drei Kernkraftwerke – Neckarwestheim 2 von EnBW, Isar 2 von E.On, und Emsland von RWE vom Netz gegangen. Die „Tagesthemen“ sendeten zum Schluss von vor Ort, so als handele es sich um eine Liveschalte von einem Staatsbegräbnis. Befürworter und Gegner des Ausstiegs stritten sich. In der Regierungskoalition fordert die FDP seither, die Kraftwerke weiter zu betreiben, vergeblich allerdings – und auch nur bis zu einer allenthalben erträglichen Eskalationsstufe. Denn die Regierung wegen der Atomkraft platzen zu lassen, das wollte auch FDP-Chef Christian Lindner nicht. Die Ära der Atomkraft in Deutschland ist – passé.

Und? Wie steht es nach einem Jahr so ganz ohne aus? Das Vergleichsportal Verivox hat in einer Umfrage ermittelt, dass die 51,6 Prozent der befragten Deutschen den Ausstieg für einen Fehler halten, 28,4 Prozent stehen hinter dieser Entscheidung. Aber ist diese gerechtfertigt? Welche Befürchtungen sind eingetreten? Welche nicht? Und was lässt sich daraus schlussfolgern?

Einer, der sich die Daten aus der Energiewelt stets sehr genau ansieht, ist Bruno Burger, Professor und Senior Scientist am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg im Breisgau. Er ist verantwortlich für die Seite Energy-Charts.info, die in interaktiven Grafiken zur Stromproduktion und zu Börsenstrompreisen die Energieversorgung der Deutschen misst und detailliert darstellt. Burger hat auch Daten aus der Stromerzeugung im Jahr vor dem Atomausstieg, also vom 16. April 2022 bis zum 15. April 2023, mit Daten aus dem Jahr nach dem Atomausstieg, vom 16. April 2023 bis zum 15. April 2024 verglichen, wobei er die letzten Tage des gerade abgelaufenen Jahres hochgerechnet hat.

Und Burger kommt auf dieser Datenbasis zu einer sehr eindeutigen Einschätzung: „Insgesamt“, sagt er, „finde ich den Kernkraftausstieg sehr gelungen.“ Was heißt das im Detail?

Sind die Strompreise durch den Atomausstieg gestiegen?

Nein, sind sie nicht. Die Großhandelspreise sind seit dem Kernenergieausstieg gefallen. Burger vergleicht monatliche Börsenstrompreise und kommt dabei für den April 2023 auf einen Wert von 99,01 Euro für die Megawattstunde und für den April 2024 auf einen Preis von 55,01 Euro für die Megawattstunde. Der Preis hat sich fast halbiert und ist auf den Wert vom April 2021 gefallen.

Die Verbraucherpreise liegen mit allen Abgaben und Steuern höher. Aber auch sie sind geringer geworden. Hier zitiert Burger das Vergleichsportal Verivox. Demnach liegen die Kosten bei einem Neukundenvertrag und einem durchschnittlichen Stromverbrauch Anfang April 2024 bei 26,05 Cent für die Kilowattstunde, vor einem Jahr kostete die Kilowattstunde demnach noch 33,83 Cent.

Nun kann man argumentieren: Auf den Strompreis wirken so viele Faktoren ein: Der Gaspreis etwa ist über das so genannte Merit-Order-System entscheidend. Der Preis wäre auch ohne Atomausstieg gefallen – vielleicht sogar etwas tiefer. Hier argumentiert Burger, dass die Preise über das Merit-Order-System für den gesamten europäischen Strommarkt gesetzt worden sind. Die 4,2 Gigawatt Kapazität, die hier durch den Wegfall der drei letzten Atomkraftwerke aus dem System genommen worden seien, falle bei der Preisbildung so gut wie nicht ins Gewicht. „Vielleicht wäre der Strompreis mit den drei Atomkraftwerken noch minimal tiefer gesunken“, sagt Burger. „Aber tatsächlich fällt die Menge bei der Preisbildung kaum ins Gewicht. Die deutsche Strombörse ist mit allen europäischen Strombörsen gekoppelt. Das gesamte Handelsvolumen umfasst mehrere Hundert Gigawatt Leistung. Wenn hier 4,2 Gigawatt von den letzten drei deutschen Kernkraftwerken fehlen, macht das in dem Merit-Order-System so gut wie nichts aus.“

Wer hat den Wegfall des Atomstroms ersetzt? Die Kohle?

