Montag, 15. April 2024

Der Verkehr kommt dann schon

hier  Frankfurter Rundschau 12.04.2024, Von: Michael Kopatz

Verkehrswachstum bedeutet Wirtschaftswachstum. Auch deshalb werden Straßen oft noch lieber größer gebaut. Doch Natur- und Klimaschutz bleiben so auf der Strecke. Die Kolumne „Öko-logisch“.

Was mich immer wieder deprimiert, ist der fortschreitende Aus- und Neubau von Straßen. Und deswegen drängt es mich regelmäßig darüber zu schreiben. Während es bei der Energiewende inzwischen gut vorangeht, verschlimmert sich die Lage im Straßenverkehr. Mehr Autos, mehr Kilometer, mehr Spritverbrauch, mehr Klimagase, mehr Schadstoffe, mehr Mikroplastik.

Dass zusätzliche Straßen mehr Verkehr mit sich bringen ist kein Mythos, sondern Fakt. Doch die meisten Politiker scheinen das zu verdrängen wie Donald Trump den Klimawandel. Und wie ist das bei den Fachleuten im Verkehrsministerium? Sind die dumm und ignorant? Wohl kaum. Wie erklärt sich dann, dass man einfach weiter plant und baut, als gäbe es kein Morgen?.....

Die für Verkehrspolitik Verantwortlichen begrüßen in ihrer breiten Mehrheit auch Verkehrswachstum, denn damit geht ja schließlich wirtschaftliches Wachstum einher. Gewiss, da sind die oben genannte Probleme mit dem Natur- und Klimaschutz. Aber offenbar scheinen diese Probleme den Verkehrsfachleuten im Bund und Land weniger am Herzen zu liegen als das Wirtschaftswachstum.

Nur grüne Politiker stellen das Verkehrswachstum grundsätzlich in Frage. Ansonsten sehe ich krasse Widersprüche zwischen Postulaten und Taten: In der Politik begegnen mir in breiter Mehrheit Menschen, die den Verkehr begrenzen, ja sogar verringern wollen und zugleich den Ausbau von Straßen und Neubaustrecken befürworten. Da wird das Problem der Verkehrszunahme geleugnet und verdrängt.

Gewiss, Umgehungstraßen erscheinen notwendig, um Bewohner:innen zu entlasten. Zugleich verkürzt sie die Fahrzeit für Pendler:innen. Und insgesamt verlängern sich durch diese Form der Beschleunigung die Pendeldistanzen. Ergebnis: Mehr Verkehr. Ich erinnere mich gut an einen Schlagabtausch im Kommunalparlament. Es ging um die Frage, wie großzügig eine Straße ausgebaut werden sollte, die zwei Stadtteile durch ein Wohngebiet verbindet. Eine schmale Straße mit Tempo 30 hätte die Probleme klein gehalten. Die breite Version mit Tempo 50 würde den Verkehr zwischen den Stadtteilen anschwellen lassen. Die Grünen wurden überstimmt. Eingeprägt hat sich bei mir der Satz zur sozialdemokratischen Begründung der Asphaltmaximalversion: „Der Verkehr kommt dann schon!“.

Michael Kopatz ist Dezernent für Klimastrukturwandel in Marburg.


Zeit hier  Interview: Dr. Dirk Asendorpf / Stefan Bratzel, 11. April 2024

Verkehrspolitik: "Und schon ist die neue Straße wieder voll"

Mehr Straßen helfen nicht gegen Staus, sie führen zu noch mehr Verkehr, sagt der Forscher Stefan Bratzel. Deutschland solle nicht dieselben Fehler wie Los Angeles machen.

Stefan Bratzel ist einer der prominentesten deutschen Verkehrswissenschaftler. Gerade hat er in den USA ein Buch über die Verkehrsplanung in Los Angeles und ihre Folgen veröffentlicht.

ZEIT ONLINE: Herr Bratzel, Sie haben am Beispiel von Los Angeles, einer Megacity mit 15 Millionen Menschen, untersucht, warum mehr Straßen zu mehr Stau führen. Pro tausend Einwohner gibt es dort 750 Autos, mehr als doppelt so viele wie in Berlin. Was können wir trotzdem von Los Angeles lernen?

Stefan Bratzel: Wir sehen dort einen sich selbst verstärkenden Teufelskreis, der schon einige Umdrehungen weiter ist als in Deutschland. Wenn eine neue Kapazität geschaffen wird – zum Beispiel eine neue Straße oder eine neue Spur auf der Autobahn –, gibt es aus drei Gründen mehr Verkehr. Der erste: Die Leute, die vorher andere Routen benutzt haben, nutzen jetzt diese neue oder breitere Straße, weil ihre Fahrzeit da geringer ist. Der zweite Effekt entsteht durch Fahrten, die vorher gar nicht gemacht wurden, weil es zu lange gedauert hätte. Und der dritte Effekt ist langfristig und strukturell. Weil ich neue Verkehrsadern geschaffen habe, wird es attraktiver, weiter weg zu wohnen. Die Wege zur Arbeit und zu Freizeitaktivitäten werden länger. Und schon ist die neue Straße wieder voll. Dann versucht man, auch diesen Stau wieder durch Straßenausbau zu beheben.

