Süddeutsche Zeitung hier Essay von Christoph von Eichhorn 26. April 2024
Dürren, Starkregen und Hitzewellen, alles schon da. Dennoch neigt unser Gehirn dazu, die Klimakrise für etwas Fernes zu halten. Von den psychologischen Ursachen – und Bildern, die helfen könnten, die geistigen Mauern zu überwinden.Die Fähigkeit, abstrakt zu denken, gehört zu den größten Geschenken der Natur an den Menschen. Gerade entwickelt sich diese Fähigkeit jedoch zu einer der größten Gefahren, für Natur wie Mensch.
Auf einer abstrakten Ebene klingt Klimaschutz erst mal nach einer tollen Sache, der sich die meisten gerne anschließen. Wie der Bericht „Umweltbewusstsein in Deutschland“ im vergangenen September enthüllte, unterstützen beispielsweise neun von zehn Deutschen den klimafreundlichen Umbau des Wirtschaftssystems. Wer könnte auch ernsthaft gegen ein sauberes Land sein, das auf erneuerbaren Energien basiert?
Würde man jedoch die Menschen fragen, ob dieser Umbau nächste Woche in ihrem Heizungskeller beginnen kann, Rechnung folgt postwendend, fielen die Antworten wohl nicht annähernd so wohlwollend aus.
Sobald dem abstrakten Problem eine konkrete Handlung folgen soll, ändert sich die Beurteilung eben grundlegend. Das hat erst mal gar nicht so sehr mit der politischen Einstellung zu tun, sondern eher mit der Werkseinstellung unseres Denkapparats, dem Gehirn. Das kennt, stark vereinfacht gesagt, zwei Schubladen: Eine ist für die unmittelbar anstehenden Aufgaben vorgesehen, etwa wie man heute zur Arbeit kommt. Das stellt man sich dann in der Regel recht detailliert und konkret vor – Auto, Fahrrad oder U-Bahn, und wenn Regen angesagt ist, sollte man vielleicht eine Jacke anziehen.
In der anderen Schublade landen Probleme, die räumlich und zeitlich weit weg eingestuft werden. Über diese macht man sich dann zwar grundlegend Gedanken. Zu einer Handlung in der Gegenwart führen sie aber eher nicht. „Psychologische Distanzierung“ heißt dieses Phänomen. Das Nachdenken über die Erderwärmung unterliegt ihm ganz besonders.
Hitzewellen, Dürren und Starkregenereignisse sind zwar längst überall zu spüren. Dennoch neigt unser Gehirn noch immer dazu, den Klimawandel für etwas Fernes, Unsicheres zu halten. Oder etwas, das nur andere Leute betrifft. Das zeigt zum Beispiel eine regelmäßige Erhebung der US-Eliteuniversität Yale deutlich.
Laut dieser Umfrage sind zwar immerhin zwei Drittel der US-Amerikaner besorgt über den Klimawandel. Doch das Bild ändert sich, wenn die Forscher danach fragen, wer denn von den Folgen der Erderwärmung besonders bedroht sei. Dass „zukünftige Generationen“ starken Schaden nehmen, glauben 56 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner. Rund die Hälfte hält „Menschen in Entwicklungsländern“ für stark gefährdet. Für die eigenen Landsleute wird die Gefahr mit 30 Prozent schon deutlich geringer eingestuft, die eigene Gemeinde liegt mit 19 Prozent nochmals darunter.
Dass man selbst vom Klimawandel stark bedroht sein könnte? Das glauben nur noch 16 Prozent. Man nennt dieses Phänomen auch „Optimismus-Bias“: Generell glauben Menschen, dass es sie selbst schon nicht so hart treffen wird wie andere.
Die Konsequenz ist, dass der Klimawandel zuverlässig in der mentalen Schublade für alles Abstrakte landet – und dort verstaubt. Der norwegische Umweltpsychologe Per Espen Stoknes zählt die psychologische Distanzierung deshalb zu den fünf „mentalen Barrieren“, die Klimaschutz verhindern.
Vielleicht hilft ja Kunst, diese geistigen Mauern zu überwinden?
Die Fotografin Giulia Piermartiri und der Fotograf Edoardo Delille, deren Bilder hier (im Originalartikel) zu sehen sind, versuchen es jedenfalls. Manche zeigen das Mont-Blanc-Massiv, dessen Gletschermassen bis 2100 auf fünf Prozent zusammenschmelzen könnten. Dieser abstrakten Zukunft geben Piermartiri und Delille eine Bühne in der Gegenwart, indem sie auf die heutigen Schneelandschaften Sonnenblumenfelder projizieren. Ob die Zukunft so blumig sein wird, sei dahingestellt. Doch in jedem Fall rütteln diese Werke die mentalen Schubladen ordentlich durcheinander.
Afrika ist nur für fünf Prozent der weltweiten Schadstoffemissionen verantwortlich – leidet dennoch besonders stark.
Auf 88 Prozent der Fläche des US-Bundesstaates Kaliforniens herrscht Behördenangaben zufolge „extreme Dürre“.
Die Gletscher der Mont-Blanc-Gebirgsgruppe schmelzen rasant – 2100 werden davon nur noch fünf Prozent übrig sein.
In Mosambik, einem der ärmsten Länder der Welt, häufen sich Zyklone, die Temperaturen steigen.
Die Küste von Mosambik erodiert, weil Mangrovenbäume abgeholzt werden und der Meeresspiegel steigt.
Kalifornien leidet unter extremen Waldbränden, die durch heiße Winde und trockene Vegetation zerstörerisch wirken.
Steigt der Meeresspiegel noch weiter an, liegen irgendwann alle Malediveninseln unter Wasser.