Nein. Fossile Energie war es nicht. Durch den Wegfall des Atomstroms sind im vergangenen Jahr 29,5 Terawattstunden (TWh) Strom weggefallen. Dieses Minus ist durch ein Plus bei den Erneuerbaren Energien – vor allem bei Wind- und Sonnenkraft, in Höhe von 32 Terawattstunden kompensiert worden, sodass die Erneuerbaren 269 statt im Vorjahr 237 Terawattstunden erzeugt haben. „Die erneuerbaren Energien haben die Stromerzeugung der letzten drei Kernkraftwerke energetisch ersetzt“, sagt Burger.

Gleichzeitig aber, und das ist bemerkenswert, ist auch die Stromerzeugung mit fossilen Energien zurückgegangen, nämlich von 210 auf 153 Terawattstunden, um 57 Terawattstunden. Die Menge Strom, die im ersten Jahr ohne Kernkraft mit Kohle erzeugt worden ist, bewegte sich auf einem Niveau, das letztmals in der direkten Nachkriegszeit erreicht worden ist. Die Behauptung, der Strom sei noch nie so schmutzig gewesen in Deutschland, ist demnach Unsinn. Auch von einem „Kohlewinter“, wie er befürchtet worden war, kann keine Rede sein.

Aber eine Lücke gab’s doch. Wer hat die gefüllt?

Ja, die Lücke gibt’s. Die ist dadurch entstanden, dass in Deutschland im vergangenen Jahr insgesamt weniger Strom verbraucht worden ist, die „Last“ geringer waren. Die einen haben gespart, den anderen, vor allem Betrieben, war der Strom schlicht zu teuer. Sie haben ihre Produktion gedrosselt oder sogar ganz runtergefahren, vor allem in der energieintensiven Industrie.

Ob die gesunkene Last ein Anzeichnen für eine Deindustrialisierung in Deutschland ist, darüber wird gestritten. Laut Burger ist die Last um 10 Terawattstunden von 468 Terawattstunden auf 458 Terawattstunden gefallen. Wenn nun 10 Terawattstunden weniger gebraucht worden sind, die Erneuerbaren 2,5 Terawattstunden mehr produziert haben als Atomstrom aus dem System verschwunden ist, und die Kohlekraftwerke, weil sehr teuer, 57 Terawattstunden weniger produziert haben, dann fehlen etwa 44,5 Terawattstunden. Und die sind, das deckt sich mit den Daten, importiert worden. Insgesamt sind im vergangenen Jahr 43 Terawattstunden mehr importiert worden als im Vorjahr (22 TWh im Vergleich zu einem Export von 21 TWh 2022/23).

Aber da haben wir’s doch: Wir sind „Strombettler“!

Sind wir nicht. Deutschland hätte den Strom vor allem im vergangenen Sommer schon auch selbst produzieren können. Aber dann hätten die teuren Kohlekraftwerke einspringen müssen. So ist der Strom im europäischen Handel dort eingekauft worden, wo er günstiger war: In den skandinavischen Ländern oder in Frankreich. Mit anderen Worten: Bettler sind die Deutschen keine. Aber Heuchler: Sie steigen zwar selbst aus der Atomkraft aus, aber kaufen den Atomstrom dann doch aus Frankreich, wenn er dort günstig zu haben ist. Die hohen Strompreise im Jahr 2022 hätten vor allem zwei Gründe gehabt, sagt Bruno Burger. Hohe Gaspreise und den zeitweisen Wegfall eines großen Teils der französischen Kernkraftwerke. „Im Sommer 2023, nach dem Atomausstieg, gab es eine Flut von Strom in Europa, einen Überschuss. Die französischen Kernkraftwerke liefen wieder. Das Schmelzwasser in den Alpen hat erneuerbare Wasserkraft in der Schweiz und in Österreich erzeugt, es gab Windstrom aus Dänemark, Wasserkraft aus Norwegen und Schweden. Das alles hat dazu geführt, dass der Strompreis sehr niedrig war. Damit konnte unsere fossilen Kraftwerke nicht konkurrieren. Deshalb haben wir importiert.