ZEIT ONLINE: Aber Los Angeles hat seit 1990 auch 15 Milliarden Dollar in den Bau eines ausgedehnten U- und Straßenbahn-Netzes investiert, schreiben Sie in Ihrem Buch. Trotzdem liegt die Stadt mit durchschnittlich 95 in Staus verlorenen Stunden pro Jahr weit vor deutschen Städten.

Bratzel: Wenn ich erst einmal entfernungsintensive Strukturen wie in Los Angeles habe, kann ich die selbst mit einem fein verästelten ÖPNV nicht mehr erschließen. Ein Bus, der zwischen Wohngebiet und S-Bahn-Station pendelt, lockt niemanden in den ÖPNV. Denn mit Fußweg und Umstieg dauert die Fahrt länger als mit dem Auto – trotz Stau. Und dann kommen noch soziale Themen dazu. Wer sitzt in Bus und Bahn? Die, die sich kein Auto leisten können. Manche schreckt das ab. Im Auto habe ich meinen eigenen Raum und muss nicht umsteigen.

ZEIT ONLINE: In Los Angeles ist inzwischen von Transit Blues die Rede. Schon in den fünf Jahren vor Ausbruch der Corona-Pandemie ging die Zahl der ÖPNV-Fahrten um 20 Prozent zurück, liest man bei Ihnen. Warum?

Bratzel: Weil es den Leuten in den 2010er-Jahren wirtschaftlich besser ging. Dann haben sie sich als Erstes ein Auto gekauft, weil das in solchen Strukturen einfach das attraktivste Verkehrsmittel ist. Trotz Stau.

ZEIT ONLINE: Warum ist Los Angeles eigentlich so extrem zersiedelt?

Bratzel: Die Ironie ist, dass das ursprünglich durch die Eisenbahn ausgelöst wurde. Zwischen 1900 und 1920 hatte Los Angeles das größte Schienennahverkehrsnetz der Welt. Und da gab es Landentwickler, die gesagt haben: Ist ja super, da kauf ich Land weit draußen, leg eine Bahnlinie hin. Dann wird das Land sehr viel teurer, und ich kann gut Geld verdienen. Als das Auto in den 1920er-Jahren immer stärkere Verbreitung fand, wurde klar: Zu diesen entfernungsintensiven Strukturen passt das Auto eigentlich noch sehr viel besser. Das Schienen-Nahverkehrsnetz wurde zurückgebaut und in den frühen 1960er-Jahren komplett eingestellt.

ZEIT ONLINE: In Deutschland arbeitet inzwischen jeder Vierte zumindest teilweise im Homeoffice. Ist das ein Ausweg aus dem Teufelskreis?

Bratzel: Leider nein. Das Homeoffice macht es attraktiver, noch weiter draußen zu wohnen. Ich muss ja nicht mehr so oft zur Arbeit fahren. Auch die hohen Mieten in der Stadt tragen dazu bei. Weil ich dann aber so weit draußen wohne, braucht die Familie nicht nur ein, sondern zwei oder drei Autos. Denn die Wege zum Einkaufen und zu den Freizeitaktivitäten sind länger geworden. In der Stadt hatte ich beides um die Ecke. Kurzfristig führt das Homeoffice zu weniger Verkehr, langfristig aber zu mehr. Eine erste Studie scheint das bereits zu bestätigen.

ZEIT ONLINE: Die deutsche Pendlerpauschale haben Sie noch nicht erwähnt.

Bratzel: Ich nenne sie gerne Zersiedlungspauschale. Sie macht das Weiterwegwohnen attraktiver. Nach der Neuregelung steigt sie ab dem 21. Entfernungskilometer sogar auf 38 Cent pro Kilometer. Die Pauschale gilt zwar unabhängig vom Verkehrsmittel. Allerdings nutzen Pendler zu mehr als 60 Prozent das private Auto. Wer in der Stadt die hohen Mieten zahlt, ist dagegen gekniffen.

ZEIT ONLINE: Los Angeles zeigt: Straßenbau hilft nicht, ÖPNV-Ausbau aber auch nicht. Was also tun?

Bratzel: Wir müssen Autofahren unattraktiver machen und die Nahräume aufwerten. Dafür müssen wir den Verkehrsraum in den Städten neu aufteilen, mehr Platz schaffen für Fahrradfahren und zu Fuß gehen. Dann beschließen die Leute: Ich will lieber im städtischen Raum wohnen, der ist angenehm, nicht zu laut, ich komme schnell von A nach B, ich habe eine gute Versorgung mit Geschäften, Ärzten und so weiter. Und für die, die mit dem Auto in die Stadt pendeln, sollten wir über eine City-Maut und Ähnliches reden. Wir müssen aus diesem Teufelskreis herauskommen.

ZEIT ONLINE: Ihr Forschungsinstitut verdient sein Geld mit Studien für die Autoindustrie. Jetzt argumentieren Sie gegen neue Straßen. Wie passt das zusammen?

Bratzel: Auch einige Autobosse haben längst erkannt, dass der Pkw im städtischen Nahraum nicht die beste Lösung ist. Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema. Und das heißt eben, dass man nicht nur auf einen Verkehrsträger schaut. Wir forschen hier auch über das Thema multimodale Verkehrsdienstleistungen, sehen also nicht nur das Auto. Und machen im Übrigen auch Studien für Greenpeace. 

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