Auch Wissenschaftler haben schon versucht, die psychologische Distanz gegenüber Umweltproblemen zu verringern. In einem Versuch teilten vor einigen Jahren Forscher der Universität Toronto Probanden in zwei Gruppen auf. Zuerst informierte man beide Gruppen über die Folgen der Erderwärmung bis zu einem Punkt zehn Jahre in der Zukunft. Danach sollten beide Gruppen diesen Punkt auf einer Zeitleiste markieren. Bei der ersten Gruppe erstreckte sich die Zeitleiste nur 15 Jahre in die Zukunft, bei der zweiten 75 Jahre. Für Probanden aus der zweiten Gruppe wirkte das Jahr, das sie markieren sollten, somit näher – und das wirkte sich laut der Studie auch auf das Verhalten aus: In der Woche nach dem Experiment hätten diese Probanden sich generell umweltfreundlicher verhalten, berichten die Psychologen.
Einige Forscher plädieren daher dafür, dass man den Klimawandel möglichst als nahe und persönliche Bedrohung darstellen sollte. Manche von Delilles und Piermartiris Fotomontagen zeigen Waldbrände, die sich in den Alltag von Kaliforniern hineinfressen. Flieht, ihr Narren!, möchte man diesen Menschen zurufen, die gelangweilt inmitten außer Kontrolle geratener Flammen ausharren, ein besonders verstörender Kontrast.
Ob das auch aufrüttelt, ist eine andere Frage, denn diese Art der Kommunikation birgt ein Risiko: Fühlt sich ein Betrachter überwältigt von der drohenden Gefahr, kann das laut Wissenschaftler Stoknes einen weiteren psychologischen Abwehrmechanismus triggern, genannt „Untergang“. Die inszenierten Fotos aus Kalifornien verdeutlichen, dass die Erderwärmung zu großen Verlusten und Opfern führt. Die Folge können Angst und Schuldgefühle sein, denen man im Allgemeinen lieber aus dem Weg geht. Somit meidet man auch, sich mit dem Klimawandel als Auslöser dieser Gefühle zu beschäftigen.
Dann wäre da noch die „kognitive Dissonanz“, Barriere Nummer drei. Praktisch jeder (der Autor eingeschlossen) verhält sich auf die ein oder andere Weise klimaschädlich: Man fährt Auto (na ja, wenn es nicht anders geht), fliegt (aber immer seltener!) in den Urlaub, isst Fleisch (ausgewogene Ernährung!). Zugleich weiß man, dass die Emissionen aus diesen Aktivitäten die Atmosphäre schädigen. Ein unerträglicher Zustand, der dazu verleitet, sein Verhalten zu rechtfertigen, statt es ganz abzustellen.
Hiermit eng verwandt ist die Barriere der „Identität“: Wer sich darüber definiert, möglichst schnell im Sportwagen über die Autobahn zu brausen oder jede Woche zwischen München und Frankfurt hin und her zu jetten, dürfte Rufe nach einem veränderten Lebensstil oder höheren Steuern mindestens als persönliche Beleidigung, wenn nicht als existenzielle Bedrohung der eigenen Lebensweise empfinden. So werden Klimaaktivisten als Überbringer dieser Botschaften schnell zu Gegnern, zu Zielscheiben von Hass und Hetze.
Natürlich gibt es neben den mentalen Barrieren noch andere mindestens so wichtige Gründe dafür, dass die globalen Treibhausgas-Emissionen 2023 einen neuen Rekordwert erreicht haben, allen Klimazielen zum Trotz: Etwa, weil viele Staaten, Firmen und Privatpersonen noch immer massiv von der Ausbeutung fossiler Rohstoffe wie Öl und Gas profitieren. Ihnen hilft ein weiterer mentaler Mechanismus, den Umweltpsychologe Stoknes „Verleugnung“ nennt. Damit ist kein generelles Abstreiten der Klimawissenschaft gemeint, sondern eine Art Übersprungshandlung. Das alltägliche Bewusstsein über die Klimakrise wird unterdrückt, „so dass wir weiterleben können, als hätten wir nie etwas von den unbequemen Tatsachen gehört“, schreibt Stoknes.
Einwohnerinnen und Einwohnern von Ländern wie Mosambik oder den Malediven, ebenfalls von Piermartiri und Delille porträtiert, hilft das wenig. Mosambik leidet schon heute massiv unter Dürren, Überschwemmungen und Stürmen, die Zukunft ist hier längst Gegenwart geworden. Wie die meisten Staaten Afrikas ist Mosambik besonders vulnerabel für die Risiken des Klimawandels – ohne je groß zu dem Problem beigetragen zu haben. Und Inselstaaten wie die Malediven könnten bis 2100 größtenteils unterhalb des Meeresspiegels liegen. Das Anschwellen der Meere ist eine besonders perfide Folge der Erderwärmung, verläuft es doch einerseits vergleichsweise langsam, sodass man meinen könnte, noch genügend Zeit zu haben, um es zu stoppen. Doch die Trägheit der Eiskappen könnte dazu führen, dass sie noch jahrhundertelang weiterschmelzen, selbst wenn alle Staaten ihre Klimaschutzverpflichtungen ernst nehmen. Deshalb ist gerade jetzt ein Gegensteuern nötig.
Zugegeben: Das sind Zeitachsen, die Menschen nur als abstrakt empfinden können. Doch das sollte keine Entschuldigung sein, jetzt nicht zu handeln. Dazu hilft vielleicht die Erkenntnis, dass gegen mentale Schranken auch ziemlich beeindruckende geistige Fähigkeiten zur Verfügung stehen. Sie tragen Namen wie Logik und Vernunft. Man muss sich ihrer aber auch bedienen.
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