Aber der Wegfall der Kernkraftwerke hat zu höheren Redispatchkosten geführt.

Ist nicht richtig, aber der Aspekt offenbart trotzdem ein Problem. Die Bundesnetzagentur hat gerade ihren Bericht über die Redispatchkosten im vergangenen Jahr veröffentlicht. Der so genannte Redispatch ist eine Ausgleichsmaßnahme der vier Übertragungsnetzbetreiber, die eine Überlastung des Stromnetzes verhindern soll. Konkret: Wenn der Wind im Norden sehr stark bläst, produzieren die Windräder sehr viel Strom. Weil der aber nicht Richtung Süden geschafft werden kann, weil die dafür nötigen Stromautobahnen – etwa der Suedlink – noch auf Jahre hinaus fehlen, müssen die Erzeuger im Norden ihren Strom abregeln, dafür bekommen sie einen Ausgleich. Gleichzeitig müssen Erzeuger im Süden – das sind dann vor allem fossile Kraftwerke – einspringen. Dafür bekommen die auch Geld. Zwar sind die absoluten Kosten der Redispatchmaßnahmen im Vergleich zum Vorjahr drastisch gesunken, von rund 4,2 Milliarden Euro 2022 auf knapp 3,1 Milliarden Euro 2023.

Das liegt daran, dass die Strompreise im Großhandel nicht mehr so hoch sind. Dafür ist die Zahl der Redispatchmaßnahmen, die nötig waren, sehr deutlich gestiegen, von 27049 Eingriffen auf 34297 Eingriffe. Mit anderen Worten: Das Gefälle zwischen Nord und Süd ist anfälliger geworden. Zumindest die beiden süddeutschen Kernkraftwerke Neckarwestheim 2 und Isar 2 hätten hier für etwas mehr Ausgleich sorgen können. Das sieht auch Burger so, sagt aber, das allein hätte nicht gerechtfertigt, um den Weiterbetrieb – und die damit verbundenen Kosten  - zu tragen. „Mit Blick auf den Redispatch in Süddeutschland wäre es natürlich gut gewesen, noch einmal jeweils 1,4 Gigawatt Leistung im System zu haben. Aber dafür gibt es auch andere Lösungen, die günstiger als Kernkraftwerke sind“, sagt er.

Und was, wenn die Kohlekraftwerke auch noch aus dem System sollen? Bricht dann nicht die Stromversorgung zusammen?

Es erscheint widersinnig, zuerst aus der weitgehend klimaneutralen Energieerzeugung – der Kernkraft – auszusteigen und dann erst aus der schmutzigen Kohleerzeugung. Was wird denn geschehen, wenn in Frankreich irgendwann wieder die Atomkraftwerke reihenweise ausfallen, in Deutschland Dunkelflaute herrscht, es noch nicht genug flexible Leistung über neue Gaskraftwerke oder wasserstofffähige Gaskraftwerke gibt – und dann auch keine Kohlekraftwerke? Burger sieht das als ernsthaftes Problem, aber hat dafür eine pragmatische Lösung. „Ich bin kein Freund davon, zwanghaft Termine für das Abschalten der Kohle festzulegen“, sagt er. „Ich bin ein Freund davon, erneuerbaren Energien einzuschalten. Jede Kilowattstunde an Erneuerbaren verdrängt eine Kilowattstunde Kohlestrom. Und wenn die Kohlekraftwerke nicht mehr gebraucht werden, dann werden sie einfach abgeschaltet. Ich würde empfehlen, auf Sicht zu fahren anstatt einfach zu sagen: Wir schalten die Kohle 2030 aus, obwohl wir nicht genau wissen, ob wir sie noch brauchen oder nicht.“ Der These, dass es besser gewesen wäre, zuerst auf der Kohle und dann erst aus der Kernenergie auszusteigen, widerspricht er. „Das ist falsch. Denn das geht nicht“, sagt Burger. „Kernkraftwerke sind nicht regelbar. Das ist ein Wunschdenken. Technisch funktioniert das nicht. Das Dreamteam Atomkraft plus Erneuerbare gibt es nicht. Das ist eine Mär.“

Eine Weiterbetrieb der Atomkraftwerke wäre demnach keine sinnvolle Alternative gewesen. Denn in einer Welt, in der die Erneuerbaren einen Großteil der Energieerzeugung übernehmen, kommen die so genannten flexiblen Kapazität selten zum Einsatz – und müssen dann schnell hochgefahren werden können. Das sei möglich mit Kohle und Gaskraftwerken, aber nicht mit Atomkraftwerken.

Aber was, wenn der Strom über die Erneuerbaren doch nicht dauerhaft günstig wird?

In der vergangenen Woche hat die Wirtschaftsweise und Professorin Veronika Grimm eine Studie vorgestellt, die das Narrativ vom immer günstiger werdenden Strom aus erneuerbaren Quellen scheinbar als Mär entlarvt. Ja, argumentieren die Forscher um Grimm, die Gestehungskosten für Strom aus Wind- und Sonnenkraft würden bis 2040 stetig sinken. Aber dann sei das Problem der Dunkelflauten nicht gelöst, die Kosten für Batteriespeicher oder Wasserstoff würden den Preis lange hochhalten. Burger widerspricht, was die Kosten für Batteriespeicher betrifft. Hier seien gewaltige Sprünge bereits verzeichnet worden, die Preise hier fielen. Für schwieriger hält er die Versorgung mit Wasserstoff. Hier sei tatsächlich noch nicht klar, wo der in den benötigen Mengen erzeugt werden könne – und was der dann koste. „Eines ist zu hundert Prozent sicher“, sagt er. „Die Erneuerbaren werden immer noch günstiger. Dasselbe gilt für Speicher, Batterien. Nur beim Wasserstoff bin ich skeptisch. Gut möglich, dass der Wasserstoff kein so großes Kostenreduktionspotenzial hat, wie wir es bei Solar, Wind und Batterien sehen.“

Burger hat dennoch insgesamt eine sehr positive Sicht auf das das vergangene Jahr. Er findet die Abkehr von der Kernkraft ermutigend. „Es wäre gut, wenn wir auch benennen, wenn mal etwas klappt in Deutschland, wenn man Erfolge würdigt. Der Atomausstieg ist so ein Erfolg“, sagt Burger.


Von wegen der immer wiederkehrende Totschlag-Spruch "kein Land macht das so wie Deutschland, wir müssen uns mehr anpassen an die Atomstromländer..." Erstens stimmt das nicht.
Zweitens haben wir große Erfolge zu verbuchen, während sich Frankreich und England immer weiter in überteuerte und hochgefährliche  Anlagen verstricken lassen, indem sie z.B. die Laufzeiten einfach erhöhen.

hier WiWo  von Alexander Kuschel  06. Februar 2024

Spanien als Vorbild: So geht Energiewende

Spanien macht vor, wie Energiewende geht: Ohne politische Querelen, dafür mit umso mehr Solarenergie – und kaum Atomkraft.

Deutsche kennen Spanien vor allem als touristisches Ziel. Was wenige wissen: Das Land ist weit vorn in Sachen Energiewende. 2023 deckten die Iberer fast 60 Prozent ihres Stromverbrauchs aus regenerativen Quellen. Der Anteil von Kohlestrom lag zuletzt nur noch bei 1,4 Prozent. In diesem Jahr soll Kohle komplett aus dem Strommix verschwinden.

In Deutschland liegt der Kohleanteil noch bei fast 20 Prozent. Kohle wird hierzulande vermutlich noch bis 2030 zur Stromerzeugung verfeuert.

Das erste Solarkraftwerk wurde in Spanien vor vier Jahrzehnten gebaut. Danach passierte erstmal nichts. Das änderte sich 2004: Die Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero von der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) startete eine Solaroffensive. Landesweit wandelten sich Agrarflächen zu Sonnenstromfeldern. Doch der Sparzwang infolge der globalen Finanzkrise und der europäischen Staatschuldenkrise bremsten den Ausbau in den folgenden Jahren.

Von 2018 an, nach der Wahl von Pedro Sánchez (PSOE) zum Premier, machte Madrid wieder Tempo. Ergebnis: Bis Mitte 2023 hatten sich die Kapazitäten der Solarkraftwerke im Land auf 22 Gigawatt nahezu verfünffacht. Die Windkraftkapazität wurde auf 30 Gigawatt ausgeweitet. Die inzwischen rund 21.000 Windkraftwerke im Land erzeugen mehr Strom als die sechs spanischen Atomkraftwerke.

Raus aus der Kernkraft

Die Regierung in Madrid kann es sich dadurch womöglich leisten, den eigentlich erst für das Jahr 2030 geplanten Atomausstieg vorzuziehen. Entsprechende Überlegungen gibt es jedenfalls. Zugleich ist Atomkraft in Spanien längst nicht so umstritten wie in Deutschland. Sie wird dort über alle Parteigrenzen hinweg als Brückentechnologie angesehen. Auch dort ist der Ausgang also beleuchtet, aber das Licht wird eben nicht abrupt ausgeknipst.

Gut im Rennen ist Spanien auch bei grünem Wasserstoff, also Wasserstoff, der mittels erneuerbarer Energien gewonnen wird. In der Provinz Kastilien steht bereits Europas größte Produktionsanlage für grünen Wasserstoff. Für rund zehn Milliarden Euro entstehen derzeit zwei weitere Zentren in den Küstenstädten La Coruña in Galizien und in der Bucht von Algeciras. Der Wasserstoff wird aktuell noch per Schiff transportiert, soll aber künftig über Pipelines in andere europäische Länder gelangen.



hier BR Lorenz Storch  Über dieses Thema berichtet: BR24 am 15.04.2024

Ein Jahr Atomausstieg: Was aus Söders Befürchtungen wurde
Vor einem Jahr wurde mit Isar 2 das letzte bayerische Kernkraftwerk endgültig heruntergefahren. Die Diskussion um die Atomkraft wurde vor der Kulisse des Kühlturms noch einmal geführt. Manches hat sich seither erledigt.

Die "Tagesthemen" sendeten an dem historischen Tag vor einem Jahr in einem Sonderformat – live vom Kernkraftwerksstandort Isar 2 bei Landshut. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezweifelte im Gespräch mit Moderator Ingo Zamperoni, dass der Atomausstieg wirklich endgültig sei: "Es ist nicht einfach, je länger es dauert, wieder einzusteigen. Aber möglich ist es. Nach der nächsten Bundestagswahl auf jeden Fall. Und ich glaube auch, dass wir schon im nächsten Winter ernsthafte Probleme bekommen. Sodass ein Wiederanlaufen im Winter denkbar wäre."

Stromversorgung läuft auch ohne Atomkraft
So kam es nicht. Die Stromversorgung lief auch ohne Atomkraft im vergangenen Winter störungsfrei. Eine Reihe von wissenschaftlichen Analysen bestätigen, dass Deutschland die Energiekrise auch ohne Atomkraftwerke weitgehend bewältigt hat. So zuletzt auch eine Studie der Beratungsgesellschaft Enervis [externer Link] im Auftrag von Greenpeace. Autor Christoph Benkert bilanziert im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk: "Der Wegfall der Erzeugungsmengen aus der Atomkraft hat unser Stromsystem vor keine signifikanten Probleme oder Herausforderungen gestellt."

Erneuerbare Energien haben den Atomstrom ersetzt
Im Unterschied zu früheren Auswertungen wählt die Greenpeace-Studie tagesscharf einen Betrachtungszeitraum seit dem Atomausstieg am 15. April 2023. Rein rechnerisch hat Deutschland die weggefallenen Strommengen aus der Atomkraft seither mit einer größeren Produktion von Strom aus erneuerbaren Quellen ausgleichen können. Trotz des Atomausstiegs sank der CO2-Ausstoß in Deutschlands Energiesektor seither um 24 Prozent. Fossile Kraftwerke liefen deutlich weniger: Braunkohle minus 29 Prozent, Steinkohle minus 47 Prozent und Gas minus fünf Prozent. Auch die Großhandelspreise für Strom sind wieder stark gesunken, in etwa auf das Vorkrisenniveau.

Deutschland importiert Strom – vor allem erneuerbaren
Allerdings hat vor allem die sinkende Kohleverstromung gemeinsam mit dem Aus der Kernkraftwerke dazu geführt, dass Deutschland im Jahr nach dem Atomausstieg vom Stromexporteur zum -importeur geworden ist. Ungefähr fünf Prozent des deutschen Strombedarfs kam seit dem Ausstieg aus dem Ausland. Allerdings nicht, weil im Inland nicht genug Erzeugungskapazität existiert: Zu jedem Zeitpunkt des vergangenen Jahres gab es genug Gaskraftwerke, um die Stromnachfrage zu decken. Aber die fossilen Kraftwerke in Deutschland mussten häufig nicht hochfahren, weil Import-Strom zur Verfügung stand, der billiger und häufig auch umweltfreundlicher war.

Im Ergebnis hat Deutschland allerdings – wie Kritiker des Atomausstiegs betonen - eigene Kernkraftwerke abgeschaltet und trotzdem Kernkraftstrom aus Frankreich importiert. Allerdings waren das nur 25 Prozent der importierten Strommenge, 50 Prozent davon stammten aus erneuerbaren Energien – etwa Windstrom aus Dänemark.

Künftig braucht es Wasserstoff-Kraftwerke
Langfristig wird Deutschland nach Einschätzung der Greenpeace-Studie durch den Ausbau der erneuerbaren Energien wieder zum Nettoexporteur von Strom werden. Die Autoren betonen jedoch auch, dass Deutschland künftig mehr wasserstofffähige Gaskraftwerke braucht, um die schwankende Stromproduktion aus Wind und Sonne zeitweise auszugleichen.

Reaktivierung von Isar 2 ist unmöglich
Atomkraftwerke werden diese Rolle nicht ausfüllen können. Nicht nur, weil sie dazu technisch und wirtschaftlich schlechter geeignet sind als Gaskraftwerke. Sondern auch, weil die von Bayerns Ministerpräsident Söder angekündigte Reaktivierung von Reaktoren nicht möglich ist. Das hat für Isar 2 der Kraftwerkschef Carsten Müller im Oktober endgültig klargestellt: "Es geht technisch, organisatorisch, personell nicht mehr. Wir sind da am Ende. Und wir werden jetzt den Weg des Rückbaus gehen."

Bayern hat den Rückbau doch nicht verzögert
Ministerpräsident Söder hatte am Abschalt-Tag von Isar 2 vor einem Jahr angekündigt, die Behörden des Freistaats würden alle rechtlichen Spielräume nutzen, um den Rückbau der Atomkraftwerke hinauszuzögern. Doch Ende März 2024 hat das bayerische Umweltministerium den Rückbau dann doch genehmigt, ohne Verzögerung. Das Atomgesetz lasse da keinen Spielraum. Die Arbeiten laufen jetzt.

Atomkraftwerke sollen doch nicht bayerisch werden
Hinfällig erscheint inzwischen auch Söders "Angebot", wie er es nannte, Isar 2 in bayerischer Eigenregie weiterzubetreiben. Die Zuständigkeit für die Atomkraftwerke solle vom Bund auf die Länder übergehen, forderte er mit großem Medienecho anlässlich der Abschaltung des Reaktors. Seither war davon jedoch so gut wie keine Rede mehr.



TAZ hier
Ein Jahr nach dem Atomausstieg:Atomkraft? Vermisst die jemand?
Am 15. April 2023 gingen die letzten drei deutschen AKWs vom Netz, begleitet von Ängsten vor Blackouts und Teuerungen. Was davon ist eingetreten?

Die Debatte über Atomenergie hört nicht auf. Auch weil diese allgemein als relativ klimafreundlich gilt: Im Vergleich zu Kohle- und Gaskraftwerken verursacht sie weniger CO₂-Emissionen. Selbst im IPCC-Bericht wird Kernenergie deshalb trotz ihrer Risiken als Möglichkeit erwähnt, zumindest einen kleinen Teil des Energiebedarfs emissionsarm zu decken. Als am 15. April 2023 die drei letzten deutschen Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 vom Netz gingen, nutzten Kri­ti­ke­r:in­nen des Ausstiegs auch dieses vermeintliche Klimaschutzargument als Vehikel, um das Abschalten der nuklearen Stromerzeugung generell infrage zu stellen. Daneben gab es eine Reihe von Befürchtungen rund um die Versorgungssicherheit. Nach 12 Monaten lässt sich nun eine erste Bilanz ziehen.

Wurde der wegfallende Atomstrom durch Kohle und Gas ersetzt?

Nein. Die öffentliche Nettostromerzeugung aus fossilen Energien lag in den letzten zwölf Monaten bei 155 Milliarden Kilowattstunden (Terawattstunden, TWh). In den zwölf Monaten vor dem Atomausstieg waren es 210 TWh gewesen. Diese Zahlen hat das Fraunhofer ISE im Rahmen seiner Energy-Charts aufbereitet. Der CO₂-Wert des deutschen Strommixes, den das Umweltbundesamt für 2022 noch auf 434 Gramm pro Kilowattstunde bezifferte, ist 2023 trotz Atomausstieg auf unter 400 Gramm gesunken.

Woher kommt es, dass der Strommix in Deutschland emissionsärmer geworden ist?

Zum einen durch die erneuerbaren Energien, die binnen Jahresfrist um gut 32 TWh zulegten und damit rein von der Summe her den wegfallenden Atomstrom (29,5 TWh) kompensierten. Zugleich sank aber auch der Stromverbrauch im Land um rund zwei Prozent. Hinzu kommt die Umkehr der Exportbilanz: In den zwölf Monaten vor dem Ausstieg exportierte Deutschland per Saldo noch 21 TWh, nach dem Ausstieg betrugen die Nettoimporte 23 TWh. Deutschland deckt heute also rund fünf Prozent seines Strombedarfs durch Importe.

Welche Rolle spielt der Atomstrom aus Frankreich für Deutschland?

Natürlich bekommt Deutschland auch Strom aus Frankreich, denn es liegt im Wesen des europäischen Strommarkts, dass alle Länder mit ihren Nachbarn Strom handeln. Die Menge zu definieren, ist aber schwer, weil Deutschland auch Transitland ist – da wird manches zur Definitionsfrage. Wenn zum Beispiel Österreich Strom in Frankreich kauft, der durch Deutschland fließt, taucht dieser hierzulande in der Statistik als Import aus Frankreich und zugleich als Export nach Österreich auf. Rein physikalisch importiert Deutschland dann Atomstrom, den es selbst aber gar nicht braucht. Deswegen sollte man lieber auf den Stromhandel schauen, also darauf, in welchen Ländern Deutschland den hier verbrauchten Strom einkauft. Das war 2022 zum großen Teil Dänemark, mit Abstand folgten Norwegen, Schweden und die Niederlande.

Warum kauft Deutschland aktuell zunehmend französischen Atomstrom ein?

Weil die französischen Kraftwerke zuletzt weniger oft ausfielen als in den Jahren zuvor. So erreichte die französische Atomstromerzeugung im ersten Quartal 2024 den höchsten Stand seit drei Jahren. Dadurch fielen die Börsenpreise des Stroms in Frankreich wieder unter die deutschen Preise, was zu höherem Export nach Deutschland führte. Die Exportmuster folgen eben exakt den Strompreisen des Großhandels: Bei Dunkelflaute importiert Deutschland zumeist Strom, bei viel Wind oder viel Sonne, wenn folglich der Strompreis hierzulande niedrig ist, ist Deutschland Exporteur.

Was wurde aus der Befürchtung, dass der Atomausstieg Strom in Deutschland deutlich verteuern würde?

Der Einfluss des Atomausstiegs auf die Marktpreise ist gering, denn die Entwicklung wird von erheblich gewichtigeren Faktoren geprägt: Das Wetter hat heute durch Photovoltaik und Windkraft einen so deutlichen Einfluss auf die kurzfristigen Notierungen, dass der Wegfall der Atomkraft im Vergleich dazu untergeht. Zudem prägt auch der Gaspreis ganz erheblich den Strompreis an der Börse, weshalb dieser für Deutschland im ersten Quartal 2024 deutlich niedriger war als im ersten Quartal 2023. Mitunter versuchen Atomkraftgegner die gesunkenen Großhandelspreise an Spot- und Terminmärkten gar mit dem Atomausstieg zu begründen, doch das ist unseriös – Ursache ist schlicht der deutlich gesunkene Gaspreis, der den Einsatz der Gaskraftwerke wieder erheblich verbilligt hat.

Ist die Gefahr eines Blackouts gestiegen?

2022, als die letzten drei Atomkraftwerke noch liefen, mussten Haushalte nach Angaben aus dem Bundeswirtschaftsministerium im Schnitt 12,2 Minuten ohne Strom auskommen, der zweitniedrigste Wert seit 2006. Damals waren noch 17 AKWs am Netz. Daten für 2023 liegen noch nicht vor. Bisher gleichen Stromnetz und konventionelle Kraftwerke Schwankungen aus. Sollte über einen längeren Zeitraum weder Wind wehen noch genug Sonne scheinen, wird es eng. Denn große Stromspeicher fehlen immer noch, das Netz muss ausgebaut werden.

Stimmt es, dass große Teile der Welt auf Atomkraft setzen, während Deutschland ausgestiegen ist?

Ankündigungen zum Neubau von Reaktoren gab und gibt es in diversen Ländern zwar immer wieder, einige Projekte wurden auch realisiert. Doch in der weltweiten Bilanz konnten die neuen Atomkraftwerke gerade den Wegfall alter Reaktoren ersetzen. Die globale Erzeugung von Atomstrom liegt deswegen nach wie vor etwa auf dem gleichen Niveau wie schon vor 20 Jahren. Da zugleich der Stromverbrauch weltweit gestiegen ist, sank der Anteil der Atomkraft am internationalen Strommix kontinuierlich. Im Jahr 2022 lag er nur noch bei 9,2 Prozent, dem niedrigsten Wert seit 40 Jahren. Photovoltaik und Windkraft erzeugen zusammen weltweit inzwischen mehr Strom als die Atomkraft.

Wie wahrscheinlich sind neue, kleinere AKW-Typen?

Viele existieren bisher nur auf dem Papier. Experten wie Christian von Hirschhausen von der Technischen Universität Berlin erwarten marktreife Anlagen frühestens in vier Jahrzehnten. Und die meisten erzeugen Atommüll.

Was passiert mit dem bestehenden Atommüll?

Die rund 27.000 Kubikmeter hochradioaktiver Abfälle aus deutschen AKWs sollen tief in der Erde verstaut werden, wo er für Zigtausende Jahre sicher sein soll. Ein geeigneter Standort wird gesucht, er wird frühestens in 20 Jahren festliegen. Derzeit lagert der Atommüll mehrerer Jahrzehnte Betrieb an den Kraftwerken und in den Zwischenlagern Ahaus und Lubmin.

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